Tuesday, October 27, 2009

In passing: Viennale 2009 in drei Sätzen

Eastern Plays, Kamen Kalev, 2009

Sofia: Wo Kinder nichts anderes zu tun haben, als Saltos im Matsch zu schlagen, enden sie zwangsläufig als Neonazis oder Junkies.
Sofia: Wo alle Männer kaputt sind und alle Frauen hysterisch - oder zumindest ausgesucht dummes Zeug daher schwätzen (sogar die Touristinnen, die aus Istanbul anreisen).
Leider interessiert sich Kamen Kalev weniger für seinen Schauplatz als für die langweiligen Psychopathologie seines Protagonisten.

Ddongpari, Yang Ik-yoon, 2009

Ein Mann, der das Verhältnis zu Welt und Mitmenschen nur als Gewaltverhältnis denken kann, Welt und Mitmenschen, die more often than not Gleiches mit Gleichem vergelten: Das ist zu Beginn richtig lustig.
Leider trägt der Film in jeder Hinsicht zu dick auf, wenn er versucht mehr zu sein als nur ein konsequentes Asozialdrama.
Wie doch recht oft im koreanischen Kino gibt es am Ende keine Erlösung ohne ein blutüberströmtes Gesicht in Großaufnahme.

Fisshu sutori, Yoshihiro Nakamura, 2009

Punkrock und indische Astronauten retten die Welt.
Wenn's im japanischen Gegenwartskino "skurril" und "quirky" zugeht, sollte man eigentlich schon einmal vorsorglich in Deckung gehen.
Fisshu sutori hat mir aber durchaus gefallen, vor allem, weil Nakamuras Film trotz Meteor konsequent working class bleibt, filmästhetisch wie inhaltlich.

Friday, October 16, 2009

Mit Elaine Benes...

...wussten die ersten beiden Seinfeld-Staffeln noch nicht wirklich viel anzufangen. Der Qualitätssprung zur dritten und dann insbesondere zur vierten Staffel (best television of the 90ies?) lässt sich, glaube ich, nicht zuletzt darauf zurückführen, dass Julia Louis-Dreyfus in ihre Rolle findet.
In Seinfeld hat jeder Raum etwas Bühnenartiges, aber niemand nutzt diese Bühne so wie Elaine, wenn sie die Tür aufreist und ihre Show durchzieht. Elaine gehört auf den ersten Blick zu Kramer, beide haben keinerlei Distanz zu ihren jeweiligen Körpern, ganz im Gegensatz zu Jerry (ironische Distanz) und George (masochistischer, resignativer Blick auf die eigene Leiblichkeit), die ihre Körper andauernd in jeweils sehr unterschiedlich geartete Anführungszeichen setzen.
Doch Kramer und Elaine unterschieden sich ebenso voneinander wie Jerry von George: Wo Kramers Körper inkompatibel mit sich selbst und der Welt ist und ständig nur diese Inkompatibilität verhandelt, ist Elaines Körper reiner Ausdruck, in ihn prägt sich jede Pointe, jede Wendung ganz unmittelbar ein.

Thursday, October 15, 2009

Padatik / The Guerilla Fighter, Mrinal Sen, 1973

Der dritte Teil der Kalkutta-Trilogie: Das soziopolitische Argument ist sowohl anhand des beispielhaften Einzelfalls (Interview) als auch in historisch-vergleichender Manier (Calcutta 71) gemacht, die Schlussfolgerungen sind marxistisch-radikal: Auf den Sturz der kolonialen Statuen muss die Zerstörung der Schaufensterpuppen des Kapitalismus folgen.
In diesem dritten Teil geht es nur noch um das revolutionäre Subjekt, das sich in den ersten beiden Filmen zwar schon formierte, aber nur als (noch) blind zuschlagende Urgewalt (Interview) beziehungsweise als untote Rückseite der Bilder von Unterdrückung und Hunger (Calcutta 71). In Padatik geht es um dieses revolutionäre Subjekt selbst, um seine Möglichkeiten und Grenzen, um seine Her-, wie um seine Zukunft. Und da wird die Sache komplizierter (was nicht heißen soll, das diese beiden ersten Filme nicht kompliziert wären, ganz im Gegenteil konfrontieren die eine eher unkomplizierte These mit einer denkbar komplizierten Ästhetik und sie gestalten diese Konfrontation angemessen ambivalent und eben nicht, wie den Filmen hier und da vorgeworfen wird, vulgär-brechtisch).
Kalkutta selbst dringt in die Gegenwart des Films nur noch als Flash ein, in kurzen, paranoid anmutenden Handkamerapassagen, in denen der Kamerablick selbst den jungen Mann, das revolutionäre Subjekt zu verfolgen scheint. Auch die Thesen, die soziopolitischen Analysen der beiden Vorgänger bleiben diesem Film äußerlich oder sie manifestieren sich nur in Form klassischer Agitprop-Motive, als Parolen über Zeitungspressen:



Immer wieder brechen diese Parolen als Montagen in den Film ein, unterlegt von harten, schnellen Rhythmen, eben jenen Stakkatoschlägen, die in allen drei Filmen (wie auch in anderen Filmen Sens) einzelne Szenen aufbrechen, rhythmisieren, intensivieren. Vielleicht ist das ohnehin das großartigste an den tollen Filmen Sens: die Musik, wie sie - immer wieder in Verbindung mit Montage-Sequenzen - die sozialrealistische Grundierung der Bilder transzendiert, die Bilder mit ihrem Drive, ihrer Insistenz infiziert, durchaus aktiv und gestenartig, zeigend, emphatisch hinweisend, anklagend, aber nie: modernistisch brechend, distanzierend. Keine Verfremdung des Gegebenen, sondern Reaktion auf eine bereits vorgängige Verfremdung, beziehungsweise auf die Entfremdung des Gegebenen von sich selbst.
Jetzt gibt es ein revolutionäres Subjekt, einen jungen Mann, der ganz und gar ein solches ist und vom Film darüber hinaus nicht charakterisiert wird. Er ist allerdings eingesperrt in einer dezidiert bourgeoisen Wohnung, versteckt sich nach einem Attentat bei einer sympathisierenden jungen Frau, hält über einen Jugendfreund Kontakt mit der naxalitisch-marxistischen Parteiführung. Die Konstellation funktioniert bald nicht mehr so richtig, das revolutionäre Subjekt muss am Ende aus dem samtenen Gefängnis ausbrechen (und die Frau idealerweise mitnehmen und aus einem ganz anders gearteten Gefängnis befreien), es muss sich vom Apparat der Partei wie von falschen Freunden trennen und einen Neuanfang jenseits von hierarchiezerfressenen Theorien wagen, auf einer durch und durch moralischen, individual-ethischen Grundlage. In einer interessanten Wendung verbindet Sen diesen Neuanfang mit einem Rückbezug auf die antikoloniale Unabhängigkeitsbewegung.
Bis es aber soweit ist, entwickelt der Film eine komplexe filmpoetische Dialektik. Auf der einen Seite ist immer das Appartment, die Gegenwart des Revolutionärs, der sich seine Handlungsmacht vom Apparat beschneiden lässt, der in den schön eingerichteten Zimmern abhängt und ein wenig mit deren Besitzerin flirtet, im Wissen, dass aus diesem Flirt genauso wenig folgen wird, wie aus seinem verwalteten Aktivismus. Und eben auch: die bildrealistische Gegenwart des Films. Alles, was interessant, produktiv, progressiv wäre, ist auf der anderen Seite, auf Seiten der Vergangenheit, des Traums, auf Seiten des filmpoetisch Uneigentlichen: der Rückblenden, der Montagesequenzen, der Newsreelausschnitte, die in den Film eindringen, der Musik, die immer wieder antreibt, rhythmisiert, auffordert, solange, bis sich schließlich doch eine Fluchtlinie auftut.

Wednesday, October 07, 2009

Bioscope, K.M. Madhusudhanan, 2008

Nach einmaligem Ansehen traue ich der eigenen Begeisterung für diesen Film noch nicht vorbehaltlos über den Weg. Zumindest aber ist Bioscope ein Film, der mich wie aus dem Nichts hart, schwer und tief getroffen hat. Das indische Kino ist für mich ein schwieriges Objekt. Ohne erklären zu können, weshalb, bin ich mir ziemlich sicher, dass die schönsten Filme der Welt indische Filme sind, aber bis heute habe ich wenig unternommen, diesen Schatz für mich zu bergen. Vielleicht, weil ich nicht weiß, wo ich anfangen soll: Im Grunde laufen mehrere Nationalkinematografien parallel, außerdem gibt es eine auf den ersten Blick recht strikte Trennung zwischen kommerziellem und unabhängigen Kino - die auf den zweiten Blick vermutlich nicht so einfach aufrecht zu erhalten wäre. Andererseits verhält es sich in China auch nicht anders und da hält mich das auch nicht ab. Wie dem auch sei, ich kenne bislang nur ein gutes halbes Dutzend waschechte Bollywoodfilme und auch nicht viel mehr indisches Autorenkino.
Bioscope ist ein tamilischer Film, der Regisseur ist von Haus Maler, das sieht man dem Film an. Sein Film ist einer über das Kino. Und ein Film über die bleierne Zeit der britischen Kolonisierung Indiens. Beides kommt zusammen, wenn die Kolonisierten auf die handgekurbelten Filme aus dem Bioscope starren. Wenn der Lumieresche Zug in den Bahnhof fährt, ergreift niemand die Flucht. Die Augen bleiben starr auf das flackernde Schwarz-Weiß der hier tatsächlich völlig stummen Leinwand gerichtet. Auch, wenn Wienes Caligari oder Filme des indischen Stummfilmpioniers Dadasaheb Phalke projiziert werden. Nur Diwakaran wendet den Blick und schaut von den Bildern auf den Apparat, der sie produziert, sowie auf Dupont, den Europäer, der die sich noch nicht sehr flüssig bewegenden Bilder nach Indien gebracht hat. Diese eine Kopfbewegung ist schärfere und treffendere Ideologiekritik als jede Apparatustheorie. Diwakaran tritt später an die Stelle Duponts und kurbelt selbst.
Mehr passiert eigentlich nicht: zuerst kurbelt Dupont, danach Diwakaran. Dazwischen Gespräche über die neue Technik, die den Dorfbewohnern eher schwarze denn weiße Magie ist. Und ein eher angerissenes als durcherzähltes Melodram um Diwakaran und seine kranke Frau Nalini, die einst, wie mehrere intensive Rückblenden offenbaren, einen Weißen, einen Kolonisator am Strand entdeckt und sich von diesem Erlebnis nie wieder erholt zu haben scheint. Infiziert vom Fremden siecht sie dahin.
Vor allem aber vollzieht Bioscope: Stillstellungen. Gesichter in Großaufnahme am Strand, vor Lehmstraßen, alles feucht, trüb, matt, platt, träge, bleiern außer wenn es um Dorftratsch geht. Traurige Lieder, deren Texte eigentlich keine Untertitel benötigten. Die Stillstellungen sind umso deprimierender, als sich zwischen ihnen dann doch das eine oder andere entwickelt, nur eben nichts Produktives. Stillstellungen, die in den Flow eines fremdbestimmten Alltags eingelassen sind. Stillstellungen als Reaktion auf die Fremdbestimmung. Bioscope ist einer der eindrücklichsten Filme über Kolonialismus, den ich bisher gesehen habe, eben, weil es kein außen der Ohnmacht der Kolonisierten gibt, keine Handlungsmacht, die stellvertretend für die Ohnmacht agiert.
Ich bekomme die großartigen Bilder noch nicht hinreichend auf Begriffe, ich bekomme sie nicht soweit, wie ich sie gerne hätte (allzu weit möchte ich sie auch wieder nicht bringen, sie sollen schließlich bleiben...). Aber darum geht es ihnen sicher: Kino und Kolonialismus. Das Kino treibt nur eines dieser Gesichter, das Diwakarans, aus der Trübe. Wo das Gesicht landet, bleibt unklar, Diwakaran begehrt nicht auf, durchläuft keinen Erkenntnisprozess. Vielleicht ist die Frage falsch: Diwakaran landet nirgends, er handelt nicht, er muss sich nur nicht mehr für die Unmöglichkeit des Handelns rechtfertigen, denn: Er kann projizieren. Während Nalini sich in ihren Rückblenden verzehrt, Bilder in sich einschließt, in denen jede Welle in Zeitlupe hoffnungslos überdeterminiert über den Sand kriecht, kann Diwakaran sich im Akt des Projizierens völlig entäußern. An Heide Schlüpmanns Buch Ungeheure Einbildungskraft (bei dem ich mir freilich nach wie vor in jeder Hinsicht unsicher bin) denke ich jetzt, hinterher, wenn ich an diese Projektionen denke:
Keine Definition, sondern reine Projektion der "Leibeigenschaft", stellt sie keinen Angriff auf die Gesellschaft dar, sondern eine List des träumenden Lebens, seinem Dasein eine äußere Wirklichkeit zu geben oder im Bergsonschen Sinne: eine Möglichkeit, die nicht auf Verwirklichung zielt.

Saturday, October 03, 2009

The Time Traveler's Wife, Robert Schwentke, 2009

Was vielleicht kein Kino so gut kann wie Hollywood: seine eigenen Funktionsmechanismen zu literalisieren und direkt Film werden zu lassen.
Jüngstes Beispiel ist Robert Schwentkes zweiter amerikanischer Film The Time Traveler's Wife. Konsequent übersetzt Schwentke ein Science-Fiction-Süjet ins Melodramatische. Für die Paradoxien des Zeitreisens interessiert sich der Film nicht ein bisschen. Einmal wird erklärt, dass Eingriffe in die Vergangenheit nutzlos seien, nach einem Ausflug in die Zukunft Lottomillionen einzukassieren ist aber ok. Das Zeitreisen dient nur einem Zweck: der melodramatischen Aufladung der Biografie Eric Banas respektive Henry DeTambles. Die schreitet, das ist der erste Trick an der Sache, eigentlich ganz konventionell linear voran. Unterbrochen wird diese Linearität nur von kurzen und - das ist der zweite Trick - nicht kontrollierbaren Ausfügen nach hinten oder nach vorne. Meist landet Henry dabei direkt auf dem eigenen Zeitstrahl, mischt sich ins Leben seiner späteren / früheren Geliebten ein und produziert jede Menge melodramatisches Bewußtstein.
Laut Linda Williams ist das Strukturprinzip des Melodramas das "too late": Leidende (Frauen-)Körper werden mit irreparablen Situationen konfrontiert, das Glück liegt in der Vergangenheit, beziehungsweise der Rückblende. Schwentkes Film gelingt es, dieses Prinzip gleichzeitig zu invertieren und zu intensivieren: Das Zeitreisen ist eben nicht in der Lage, das "too late" zu kurieren, sondern es infiziert im Gegenteil bereits die (glückliche) Gegenwart mit eben diesem, dem "too late", das eigentlich erst noch bevorsteht. Der Film schenkt seinen Figuren eben jenes Wissen um den Ausgang des Rührstücks, das der genrekundige Zuschauer ohnehin schon besitzt. "Ich weiß, dass bald alles zu spät sein wird."
(Schön am Film ist, nebenbei bemerkt, auch der Zeitreise-Special-effect. Wenn Bana sich in Richtung Vergangenheit / Zukunft aufmacht, löst er sich in Sekundenschnelle in Luft auf. Im Moment des Auflösens verschwindet die Illusion des Dreidimensionalen Raums, Bana wird ganz zweidimensionales Bild: Schwentke setzt keine aufwändigen Digitaleffekte ein, die ein dahinschwindendes Körpervolumen simulieren könnten, sondern er lässt einfach Stück für Stück Banas Abbild transparent werden, so, als würde man ein (zweidimensionalen) Bild von den Rändern her beschneiden.)