Wednesday, November 24, 2010

Zähmung der Moderne in zwei Sätzen

Über das Museu d'Art Contemporani in Barcelona:
Schon von außen fällt dieses große rechteckige Gebäude auf, es stört fast ein wenig in diesem Altstadtbereich. Und genau deshalb passt es auch wieder, denn moderne Kunst will ja auch gerne mal „stören“.

in: Hans Jürgen Fründt: CityTrip Barcelona. Reise Know-How-Verlag Peter Rump. Bielefeld, 2009.

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Im Museum projiziert zwischen allerlei gezähmter Moderne: In the Street, ein kurzer, unzähmbarer Dokumentarfilm von James Agee, Helen Levitt und Janice Loeb. Manny Farber schrieb 1952 über den Film:
Let me say that changing one's identity and acting like a spy, or a private eye, are more a part of the american make-up than I'd ever imagined before seeing this picture.

Bored to Death S01

Eine Meta-Sitcom ist Bored to Death nicht, weil das Format mitreflektiert wird. Das machen andere Sendungen auch und viel exzessiver. Eher, weil andauernd expliziert und monologisch versprachlicht wird, was in Cheers, Seinfeld etc noch szenisch aufgelöst, situativ dialogisch verhandelt wurde: die Selbstverständlichkeiten und Paradoxien von Beziehungen, ihre Implikationen für das Subjekt. Sophisticated sind Jonathan, George und Ryan (manchmal) im Männergespräch, in den Begegnungen mit den Frauen degenerieren sie bis hin zur kompletten Infantilität. Ihr Problem (und schon auch irgendwie das Problem der Serie) ist nicht so sehr die Erbärmlichkeit der Lebensumstände, auch nicht in erster Linie die Aufdringlichkeit und letztlich: Schlichtheit des ökolinken Milieus, das sich in einer Art in den Vordergrund drängt, wie sie in wirklich guten Sitcoms aus guten Gründen vermieden wird (die Flucht ins Milieu, wenn die Figuren nicht mehr so recht gelingen wollen: auch zu beobachten in My Name Is Earl, It's Always Sunny in Philadelphia, beide freilich insgesamt deutlich gelungener). Eher leiden sie unter einer konsequent nach außen gewendeten Ironie, die kein reflektiertes Verhältnis zur Welt ist (wie in Seinfeld), sondern eine bloße Vermeidungsstrategie (aus der die Serie dann wiederum ihre redundante Struktur ableitet). Einzig Zach Galifianakis, der freilich schlechteste Schauspieler der drei, darf ein wenig echten Masochismus leben.
Natürlich bereitet es andererseits große Freude, Ted Danson wiederzusehen...

Monday, November 15, 2010

Pickup, Hugo Haas, 1951

Ich hatte mir das Kino von Hugo Haas wilder vorgestellt, weiter entfernt in ästhetischer wie dramaturgischer Hinsicht vom Studio-Mainstream. Sein geringes Budget sieht man Pickup zum Beispiel nur insofern an, als dass sehr wenige Sets und verhältnismäßig wenige Darsteller auftauchen, ansonsten ist alles sehr smooth. Die kleine Noir-Erzählung um einen braven, osteuropäischen Immigranten und die blonde all-american-Slut ist nicht High Camp, doch das hat sie auch gar nicht nötig; sie entwickelt einen ganz eigenen Reiz. Am Anfang hält die Blondine den Hund im Arm, den sich der Immigrant kaufen will, er kauft dann statt dessen die Blondine. Am Ende ist Blondie verscheucht, er hält den Hund in seinen Armen. Eine perfekte Substitution, keine Frage. Die Verwicklungen dazwischen hat sich Hugo Haas, der die Hauptrolle selber spielt, garantiert nur ausgedacht, damit es eine halbwegs glaubwürdige Rechtfertigung für eine masochistische Fetischanordnung aus dem Bilderbuch gibt: Die Blondine beschimpft den Immigranten (also Haas, den Regisseur) aufs Übelste, der hört jedes Wort, kann sich aber nicht wehren, weil sie ihn für taub hält. Ohne Zweifel sind beide und auch alle Nebenfiguren komplett durchgeknallt, aber eben nur ein bisschen. Oder vielleicht: erst seit kurzem. Vielleicht waren der Immigrant, die Blondine, der junge Rivale, der "Professor" vor nicht allzu langer Zeit noch ganz normale Menschen - und ein wenig erinnern sie sich immer noch daran, wie es damals war. Durchgeknallt, aber auf eine bodenständige Art und Weise, das sind die Figuren, das ist die ganze Unternehmung. Ein Film, der sich damit begnügt, einen sehr privaten Fetisch ins Bild zu setzen und der ansonsten ganz unambitioniert populäres Kino sein will: Das hat mir dann doch ziemlich gut gefallen.

Thursday, November 11, 2010

Totality as Conspiracy: Overkill

Frederic Jamesons These, dass die soziale Totalität moderner Gemeinschaften nur noch als Verschwörung dargestellt werden könne und dass deshalb Verschwörungsfilme eine gesellschaftliche Wahrheit gerade dann aussprächen, wenn ihre Plots besonders absurd daher kommen, erscheint angesichts des aktuellen Kinojahrs, in dem kaum ein größerer Actionfilm ohne Verschwörungstheorie auskommt, plausibler denn je. Gleichzeitig aber scheinen diese Filme selbst uninteressanter denn je, auch für eine Lektüre der Art Jamesons. Die Verschwörungsmechanik ist herabgesunken zu einer Drehbuchtrope der banalsten Art, zu einer voll konventionalisierten Form, in die man High-Concept-Formeln wie "Präsentation von Angelina Jolies aktueller Kleider- und Perückenkollektion" (daraus wurde der immerhin noch ganz coole Salt), "Rentner machen Krawall und klopfen dabei dumme Sprüche" (daraus wurde jüngst Schwentkes okay inszenierter aber leider furchtbar gescripteter Red) oder "80ies-Trash-TV-Revival" (daraus wurde die nun vollig unterirdische A-Team-Neuauflage) gießen kann, ohne dass sich die Verschwörung irgendwie zu dem verhalten müsste, womit sie da konfrontiert wird.
Die Verschwörungsfilme der Siebziger Jahre waren nicht einfach nur origineller, man spürt in ihnen vor allem auch immer ein wenig - wie auch immer ästhetisch sublimierte - Entrüstung über die realen Verschwörungen (Kennedy, Martin Luther King, Watergate, im weiteren Sinne auch Vietnam), zu denen sie sich auf komplexe Weise verhalten (das heißt eben auch und zuerst: sie haben eine Haltung). Unterhält das heutige Hollywood (oder sonst irgendwo... wobei ich de Palmas Redacted zB noch nicht gesehen habe) ein ähnliches Verhältnis zum Irakkrieg, den erfundenen Massenvernichtungswaffen, den Folterungen? Natürlich gibt es ein Verhältnis, die Verweise sind meist überdeutlich und nicht zu übersehen, aber selbst einem Film, dessen Verschwörung mit ihrem realen Vorbilder in eins fällt (Green Zone) kann ich sein liberales, gut gemeintes Programm nicht ganz abnehmen; zu routiniert greift da ein Verschwörungsrädchen ins andere, zu routiniert wird auch die Wandlung vom patriotisch-affirmativen zum patriotisch-kritischen Subjekt vollzogen (ok, das liegt vielleicht auch an Matt Damon, der kann und will halt nichts anderes sein als ein hochprofessioneller Routinier). Nicht umsonst ist in The Hurt Locker, dem besten Irakfilm, die Verschwörung radikal abwesend.
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Es mag das alles auch damit zusammenhängen, dass die Fallhöhe, die ein guter Verschwörungsplot braucht, schon in der Wirklichkeit nicht mehr gegeben ist, wenn der nominelle Chef-Verschwörer seine Untaten nur wenige Jahre später stolz publizieren und bei Oprah präsentieren kann. Wenn also der Skandal nicht mehr hinter der Lüge versteckt ist, sondern darin besteht, dass es der Lüge gar nicht mehr bedarf. Andererseits ist das vermutlich nichts neues. Siehe zum Beispiel die Tirade in Philip Roths I Married a Communist anlässlich Nixons Beerdingung.

Tuesday, November 02, 2010

Viennale 2010: Mistérios de Lisboa, Raoul Ruiz, 2010

Man möchte eigentlich Camilo Castelo Brancos literarische Vorlage lesen nach diesem Film, ein Epos aus der Mitte des 19. Jahrhunderts, leider scheint es weder deutsche, noch englische Übersetzungen zu geben. Der Film kommuniziert nicht, wie viel von ihm in Brancos Werk angelegt ist, ob sich all die Intrigen, Betrügereien, Lügengeschichten schon bereits dort zu der sonderbar ursprungslosen Ursprungserzählung der Moderne fügen, die sie bei Ruiz geworden ist. Oder ob der Roman lediglich eine gut funktionierende Geschichtenmaschine war, die eher zufällig mit Chiffren der Moderne (französische Revolution, Amerika) angereichert wurde.
Der ungeheuer elegant inszenierte Film (dessen Grundbewegung der laterate tracking shot ist) zumindest konstruiert eine Welt, in der die Individuen nicht mehr identisch mit sich selbst und das heißt auch: nicht mehr identisch mit der sozialen Konfiguration, in die sie hineingeboren wurden, sind. Das Individuum wird zum Herr (seltener: zur Herrin) über die eigene Biografie. Aussehen, Namen, gesellschaftlicher Rang sind nicht mehr Natur, sondern werden Verhandlungsmasse. Verkleidung und Adoption sind die grundlegenden Motive, die den Film antreiben. Im Zentrum steht ein Junge, der im Gegensatz zu seinen Schulkameraden nur einen Vornamen trägt und deswegen gehänselt wird: In den Zusatznamen ist die Genealogie enthalten und damit für das jeweilige Gegenüber verfügbar. Ein Mensch mit nur einem Namen muss entweder Kind eines Niemand sein oder es muss eine Verschwörung gegen die Identität vorliegen. Letzteres ist in Mistérios de Lisboa der Fall, die Aufdeckung der einen Verschwörung führt allerdings nie weiter als zu einer neuen Verschwörung hinter der Verschwörung. So oder so entzieht sich ein Mensch ohne Zusatznamen den Kategorisierungen der Gesellschaft. In diesem Kind im Zentrum des Films, dessen Genealogie eine einzige Verschwörung ist, wird der Film zur Ursprungserzählung einer gesellschaftlichen Formation, die alle sozialen und biologischen Gegebenheiten in Potentiale verwandelt. Ursprungslos ist diese Ursprungserzählung, weil die Hauptfigur selbst fast nie handelndes Subjekt ist, sondern ein passiver Kristallisationspunkt bleibt, um den herum sich Geschichte um Geschichte, Betrug um Betrug anlagert. Die Hauptfigur selbst erlebt die Modernisierung als multiples Melodram, als ein ewiges "zu spät".