Friday, February 25, 2011

worst film of the year so far

Zufällig habe ich einen Tag vor Biutiful Walter Salles' Diarios de motocicleta gesehen. Da gibt es kurz vor dem Ende eine Szene, in der Gael García Bernal als Ernesto Che Guevera einen Fluss durchschwimmt, der in einer Lepra-Kolonie die Pfleger von den Patienten trennt. Auf den Punkt bringt dieser zumindest streckenweise erstaunlich kluge Film an dieser Stelle seinen Begriff von Che als politischer Figur: Da ist ein Mann, der die gesellschaftlichen Widersprüche nicht vollständig in politisches Handeln oder auch nur in analytische Kriterien auflösen kann, der sie aber in herausgehobenen Momenten und großen Gesten symbolisch in seinem Körper / mit seinem Körper überbrückt. Der Film hat also (anders als Soderberghs Diptych) tatsächlich eine Idee, wie dieser spezielle Mythos funktioniert. Vielleicht hat er auch eine Idee davon, dass Starkörper im Kino ähnliches leisten, aber wenn, dann bleibt sie Nebensache.
Umso ärgerlicher ist dann der neue Iñárritu, der mit den Che-Filmen zwar nicht im engeren Sinne eine Verbindung unterhält, der aber auch ein Verhältnis von Körper und Politik entwirft; freilich kein auch nur irgendwie reflexives, dafür sorgen schon die Handkamera, die vorauseilende, sich überschlagende (und zugegeben: technisch brillante) Montage, die Verbindungen, die einzelne Texturen und Gesten mit der in der organischen Klangwelt verwurzelten Musik eingehen. Zweieinhalb Stunden lang projiziert der Film (für den alles immer ganz unmittelbar da sein muss, unmittelbar fühlbar, Bild, Farbbewegung als Äquivalent von Emotion, das zwingt er dem Zuschauer sanft aber bestimmt auf) das Elend der Welt = der Globalisierung = des Westens = der Zeitgeschichte bis zurück zur Francodiktatur auf Javier Bardems Starkörper, dem Verfallszeichen genau so dick aufs Gesicht geschminkt sind, dass die darunter hervorbrechenden bekannten Gesichtszüge nicht entstellt werden, sondern nur umso besser zur Geltung kommen. Als zusätzliche Kontrastfolie um ihn herum angelagert: Seedy locations, nicht-weiße Hautfarben, nicht-hollywoodtaugliche Physiognomien. Starkino der widerwärtigsten Sorte, rassistisch, reaktionär, viel schlimmer noch als Babel.

Thursday, February 10, 2011

Berlinale 2011: Hin- und Wegsehtipps

Hinsehen:

Cheonggyecheon Medley: A Dream of Iron (Kelvin Park Kyung-kun)
The Stool Pigeon (Dante Lam)
Self Referential Traverse: Zeitgeist and Engagement (Kim Sun)
Eine Serie von Gedanken (Heinz Emigholz; daraus vor allem: "Leonardos Tränen")
Territoire perdu (Pierre-Yves Vanderweerd)
Silver Bullets & Art History (Joe Swanberg)
Good Morning to the World!! (Satoru Hirohara) alle Forum
Vampire (Shunji Iwai) Panorama

Mal sehen:

Viva Riva! (Djo Munga)
Unter Kontrolle (Volker Sattel)
The Ballad of Genesis and Lady Jaye (Marie Losier)
Les main libres (Brigitte Sy) alle Forum
The Unjust (Ryoo Seung-wan) Panorama
The Love of the Hawthorn Tree (Zhang Yimou) Generation

Wegsehen:

Brownian Movement (Nanouk Leopold)
Household X (Yoshida Koki)
FIT (Hirosue Hiromasa) alle Forum
Ashamed (Kim Soo-hyun)
Dance Town (Jeon Kyu-hwan)
Into the White Night (Yoshihiro Fukagawa)
The Devil's Double (Lee Tamahori) alle Panorama

Sunday, February 06, 2011

IFF Rotterdam 2011: in passing

Gesher, Vahid Vakilifar, 2010

Toilettenreinigung in Echtzeit, dann ein Bad im Meer. Drei Männer wohnen gemeinsam in einer von vielen engen Röhre, die neben einem gigantischen Industriepark an der Meeresküste augestellt sind. Ein Mann reinigt Toiletten (und sitzt danach auf der Röhre und blickt aufs Meer hinaus, versprachlichen kann er seine Sehnsucht nicht), einer ist Chauffeur (und beginnt vorsichtig eine Mimikry an seinen Boss, wird zum sozialen Chamäleon), der dritte arbeitet in einer anachronistischen Fabrik der Schwerindustrie (und stopft einen Großteil der wenigen Geldscheine, die er verdient, in Stofftiere, die er dann seiner Familie zukommen lässt). Schon die erste Einstellung (gefilmt aus dem Inneren eines Autos, durch die Frontscheibe) vermittelt viel von der Härte proletarischer Existenz im Iran; die Härte wird dann auch im weiteren glaubwürdig ausformuliert, vielleicht am eindrücklichsten in einem Wettrennen, für das die Mitglieder der iranischen chicken coop (Aravind Adiga: The White Tiger) zunächst auf Lastwagen in eine Lehmwüste gekarrt werden, wo sie dann über Hügel und Felsen einen sinnlosen Parcour absolvieren.

Yogera, Yes! That's Us, 2010

Das Filmkollektiv aus Uganda bewegt sich mit großen Schritten in Richtung Festivalkino. War der Erstlingsfilm Divizionz (Forum 2008) noch ganz sui generis in einer technisch kruden, wilden Mischung aus Musikvideo, Gangsterfilm und social commentary und reichlich inkommensurabel mit dem Betrieb, in den er einbrach, geht es jetzt in Richtung Arthaus, sowohl in Sachen Thema (taubstummes Mädchen aus dem Dorf gerät in der Großstadt unter die Räder) als auch in Sachen Form (melancholisches Geklimper auf der Tonspur, wenn das taubstumme Mädchen durch die Straßen stolpert). Noch ist das Ergebnis alles andere als slick, aber man hat eine Ahnung davon, dass das, was auch an Yogera noch interessant ist (zum Beispiel die Gangstergeschichte, die immer wieder in die Haupthandlung hineinragt und dann plötzlich ohne jede Erklärung verschwindet), bei dem nächsten Projekt ebenfalls abgeschliffen sein wird. Das afrikanische Kino hatte es immer schon schwer und bleibt auch im digitalen Zeitalter prekär, wird zerrieben zwischen Nollywood-Massenproduktion und der Unesco-Ästhetik der globalisierten Arthausklischees.

Another Occupation, Ken Jacobs, 2011

Ken Jacobs setzt seine Stroboskop-Serie mit einem weiteren Meisterwerk fort. Ausgangsmaterial ist ein kurzes Segment eines Reisefilms aus der Kolonialzeit (aus Bangkok, glaube ich, der Katalog gibt leider wieder Mal keine auch nur irgendwie hilfreichen Informationen, im Internet habe ich nichts auftreiben können). Strukturiert wird der Film über lineare, gerichtete Bewegungen durch den Raum, erst (glaube ich) ist es die Bewegung eines Schiffes, dann die eines Zugs. Jacobs übersetzt die reale Bewegung in eine Phantombewegung und die sozusagen gesteigert zentralperspektivische Repräsentation von Raum (der maschinelle Komplex Kamera / Eisenbahn korresponidert mit dem kolonialen Militärapparat, die Soldaten stehen für die Kamera Spalier und halten die Unterdrückten außer Reichweite) in einen das repräsentative Prinzip aushöhlenden Phantomraum. Vielleicht ist Another Occupation Jacobs Antwort auf Avatar.

The Last Buffalo Hunt, Lee Anne Schmitt, 2011

Die letzte freilebenden Buffalo-Herden Nordamerikas wurden in Utah angesiedelt, ausgerechnet in einer Gegend, in der die Tiere historisch gar nicht vorkamen. Die Population, deren natürliche Feinde ausgestorben sind beziehungsweise wie sie selbst ausgerottet wurden, wird durch Jagd kontrolliert. Alte Männer (sowie eine ganz besonders schwer erträgliche Frau mittleren Alters, die gerne in Utah oder Afrika seltene Tiere abknallt, aber nicht so gerne zeltet und die sonst auch sehr gerne täglich in die Mall geht) inszenieren sich während dieser Jagd als last true americans alive; freilich sind sie nicht mehr an der Erschließung eines Kontinents beteiligt, sie nehmen lediglich eine Dienstleistung in Anspruch und zahlen dafür. Der Organisator Terry spricht mindestens so viel über den geschäftlichen Aspekt seines Jobs wie über seine Sehnsucht nach Natur und Abenteuer.
Lee Anne Schmitt setzt ihr mit California Company Town begonnenes historiografisches Projekt fort. Wieder geht es um eine Spurensuche in der Einöde, um aus der Zeit gefallene Überreste vergangener Kämpfe. Die letzten Buffalojäger sind die Erben einer Expansionsbewegung, die Tierrassen und Volksstämme vernichtet hat. Diese Erben leben nun in einer Art selbstgewählten Reservat und suchen nach der verlorenen frontier. Frederick Jackson Turner wird zitiert, der Amerikamythos wird am lebenden Objekt seziert und bis in seine kulturindustriellen Verästelungen verfolgt - das letzte Bild stammt aus Las Vegas. Die Bilder der sterbenden Buffalos haben einen Eigenwert, der in dem allen nicht aufgeht und auch nicht aufgehen soll.

Kommander Kulas, Khavn, 2011

Ein Klavier spielt nicht nur, sondern singt auch alte Liebeslieder, fängt außerdem irgendwann an zu brennen. Zwölf Lieder, dazwischen zwölf Passagen eines bunt gekleideten Mannes auf einem Wasserbüffel durch starre Einstellungen und zwölf Monologe von "verlorenen Herzen", die aussehen, als seien sie einer SM-Performance entsprungen; Stimme und Körüer treten auseinander. Khavn sampelt eigenes (Gedichte, Romane, Privatmythologie) und fremdes (alte Schlager, Western- und Horrorfilmmotive) Material, presst es in eine denkbar starre Struktur und nennt das Ergebnis einen Film. Gut dass es ihn gibt, den Khavn.

Nainsukh, Amit Dutta, 2010

Nach dem großartigen The Man's Woman and Other Stories eine mittlere Enttäuschung. Eine Künstlerbiografie in kunstvoll und nie konventionell arragnierten Tableaus, die toll aussieht, aber nie lebendig wird, zumindest nicht für Banausen in Sachen indischer Kunstgeschichte wie mich. Die Geheimnisse, die der Film enthält, sind etwas für Philologen, selbst die Entschlüsselung würde, spürt man, nicht zurück führen zu irgendeiner Gegenwart. Das außergewöhnliche piktoriale Talent ist in jedem Frame erkennbar, aber ich hoffe doch sehr, dass sich dieser indische Paradschanow das nächste Mal wieder weiter in die Welt hinauswagt.

IFF Rotterdam 2011: Reign of Assassins, Su Chao Bin, 2010

Zwei getrennt versteckte Teile eines verrotteten Leichnams muss wieder vereinigen, wer Herrscher der Martial World werden möchte. Der schwarz glänzende Rumpf muss zum schwarz glänzenden Oberkörper, besessen von dieser Idee ist vor allem ein Eunuch und Clanchef. Der komplette Leichnam würde auch seinen Körper (inklusive Schnurrbart) wieder komplettieren. Mit zwölf Jahren wurde er ins Kloster geschickt und entmannt, seitdem lebt er ein Doppelleben, als niederrangiger Mönch muss er sich vor kleinen Jungs verbeugen, als Clanchef trägt er eine Maske und hysterisiert die Martial World und ihren transzendentalen Körperkult regelrecht herbei. Barbie Hsu macht ihm als kratzbürstiges Love Interest zusätzlich Dampf.
Zeng Jing will dagegen aus der Martial World aussteigen; das funktioniert nur mittels Körpertransformation. Insekten fressen ihr Gesicht (das von Kelly Lin) von Innen her aus, sie bekommt ein Neues, ein einige Jahre älteres (das von Michelle Yeoh). Das Körpergedächtnis ist erhalten geblieben: niemand schneidet Radieschen schneller und präziser als die ehemalige Killerin. Aber sie ist nicht die einzige, die ihren Körper transformiert hat. Der Martial World und den beiden Teilen des verrotteten Leichnams entkommt sie nicht für lange. In Hongkong werden nicht einfach nur psychosexuelle Actionfilme gedreht; das Begehren muss auch immer direkt und sichtbar auf die Physis, auf die Konstruktion der Welt zurückwirken, es muss nicht nur Effekte, sondern materielle Korrelate nach sich ziehen.
Reign of Assassins, ein eher mittelgroßer Fantasy-Actionfilm ohne die allergrößten Stars und das allergrößte Budget, wirkt in mancher Hinsicht wie der erste echte John Woo-Film seit Mission Impossible 2; und das, obwohl der Meisters im Abspann nur als Produzent und Co-Regisseur auftaucht. Der Mann, der den Film geschrieben und hauptverantwortlich inszeniert hat, war mir bislang völlig unbekannt. Egal wie man die Autoreninstanz bestimmen möchte, sie hat ihren Film voll und ganz im Griff. So etwas habe ich aus Hongkong schon lange nicht mehr gesehen: eine durch und durch routinierte, sicher in den Genretraditionen verankerte Produktion (handwerklich auf so hohem Niveau, dass einiges fast schon etwas altmodisch, weil zu sorgfältig wirkt) - und gleichzeitig ein inspirierter, herrlich frei fabulierender Essay über body politics und die ständige Neuerfindung des Selbst, das fortgesetzte Schreiben der eigenen Biografie.

Saturday, February 05, 2011

IFF Rotterdam 2011: Presa, Adolfo Alix Jr., 2010

Eine weitere philippinische Raumanalyse. Der gesamte Film spielt in einem Frauengefängnis, nur eine einzige Einstellung zeigt (wahrscheinlich) das Tor von außen (da hängt dann ein Plakat einer Anti-Drogenkampagne: "Fix the Fixers"). Innerhalb des Tors herrscht auf den ersten Blick viel Freiheit. Weite Teile des Films spielen außerhalb der kleinen Baracken. Die Frauen bewegen sich eng zusammengedrängt, aber verhältnismäßig frei auf den Höfen, an einer Badestelle (eine sehr schöne Sequenz), zwischen Wäscheleinen. Für die Staatsgewalt steht lediglich das verhärmte, vernarbte Gesicht einer Wächterin ein, ansonsten schaffen sich die Gefangenen ihre eigenen Hierarchien. An deren Spitze stehen zwei alte Frauen, eine geschäftstüchtige Patronin und eine ehemalige Starschauspielerin, die nach ihrer Karriere begonnen hat, Drogen zu verkaufen. Die einzigen größeren Handlungsbögen in diesem fast nur von kleinen, alltäglichen Situationen aus gedachten Film beschäftigen sich mit einem fiktionalen Filmdreh im Gefängnis und einem Begnadigungsgesuch des einstigen Filmstars.
Presa ist ein schöner Film, er sieht nur leider nicht so gut aus wie Chassis. Schuld ist das leider in vielen kleineren, peripheren Kinematografien zum Standart gewordene sub-HD-Digitalbild, das kaum einen ästhetischen Eigenwert zu haben scheint und sich fast nur über seine Defizite im Vergleich zum Zelluloidmaterial charakterisieren lässt: Weniger expressive Möglichkeiten, weniger Tiefe, hässlichere Kanten, mehr Artefakte und so weiter. Das größte Problem ist vielleicht, dass mit digitaler Technik alles fast automatisch gerade noch halbwegs erträglich aussieht, dass das Bedürfnis nach Repräsentation mit wenig Aufwand befriedigt werden kann. andere Bedürfnisse haben es dann schwer. Dabei kümmert sich Alix durchaus um seine Mise-en-scene, er arbeitet nur ganz offensichtlich in einem Apparat, der ihm in bildästhetischer Hinsicht wenig Handlungsspielraum lässt.
Dennoch ist der Film gerade auch aus institutioneller Perspektive interessant. Alix scheint eine Position im philippinischen Kino einzunehmen, von der ich bislang nicht wusste, dass es sie gibt: Er dreht am Rand des Mainstreams kleine sozialrealistische Filme mit Stars (in diesem Fall: mit vielen Stars). Wie sich die Filme exakt im Markt positionieren, kann ich nicht einschätzen, es gibt da auch einige Merkwürdigkeiten; für Chassis zeichnet beispielsweise eine Produktionsgesellschaft verantwortlich, die sich absurderweise "Happy Gilmore Productions" nennt. Über eine eventuelle Sandler-Alix-Connection würde ich gerne Näheres erfahren... In jedem Fall sind die Abspänne frei von den Emblemen europäischer Förderinstitutionen, vor denen man sich in Rotterdam ansonsten kaum retten kann. Mehr noch als andere, formal wagemutigere Filme ermöglichen die beiden schönen Arbeiten von Alix einen Blick auf eine Nationalkinematografie im Aufbruch, eines, in dem plötzlich wieder neue Bilder auftauchen für das gesellschaftliche Selbstverständnis und seine Risse.

Friday, February 04, 2011

IFF Rotterdam 2011: Ashes of Time Redux, Wong Kar Wai

Zwei langsame Zooms auf das Gesicht Maggie Cheungs dominieren das Ende des Films (wenn es denn noch ein Film ist). Dass das genuine Sehnsuchtsbilder sein sollen, das kaufe ich dem Film nie im Leben ab. Wenn sie für eine Sehnsucht stehen, dann für die Sehnsucht nach einem letzten Residuum von Welt in einem ins aquarellige verschobenen Pixelbrei. Der Zoom möchte noch einmal etwas greifen können, nicht diese eine Frau speziell, die ist so egal wie der Mann, der sie begehrt, aber eine Hautreflektion, eine Muskelbewegung, die man körperlich nachfühlen, wiedererkennen kann. Aber es hilft nichts, das Aquarell siegt, Maggie Cheung verwandelt sich wieder und wieder in ihren eigenen Pop-Art-Siebdruck, den Mann aus der Leinwand ausschneiden und ins Museum hängen möchte.
Ein sonderbarer, absurder Film, dessen Existenz ich mir nicht so recht erklären kann. Richtiggehend brutal fühlt es sich an, wie Wong Kar Wai seine eigenen Bilder kaputt macht, zukleistert, entleert, wie er das Band zur Welt mit ebenso entschlossener wie unreflektierter Geste kappt. (Nicht, dass der neue Film ganz ohne Reiz ist, es gibt einige schöne Fetischszenen und Lichtdramaturgien, aber gerade die Panoramaaufnahmen sehen tatsächlich katastrophal aus). Irgendwie ist das die endgültige Verdinglichung des Visuellen - Bilder, die nicht nur von ihrem referentiellen Objekt, sondern gleich von sich selbst entfremdet werden - aber andererseits stellt sich die Frage, was das ökonomisch (und zeichenökonomisch) soll. Der Schritt in Richtung Video Art ist nicht konsequent genug, die Voice-Over-Erzählung biegt immer noch jeden Farbklecks in die Narration zurück; gleichzeitig funktioniert Ashes of Time Redux als Genrekino - eigentlich überhaupt: als Kino - eben doch gar nicht mehr.

Thursday, February 03, 2011

IFF Rotterdam 2011: Love in a Puff, Pang Ho-Cheung, 2010

Das sehr gegenwärtige Romkom-Gegenstück zum stylisch-nostalgischen Melodram Merry-Go-Round. Noch mehr Oberflächenkino aus Hongkong. Fast noch schwerer habe ich mich mit dieser speziellen Oberfläche zunächst getan, mit den hingewischten und schnell wieder weggewischten Handkamerabildern, mit der frenetischen Montage, mit der Unsitte, aus drei pittoresken Blickwinkeln das zu zeigen, was auch aus einem schon fast zu gut ausgesehen hat. Dazu kommen noch faux-documentary-Passagen und ein ewiges Klavier-Violine-Gewusel auf der Tonspur. Aber irgendwann stört auch hier das alles nicht mehr wirklich.
Der Titel bezieht sich auf die auch in Hongkong um sich greifenden gesetzlichen, meist zunächst räumlichen Einschränkungen des Rauchens. Die Zigarettenpausen finden nicht mehr in, sondern vor den Büros statt. Angestellte verschiedener Firmen lernen sich kennen, die Raucherzone wird zur Partnerbörse. Nach dem ersten Gespräch in größerer Runde finden sich denn auch tatsächlich zwei Lovebirds, Jimmy und Cherrie, die im weiteren eine stets leicht nikotingeschwängerte Romanze durchleben.
Das Drehbuch macht erst einmal nicht viel mehr her als eine beliebige SpOn-human-interest-Story. Auch das Personal stimmt erstmal: Er ist ein Werbemensch, trägt eine schwarze Hornbrille und fährt einen schwarzen Range Rover, sie ist ein paar Jahre älter, hat eine sonderbare Nase und arbeitet als Kosmetikerin. Aspiring Yuppies sind beide mehr oder weniger, wobei sie die eigenen Ambitionen schon mehr oder weniger aufgegeben hat und ihre Hoffnungen zu Filmbeginn in einen reichen, älteren, eifersüchtigen Boyfriend setzt. Auch er ist noch nicht da angekommen, wo er vielleicht gar nicht so richtig hinwill, wenn man sich seinen Kleidungsstil anschaut, der noch etwas vom jugendlichen Rebellentum beibehalten hat. Die Figuren, auch die Nebenfiguren, sind - mit einer Ausnahme - nicht am Boden zerstört, wie in Merry-Go-Round, aber auch in Love in a Puff ruht niemand in sich selbst, niemand ist ganz mit sich und der Welt im reinen. Eine Grundunsicherheit in und eine Grundunzufriedenheit mit der Gegenwart ist in den Gesprächen der Raucherrunde zu sehen, in den vorsichtigen, neidischen Blicken, die hin und hergeworfen werden, in den Versuchen, mit Schauergeschichten Frauen aufzureißen, selbst auch in den kruden Scherzen über Rauchen und Impotenz. In einer schönen Szene erfährt Cherrie, dass Jimmy seine Exfreundin an einen französischen Arbeitskollegen verloren hat. In einer längeren Sequenz spielt sie mit seinem sexuellen Minderwertigkeitskomplex, vielleicht induziert sie ihn auch erst, der Film lässt in solchen kleinen Szenen vieles geschickt offen, im Großen gibt es dann leider manchmal etwas plumpe, eindeutige Schließungen. Aber in dieser einen Szene ergibt dann auch der sprunghafte, teilweise fast willkürlich anmutende Stil des Films plötzlich Sinn.

IFF Rotterdam 2011: 13 Assassins, Takashi Miike, Japan

Wenn die Frau, der der Bösewicht die Gliedmaßen abgeschnitten hat, ihre Geschichte zuende erzählt und das Motto des gesamten Films: "Totales Massaker" (wörtlich glaube ich eher so etwas wie: "alle sterben") mit einem im Mund eingeklemmten Stift auf einen Streifen Papier geschrieben hat, dreht der Chef-Assassin den Kopf leicht zur Seite und beginnt leise zu lachen. Er hat, erklärt er dann, endlich einen Grund gefunden zu sterben.
Natürlich ist die Szene insofern konventionell, als dass sie einige klassische Kategorien des Samuraifilms aufruft. Aber deswegen ist an ihr noch nichts falsch. Der gesamte Film ist konventionell, das liest man überall, so als hätte er deshalb nichts zu sagen, als könnte man eine konventionelle Erzählung nicht ernst nehmen. Natürlich nimmt Miike auch nicht alles ernst, aber wenn der Fießling sagt: "der dumme Weg macht mehr Spaß" und damit sehenden Auges in Richtung Feind und fast einstündiges Blutbad marschiert, dann ist das nicht nur selbstreflexives Augenzwinkern und Spiel mit der Zuschauererwartung, der Mann bleibt auch in Charakter. Wie die falten- und ausdruckslose weiße Fläche dieses Gesichts am Ende eine Matsch- und Blutmaske aufgesetzt bekommt und sich anschließend bei ihren Mördern bedankt, dass sie ihm den aufregensten Tag ihres Lebens verschafft haben (schon vorher ist er kindlich begeistert, weil er Schmerz und Angst spüren kann), das ist vor allem: ein kraftvoller Genremoment, als Coda einer atemberaubenden, in alle Richtungen ausufernden Kampfsequenz. Diese Kampfsequenz wiederum ist ein Katalog des martialischen Actionfilms, seiner Motive, seiner Raumlogiken, seiner Pathosformen, besonders großartig ist eine alptraumhafte Folge dezentrierter, gewinkelter Einstellungen, in denen die Bildkomposition gründlich aus den Fugen gerät.
13 Assassins ist ein reicher Film, der vom klassischen Kino auch gelernt hat, wie man kleinen Szenen und Nebenfiguren Eigenwerte verschaffen kann, die sie weder im High-Concept-Blockbuster, noch in modernistischen Genreüberformungen gewinnen können. Auch großartig ist, nur zum Beispiel, wie Miike den hauptsächlichen Schauplatz des Films einführt, ein entlegendes Bergdorf, das tatsächlich ein wenig an die Gemeinde aus Kurosawas Sieben Samurai erinnert. Der örtliche Clanchef bietet den Samurais an, dass sie, wenn sie ihm dafür ein paar Goldstücke überlassen, ruhig das gesamte Dorf niederbrennen dürfen. "Wir bauen es hinterher eben wieder auf". Später verkauft er junge Frauen aus dem Dorf als Prostituierte an den sexuell unersättlichen Waldkrieger (wenn der keine echte Miike-Figur ist, hat es nie eine gegeben). Als alle Frauen ausgelaugt sind, nimmt der Waldschrat sich gleich den Clanchef selbst vor.
13 Assassins ist eine faszinierende Mischung aus Genrekonservatismus und -innovation, ein Autorenfilm durch und durch. Dass mich der (in Venedig nicht durchweg positiv aufgenommene) Film so begeistert hat, mag auch daran liegen, dass ich ihn in der erstmals außerhalb Japans vorgeführten vollständigen Fassung (144 Minuten) sehen konnte. Miike selbst erklärte in einer Videobotschaft vor der Vorführung, dass der Film in dieser Version much more miikeesque sei. Aber auch, wenn für die internationalen Märkte tatsächlich ausgerechnet die 25 besten Minuten herausgeschnitten worden sein sollten, kann ich mir beim besten Willen nicht erklären, wie Tarantino und seine Kollegen diesem Epos ausgerechnet Somewhere vorziehen konnten.

Wednesday, February 02, 2011

IFF Rotterdam 2011: Chassis, Adolfo Alix, Jr., 2010

Schon wieder ein junger philippinischer Regisseur... Adolfo Alix hat zwar bereits eine ganze Reihe von Filmen gedreht (16 laut Wikipedia, vermutlich sind nicht alle verzeichnet, allein fünf Arbeiten im Jahr 2010, einige davon scheinbar Auftragsarbeiten innerhalb der Industrie ohne allzu großes Eigeninteresse), ich kannte bislang nur sein Segment aus Manila, ein ziemlich straightes Remake von Lino Brockas Jaguar, das fand ich damals nicht so interessant. Chassis aber ist ein sehr, sehr schöner Film. In den ruhigen, unprätentiösen schwarz-weißen Einstellungen (die Kontraste zwischen dem fahlen Gleißen der Tagszenen und den Blöcken von Schwarz-Metall und dunkel illuminierter Haut in den Nachtszenen) habe ich mich sofort zuhause gefühlt.
Alix' Film greift auf etwas konventionellere, konservativere Weise die ästhetischen und erzählerischen Mittel des Neorealismus auf, als es Mendoza tut. Weit weniger geht es um die energetische Evokation einzelner Situationen, es gibt statt dessen eine unaufdringliche Stilisierung, die die Welt des Films ein wenig in die Distanz rückt. Das Skript ist simpler, karger, geradliniger, eindeutig an Kategorien wie motivischer Kohärenz interessiert. Aber die Drehbuchlogik prägt sich eben nicht in jede Szene durch.
Denn wie die Mendoza-Filme geht auch Chassis von einem Ort aus, nicht von einer Geschichte. Fast der gesamte Film spielt auf dem Stellplatz einer Transportfirma. Der Ort, der die philippinische Wirtschaft in Schwung bringt, ist gleichzeitig ein prekärer Lebensraum. Die Familien der LKW-Fahrer wohnen auf dem Gelände, direkt unter den Trucks; da liegen dann zwei, drei Quadratmeter Pappe auf dem Boden, eine Hängematte ist aufgespannt, daneben liegen ein paar Kleider, ein Kanister Wasser und höchstens noch zwei, drei andere Dinge. Die Frauen wehren sich gegen ihre Verelendung und versuchen vor allem, sie - trotz Prostitution als Zuverdienst und erpresstem Sex mit dem Wachpersonal - vom eigenen Körper fernzuhalten. Die Hauptfigur Nora (gespielt von Jodi Sta. Maria, eine professionelle Schauspielerin, deren meist unbewegtes Gesicht sich dem Film aufprägt, fast wie ein Stempel) kümmert sich um die Schullaufbahn ihrer Tochter, sie bastelt ihr Engelsflügel und hofft lange, sie auf einen Ausflug schicken zu können. Alix konstruiert die Gemeinschaft auf dem Parkplatz auf eine organische Art und Weise, nicht als Explikation naheliegender Oppositionen wie arm / nicht ganz so arm, Mann / Frau, Solidarität / gegenseitige Unterdrückung.
Wenn Nora Sex mit ihrem Mann oder einem Freier hat, stellt sie lediglich eine kleine Pappwand vor einen Durchgang zwischen zwei Containern. Als sie das zum ersten Mal tut, bleibt die Kamera erst vor dem Durchgang, wenn sie ihn besichtigt. Dann holt sie die Pappe und den Mann, die Kamera fährt jetzt vor sie her und schließt sich dadurch mit dem Paar ein.
Es gibt dann noch eine dramatische Zuspitzung, die aber wirklich nichts anderes ist als das: eine Zuspitzung von dem, was in der ersten, quasi-dokumentarischen Filmhälfte bereits angelegt war, die Aktualisierung eines Potentials der (sexuellen) Gewalt. Es gibt nichts in diesem Film, keine Nebenhandlung, keine einzige Einstellung, was nicht an den Ort zurückgebunden werden könnte, von dem der Film seinen Ausgang nimmt.

IFF Rotterdam 2011: Merry-Go-Round, Clament Cheng Sze-Kit / Mak Yan Yan, 2010

Zwei Frauen, eine jung, eine alt, kehren aus San Francisco unabhängig voneinander in ihre Heimatstadt Hongkong zurück. Dort angekommen überkreuzen sich Schicksalsfäden, die Junge findet - vielleicht - eine neue, die Alte - vielleicht - eine verloren geglaubte Liebe. In Merry-Go-Round, einem unabhängig, aber deswegen nicht billig produzierten Melodram aus Hongkong, dessen Affektbilder mich so lange belagert haben, bis ich am Ende soweit war, sogar noch ihren auf den ersten Blick grundfalschen Glitter zu lieben, sind ausnahmslos alle Figuren an Körper und / oder Seele krank, gebrochen, leidend. Hinter jeder Menge (seltsamerweise englischsprachigen) Indiepop-Balladen, hinter Bildern, die flackern und vibrieren vor lauter Polierung, die das Lens Flare lieben, die pastellfarben werden, wenn sie Vergangenheit sagen wollen, hinter vor der sanft gleitenden Kamera drapiertem Tüll tauchen, wenn man dem Film nur Zeit lässt, echte Gefühle auf. Merry-Go-Round führt auf nicht immer stilsicher ausgekleideten Umwegen zurück zu den bittersüßen Hongkongromanzen der Neunziger, von denen mit einige sehr gut gefallen haben (nicht nur In the Mood for Love, sondern auch Hong Kong Love Affair, Kitchen und so weiter). Natürlich wird da immer auf sehr direkte, vielleicht auch plumpe Art nach "filmischen" Korrelaten für Gefühle gesucht, aber gestört hat mich das nie. Der smarte Zynismus in vielen amerikanischen und europäischen Liebesfilmen ist viel schlimmer. Was die Hongkongfilme eigentlich machen, ist, dass sie das zurückgehaltene Begehren und den kompensierenden Schmerz zerdehnen, über die Spanne eines Films, jeder einzelnen Szene, innerdiegetisch über Jahrzehnte, ganze Biografien, oder, wie im Fall von Merry-Go-Round, sogar über Generationengrenzen hinweg. Unweigerlich haben die Filme Probleme, wenn sich die Zeitscheren schließen und einer der beiden Partner nicht mehr zu spät am falschen Ort ist. In der amerikanischen Romanze (da gibt es natürlich auch eine großartige Tradition, heute hat sie sich wahrscheinlich ins Fernsehen verlagert, in die Sitcoms und Teenie Soaps) ist die Wiederaktualisierung der Liebe unweigerlich der Fluchtpunkt, das Happy End mag ein Klischee sein, äußerlich ist es den Filmen nie, im asiatischen Kino gibt es, glaube ich, eine andere Struktur, eine, in der die Welten der beiden Liebenden eben nie ganz ineinanderfallen dürfen, weil der Film sonst nicht nur einfach aus, sondern kaputt wäre.

Tuesday, February 01, 2011

IFF Rotterdam 2011: Imagens de uma cidade perdida, Jon Jost, 2011

Cinephiler Gossip. Ganz unerwartet endet der Film mit einer Widmung für die Tochter des Regisseurs, die - das behauptet die Widmung - vor gut zehn Jahren von ihrer Mutter, der portugiesischen Regisseurin Teresa Villaverde, entführt wurde. Wikipedia ist auch nicht viel glaubwürdiger, da gibt es zwar mehr Einzelheiten, aber keine Quellenangaben, noch mehr (auch zum Film) gibt es auf Jon Josts Blog und in einer Presseerklärung. Vor Imagens de uma cidade perdida hatte ich keinen Film von Jost gesehen, von Villaverde kenne ich noch immer nichts. Imagens... ist ein Lissabonporträt und ziemlich toll.
Gedreht hat Jost 1996/97, als er in der Stadt lebte, wegen der Villaverde "und anderer privater Schwierigkeiten (J.J. im Publikumsgespräch) hat er sich erst kurz vor dem Festival an den Schnitt gewagt. Gedreht ist der Film mit einer der ersten digitalen Kameras, die frei erhältlich waren. Imagens de uma cidade perdida sieht unglaublich gut aus, durchaus auch im Vergleich mit den heutigen Stadarts digitaler Kinoproduktionen. Jost scheint die neue Technik auf Anhieb beherrscht zu haben, manche Einstellungen sehen so aus, wie ich mir farbige Lav-Diaz-Filme vorstelle, die Farbe hat nichts Exaltiertes, fügt keine Vitalität hinzu, sie liegt eher wie etwas Anästhesierendes über den Dingen. Oft sind die Kompositionen leicht dezentriert, einige Bilder sind so aufgenommen, das die räumliche Orientierung schwer fällt (vor allem eines, in einem Straßencafe, das sich auf sonbderbare Weise zur Stadt öffnet.
Das Körnige des alten Zelluloid (genauer: des 16mm-Materials, mit dem Jost bis Mitte der 90er vorwiegend gearbeitet hatte) ist nicht vollständig verschwunden - wie im hässlichen HD-Look der Gegenwart - sondern transformiert in eine etwas andere, gröbere, härtere, aber deswegen nicht unbedingt weniger schöne Art von Textur, die sanft zwischen Betrachter und Süjet tritt.
Die meisten Einstellungen sind statisch und dauern verhältnismäßig lang. Meistens enge, steile Gassen, gepflasterte Plätze, Menschen und kleine Menschengruppen in der Lissaboner Altstadt. Keine feste Montagestruktur, aber manche Pattern kehren wieder: Ansicht einer Straße / Schnitt auf ein anderes Motiv / Ansicht der Straße aus einer etwas verschobenen Perspektive. Gelegentlich setzt sich die Kamera in Bewegung, meistens passiv. Abgesperrt ist sowieso nichts, Jost schneidet aber auch nicht die Reaktionen von Passanten, die die Kamera entdecken, weg. Dadurch schreibt sich die Produktionsrealität unaufdringlich in den Film selbst ein. Das Biografische bleibt, bis auf einen kurzen Moment, draußen. Sparsam eingesetzt dazu portugiesische Musik und Literaturzitate (u.a. Fernando Pessoa). Zwei längere Szenen zeigen, wie ein Kopfsteinpflaster festgeklopft wird, das ist vielleicht auch ein Bild, das sich der Film von seiner eigenen Herstellung macht, wie Sounds & Images geordnet und festgezurrt werden. Ein sehr angenehmer, in keiner Hinsicht aufdringlicher Film ist Imagens de uma cidade perdida. Von Jost möchte ich jetzt mehr sehen. Von Teresa Villaverde natürlich auch.