Sunday, October 31, 2010

Viennale 2010: Ken Jacobs

The Day Was a Scorcher, 2009
A Loft, 2010

Zu meinen schönsten Entdeckungen auf der diesjährigen Viennale zählen zwei neue Filme eines weit über Siebzigjährigen Avantgardisten. Beide bedienen sich einer ähnlichen Technik, die ich nicht bis ins letzte verstanden habe: Jacobs montiert Einzelbilder beziehungsweise sehr wenige kontinuierliche Filmframes in dreidimensional anmutende, skulpturale Arrangements. Kleine Verschiebungen und zwischengeschaltete Schwarzbilder konstruieren virtuelle Bewegungen, die man auch dann nachzuvollziehen gezwungen ist, wenn man ihre Virtualität durchschaut hat. Oft schwirrt eine plastisch gewordene Welt um einen stillgestellten, flachen Angelpunkt.
The Day Was a Scorcher nutzt fotografisches oder filmisches Material (da habe ich unterschiedliche Angaben gefunden), das Jacobs vor Jahrzehnten selbst aufgenommen hat: Ein Familienurlaub, seine Frau und die zwei gemeinsamen Kinder spazieren durch eine (europäische?) Stadt. In den absurden Räumen erhalten die Gesichter eine piktoriale Qualität, wie ich sie so noch nie gesehen habe. Die Bilder werden einerseits radikal enthistorisiert und ins digitale Zeitalter eingeschrieben, andererseits gewinnen die Großaufnahmen der Gesichter eine Expressivität, die die gesamte Filmgeschichte auf einmal zu evozieren scheint.
A Loft setzt sein Ausgangsmaterial ans Ende: Der Film basiert auf einem wenige Sekunden langen Schwenk durch ein recht chaotisches Appartment. Jacobs nimmt diesen Schwenk auseinander und verwandelt das Appartment mit Flickereffekten, Farbkorrekturen und videografischen Bilddrehungen in eine Art Raumschiff, das bei jeder Drehung eine neue, flirrende Räumlichkeit und eine neue, halbmaterielle Textur erhält.

Saturday, October 30, 2010

Viennale 2010: Festival, Jean-Claude Rousseau, 2010

Das Filmfestival als Zauberwürfel. Eine Drehung weiter und eine neue Verbindungslinie wird sichbar: Festivalfilme über Filmfestivals. Guerins Guest kommuniziert einerseits mit The Forgotten Space, andererseits aber auch mit Jean-Claude Rousseaus Festival. Diesmal sind die Filme keine Antagonisten hinsichtlich ihres Bildkonzepts, sondern hinsichtlich der Blickrichtung (die Guerin wiederum mit Burch / Sekula teilt). Auch Rousseaus Film ist ausschließlich auf Filmfestivals entstanden, genauer gesagt auf unterschiedlichen Ausgaben des Torino Film Festivals und auch in Festival kommt das Festival selbst nicht vor. Der Regisseur strebt allerdings nicht nach der Aufhebung der eigenen Subjektivität im dokumentarischen Welt, sondern arbeitet an einer komplexen Selbstfiktionalisierung, die auf ihre Weise auch eine Aufhebung darstellt: Der Film spielt fast ausschließlich in anonymen Hotelzimmern, deren einziger Bewohner Rousseau selbst ist.
Eine denkbar spröde, aber nicht ganz humorlose Metafiktion (ich kenne keine anderen Filme Rousseaus - bis auf den kurzen Series noire - und muss das möglichst bald nachholen). Starre, flache Einstellungen, irritierende Ton / Bild-Scheren, Betonung des Rahmens und des hors cadre, das Schwarzbild als konstitutives Element einer sehr privaten Poetik. Das erste Zimmer ist mit einem anderen Raum (filmisch, nicht räumlich) verschaltet, in dem eine Frau mit einem Tonbandgerät sitzt und sich wiederum mit Rousseau... nicht unbedingt unterhält, aber zumindest mit ihm in Verbindung steht. Auf die Bitte, ihr zu schreiben, habe er geantwortet: "ich schreibe nicht" und hinzugefügt, dass er an die "Grafie" in der Cinematografie nicht glaube, dass also die Kamera kein Medium der Schrift sei. Oder so ähnlich. Und besonders viel geschrieben / kommuniziert wird im Folgenden tatsächlich nicht. Es gibt einige Straßenaufnahmen, die von Rousseau und einem anderen Mann kommentiert werden, einige Aufnahmen aus einem Kinosaal, in dem sich niemand befindet außer Rousseau, der einige Positionen ausprobiert, sich in einem Sessel niederlässt, wieder aufsteht, ein paar Reihen nach vorne geht, sich auf einen anderen Platz setzt, wieder aufsteht... Sonst: Bilder in Hotelzimmern, Blicke aus den Fenstern von Hotelzimmern (wobei die Zusammenhänge zwischen einzelnen Ausschnitten nur über die Montage entstehen und nie in einer Totalen oder einer Kamerabewegung, nicht einmal in räumlichen Überschneidungen verifiziert werden; ein konstruktivistisches Kino, aber im Straubschen Sinne: Die Integrität des einzelnen Bildes darf nicht durch andere Bilder gefährdet werden, auch deshalb vielleicht die Schwarzbilder als Stopper dazwischen). Fast zwanghafte Wiederholungen von Einstellungen und Einstellungsfolgen. Variationen und Serien: Die Frau auf dem Nachbarbalkon wird langsam abgelöst durch einen Mann, der einen langen, leeren Kontrollblick in Richtung Kamera wirft. Auf eine am Anfang angedeutete metafiktionale Pointe läuft das ganze nicht heraus. Sondern auf eine Gegenüberstellung: Das Fenster zur Welt gegen die harsche Linie des Schriftzugs auf weißem Papier. In der letzten Einstellung verrutscht das Papier, seine Kante wird sichtbar, der Rahmen des Filmbilds setzt sich ein weiteres Mal in sein Recht.

Thursday, October 28, 2010

Viennale 2010: They Met in Hongkong

The Forgotten Space, Noel Burch / Allan Sekula, 2010
Guest, José Luis Guerín, 2010


Filmfestivals schaffen räumliche Verdichtungen, aus denen sich fast zwangsläufig Begegnungen, Übereinstimmungen, oder auch exakte Kontraste ergeben, die weniger mit den Objekten selbst zu tun haben, als mit ihrer zufälligen und in vieler Hinsicht willkürlichen Nachbarschaft in der Programmierung. In den letzten Tagen zum Beispiel haben sich eine niederländisch-österriechische Koproduktion und ein spanischer Dokumentarfilm in Hongkong berührt. Sowohl The Forgotten Space von Noel Burch und Allan Sekula als auch José Luis Gueríns Guest landen auf ihren sehr unterschiedlich gearteten Reisen (globalisierte Roadmovies sind beide, aber die Bewegungsformen ähneln sich ebenso wenig wie die filmische Flaschenpost, die in ihrem Verlauf entsteht) in Hongkong. Und beide interessieren sich dort für dieselbe Personengruppe: Phillippinische Hausmädchen, die fernab der Heimat und der eigenen Familie fremde Kinder erziehen. Sonntags treffen sie sich im öffentlichen Raum und leisten sich in ihrem Leid Gesellschaft. In den Blick kommt mit dieser Übereinstimmung aber kein gemeinsames Projekt, ganz im Gegenteil. Ganz zufällig ist der Zufall zwar nicht: Sicherlich gibt es ein Gemeinsames beider Filme, eine gemeinsame Blickrichtung zumindest, die beide Filme in Hongkong zu den exilierten Hausmädchen treibt und nicht irgendwo anders hin. Aber was hinter dem Blick steht, könnte verschiedener nicht sein.
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Bei Burch / Sekula steht hinter dem Blick eine These: Welthandel ist böse. Diese These treibt den Film an und verwandelt die für sich selbst durchaus interessanten Menschen, Orte und Zusammenhänge, auf die die Regisseure stoßen, in Argumente. Material für fünf, wenn nicht zehn interessante Dokumentarfilme gibt es in The Forgotten Space. Nicht nur für Filme über die Hausmädchen (und über die phillippinischen Männer, die im Hafen der Stadt arbeiten), auch für solche über Architekturgeschichte, Gewerkschaftsbewegungen, Containerschiffahrt (wobei es zu letzterem Thema mit der zweiten Staffel von The Wire eigentlich bereits ein ziemlich überzeugendes Statement gibt). Aber die interessanten Teile fügen sich zu einem uninteressanten Ganzen. Schuld ist nicht die Präsentation, die ist zwar für einen angeblichen "Filmessay" stellenweise etwas slick, aber grundsätzlich schon okay. Schuld ist die Reduktion von allem aufs Argument. Und teilweise auch die Dummheit des fürchterlich technophoben Arguments, dem alles Dialektische fremd ist. Eine argumentative Auseinandersetzung mit dem Welthandel müsste mit der Feststellung beginnen, dass er zuerst einmal eine großartige Sache ist, dass es der Menschheit inzwischen möglich ist, jeden Tag abertausende Container von einem Ende der Welt ans andere zu transportieren und dass die Probleme da anfangen, wo die falschen Sachen auf die falsche Weise und vielleicht auch noch in die falsche Richtung transportiert werden. Bei mir, der ich mit seinem Grundanliegen eigentlich schon halbwegs sympathisiere, hat der Film am Ende eher eine Trotzreaktion ausgelöst. Das Bild eines Containerschiffes inmitten der Weltmeere, mit dem Burch / Sekula ihr dokumentarisches Panorama punktieren, ist für mich auch weiterhin eher eine Utopie denn eine Dystopie.
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José Luis Guerín hat kein Argument, nur eine Kamera. Mit der begleitet er seinen eigenen Film En la ciudad de Sylvia auf dessen Reise um die Welt, von Filmfestival zu Filmfestival (ein Film, in dem ein Mann Frauen anschaut, zwei dieser Frauen tauchen noch einmal kurz auf im neuen Werk, Guerín hat sie gefilmt, fotografiert und jetzt schon wieder gefilmt, seine Kamera, seinen Blick wird man nicht so ohne weiteres los). Hauptsächlich entsteht der Film in Lateinamerika, dazu kommen Abstecher nach Asien, Israel und New York, in Venedig, einer der letzten Stationen, fühlt sich die Kamera sichtlich unwohl; auch in Kuba filmt Guerín. Die Bilder die er dort findet, werden aller Voraussicht nach dafür sorgen, dass er vom dortigen Havana Film Festival nicht mehr so schnell wieder eingeladen werden wird.
Der Tagebuchfilm Guest dokumentiert also einen Weg. Struktur geben lediglich Tagebuchblätter zwischen den einzelnen Episoden. Ansonsten ist der Modus das Sammeln und die Form die Skizze. Manchmal folgen auf ein Kalenderblatt nur impressionistische Aufnahmen aus einem Fenster, aus der Eisenbahn, aus dem Flugzeug, manchmal filmt Guerín den Fernsehbildschirm in seinem Hotelzimmer, manchmal sind es Begegnungen (mit Jonas Mekas und mit Chantal Akerman zum Beispiel), einmal erlaubt sich der Film einen Blick in das Notizbuch des Regisseurs, wobei sich offenbart, dass in der Zukunft vielleicht ein Guerín-Bibelfilm ansteht, manchmal entstehen aber auch ganze kleine Dokumentarfilme. Was in Guest fast gar nicht vorkommt, ist das Event selbst. Gerade, weil die Festivals nicht (bzw kaum) vorkommen, wird der Film zu einer alternativen Topografie des Kinos. Zu Gast ist der Regisseur in der jeweiligen Stadt, nicht in ihren Festivals. Und seine Kameras interessiert sich konsequent für die Menschen, die gerade nicht vom Festival adressiert werden. Zunächst sucht die Kamera das Leben auf der Straße: Straßenmusiker/händler/prediger/verkäufer/sänger, Demonstrationen, einfache Gespräche mit Passanten. Wo der öffentliche Raum wenig preisgibt (in Macao, in Cuba), geht Guerín mit der Kamera auch in den Wohnraum.
Was ein narzisstischer Film sondergleichen hätte werden können, ist das Gegenteil geworden. Schon im fiktionalen En la ciudad de Sylvia hatte sich ein nur auf den ersten Blick voyeuristischer Blick von der Schwere der maskulinen Subjektivität gelöst (die männliche Hauptfigur wurde zur Leerstelle, lud nicht zur Identifikation ein, sondern hatte Teil an einem fast rein physikalischen Kräftespiel; Anziehung und Abstoßung), im dokumentarischen Nachfolger (eigentlich ganz wörtlich: im Begleitfilm) Guest ist das Blicksubjekt noch weniger definiert. Einige wenige Male hört man Guerín zu seinem jeweiligen Gegenüber sprechen, ein einziges Mal sieht man seine Hand, wie sie eine Horizontlinie nachzeichnet. Aber es gibt nichts, was auf ein Individuum hinter der Kamera verweist, auf einen Autor, dem es daran gelegen wäre, die jeweilige Blickrichtung, die Bewegung zu plausibilisieren. Der entkörperlichte Blick hat eine Richtung, eine Tendenz, eine Vorliebe und sogar, vielleicht: zuallererst eine moralische Haltung, aber keine Agenda. Man könnte das Unfertige nicht nur am Film, sondern an jedem einzelnen Bild bemängeln. Aber dann würde man übersehen, dass sich gerade in der Entscheidung, das Unfertige unfertig stehen zu lassen, eine Form von Vertrauen in die Möglichkeiten des Bildes artikuliert, die einem Film wie The Forgotten Space vollkommen fremd ist.

Wednesday, October 27, 2010

Viennale 2010: Schmutziger Süden, Klaus Lemke, 2010

Das Gespräch nach dem Film war unerträglich. Tobias Kniebe als in sich hinein grinsender Stichwortgeber bringt die schlechtesten Aspekte seines Gegenübers zum Vorschein. Klaus Lemke macht natürlich nur allzu bereitwillig mit; wenn er sieht, dass Wenders-Bashing gut geht, schiebt er noch ein „Schrott, alles Schrott!“ nach. Die eigene Pose wird zum selbstgewählten Gefängnis. Ein Filmgespräch zum aus-trotz-Wim-Wenders-Fan werden. (Keine Angst, so weit wird es nicht kommen...)
Dabei wäre, unter anderen Umständen, nicht alles (im poetischen Sinne) falsch, was er sagt. Ich nehme ihm das, was er daüber erzählt, wie seine Filme entstehen, durchaus ab. Dass die Filme sehr direkt Begegnungen mit erstens einzelnen Menschen und zweitens bestimmten Städten entspringen: Das sieht man ihnen an. Dass Lemke dabei ohne Netz und doppelten Boden arbeitet, dass er sich Menschen und Orte aussucht, die ihn herausfordern, auch, weil sie das, was bei ihm selbst Pose ist, einfach nur sind: Das sieht man ebenfalls. Die Entscheidung Drehort Hamburg oder Drehort Berlin kann in so einem Kino tatsächlich zur existenziellen Frage werden. Und der endgültige, totale Formkollaps, der Schmutziger Süden ist, der wird dann erfühlbar als Folge einiger schiefgelaufener Begegnungen. Die falsche Stadt, die falschen Mädchen, auch der Hauptdarsteller kommt eigentlich aus Essen.
In Hamburg hatte Lemke vorher zwei großartige und auf ihre Weise sehr stringente Filme gedreht: zuerst das Melodram Finale (weg von der Fußball-WM, hin zur amour fou), dann den urbanen Thriller Dancing With Devils (aus dem Knast in den Tod). Der neue Film beginnt ebenfalls in Hamburg, als Kleinkriminellengeschichte, schon dort beginnt die Sache aus dem Ruder zu laufen. In München angekommen zerfällt der Film seinem Regisseur sichtbar unter den Fingern. Er hat das sicherlich bemerkt und sich dann entschlossen, doch weiter zu drehen. In Abwesenheit einer anderen Struktur strukturieren höchstens die verschiedenen Frauen. Vier, fünf, sechs Lemke-Mädchen (manche interessant, manche weniger, die mit den halblangen blonden Haaren aber möchte ich noch sehr gerne in anderen Lemke-Filmen sehen, weil sie mehr Widerstand leistet als die anderen) umschwärmen bald abwechselnd den neuen Helden, der wieder in einem seltsamen Spannungsverhältnis zu seinem Regisseur steht: Lemke investiert stets etwas zu viel in seine Männer, sie sind nicht einfach Stellvertreter, neurotische Projektionen sind sie natürlich schon, aber irgendwo scheinen die Filme trotzdem immer zu wissen (auch wenn Lemke selbst das vielleicht tatsächlich nicht mehr weiß), dass an dem unbedingten, in jeder Geste ausgestellten Vitalismus etwas faul sein muss, dass er (fürs Leben schon gleich gar nicht und auch) für den Film nur als ästhetischer Effekt taugt, der mit anderen Effekten und Affekten konfrontiert werden muss. Inkongruenzen, die im neuen Film tendenziell, aber doch nicht ganz, hinter grundlegenderen, offensichtlicheren Inkongruenzen verschwinden. Denn in Schmutziger Süden ist es vielleicht tatsächlich nur noch die Diskontinuität, der brutale Bruch, in dem dieses Wissen zu verorten ist.
Und toll ist das Titellied: „Overnight Slavery“.

Tuesday, October 26, 2010

Viennale 2010: Das rote Zimmer, Rudolf Thome, 2010

Nur ein wenig jetzt, mehr wird es hoffentlich später zu sagen geben über diesen schönen Film, aber dazu muss und möchte ich auch Das rote Zimmer wohl zuerst noch ein zweites Mal sehen; so kunstvoll versteckt der Film seine kunstvolle Konstruktion.
Vielleicht sind alle Thome-Filme inzwischen Beschreibungen von Inseln. Beschreibungen weil sie eher beschreiben denn erzählen, wie etwas geschieht: nicht unbedingt nüchtern, aber stets genau und ein wenig pedantisch (das Kino darf pedantisch sein), eins nach dem anderen, jeder Schritt hat dieselbe Emphase, ob sich zwei küssen und eine dritte den Kuss beobachtet (das passiert oft im Film und der Blick der Beobachtenden hat ganz unterschiedliche Bedeutungen, ist mal nur wissenschaftlich-neugierig, mal eifersüchtig, mal irgendwas dazwischen), oder jemand nur mit einem Auto an Weizenfeldern (?) entlang fährt, anhält und aussteigt. Was würde es bedeuten, wenn...? Und genau dieses "was wäre, wenn" ist die Form der Filme, das resultiert allerdings nicht in fantastischen Konstruktionen, sondern in Welten knapp neben der Realität, Welten, in denen man sich auch nicht wundern muss, wenn in den Fernsehnachrichten vom Oderhochwasser die Rede ist. Beziehungsfilme als Science Fiction der Jetztzeit. Inseln, weil die Filme auf inselartige Organisationsstrukturen zustreben. Häuser mit eigenem Garten und Teich, Selbstversorger aus freiem Willen, vertraglich geregelte Absonderung. (Aber die Insel ist nicht völlig isoliert, sie braucht ihr Außen, die Stadt. Und es ist nicht so, dass allen Thome-Figuren in der Stadt unbedingt etwas fehlt.) Auf einer Insel gibt es andere Organisationsformen (oder: es kann andere Organisationsformen, solche, die es sich im Kino zu beschreiben lohnt, nur noch dort geben) als an Orten, die keine Inseln sind. Und diese Formen zu beschreiben ist nicht dasselbe wie eine einfache Flucht ins Private.
Wie in Tigerstreifenbaby wartet auf Tarzan: Ein Mann, zwei Frauen, ein Haus auf dem Land. Aber das Ende ist völlig anders und im ganzen Film geht es um Wissenschaften und um Verträge, um Formalisierungen. Fred, der Mann ist außerdem diesmal kein Alien, sondern Kussforscher und schreibt einmal ein biochemisches Paper mit allerlei Formeln und Statistiken, während ihm die Kamera über die Schulter blickt. Die beiden Frauen, auf die er trifft, erforschen Gefühle, erstellen Fragebögen, formulieren Verträge. Luzie, die eine Frau, schreibt außerdem Romane, sie ist es, die Fred findet und in das gemeinsame Landhaus einführt. "Ich werde Dich lieben, bis ich sterbe", sagt sie. Sibil, die andere Frau, ist erst sehr bossy, als Fred dann aber mit verbundenen Augen in Richtung rotes Zimmer geführt wird, hebt sie sanft die Äste eines Baumes, damit die ihm nicht ins Gesicht geraten. Ein anderes Mal legt sie ein, so nennt es der Abspann: Buschfeuer. Diese Szene habe ich nicht ganz verstanden. Auch deshalb möchte ich diesen Film bald wieder ansehen.

Monday, October 25, 2010

Viennale 2010: Hahaha, Hong Sang-soo, Südkorea

Hahaha ist der vielleicht kunstvollste Film Hongs: Nicht mehr sind es zwei (drei, vier, fünf) aufeinanderfolgende Geschichten, die sich um einen Umschlagpunkt spiegeln, sondern zwei (drei) parallele, auf verschiedenen Ebenen ineinander verschränkte Geschichten, die sich außerdem weniger spiegeln, als gegenseitig verunreinigen. Der Film spielt wieder einmal in der Provinz und er hat seinen Schauplatz so perfekt im Griff, wie nur sehr wenige Filme, die ich kenne. Vier, fünf, sechs zentrale Orte, die exakt und doch spielerisch miteinander verschaltet sind; das Eingangstor zum Haus einer Frau (die Frauen arbeiten, die Männer schreiben "pubertäre Gedichte" und "haben noch keinen Film gedreht", außerdem haben sie inzwischen gehörige mother issues) spielt eine wichtige Rolle, doch erst in der dritten oder vierten Szene, die dort spielt, zeigt Hong seine relative Lage zu den restlichen Orten.
Probleme hatte ich zunächst mit der Klammer, die um die beiden Geschichten gelegt wird: ein rückblickendes Gespräch zwischen zwei der drei männlichen Hauptfiguren (die dritte ist der eine innerdiegetische Schalter zwischen den Strängen, das Gespräch der andere). Alkohol ist natürlich im Spiel, sowohl in der Klammer, als auch immer wieder in dem, was eingeklammert wird. Die Klammer irritierte mich zunächst, weil sie die ganze Angelegenheit doch ein wenig in Richtung (masochistischen, aber das entschuldigt nicht alles) Herrenwitz zu wenden schien. Mit etwas Abstand aber gebe ich Ekkehard, der bereits einen großartigen, langen Text zum Film geschrieben hat, doch völlig recht: die Klammer ist keine Verankerung, sondern wird konsequent zum Störmoment. Nicht nur, weil es ein Spannungsverhältnis zwischen Gezeigtem und Gesagtem gibt, auch in der Art, wie die Klammer gebaut ist. Das Gespräch der beiden Freunde wird eingeführt mit schwarz-weißen fotografischen Standbildern und Voice-Over-Gesprächen. Anfangs hört man auch noch einige Geräusche, zum Beispiel Getränkebecher, die gegeneinander gestoßen werden. Später reduziert sich diese beschränkte Zeichenwelt noch weiter: es tauchen in den Überleitungen zwischen den beiden Handlungssträngen immer weniger Fotografien auf und es sind außerdem immer wieder dieselben: der eine lacht, der andere auch, sie stoßen an. Auf der Tonspur: "Prost!" und nicht viel mehr. Das bekommt bald etwas Zwanghaftes, wird Irritation, nicht Rückversicherung.

Viennale 2010: Road to Nowhere, Monte Hellman, 2010

Nach 20 Jahren Abwesenheit ein Comeback ohne jedes Pathos, ohne blick zurück, sehr gegenwärtig, aber nicht unbedingt "zeitgemäß". Allerdings eher deshalb nicht, weil darin "gemäß" steckt und also eine regelhafte Zuordnung, auf die Hellman keinen Bock hat. In der Titelsequenz zu Beginn taucht nicht einmal sein Name auf, da heißt der Regisseur Mitchell Haven. Immer sonderbar und immer faszinierend ist Road to Nowhere, beim ersten Sehen kaum vollständig entschlüsselbar, weder in seiner Handlung, noch als poetisches System. Anschließend dann auch nur einige erste Notizen.
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Die Titel und der Prolog gehören einem Film im Film, der freilich den gleichen Titel trägt wie das, was um ihn herum gebaut ist. Zuerst Casting, dann Dreharbeiten. Es gibt auch noch andere Filme im Film: Der Regisseur schaut sich zwischendrin mit der Hauptdarstellerin und Geliebten Klassiker von Bergman bis Sturges an und erklärt jeden einzelnen zum "fucking masterpiece". Auch diese Filme stehen nicht außerhalb des Spiegelsystems, das Road to Nowhere ist. Zuerst setzt Hellman stilistische Differenzen zwischen den beiden ontologischen Ebenen, nach und nach reist er sie dann wieder ein. Es interessiert Hellman am Film-im-Film-Konzept einmal der Moment der Ununterscheidbarkeit, von dem aus eine Einstellung in die eine oder in die andere Richtung kippen kann. Dann auch die Idee, dass alle Bilder und nicht nur die Bilder, auch Häuser und Menschen, zwei Seiten haben. Eine wichtige Mordszene, die den Ursprung des Films gleichzeitig bezeichnet und im Dunkeln lässt, spielt mit den zwei Seiten eines Hauses, eine andere, die den Fluchtpunkt des Films gleichzeitig bezeichnet und im Dunkeln lässt, spielt mit den zwei Seiten eines Fensters und dann auch des Filmbilds selbst.
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An Two Lane Blacktop und vielleicht noch mehr an Cockfighter schließt der Film an, weil er einerseits die Chronik einer Obsession ist, der die Hauptfigur nach und nach alles opfert, aber auch, weil er andererseits den Inhalt dieser Obsession nach und nach verschwinden lässt. Es gibt immer einen dunklen Mann, ein Geheimnis im Hintergrund, dessen Einzelheiten weniger wichtig sind als die Effekte, die sie zeitigen, und die vor allem Aushöhlungen sind. Von Obsessionen, auch von Figuren.
Toll ist zum Beispiel Bruno (Walon Payne, der vorher in Walk the Line Jerry Lee Lewis gespielt hat, sonst aber noch nicht allzu viel) ein "Berater" am Set, von dem man von Anfang an nicht so genau weiß, was er da eigentlich zu suchen hat - als Film über die postfordistischen Kino-Produktionspraktiken ist Road to Nowhere vielleicht gerade in solchen Unsicherheiten instruktiv. Bruno ist eine Art Cowboyattrappe, er stolziert ausgemergelt und mit alberner Frisur in der Gegend herum, gabelt irgendwann eine blonde Bloggerin auf (die nochmal andere Filme im Film produziert) und mischt sich in Dinge ein, von denen er ncihts versteht und die ihn nichts angehen. Aber man merkt schnell: Egal worin sich Bruno einmischen würde, er würde von nichts etwas verstehen und nicht würde ihn etwas angehen. Ein Körper, der in sein eigenes Klischee geflüchtet ist und sich da unwohl fühlt. Einmal steht er in dem - vergleichsweise und etwas melancholisch in sich selbst ruhenden - Regisseur und möchte den Ermittler geben, allein, es klappt nicht, schon an den Gesten, an der Mimik scheitert er.
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Grandios ist die letzte Einstellung. An der Wand hängt die Fotografie der toten Hauptdarstellerin. Ein weichgezeichnetes Hochglanzbild, ein Starschnitt. Der Mund allerdings ist nicht weichgezeichnet, sondern extrem scharf, die geöffneten Lippen sind ein wenig aufgesprungen, stellen ihre Textur aus. Hellman zoomt erst auf das Foto, dann direkt auf die Lipen, während die Credits - diesmal die echten - über die Leinwand laufen. Der Mund als Spalt, gleichzeitig psychosexuell, als Verschiebung auf einen anderen Spalt verweisend und aber auch ontologisch: der Mund als Bruchstelle, durch die etwas eindringt, ein stoffliches Reales, das in den billigen Videobildern des übrigen Films (der mit einer Art Fotokamera gedreht wurde, die auch mehrmals direkt im Bild auftaucht und einmal mit einer Waffe verwechselt wird, das ist alles sehr schön, aber die 35mm-Bilder habe ich doch mehr vermisst als in vielen anderen digital produzierten Filmen der Gegenwart) wie ein Fremdkörper wirkt.

Sunday, October 24, 2010

Viennale 2010: Pink Saris, Kim Longinotto, 2010

Dokumentarfilme haben zwar einerseits den Vorteil, dass sie, wenn sie ein interessantes Thema behandeln, kaum ganz unerträglich sein können. Andererseits schaue ich auf Festivals bei Dokumentarfilmen mindestens genauso auf den Regisseursnamen wie im Fall von Spielfilmen. Was mich interessiert, ist doch zuerst die Art und Weise, mit der sich da jemand einem Gegenstand annähert. Oder vielleicht eher: Ohne eine sinnvolle Art der Annäherung verschwindet der Gegenstand in seiner bloßen Sichtbarkeit. Es geht einer an Regisseuren orientierten Cinephilie nicht zwangsläufig um das Autorengenie, gerade die Dokumentarfilme zeigen das: Was mich interessiert, ist die jeweilige Methode, die eine Weltsicht konstruiert und nicht etwa nur neutrales Medium einer solchen ist. Im Dokumentarfilm, insbesondere im guten, bleibt viel von der Produktionsrealität der Dreharbeiten im fertigen Film sichtbar. Filmemachen wird als ein gleichzeitig technisches und soziales System lesbar.
Kim Longinottos Methode schätze ich sehr. Ihre Filme konstruieren die Welt als ein System sozialer Beziehungen. Die Filme zeigen die ganz verschiedenen sozialen Beziehungen inhärenten sexistischen Unterdrückungsmechanismen Stück für Stück, Szene für Szene auf, ohne Behauptungen einzuführen, die nicht direkt im profilmischen Raum verifizierbar sind. Die Welt als sinnlich wahrgenommene, die Welt vor der Kommunikation taucht in den Filmen stets nur nebenbei auf, im Fall von Pink Saris in Seitenblicken der Kamera auf spielende Kinder, auf arbeitende Bauern, auf Tiere. Die Filme machen das sehr bewusst und gehen auch sonst mit ihrer Bildlichkeit sehr sorgfältig um. Oft laufen die Filme auf einzelne Bilder zu, die die Unterdrückungsverhältnisse exemplarisch enthalten. In Pink Saris ist es ein Bild auf einem Bauernhof, die Nichte der Regisseurin, die von ihrem Mann und ihren Schwiegereltern misshandelt wird, hat sich den Schleier über das Gesicht gezogen und steht statuesk, völlig hilflos zwischen ihren Verwandten und deren Kühen. Eine solche Beschreibung sagt freilich wenig darüber aus, wie verheerend dieses Bild wirkt (allein die Kühe, das Verhältnis der Kühe zu dem Mädchen, die kleinen Bewegungen zweier Männer der Familie in ihre Richtung), Sinn ergibt es erst im Kontext des Films.
Es bedarf einiger Anstrengung, die Welt als ein System sozialer Beziehungen zu zeigen. Longinottos Filme (viele kenne ich noch nicht) suchen Knotenpunkte des Sozialen, oft Institutionen, die aber nie nur für sich selbst interessant sind (wie bei Wiseman), sondern die immer für einen größeren Ausschnitt des gesellschaftlichen Ganzen stehen. In Pink Saris gibt es einen besonderen Dreh: Longinotto folgt fast ausschließlich einer einzelnen Frau. Diese Frau, Sampat Pal, die selbst einer ärmlichen Familie entstammt, von der sie sich zwar emanzipiert, aber nciht ganz losgesagt hat, leitet in Nordindien eine Art feministische Bürgerwehr, die brutal unterdrückten Frauen und Mädchen zu Hilfe kommt. Sampat Pal geht von Haus zu Haus, von Familie zu Familie und zwingt (die Kamera hilft ihr dabei sicherlich) die Opfer wie die Täter, die Konfilkte zuerst zu verbalisieren und anschließend auf der Polizeiwache aktenkundig zu machen. Nicht immer hat sie Erfolg, aber insgesamt ist der Film nicht unbedingt pessimistisch, er glaubt daran, dass Verbalisierung von Strukturen zu deren Überwindung beitragen kann, er muss daran glauben, weil er selber nichts anderes macht und weil Dokumentarfilme (nicht alle, sicher, es gibt natürlich auch Seidl) wenn sie etwas zeigen, auch immer sagen: es ist gut und richtig, das so und nicht anders zu zeigen.

Friday, October 22, 2010

The Arrival, Erik Matti, 2009

Ich kannte von Matti vorher nur Gagamboy, eine wilde, offensiv und freudig trashige Parodie auf Superheldenfilme, in die immer wieder die soziale Wirklichkeit des Drehorts eindrang in Form von Passanten, die das Bild durchquerten und tendenziell zuungunsten der albernen Handlung dominierten. Der neue Film macht etwas ähnliches mit seiner Tonspur. Viele Innenraumszenen sind geradezu ohrenbetäubend laut, weil - wie in Brillante Mendozas Serbis - Alltagsgeräusche durch die Ritzen in den dünnen Wänden dringen. Dabei spielt der Film zu weiten Teilen nicht einmal in der Großstadt, sondern in der Provinz. Die Hauptfigur Leo, mit deren süßlichen Bescheidenheit ich mich nicht immer so leicht abfinden konnte, nimmt zu Beginn Urlaub (und auch dabei kommt ihr der Straßenlärm zu Hilfe), fährt in die Provinz und bleibt dort. Zuerst nur, weil Leo ein Haus und eine Frau aus einem Traum erkannt zu haben glaubt - im Traum läuft die Frau aus dem Haus und küsst die Kamera.
Doch dieser Handlungsstrang ist von Anfang an underplayed, die romantische Eroberung gestaltet sich zunächst leichter als erwartet, nur um dann aus heiterem Himmel aprupt und endgültig zu scheitern. Sowohl Courting als auch Liebeskummer sind dem Film bereits zu viel Dramatik. Viel wohler fühlt sich der Film - und fühlt sich Leo - bei seinen Wirten, einem Vater und einem Sohn, die ihn zunächst ein wenig ausnehmen, dann ein wenig liebgewinnen. Matti filmt The Arrival strikt antiklimatisch, jeder dramaturgischen Spitze, die am Horizont aufzutauchen scheint, wird schnellstmöglich eingedampft. Es ist schon irgendwie rührend, wie der Genrefilmer Matti gegen die Instinkte der Industrie, der er entstammt, einen fast-schon-Ozu-Film zu drehen versucht. Weniger rührend als sonderbar ist, wie sich zwischendurch doch wieder Bilder in den Film schieben, die eindeutig einem Kino entstammen, dem Aufmerksamkeitsökonomie über alles geht. Die Hochglanz-Traumszenen gehören dazu, es gibt aber andere Passagen, die viel stärker aus dem angestrebten Fluss der sanft modellierten Alltagsdynamiken ausscheren. Eine von mehreren Montagesequenzen, die das gemütliche Landleben zu gemütlichem Asia-Pop zelebrieren, beginnt mit freundschaftlichen Grillabenden und Angelausflügen, endet jedoch mit einem gemeinsamen Bordellbesuch, eine ganze Schar von Prostituierten stürzt sich auf die drei Männer, im späteren Verlauf wird diese Szene nicht nur nie erwähnt, sie hat auch nicht die geringsten Nachwirkungen, weist keinerlei Kontinuität zur restlichen Filmwelt auf.

Monday, October 18, 2010

Nénette et Boni, Claire Denis, 1996

Einerseits kann man einer neuen Form beim Entstehen zusehen. Andererseits bleibt's halt doch ein Sozialdrama. Keine Differenz mehr wird vorausgesetzt zwischen Körper und Welt. Die Körper sind nicht mehr vereinzelt und ganz, sondern aufeinander bezogen und fragmentiert. Die Welt ist kein neutraler Container mehr, sondern die Gesamtheit der sinnlichen Bezugnahmen auf Materie. Was entsteht, ist ein halborganischer Flow, der sich nur dann ein wenig falsch anfühlt, wenn rhythmische Musik ihn begleitet. Und das spricht für den Flow: es ist ein dichterer, ein komplexerer Flow als der der Musik. Auch schön: keine falsche Romantik folgt aus der neuen Form. Paradigmatisch ist das Armband, das im Krankenhaus an der Babyhand befestigt wird. Der Eintritt in die Welt ist der Eintritt in die verwaltete Welt. Und doch: Es bleibt halt ein Sozialdrama. Und sogar ein übles, mit Teenageschwangerschaft, broken homes, ungenau definiertem migrantischen Milieu und so weiter. Wie Denis in ihren Flow die Zeichenlogik des Sozialdramas einbaut, wie widerstandslos dieser Einbau funktioniert, vor allem: Das hat mich immer wieder ziemlich abgestoßen, es wirft die Frage auf: wenn man sich "in die Bilder fallen lässt" (den ganz großen synästhetischen Überschlag kaufe ich der entsprechenden Theorieschule ohnehin nicht ab), wohinein fällt man dann ganz eigentlich? In ihren Afrikafilmen gibt es Stellvertreter für Denis' eigene Position und damit automatisch hierarchische Unterscheidungen. Vielleicht sind hierarchische Unterscheidungen manchmal eine gute Sache. Zumindest, wenn sie im Film figuriert - und nicht nur, bevor die Bildprofuktion überhaupt beginnt impliziert - sind.

Monday, October 11, 2010

Philip Roth

Eingestiegen bin ich in dieses Werk von der falschen Seite: mit I Married a Communist und American Pastoral. Insbesondere letzteren könnte man als Versuch begreifen, tatsächlich die "Great American Novel" zu schreiben, die der gleichnamige Baseballroman aus den Siebzigern parodiert. Vom Gesamtwerk her betrachtet sind auch diese beiden, stark vom Attraktionswert der Zeitgeschichte her konstrierten Bücher vor allem als Rearrangements der klassischen Roth-Obsessionen zu lesen: jüdisches Leben, Maskulinität, Newark, Lindbergh, Nixon, Antikommunismus, Nachkriegsamerika, Father-Issues etc. Dass Sex keine allzu große Rolle spielt, ist auch in erster Linie einem In-joke (Zuckermans Impotenz) zu verdanken.
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Weitherhin irritiert die Erzählperspektive. Macht Roth sich seinen verschiedenen, aber untereinander eng verwandten Erzählern tatsächlich total gleich? Immer wieder suche ich nach Momenten, in denen der Autor sich vom Erzähler distanziert und sei es auch nur ein wenig. Ich finde sie nicht. Aber neutrale Medien, bloße vermittler der Sicht des Autoren auf die Welt sind sie dann auch wieder nicht. Schließlich finden sich in den Büchern auch immer wieder Passagen, die andere, manchmal genau entgegengesetzte Positionen artikulieren. Und die sprachliche Investition in diese Passagen ist dieselbe, derselbe Verve, dieselbe Wortgewalt.
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Die Freude der Romane an Momenten, in denen Zeitgeschichte und fiktionale Diegese perfekt ineinandergreifen, ist eine durchaus perverse.

Wednesday, October 06, 2010

Resident Evil: Afterlife, Paul W.S. Anderson, USA

Der beste Hollywood-Actionfilm 2010 (naja, hierauf muss man natürlich noch warten, bevor man den Titel endgültig verleiht) hat vieles gemein mit dem besten Hollywood-Actionfilm 2009. Wie James McTeigue geht es auch Paul W.S. Anderson zuerst darum, jede einzelne Szene seines Films so aufregend wie möglich zu gestalten. Die Bässe pumpen fast durchgehend, auch die 3d-Effekte bleiben zuerst Effekte und zielen nicht auf ein intensiviertes world building: Messer fliegen in den Zuschauerraum, Regen perlt schon von den Schriftzügen der Credits plastisch in Richtung Sitzbank. Dem Primat des Styles muss sich alles andere beugen: Vorlagentreue, smarte In-jokes, Figurenzeichnung, die über das notwendige Minimum hinausginge. Natürlich muss das Franchise weitergehen, deswegen ist das Ende nicht ganz stimmig, passt nicht wirklich in die Eigenlogik des Films. Dennoch will Resident Evil: Afterlife stets zuerst ein gut funktionierendes B-Movie sein und erst danach eine intertextuell korrekte Computerspielverfilmung. Eigentlich ist es ein kleines Wunder (und vermutlich auch ein wenig dem 3d-Bonus zu verdanken), dass ein solch altmodisches Konzept an den Kassen Erfolg hatte und hat.
Gleichzeitig hat die Art der szenischen Inszenierung in beiden Fällen etwas von einer ehrlichen, sportlichen (vielleicht tatsächlich: materialistischen) Selbstbeschränkung: Anderson und McTeigue zeigen zuerst einen Raum, dann zeigen sie die Akteure, die sich im Raum befinden (beziehungsweise zeigen sie manchmal auch die Unsichtbarkeit einzelner Akteure), dann lassen sie Raum und Figuren miteinander reagieren und zwar auf eine zwar möglichst spektakuläre, aber dabei doch noch folgerichtige Art und Weise. Dennoch ist Resident Evil: Afterlife ein um einiges klassischerer Film als McTeigues posthumanistische Übung und insgesamt eher John Carpenter als Robert Bresson (Ninja Assassin als High-Tech-Variante von Lancelot du Lac) verpflichtet.
Die Festung inmitten LAs, in der eine Handvoll Einzelkämpfer dazu gezwungen werden, gemeinsam ums kollektive Überleben zu kämpfen, evoziert sehr unmittelbar Assault on Precinct 13, Escape from New York und Ghosts of Mars. Eine bei allem Oberflächenzauber klassische Spannungsdramaturgie zerteilt den einen, großen Raum in mehrere kleine, deren lokale Dynamiken und Perspektivierungen in schnellen, aber nie chaotischen Parallelmontagen verschaltet werden. Einige eigentlich nicht ganz zulässige Shortcuts gibt es, zugegeben (einer führt wieder einmal durch den Lüftungsschacht), aber die Gruppenbewegungen durch die Räume bleiben fast immer stimmig und im Framing nachvollziehbar.
Erstaunlich ist auch, wie unangefochten Milla Jovovich das Franchise inzwischen dominiert. Im neuen Film ordnet sich auch ein Wentworth Miller, der in seiner korrekten Prison Break-Rolle als Gefängnisausbrecher eingeführt wird und der mit seiner Statur und seiner Gestik einen Actionfilm dieser Größenordnung auch durchaus alleine stemmen könnte, wie selbstverständlich hinter Jovovichs Alice gemeinsam mit der auch wieder sehr guten Ali Larter in der zweiten Reihe ein. Man vergleiche Jovovichs minimalistische Souveränität (stylisch aussehen IST Ausdruck und Ausdruck genug) und Andersons inszenatorische Nonchalance nur einmal mit dem Aufwand, den Salt oder Wanted (beides auch okaye, beziehungsweise im zweiten Fall mehr als nur okaye Filme btw) in Angelina Jolie investieren, um sie als Action-Heldin salonfähig zu machen. Die Form des B-Films ist geschlechterblind (Hongkong weiß das schon lange), der Sexismus kommt von außen und oft von kulturell angeseheneren Sphären.

Tuesday, October 05, 2010

Ross MacDonald

Keine "two story" structure, sondern eine "three story" structure. Die Geschichte der Ermittlung / die Geschichte der Tat / die Vorgeschichte der Tat. Während die ersten beiden tendenziell kollabieren, bleibt die dritte distinkt und ist immer erst in einer Personenkonstellation erfassbar, nicht in einer einzelnen Erzählung. Zentrales Moment der Struktur (als strukturierende Abwesenheit zentraler noch als das traumatische Ereignis selbst) ist eine Latenzzeit zwischen Vorgeschichte der Tat und Geschichte der Tat. Mal sind das nur ein paar Wochen / Monate, mal mehrere Jahrzehnte. Die Bücher füllen diese Zeit kaum mit Alltag, es muss aber einen solchen geben, als alltägliches Leben mit einem schrecklichen Wissen, das Archer erst nach und nach zusammen trägt.

Verschränkt mit der zeitlichen sind eine räumliche und eine soziale Struktur. Erstere entsteht in jedem Buch neu, letztere ist ziemlich konstant: Die kalifornische High Society der ersten beiden Geschichten wird mit der working-class-Vergangenheit der Vorgeschichte konfrontiert. In Black Money führt der Weg von ersterer zu zweiter durch den hobo jungle.

Archer ist zunächst (The Galton Case) eine reine epistemische Funktion, fast entkörperlicht, selbst Beschreibungen seiner körperlichen Eigenarten sind meist mehrfach gefiltert. Langsam dringt mehr von ihm in die Bücher ein, The Far Side of the Dollar ist dann fast schon ein Dammbruch und überhaupt das seltsamste Buch der Reihe (soweit ich sie kenne).

Klar kommen muss man mit einer manchmal schon unangenehmen pädagogischen Schlagrichtung (v.a. The Doomsters), cringeworthy wird es in akademischen (Black Money) oder jugendkulturellen (The Zebra-Striped Hearse, aber auch sonst immer wieder zwischendurch) Milieus.