Friday, January 31, 2014

Leichtmatrosen & Leichtmatrosen 2, Franz Müller und Rainer Knepperges, 2010-2012

Im schönen ersten Leichtmatrosen-Film, der in Marrakesch spielt, gibt es eine schöne Kamerabewegung: Oben, am offenen Fenster (oder einer Veranda?) unterhalten sich zwei Frauen über die beiden Männer, von denen sie sich in deren Unterkunft haben einladen lassen; dann schwenkt die Kamera nach unten, die beiden Männer stehen nebeneinander im Türeingang, still und aufmerksam, komplizenhaft. Sie hören da also das für sie wenig vortheilhafte (wobei immerhin klar wird, dass Sex nicht ausgeschlossen ist) Gespräch mit an, das die beiden über sie führen, und als dann gleich darauf wieder alle vier beisammen sind, macht einer der beiden Männer eine Bemerkung über die dünnen Wände der Wohnung, in der sie sich befinden, aus der zu schließen sein soll, dass sie zugehört haben und also Bescheid wissen. Weil auf die Andeutung keine Reaktion erfolgt (oder vielleicht eher: weil er von Anfang an nicht so recht wusste, was er mit der Andeutung ausrichten will), muss er das dann aber doch noch einmal ausformulieren: "Das soll heißen, wir haben gehört, was Ihr über uns geredet habt". Erst durch diesen Nachsatz wird klar, dass in den Film eine Differenz eingeführt wurde, die nicht mehr wegzubekommen, sondern nur noch zu verfeinern, das heißt auch: immer wieder neu auszuformulieren, auszuspielen ist, weil alles nur noch unter bestimmten Vorbehalten gesagt und getan werden kann. Ab diesem Moment werden die Leichtmatrosenfilme zu Verzögerungsmaschinen.

Der noch schönere zweite Leichtmatrosenfilm spielt in Kreuzberg, erst im und beim Görlitzer Park, später vor allem am Kottbusser Tor. Die Differenz ist diesmal von Anfang an da: Wir wissen nicht, was zwischen den beiden Filmen passiert ist, und die beiden Männer, die die beiden Frauen besuchen kommen, wissen es auch nicht so recht. Wir finden es vor ihnen heraus. Und wissen deshalb auch vor ihnen, dass es eigentlich gleich beiden Frauen nur um einen der beiden Männer geht. Der andere ist der, der auch noch mitkommt: eine Verzögerungsmaschine. Außerdem hat er seinen Matrosenanzug nicht dabei, weil der beim Waschen eingeschrumpft ist. Sagt er.

Der zweite Film ist noch freier als der erste, weil er dessen Vorgaben nicht als Beschränkungen begreift, sondern als Aufforderung für einander konversationell überbietende Variationen. Wo der erste Film noch eher pflichtschuldig Menschen mit Beschäftigungen und halbwegs nachvollziehbaren Motivationen ausgestattet hat, erfindet der zweite fröhlich Biografien, die eine Frau hat ein Kind, der eine Mann erzählt bald darauf von zwei weiteren Kindern, neuartige Berufe und Restaurants werden vorgestellt und erklärt.

Es gibt eine wunderbare Einstellung im Görlitzer Park, in der sich der eine Mann im Bildhintergrund dem anderen mit dem Kopf in den Bauch bohrt, beide über den Rasen kullernd, während die beiden Frauen sich im Bildvordergrund mit einer weiteren Bekannten über feuchte Küsse unterhalten.

Die zentralen Szenen spielen im Cafe Kotti. Gespräche in verschiedenen Konstellationen am Tisch, der außen, auf einer Art Veranda platziert ist, von der aus man zwar nicht das gesamte Kottbusser-Tor-Areal überblickt, aber doch (und das ist eigentlich noch besser) einige Straßenausschnitte wie kleine Bühnen beobachten, und eben auch filmen kann, ohne, dass die Passanten etwas bemerken. Ein paar Minuten lang zieht sich da alles zusammen, plot points, Grimassen, Blickachsen, die gleichzeitig verbinden und trennen, Parallelmontagen, Beziehungstaktiken, die ausgearbeitet, aber dann doch nicht wirklich in Handlung übersetzt werden. Weil sich der Film doch wieder anders entscheidet, das Tempo wechselt (und auch wieder eine Musiknummer braucht). Sich neue Formen der Verzögerung ausdenkt, die umso elaborierter werden, je weniger klar ist, was da eigentlich verzögert wird.

Monday, January 27, 2014

Denk bloß nicht, ich heule, Frank Vogel, 1965

Ein Film in Scope und wundervoll atmosphärischem Orwo-Schwarz-Weiß, das den Konturen dezent aufweicht, das schon von selbst zum Flächigen tendiert (die Inszenierung macht das dann auch und noch mehr), das auch kein eigentliches, hartes Schwarz kennt, nur verschiedene Schattierungen von anrührendem Grau; ein wenig sehen die Bilder nach vergilbten Fotografien aus, aber ohne, dass da auf Vintage-Effekte spekuliert würde: es geht da einfach um eine Welt, die sich ihrer eigenen Gegenwärtigkeit nicht so ganz sicher ist.

Die Hauptfigur ist Peter Neumann, was Statur, leicht krummes Auftreten und lässige Intonation angeht, könnte er auch einem Münchner Film derselben Zeit entstammen. Mehr noch als in Die Taube auf dem Dach darf sich da jemand, wenn auch stets nur einige Einstellungen lang, der ziellosen Wurstigkeit hingeben (wobei "Freundschaft!" als Aufreißspruch gewöhnungsbedürftig bleibt). Wahrscheinlich steckt in dem Film genau so viel Wurstigkeit, wie im Produktionsapparat möglich war. Und ein bisschen mehr Wurstigkeit, als im Kinovertieb dann erlaubt war - auch Denk bloß nicht, ich heule habe ich in der Verbotsfilmreihe im Zeughaus gesehen (das bößartige Nachtreten der Defa-Stiftung im einführenden Titel ist zwar verständlich, nervt mich aber trotzdem genau so weit, wie es die diversen Zensurinstanzen im gegenwärtigen nichtmehrganzsosehrStaatskino leugnet).

Mehr als in Die Taube auf dem Dach kommt der Wurstigkeit schon vor der Zensur die Sprache des Drehbuchs in die Quere. Eine sehr literarische Sprache, gerade in der ersten Szene, mit dem Vater, der den Hedonismus geschliffenst predigt - und irgendwie funktioniert das in dieser Szene sogar ganz gut, weil man an der Ausgesuchtheit der Formulierungen merkt, dass sie nicht auf Lebenserfahrung basieren, sondern einer sehr kleinbürgerlichen Idee vom guten Leben entspringen (das vor allem quantifizierbar sein muss). Peter Neumann übernimmt das, und genau deswegen kommt sein antiautoritärer Affekt nie so recht zu sich selbst: Weil er dem staatlichen Übergriff nicht seine unantastbare Innerlichkeit, sondern nur seinen Anspruch auf mehr vom Kuchen entgegen stellt. Freilich tut er einem genau deswegen umso mehr leid, als doppelt Verformter: vom Staat, dessen Verfügungsgewalt er grundsätzlich schon anerkennt, und vom Warenfetisch, den er in einer Art verabsolutiert, wie er das in einem kapitalistischen System vermutlich nie gekonnt hätte, weil er da mit der in alle Versprechen immer schon eingeschriebenen Enttäuschung konfrontiert worden wäre.

Anne, in die er sich verliebt, ist eine enttäuschend klarsichtige Musterstaatsbürgerin, die nur beim Nacktbaden Schwäche zeigen darf.

Immer steht, das irritiert mich in fast allen Defa-Filmen, das Verhältnis zum Staat auf dem Spiel. Weil der Staat nicht nur ein Behälter, ein Gemeinwesen, sondern ein Projekt ist, oder zumindest einmal war. Denn das ist das Problem: Die Jüngeren sehen das Projekt nicht mehr im Staat, beziehungsweise sie sehen nur noch den Vermittlungsapparat, den es gar nicht bräuchte, wenn das Projekt funktioniert hätte.

Sunday, January 19, 2014

Die Taube auf dem Dach, Iris Gusner, 1973

1973 wurde der Film von der DDR-Zensur nicht einfach nur wie viele andere verboten, sondern vernichtet. Überlebt hat eine Arbeitskopie, beziehungsweise inzwischen nur noch deren Negativ; jedenfalls nur schwarz-weiß-Material eines einst in Farbe gedrehten Films... oder so ähnlich, die Texteinblendungen vor dem Film erklären es genauer, jedenfalls lief der Film im Zeughaus in sw, außerdem (schwammig) digitalisiert, mindestens der Abspann fehlt außerdem, vermutlich noch mehr. Linda, dem norddeutsch-kühlen Zentrum einer Dreiecksgeschichte und auch des gesamten Films, steht das Schwarz-Weiß, dem Rest des Films nicht allzu sehr.

Ironischerweise zeigt sich mir gerade in diesem von der ostdeutschen Zensurgeschichte und dem gesamtdeutschen Desinteresse an Filmgeschichte gründlich geprügelten Film die DDR als ein recht sympathischer Ort; nicht als ein sympathisches Land zwar, aber das Land, die Nation ist ja nur ein Aspekt von Ort. Dass das Land DDR in den frühen Siebzigern genau wie wahrscheinlich auch die BRD noch in stärkerem (oder nur anderem?) Maß als das heutige Deutschland ein Land der alten, fantasielosen Männer war, das zeigt der Film schon. Aber er zeigt auch viele andere Menschen, meist, aber auch wiederum nicht nur, jüngere Menschen, die ganz anders auf mich gewirkt haben als die meisten anderen Menschen, die mir bisher in den (zugegeben sehr wenigen) Defa-Filmen, die ich kenne, begegnet waren. Sonst hatte ich da oft den Eindruck, dass fast alles, was diese Menschen angeht, schon vor Filmbeginn entschieden ist, dass es nur noch um ein paar Äußerlichkeiten geht - selbst dann, wenn jemand im Film zum rechten Glauben an den Sozialismus bekehrt werden soll, gibt es doch schon von Anfang an innere Dispositionen, Zielgerichtetheit. In Die Taube auf dem Dach ist Zustimmung / Ablehnung zum Staat gar nicht einmal das Problem, und doch wirken die Menschen für einmal tatsächlich unsicher, suchend. Auch das Sprunghafte, Energische, Spielerische des Films (besonders schön: das junge Paar, das im Partnerlook durch den Film läuft, einmal auf einem Tandem fährt) kannte ich nicht aus dem Defa-Film; aus einigen deutschen, vor allem Münchner Filmen der Zeit schon, aber die haben dann wiederum den Anspruch gar nicht, über die Gesellschaft als Ganze nachzudenken (müssen sie auch nicht, klar, unbedingte Asozialität ist mir eh meistens sympathischer, an Die Taube auf dem Dach interessiert mich dieser breitere Fokus auch nur soweit, wie sich dieses Nachdenken den Figuren im Film selbst aufdrängt).

Die Taube auf dem Dach scheint auch ein Film über das Verhältnis des Staatssozialismus zu den neuen linken Bewegungen oder zumindest deren Themen in Westeuropa und Amerika zu sein; vor allem ein Film über den neuen Internationalismus, der eben nicht mehr im gemeinsamen Singen der Internationalen aufgeht: Im Büro des Baubetriebs, um den herum der Film sich zeitweise organisiert, hängt ein Angela-Davis-Plakat, Daniel, eine der Hauptfiguren, wohnt in einem Zimmer mit einem Libanesen, der wiederum Palästinazeug aufhängt, einmal wird für Vietnam gesammelt. Ausformuliert wird da nichts, vermutlich war das nicht nötig, die antiimperialistischen/-zionistischen Gemeinplätze waren wohl präsent genug, samt aller problematischer Kurzschlüsse (ein langsamer Schwenk über arabische Kinder in einem Kriegsgebiet, dazu orientalistisch klagende Musik). Weit weniger offen durfte sich vermutlich die Frage artikulieren, wie sich ein verkleinbürgerlichter, sich seine Orden täglich blankpolierender Staatssozialismus zu all dem verhalten könnte.

In der szenischen Auflösung, im Schauspiel auch ist der Film frei und unfrei zugleich. Unfrei wirkte auf mich immer wieder das Sprechen, nicht unbedingt primär die Dialoge (wobei es da angestrengte Momente gibt, zB wenn Linda in Erregung ins Plattdeutsch (?) ihrer Eltern zurückfällt, das wirkt leider entgegen der Intention hochgradig unspontan), eher manchmal allgemeiner ein überhastetes Verbalisieren: jetzt fühlst Du das, aber Du musst das dann auch gleich aussprechen, und Du musst dann etwas zu schnell die etwas zu passenden Worte finden. Allerdings fällt das nur auf, weil der Grundzustand des Films die Freiheit ist, das Hin und Her zwischen Perspektiven, zwischen verschiedenen Männern, zwischen Lebensentwürfen. Auch immer wieder: eine kommunikative Freiheit der Körper, eine Freiheit des Gestischen. Die junge dunkelhaarige Frau, die Daniel beibringt, wie er einen Kran zu führen habe (nämlich so, als würde er eine Frau streicheln, auf sie zu gehen); die ältere dunkelhaarige Frau, die plötzlich in Tränen ausbricht und sich an die Schulter eines Mannes lehnt - aber man merkt, sie will nicht getröstet werden, sie würde sich genauso an einen Baum lehnen, wenn einer da stünde; Linda, wie sie den älteren der beiden Männer, zwischen denen sie schwankt, Blumen, die sie ihm eigentlich schenken wollte, auf den Oberkörper wirft, nachdem sie merkt, dass sie das nicht will, diejenige sein, die ihm Blumen gibt; wiederum Linda (es sind fast immer die Frauen, von denen solche Übergriffe ausgehen), wie sie den jüngeren der beiden Männer, in der schönsten Szene des Films, am Hosenbund festhält, als der aus dem Fenster springen will.

Monday, January 13, 2014

Hofbauerkongress Nummer 12, rating

***** Cover Girls, Jose Benazeraf, 1964
***** Les filles sement le vent / Die Ernte der sündigen Mädchen, Louis Soulanes, 1961
***** St. Pauli zwischen Nacht und Morgen, Jose Benazeraf, 1967
***** Geheime Lüste blutjunger Mädchen, Jürgen Enz, 1978

**** Der Perser und die Schwedin, Akramzadeh, 1961
**** Die Klosterschülerinnen, Eberhard Schröder, 1972
**** Erotische Tempelrituale in Japan, ?, ?
**** So viel nackte Zärtlichkeit, Günter Hendel, 1969
**** New York City Inferno, Jacques Scandelari, 1978
**** Skaterdater, Noel Black, 1966
**** Farbige Liebelei, Kurt Baum, 1956
**** Otto Lara Rezende ou... Bonitinha, Mas Ordinária / Quellen der Erotik, Jose P. Carvalho, 1963
****Sollazzevoli storie di mogli gaudenti e mariti penitenti - Decameron nº 69 / Hemmungslos der Lust verfallen, Joe d'Amato, 1972

*** American Angels: Baptism of Blood, Beverly & Ferd Sebastian, 1989
*** It's All for Sale, Alexander Maxwell, 1969
*** Nikutai joyu nikki / Ungezähmte Erotik, Shinya Yamamoto, 1968

** La curee / Die Beute, Roger Vadim, 1966
** Barbara, Walter Burns, 1970
** Die Liebesquelle, Ernst Hofbauer, 1966

* La philosophie dans le boudoir / Das Paradies, Jacques Scandelari, 1971

Hofbauerkongress Nummer 12, Nacht 4

La curee / Die Beute, Roger Vadim, 1966

Roger Vadim und Jane Fonda zwei Jahre vor Barbarella: ausführlich zelebriertes, sehr alteuropäisches Leiden am morschen Wohlstand, der am Ende doch immer noch über alle Begierden triumphiert. Schwache Männer und Frauen, die von Anfang an nur Fetische sind. Versuche, das eine oder andere mit Jane Fondas Gesicht anzustellen. Manchmal funktioniert das sogar, gleich zu Anfang darf man ihr außerdem beim Aerobic zusehen. Irgendwie siegt das sich seiner Zola-Vorlage überbewusste Qualitätskino dennoch stets über die auf uninteressante Art verhaltene Erotomanie (was allerdings der fast durchgängig mitlaufende Rassismus soll? Gibt es den auch bei Zola? Wird er da reflexiv? Hier zumindest nicht...). Wer braucht einen Vadim, wenn es einen Benazeraf gibt? Also ich nicht...

Insgesamt: gähnende Langeweile in immerhin wunderbarer Technicolor-Cinemascope-Optik. Das 35mm-Material rettet viel, die Textur trägt mehr Melancholie in sich als Drehbuch, Regie und Musik gemeinsam. Sanfte Farben, die besonders Wollpullover hervorragend zur Geltung bringen. Andererseits halt: Wollpulloverkino, da hilft alles nichts.

Nikutai joyu nikki / Ungezähmte Erotik, Shinya Yamamoto, 1968

Erst jetzt fällt mir auf, dass ich von dem Regisseur doch schon einmal einen Film gesehen hatte, und zwar Cruel History of Women's Torture, einen der schrecklichsten Pinkus, den ich kenne. Ungezähmte Erotik teilt mit dem glücklicherweise höchstens einen Hang zur bösartigen Asozialität, der freilich glücklicherweise in diesem Fall durch die freie, mäandernde Form und die vielen "Transferpassagen", die einfach nur Autofahrten durch Tokyo mitfilmen, nicht so recht zur Geltung kommt.

Die Geschichte ist wirr, handelt von Doppelgängerinnen, Erpressung und anschließender Rache. Eher interessiert hat mich eine Nebenhandlung, um eine Bedienstete der Hauptfigur (so glaube ich das zumindest zu erinnern; der Film hat wenig Spuren hinterlassen, ist nirgendwo digital und bald womöglich auch nirgendwo mehr analog greifbar...) und einen blinden Schlägertyp, der sie einmal vergewaltigt, beim nächsten Versuch dann nicht, weil sie es ihm ausreden kann. Das sind zwei rührend kaputte und unbeholfene Figuren, die mir neben den Noir-Abziehbilder, auf denen mir der Rest des Figurenensembles herauszulaufen schien, wie das heimliche Zentrum eines ganz anderen Films vorkamen. Das Disparate selbst hat andererseits seinen eigenen Reiz: Offensichtlich stammt Ungezähmte Erotik (der deutsche Titel hat da schon irgendwie recht; die Synchro dagegen ist grottenschlecht) aus einer Zeit, beziehungsweise aus einem Produktionsumfeld, in dem jene Routinen, die den japanischen Sexfilm zu einem kalkulierbaren Industrieprodukt machten, noch nicht einmal im Ansatz ausgearbeitet waren.

davor: Erotische Tempelfeste in Japan

Ausgerechnet über den schönsten der Vorfilme des Kongresses gibt es keine weiterführenden Informationen: Erotische Tempelfeste in Japan ist eine kurze, durchaus ernst gemeinte Dokumentation, offensichtlich teilweise aus japanischen Filmen der frühen 1960er zusammengeschnitten, aber zusammengehalten von dokumentarischem Material von vor allem älteren Frauen, die Phallusstatuen huldigen und sich darüber beschweren, dass diese Tradition in der Generation ihrer Töchter auszusterben droht.

New York City Inferno, Jacques Scandelari, 1978

Ein Travelogue durch die vermüllten Hinterhöfe eines New York vor allen Gentrifizierungs- und Befriedungsmaßnahmen (stimmt historisch vermutlich nicht; aber auch als Utopie wird da eine Wahrheit drin stecken), entlang von schwulem Sex; der Film hat nicht nur mich mit Scandelari versöhnt, der auf geschriebenen Dialog fast völlig verzichtet, statt dessen zwischen die im besten Sinne touristischen und die energiegeladen vorgeführten erotischen Attraktionen dokumentarische Passagen baut, die sich ganz auf das einlassen, was sie jeweils vorfinden: Ein Tattoostudio, einen Homosexuellenaktivisten, eine Katze. Die Village People stampfen dazu fast durchgängig (freilich mit Nummern, die noch einen Rest von Soul erahnen lassen), das hat anderen im Kino besser gefallen als mir, aber eine Weile funktioniert das tatsächlich gut. Ich war trotzdem froh, dass die Orgienszene am Schluss auch musikalisch einen Schritt nach vorne versucht hat.

Gleich einiges ist aufgebrochen mit diesem Film: Die Heteronorm, die den Kongress ansonsten schon weitgehend im Griff hat, die um sich greifende Materialeinkuschelung (statt dessen: grindige Videobilder, wie vorher nur bei den American Angels), die verschiedenen Filter, die in den anderen Filmen vors Begehren gestellt wurden (und sei es nur, wie in Quellen der Erotik, der Filter des brutalisierten Melodrams).

Geheime Lüste blutjunger Mädchen, Jürgen Enz, 1978

Im selben Jahr, aber vermutlich auf einem anderen Planeten dreht Jürgen Enz die neofeudalistische Fantasie Geheime Lüste blutjunger Mädchen, den zärtlichsten und befreitesten Film, den ich bisher von ihm gesehen habe. Eine Verwechslungs- und Verkleidungskomödie, die sich in einem Türenkabinett verrennt, sich falsche Bärte anklebt, Bilder sprechen lässt, das erotische Potential von Zeitungskiosken (ich wollte mir eigentlich die ausgehängten Schlagzeilen merken...) erkundet.

Das Schloss, in dem der gutmütigste und friedfertigste aller Grafen haust, ist von dichtem Efeu bewachsen, also vermutlich verwunschen. Man nähert sich ihm neugierig, aber nicht ängstlich: Angst ist unbekannt in diesem Film, das einzige, was dem Glück gelegentlich im Weg steht, ist die Überforderung, die sich einstellt, weil es einfach zu viel von allem gibt: Zu viele sprechende Bilder an der Wand, zu viele Mädchen, die an die Tür klopfen, zu viele falsche Bärte. Und weil es den Enz'schen Figuren eher liegt, eine schöne Sache zu wiederholen, als sie einzusortieren, Schlüsse aus ihr zu ziehen, die doch nur irgendwo anders hin führen, aus diesem beglückenden Film hinaus führen würden.

Enz' aktives Bemühen, seine Filme nicht mit der Welt da draußen abzugleichen, sondern selbst als andere Welt zu setzen, wird nie so deutlich (nun gut: in dem knappen Drittel seines Werkes, das ich bisher kenne, zumindest) wie in diesem Film. Schon die Dialekte, das Berlinern des Hausdieners (der außerdem auf sehr außerweltliche Art kurzsichtig ist), das Schwyzerdütsch der Magd, sind nicht in irgendwas integriert, sondern Attraktionen, Schönheiten eigenen Rechts.

Der Schnitt vom komisch verwachsenen Brötchen, das eines der Mädchen aus ihrer Wundertüte holt, auf einen nackten Arsch sollte künftig in jedem filmanalytischen Seminar den match cut bebildern.

Die Sexszenen sind, zugegeben, etwas langweilig.

Die Härtesten schauen sich noch irgendwas Blei- und Testosteronhaltiges an, ich habe meinen perfekten Abschlussfilm gefunden.

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Am nächsten Tag muss ich den Fernseher im Hotel als Wecker missbrauchen. Ich stelle den Timer auf 12:00 Uhr, werde deshalb von der Tagesschau geweckt. Die erste Meldung betrifft Merkels Skiunfall. Das real existierende Deutschland hat immer noch den längeren Atem.

Tuesday, January 07, 2014

Hofbauerkongress Nummer 12, Nacht 3, Fortsetzung

Cover Girls, Jose Benazeraf, 1964

Nicht nur mein Kongress-Favorit: Benazerafs Scope-Monument ist ein Fetischfilm reinsten Wassers, ein Film über die Scope-Leinwand und den weiblichen Körper (Le mepris, klar, aber Benazeraf macht keine halben Sachen). Schon die ersten Einstellungen: eine Gruppe Models, die gerade einem Flugzeug entsteigen, sich durch den Flughafen bewegen, in den Film hinein stolzieren. Die Kamera ist nicht aufdringlich, wie auch in Benazerafs St. Pauli-Film wartet sie geduldig, auf dass die Frauen ihr ihre Geheimnisse von selbst anvertrauen.

Cover Girls / Covered Girls - die Mädchen für die Titelseiten, die aber gleichzeitig bedeckt bleiben... selbst wenn sie, was sie in diesem Film nicht oft sind, nackt wären (siehe auch, im Dialog: "die Maske, die wir Gesicht nennen"). Vielleicht gerade dann. Weil sie ihr Geheimnis eh nicht entbergen, müssen sie bearbeitet, betextet, drapiert, aus- und wieder angezogen werden, in immer neuen Variationen. Besonders toll sind die Szenen mit dem Regisseur, der in seinem ultrabarock eingerichteten Anwesen, direkt neben seinem Bett einen Schaltkasten hat, mit dem er seine eigene erotische Fantasie kontrollieren kann: Hinter einem roten Vorhang und einem Aquarium liegt, halb aufgerichtet, eine Frau, eine Schauspielerin, Carlotta; mit einem Hebel hebt er den Vorgang, mit diversen Knöpfen beleuchtet er sie, ihr Gesicht, einzelne Körperpartien etc. Freilich kann er über sie nur als vom Aquarium gerahmtes Bild bestimmen. Carlotta bleibt umso unerreichbar, je verfügbarer sie ist. Ein erotisches Dispositiv, das natürlich für Benazerafs Kino als Ganzes stehen kann - allerdings nur auf den ersten Blick. Denn später wechselt der Film auch auf die andere Seite des Aquariums, er macht sich nicht einfach nur mit dem Regisseur und dessen Kontrollblick, der doch nichts kontrollieren kann, gemein. Das Kino kann, hat Benazeraf erkannt, den Fetischblick multiplizieren, es muss ihn nicht auf einen einzigen, menschlichen Maßstab festlegen, kann ihn wieder und wieder aufspalten.

Der Regisseur begibt sich auf die Suche nach einem neuen Gesicht für Carlotta. Wie das genau gemeint ist, lässt sich schwer sagen in einem Film, der von Metapher zu Metapher driftet, von Frau zu Frau, aber auch von Erotoman zu Erotoman (ebenfalls katalogisiert werden Männer, die Fotos, Bewegtbilder, Statuen von Frauen anfertigen und die die Frauen dabei auf jeweils unterschiedliche Art verfehlen) von Stadt zu Stadt (Paris, Berlin, Rom, die nicht nur Handlungsorte sind, sondern denen jeweils auch eine eigene Szene gewidmet ist, in der sie sich, darin den Frauen gleich, selbst offenbaren dürfen, jeweils auch mit eigener Musik). Die diversen Fragmente setzen sich nur versuchsweise und immer wieder neu zu einer Diegese zusammen, vielleicht versteckt sich irgendwo ein Film im Film, vielleicht ist alles nur ein Tagtraum der sich auf dem Treppen(!)geländer räkelnden Frau.

„Ich bin Kinoglaz. Von einem nehme ich die stärksten und geschicktesten Hände, von einem anderen die schlankesten und schnellsten Beine, von einem dritten den schönsten und ausdrucksvollsten Kopf und schaffe durch die Montage einen neuen, vollkommenen Menschen.“ (Dziga Vertov, Regisseur von Der Mann (!) mit der Kamera)

Otto Lara Rezende ou... Bonitinha, Mas Ordinária / Quellen der Erotik, Jose P. Carvalho, 1963

Ein heftigerer Kontrast zu Benazerafs Podesten, auf die er seine Frauen manchmal ganz buchstäblich stellt, ist kaum denkbar. Mit der neuen "Eroberung" (was hier noch ganz so gemeint ist, wie es klingt) in den Wald hinausfahren, und sich dort nehmen, was man will, wenn man nicht gerade von einem Leprakranken vertrieben wird: Das ist der Grundzustand in der Welt des brasilianischen Kongressfilms, in einer Welt, in der das Patriarchat sich noch ganz unverblümt als Terrorherrschaft offenbaren darf (und immerhin auch entsprechende Gesichtszüge trägt...). 

Eine ziemlich unfassbare, von Kongressentdeckung Rudolf Lubowski, seines Zeichens als Gespenst im Unterleib der deutschen Unterhaltungsindustrie ganz unbedingt subject for further research, angemessen asozial synchronisierte Vergewaltigungsseifenoper, in der nichts ist mit unerreichbar; anblicken heißt besitzen und besitzen heißt entehren. Besonders perfide ist der Film, weil er letzteres zunächst in Frage zu stellen scheint: Dem Protagonisten wird die Ehe mit einem gründlich "entehrten" (die entsprechende Szene wird vom Film gleich zweimal zelebriert) Mädchen angeboten, gegen eine "Aufwandsentschädigung" sogar (gleich noch eine Sublimierung, mit der der Film radikal aufräumt: Sex ist nicht mehr nur irgendwie, sondern ganz direkt, Währung, die Subjektivität darf sich da gar nicht erst zu Wort melden) - später stellt sich dann aber ausgerechnet über dieses Mädchen allerhand Unerhörtes heraus. (Sie ist gleichwohl die interessanteste Figur, auch die interessanteste Schauspielerin im Film, sie scheint der Geschichte immer wieder zu entgleiten, einmal, in einer der sonderbarsten Szenen des Kongresses, stromert sie verträumt und angewidert zugleich durch den Vergewaltigungswald, himmelt später verschwitzt ein Bild ihres Bräutigams an).

Entstanden ist der Film kurz vor den Gründungswerken des cinema novo, deren gut gemeinte Sozialpädagogik reichlich stumpf erscheint angesichts eines zwar nicht überragend, aber sehr souverän inszenierten pot boiler, der keine Gefangene macht (auch nicht auf dem Kongress: im Filmhausgang hinterher Fassungslosigkeit auf allen Gesichtern).

Farbige Liebelei, Kurt Baum, 1956

Ein Kulturfilm dieses Titels, der Hochzeitsriten eines südafrikanischen Stammes zum Thema hat, weckt schlimme Befürchtungen, die sich als weitgehend unbegründet herausgestellt haben. Farbige Liebelei ist ein klassischer ethnografischer Kurzfilm, zwar von den reflexiven Wendungen des Genres in den Folgejahrzehnten noch komplett unberührt, aber sorgfältig gemacht, mit Respekt für die Portraitierten, die in den klassisch humanistischen Einstellungen des Spielfilms, also als handelnde Subjekte, portraitiert werden. Wenn ethnografische Filme mehr über die Kultur ihrer Macher als über die der portraitierten aussagen, dann gibt Farbige Liebelei vielleicht einen Hinweis daraus, dass die Adenauer-BRD bei aller Verlogenheit im Umgang mit der NS-Vergangenheit zumindest innerhalb gewisser Grenzen ein Projekt der Rezivilisierung war. (Wenn ich dagegen an die NS-Kulturfilme denke, die ich kürzlich gesehen habe: yuck!)

Die Liebesquelle, Ernst Hofbauer, 1966

Ausgerechnet mit dem Namenspatron der Veranstaltung werde ich nach wie vor nicht warm. Ich kann in Hofbauer nicht mehr sehen, als einen mittelmäßigen metteur de scene, der alles, was ihm vor die Linse kommt, souverän, aber emotions- und empathielos herunter kurbelt, der seine eigenen Ambitionen dabei auf eher fade Formalismen (hier vor allem: Sounddesign wie vom Karnevalsumzug, adrette Spielereien mit einem Pinkelbrunnen, Allusionen an den Western, die allerdings immer wieder von besonders dämlicher Deutschtümelei eingefangen werden) beschränkt. Gerade nach Eberhard Schröders tollen Klosterschülerinnen möchte ich mich damit nicht so recht abfinden...

Zugegeben: Hofbauer arbeitet hier von Anfang an mit fürchterlichem Material. Dass seine Krimis mir gefallen könnten, will ich nicht ausschließen...

Anatomie des Liebesakts, Herrmann Schnell, 1970

Sollte als stählerner Überaschungsfilm auch die härtesten Weichklopfen. Das hatten bei mir schon Hofbauers mit dem Vorschlaghammer inszenierte Schenkelklopfer besorgt. In Herrmann Schnells aseptisch-entfärbten Liebesanleitungen, vorgetragen von einem recht bissigen Gelehrten, der die Klitoris für überschätzt hält und auch fürs Vorspiel wenig übrig hat, illustriert von wiederum sehr blonden, weitgehend asexuellen Beispielsmenschen und putzigen animierten Illustrationen, habe ich mich dagegen zumindest von vier bis sechs morgens, bei schon deutlich gedämmter Aufmerksamkeit, gar nicht einmal so unwohl gefühlt. Schöner Rhythmus, alles in allem.

Sunday, January 05, 2014

Hofbauerkongress Nummer 12, Nacht 3, Anfang: Der Perser und die Schwedin, Akramazadeh, 1961

Dem Film eilt sein Ruf voraus; dass er das zu Recht tut, erkenne ich schon daran, dass er dann doch ganz und gar anders war als alles, was ich mir über ihn ausgedacht hatte. Bezaubert hat mich vor allem sein ganz und gar verquerer, aber dabei doch nicht holpriger Rhythmus: die anfängliche Verschleppung, die sich dann über fast zwei Drittel des Films hinzieht, in denen Der Perser und die Schwedin zu gefühlten 80% aus Tanzszenen besteht, genauer gesagt Tanzvorführungen. Eine Flamenco-Show (die wird besonders ausführlich zelebriert, parallel geschnitten die erste Annäherung des Persers an die - erste - Schwedin), irgendetwas Karibisches, ein indischer Tanz, dann auch mal ein, zwei eher klassische Cabaret-Nummern. Dazwischen Großstadtmontagen, erst Stockholm (?), dann plötzlich Soho; Handlungssplitter, in denen auch einmal andeutungsweise die iranische Exilcommunity auftaucht, die sich aber vor allem mit dem Auswechseln der ersten durch die zweite Schwedin beschäftigen - praktischerweise wohnen die beiden zusammen, in einer tollen Szene geraten sie sich ein klein wenig in die Haare; die erste hat blonde, außerordentlich voluminöse Haare und wiegt sich während des Gesprächs in der Hüfte, wie einem Takt folgend, der nur für sie hörbar ist, die zweite hat eine Jean-Seeberg-Frisur und bewegt sich lange mit einem offenen, aber doch leicht ironischen Lächeln durch den Film, als würde sie sich über die sanften (!) Ungeheuerlichkeiten des Films ähnlich amüsieren, wie ich das getan habe - bis das Unheil zuschlägt.

Gelegentlich gibt es außerdem einen Voice-Over, zeittypisch unentspannt intoniert zwar, aber es wirkt fast rührend hilflos, wie er aus den lose aneinander gefügten, größtenteils sich ganz im gegenteil ziemlich entspannt anfühlenden Szenen eine Spielfilmhandlung zusammenzufügen versucht, die dann auch noch gleich, von Anfang an, eine Moral enthalten soll: Das Lotterleben, das der Perser, ein Medizinstudent ("Institut für Tropenmedizin und Hygiene" steht glaube ich auf der Tür, durch die er gelegentlich tritt und die auch schon die einzige Manifestation seiner akademischen Ambitionen darstellt) namens Mustapha, in Schweden führt, das kann natürlich nicht lange gut gehen. "Bekannt wie ein bunter Hund", vor allem in der Damenwelt: "Mädchen bedeuten ihm alles", usw.

Dann plötzlich, wie aus dem Nichts, ein Melodram (eingeleitet, wie durch eine Synkope, mit einer Achterbahnszene und ein paar Einstellungen medical horror), um eine Schwangerschaft, die vielleicht ursprünglich (nicht aber in der deutschen Synchro) mit einer Abtreibung endet, mit einer sonderbaren Szene, die im Iran spielt, wo, vor ein wenig steril und modernistisch anmutender Kulisse die Vorzüge der einheimischen Frauen diskutiert werden. In dieser Phase gibt es dann abstruse Überbetonungen, zum Beispiel, wenn Mustapha, nachdem vorher sein Studium nicht die geringste Rolle mehr gespielt hatte, plötzlich ganz unbedingt rechtzeitig zu einer Prüfung erscheinen muss und sein ganzes Zimmer mit entsprechenden Hinweisen drapiert hat. Als dann der Wecker klingelt, hat er dann trotzdem wieder kein Bock, aufzustehen, will nicht so recht in die Handlung hinein, lieber wieder zurück driften in den ersten Filmabschnitt, zwischen die Frauen, zwischen die Tänze.

So schnell, wie es in den Film eingedrungen ist, driftet das Melodram dann auch wieder weg, die sonderbarste Tanzszene hebt sich der Film für den Schluss auf, für eine Feierlichkeit, die man zunächst für die Hochzeit Mustaphas mit der zweiten Schwedin halten könnte (vielleicht ist sie das auch; aber höchstens: auch), dann vielleicht sogar als seinen Initiationsritus ins Schwedentum... am Ende rennt er einfach, durchaus euphorisch, aber ohne erkennbares Ziel, hinaus, in die Kälte, in eine Freiheit, von der der Film irgendwie auch als Ganzer erzählt: endgültig weg von der Familie, weg von der community, weg vom deutschen Synchro-Voice-Over. Der Hauptdarsteller ist auch Regisseur, ziemlich sicher auch Drehbuchautor, vermutlich Produzent und Finanzier, wie viele Exiliraner er für dieses wundervolle und erstaunlicherweise nicht ein bisschen narzisstisch sich anfühlende Schelmenstück um ihre Ersparnisse gebracht hat, weiß ich nicht, wird wohl auch kaum noch in Erfahrung zu bringen sein. Er wurde jedenfalls hinterher im Kino nie wieder gesehen.

Saturday, January 04, 2014

Hofbauerkongress Nummer 12, Nacht 2

Les filles sement le vent / Die Ernte der sündigen Mädchen, Louis Soulanes, 1961

Das zweite große Meisterwerk, so far. Eine relaxtere Aktualisierung von de Santis Riso amaro, schon noch fest im klassischen Erzählkino verankert... und doch irgendwie wild ins Kraut schießend (aber andererseits schießt das klassische Erzählkino vielleicht immer schon gerne wild ins Kraut...). Ein Übergangsfilm, duchaus in der Nähe zweier Lieblingsfilme des HK11: Barbara - Wild wie das Meer und (da sind die Parallelen deutlicher, bis hin zu einzelnen Motiven, den date-rape-Andeutungen, den jeweils erstaunlich matter-of-factisch behandelten Vergewaltigungsszenen) Where the Boys Are: Gruppen von Frauen, die in die Welt hinausgegangen sind, und jetzt einen eigenen Weg finden müssen, jenseits der Tradition. Die da erst einmal zusammengepfercht hocken und abschätzen, warten, was mit den Männern los ist, die draußen vor den Fenstern warten, sie umzingeln.

Schon der Einstieg ist toll: Zwei Männer im Fahrergehäuse eines LKWs, von der unruhigen Fahrt durchgeschüttelt. Erst dann der Umschnitt auf die Totale, auf den mit noch leeren Paletten beladenen Laster, der durch eine sonnenverbrannte Landschaft brettert. Zuerst der impact, dann die Verankerung in der Umgebung. Und dann, erst als drittes, die Geschichte. Die ist an sich durchaus ökonomisch gebaut: Die Bremsen des Lasters sind defekt, von Anfang an ist klar, dass sie nicht repariert werden, dass der Film weiter Fahrt aufnehmen wird, bis zum bitteren Ende. Später taucht, als weiteres und weitaus geläufigeres unheilvolles Vorzeichen, eine Pistole auf, die natürlich irgendwann auch abgefeuert werden muss, so wie die Bremsen irgendwann endgültig versagen müssen. Aber erst mal: die winkenden Frauen am Wegrand, bei der Feldarbeit.

Der Film spielt dann nicht on the road, sondern auf einer Obstplantage. Die Verteilung ist klar: Die Frauen sammeln das Obst, verpacken es und schlafen gemeinsam in einer Baracke. Die Männer scharwenzeln um sie herum und teilen sich in zwei Gruppen. Die einen sind Saisonarbeiter fürs Grobe und für den Abtransport der Ware, die anderen sitzen hinterm Schreibtisch: Die Ausbeuter und ihre Handlanger. Der Film fächert das auf, auf beiden Seiten: Bei den Frauen noch nicht einmal so sehr: da gibt es Kissa, die ihr Taschentuch im Wind den diversen Männern entgegen flattern lässt und ihre Brüste hochgeschnürt hat und die von den anderen Frauen heimlich beneidet und öffentlich verächtlich gemacht wird, und es gibt diese anderen Frauen, die nicht Kissa sind, die aber gerne Kissa wären (die nach hause laufen müssen, wenn sie abends raus gehen, in die nahe Stadt).

Bei den Männern ist es komplizierter. Da gibt es Armand, der ist manchmal zuviel auf einmal: Der vitale tolle Hecht, hinter dem alle Mädchen her sind, der klassenbewussteste Proletarier, der mobil macht gegen Ausbeutung (und physiognomisch auch in einem Eisensteinfilm gut aufgehoben wäre), der melanchlische Einzelgänger, ewig on the road. Vielleicht braucht ein Film, der sich ansonsten so weit auffächert, wie 
Les filles sèment le vent das tut, der mindestens ein halbes Dutzend Handlungsstränge parallel führt und der das völlig anstrengungsfrei zu tun scheint, der andauernd Seitenblicke wirft und doch jeden dieser Seitenblicke wieder produktiv macht (toll eine Szene mit einer schwarzen Tänzerin, die erst nur Dekoration ist, dann aber einen besonders hartgekochten Kurzdialog bekommt), einen solchen Anker. Dennoch haben mich die anderen Männer, die beschädigteren Männer, die Quartalssäufer, die verwöhnten Hysteriker, die sich ihre Pranken am verschwitzten Unterhemd abwischenden Fettsäcke, die dirty old men, die dirty young men, die abgeklärten Barkeeper, die alles schon einmal gesehen haben und deshalb genau wissen, wann sie vorsichtshalber die Cops holen müssen, sie alle haben mich deutlich mehr interessiert als Armand. Der dann freilich im tollen Finale doch der richtige Körper am richtigen Ort, nämlich in einer sehr "physischen" Duell- und Verfolgungsszene ist.

Wie sich das ein wenig Abgezirkelte der Gesamtstruktur (inklusive recht deutlich und auch recht deutlich nach marxistischen Maßstäben ausformulierter Arbeitskampfthematik) zu der Ästhetik des Seitenblicks verhält: nach einmal Sehen schwer zu sagen. Wie flexibel und souverän der Film in jedem Fall ist, zeigt eine schöne Szene, in der eine der Frauen auf einem der Fußheimwege von der Stadt kurz zurück bleibt, durchatmet, sich mit dem Film gemeinsam kurz auszuruhen scheint, und in der dann urplötzlich die dirty young men zu ihren Seiten erscheinend, sie einerseits eher spielerisch erschreckend - andererseits lässt der folgende Schnitt vieles offen, bzw im hoffentlich nicht allzu finsteren Dunkel.

Barbara, Walter Burns, 1970
La philosophie dans le boudoir / Das Paradies, Jacques Scandelari, 1971

Nehmt den Hippies die Kameras weg!

It's All for Sale, Alexander Maxwell, 1969

Albert Jenkins, der verschmitzte und zumindest dann, wenn er von einem bullig-niedlichen Masseur befummelt wird, regelrecht alberne Sexologe / Vertreter, darf seine Kamera dagegen behalten, hat er sie doch so findig in seiner Aktentasche verstaut. Da bleibt sie (meistens) starr und objektiv, während er selbst sich in die "Unterwelt des Sex" stürzt. Dazu hypnotische Gitarrenmusik. Nice.

Skaterdater, Noel Black, 1966

nice, Vorfreude auf LA.

Die Klosterschülerinnen, Eberhard Schröder, 1972

Wie schon bei Jenkins Eskapaden, war ich auch beim letzten Film des Abends ziemlich müde, insofern habe ich mir vorgenommen, den Film beizeiten, noch einmal konzentrierter zu sehen. Auf Anhieb hat mir das aber sehr zugesagt: Schröder humanisiert das Reportfilmgenre, so gut es eben geht. Und dass es so ganz gut dann eben doch nicht geht, weil es eben doch einen besserwisserischen Voice-Over-Kommentar gibt, der die Wahrheit über all die Klosterschulmädchen immer schon zu kennen scheint, das macht die Sache nicht weniger interessant. Denn man merkt sofort, dass Schröder alles daran setzt, die Mädchen eben nicht zu Fallbeispielen zu degradieren, dass er sie ganz im Gegenteil individualisieren möchte, und gerade in der zackig-militärischen Form, die der Film dann doch übernehmen muss, strebt viel auseinander. Fließend wechselt der Film vom knüppelnden Voice-Over zu den zerbrechlichen Erfahrungswelten der Mädchen, die sich heimlich aus der Obhut der Nonnen schleichen, dann zu den Nonnen selbst, die wiederum zwischen Voice-Over und den Mädchen zu vermitteln scheinen. Oder er springt in verfärbte Vergangenheiten, wo stets, wie automatisiert, traumatisierte Erlebnisse warten, die aber eben als solche erstaunlich ernst genommen werden und sich mit dem comic relief, den es natürlich auch wieder gibt, in einen strengen Gegensatz setzen.

Die Musik (Moroder) ist toll, aber die Kamera (Helmut Meewes, der eine erstaunlich kurze credit-Liste auf imdb hat) ist noch toller.

Der letzte Blick der neu angekommenen Schülerin gen Himmel...

Friday, January 03, 2014

Hofbauerkongress Nummer 12, Nacht 1

So viel nackte Zärtlichkeit, Günter Hendel, 1969

(Spoiler ahead...) Ein frontaler Film. Gleich zu Beginn, die Brüste, die über das eingeseifte Autofenster reiben und damit eigentlich die Leinwand selbst einseifen. Später immer wieder: Das Begehren alter Männer, das sich auf frontal auf junge Frauen richtet. Der Kanadier, der schon Reißzwecken verdaut hat, und deshalb von Giftpilzen nicht zu beeindrucken ist, der außerdem dort im Bordell auch Liebe erfahren hat, starrt seine Eroberung (eigentlich ist sie die Erobernde, das weiß er noch nicht) frontal an, als sie ankündigt, sich umziehen zu wollen. Sie bittet ihn, sich umzudrehen, das tut er, nur schaut er dann, mit der Kamera, frontal in einen Spiegel. Gewitzte Frontalität. Ein anderes Mal schaut ein Mädchen frontal auf eine Leinwand, auf der wohl ein Porno abläuft, der Film schneidet aber lieber auf den Projektor, der direkt ins Auge des Zuschauers zu projizieren scheint. Zu sehen gibt's erotischerweise trotzdem eher wenig in dem Film. Wenn die Szenen trotzdem oft mit Schwenks auf (meist bedeckte) Brüste, auf den (stets bedeckten) Schritt (auch von Männern, manchmal) enden, dann zielt das weniger auf sexuelle Attraktionen, denn eben auf die Frontalität: so, hier, schaut her, darum geht's doch eigentlich. You've been man-hendelt...

Auch der Pfarrer (gespielt vom Regisseur selbst und die beste Figur des Films; fast schon Bressonianisch sein Tagebucheintrag zu Beginn) ist ein Mann der Frontalität, auch in theologischer Hinsicht. Den Jungen, der aus dem Opferstock geklaut hat, weißt er auf dessen Entschuldigung "Wir haben's nicht leicht zuhause" (osä) knallhart zurecht: "Na und?". In seiner Kirche wird niemand Asyl erhalten, er hält sich lieber an den feschen Dorfpolizisten, der in den beiden tricksters, die sich als Bruder und Schwester ausgeben, das Rumtreiberische sofort erkennt. Der Pfarrer wiederum feuert die Jungs beim Fußsballspielen an und freut sich vor allem, als einer den Ball direkt in die Fresse geschossen bekommt. Schließlich nimmt er selbst den Ball und schießt den Rumtreiber vom Fahrrad. Ihn und den Polizisten freut's.

Bei all dem ist der Film trotzdem spielerisch und erzählerisch erstaunlich ambitioniert. Ein film noir, wie von James M. Cain adaptiert, läuft nicht unbedingt harmonisch (aber genau das ist interessant) neben einem rechtskonservativen Dorffilm her, die Sympathien sind zwar drehbuchtechnisch klar verteilt, auch der noir-Part ist von Hausfrauenideologie durchsetzt (da wird sie allerdings taktisch), aber ich hatte doch den Eindruck, dass Hendel sich für die fießen tricksters in den Tiefen seines Herzens mehr interessiert als für die Erhaltung der heilen Welt. Scharnier ist eine Blondine, in die sich der eine trickster zwar verliebt, an der der Film allerdings bald fast jedes Interesse verliert. Die Kamera probiert ziemlich viel, es gibt tolle tracking shots (unter anderem durch München) und Montagesequenzen, die sich verselbstständigen, während unter ihnen die Dialoge weiterrattern (oder eher: knattern). Eine der schönsten Montagesequenzen zeigt einen Tierpark, mit präzise zum Dialog geschalteten Elefanteneinsatz.

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Sollazzevoli storie di mogli gaudenti e mariti penitenti - Decameron nº 69 / Hemmungslos der Lust verfallen, Joe d'Amato, 1972

Drei Lustspielepisoden, wohl im direkten Fahrwasser von Paolinis Il decameron. Weniger zusammengehalten als lose nebeneinander gruppiert von einer gruppe geiler Mönche auf dem Weg hin zum und schließlich wieder weg vom Nonnenkloster. Als running gag rennt in jeder der Episoden jemand mit dem Kopf gegen eine Wand, ansonsten machen die drei Abschnitte mit sehr ähnlichen Ausgangssituationen jeweils ziemlich weit Auseinanderstrebendes; eine endet rabiat mit einer Kastrierung, eine mit einer etwas übererklärt wirkenden Genderutopie, eine läuft einfach so aus, wie, als ob ein paar Seiten Drehbuch fehlen (wobei das schon ein professionell gemachter, teils ziemlich toll aussehender Film ist; denkt man sich die beknackte Synchro - ich kann mir nicht helfen, da werde ich in diesem Leben kein Connaisseur mehr - weg, dann ist das auch kein doofer, sondern ein in Teilen sogar ziemlich cleverer Film). Wie Hendel ist sich auch d'Amato der hier deutlich freizügiger dargebotenen Attraktionen bewusst, allerdings führt er die Kamera gleichzeitig fahriger und dynamischer, unter anderem in einer fast Francoescen Lesbenszene (mit Bettpfosten!). Nicht frontal, eher frenetisch, immer nach vorne strebend, immer auf der Suche.

Die Männer sind allesamt Deppen, allerdings auf sehr unterschiedliche Art; es gibt jeweils einen alten und einen jungen Deppen. Die jungen Deppen sind interessanter, weil sie nicht einfach nur (wahlweise langweilige, brutale oder impotente Inkarnationen des Patriarchats sind). Der erste ein stotternder Bildhauer, der nervös durch die Gegend rennt und mit seinem Hammer sicher schon viel Unheil angerichtet hat. Der zweite, in der durchgeknalltesten der drei Geschichten, ein fast schon Ninetto-Davoli-artiger naiv-vitalistischer Mönch, der sich in der vielleicht schönsten Szene des Films zwischen seiner Loyalität zur Kirche (ach was, zu Christus höchstpersönlich) und dem Lustprinzip entscheiden muss. Der dritte stüzt sich begeistert in eine Crossdressing-Affäre.

Obwohl immer viel los ist, gibt es auffällig viele Szenen, in denen die Figuren einfach nur eine halbe, eine ganze Minute lang durch die Gegend laufen.

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St. Pauli zwischen Nacht und Morgen, Jose Benazeraf, 1967

Der schönste Film des ersten Tags. Ein extremer Kontrast zu den ersten beiden Filmen, die den Körpern auf den Leib rücken, sie, wo sie es noch nicht sind, mit Eigenbewegung ausziehen zu versuchen scheinen. Benazerafs Kamera bleibt ganz im Gegenteil stoisch starr, unbewegt. Und sie hält die Einstellungen lange durch (die Schnitte, die dann doch folgen,, sind auch für sich selbst interessant; sie behalten stets die Kontinuität des Raums im Blick, erweitern den Raum sehr bewusst um bestimmte Facetten), wartet darauf, dass sich die Figuren, vor allem die Frauen, selbst entbößen. In diesem Fall wiederum: eher innerlich als äußerlich entblößen, und auch entblößen ist nicht so ganz das richtige Wort, denn im gleichen Moment, in dem sie entwas von sich Preis zu geben scheinen, verschließen sie sich wieder. Die Gesichter werden zu Masken (denen in einer besonders tollen Montagesequenz Rauch entströmt), die Tanzbewegungen machen sie zu sonderbaren Zwitterwesen zwischen Mensch und Maschine.

Toll ist zum Beispiel eine Szene, in der drei Tänzerinnen sich vor der Kamera positionieren und sich ständig gegenseitig von einem Podest stoßen, das in der Mitte platziert ist und auf dem stets nur eine Platz hat. Unwillkürlich vergleicht man die Tänze und tatsächlich ist der letzte Tanz vor dem Schnitt (ein Mädchen im weißen Hemd) besonders toll, als ob Benazeraf genau auf diesen Tanz gewartet hätte. Überhaupt: Im wieder Dreiergruppen, nicht unbedingt frontal, aber doch vor der Kamera aufgereiht eher als einander interaktiv zugewandt. Einmal sogar 3+3+3: Die drei Tänzerinnen noch einmal, im Hintergrund drei Männer, die ihnen zuschauen, vorne ragen drei Frauenbeine ins Bild.

Die Statik und das ultraatmosphärische Schwarz-Weiß könnte leicht in kunstfilmerische Klischees kippen, schwer zu sagen, warum das nicht ein einziges Mal passiert (vielleicht natürlich nur: für mich nicht passiert...). Eher ein Problem bekommt der Film mit dem Melville-artigen Gangsterplot (darauf weißt auch Ekkehard in seiner schönen Besprechung hin), der von einem Raubüberfall mit ausgiebiger vorheriger Planung erzählt. Auch da gibt es viele schöne Momente, aber die Statik in den tollen Nachtclubszenen und auch in der existenzialistisch überformten, irgendwie Carax-artigen Liebesgeschichte hat mir besser gefallen, als die Versuche, das doch wieder zu dynamisieren, zum Beispiel durch etwas anstrengede Autoszenen (auch die Montage ist natürlich ein Moment von Dynamik; aber ihr geht es nicht darum, Plot voran zu treiben, sondern Intensitäten oder auch einfach nur Schönheiten miteinander vergleichbar zu machen). Mit etwas Abstand stört mich das allerdings alles nicht mehr so.

Das Ganze in Hamburg, St. Pauli. Das Milieu ist schon da, irgendwie, allerdings nur zeichenhaft, als durchaus absurdes Störmoment. Ausgerechnet durch den schönsten Carax-Moment, einen Spaziergang des Liebespaars über eine leuchtende Brücke, die sich fast in den Pont Neuf verwandelt, schickt Benazeraf eine Gruppe pöbelnder Matrosen. Aber auch das passt, irgendwie. Ein bezaubernder Film.

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American Angels: Baptism of Blood, Beverly & Ferd Sebastian, 1989

Wenn Robert Aldrichs fantastischer ...All the Marbles die bezaubernde B-Movie-Trash-Version eines klassischen Hollywood-Charakterdramas ist, dann ist Baptism of Blood die nicht unbedingt bezaubernde, aber immerhin ziemlich unglaubliche Z-Movie-Ultratrash-Version einerseits von ...All the Marbles, andererseits diverser Sport- und vielleicht noch mehr Tanzfilme der Achtziger: Die Körperselbstperfektionisierung, das sich selbst frenetisch in eine Ware verwandeln, die/das einen, bzw halt zur Not nur mich in Filmen wie Flashdance auch deshalb sehr unangenehm anspringt, weil es einerseits audiovisuell überzuckert, andererseits "psychologisch", "sozial" etc rationalisiert wird, dieser Eighties-Körperterror wird von den Sebastians und ihren professionellen Wrestlerinnen, die sich im Film mehr oder weniger selbst spielen, zur Kenntlichkeit entstellt (und das Jahre vor Showgirls, auf den Michael Kienzl nach dem Film hinwies, was mir sehr einleuchtet).

Der Film macht keine Gefangene und war der erste echte Deliriumsfilm des Kongress (okay, die Verstopfungsszene bei d'Amato...). Schon zurecht und auch für mich, streckenweise. Einen zweiten Baron Porno habe ich alllerdings vorläufig noch nicht entdeckt. Dass Baptism of Blood die tumbe Räudigkeit von Wrestling auf den Punkt bringen, das stimmt schon (vor allem Diamond Dave, der mit dem Motorrad ins Büro einfahrende Manager, verkörpert ... ja, was er verkörpert, ist eigentlich egal, hauptsache er verkörpert, und zwar durch und durch). Andererseits ist Wrestling immer schon audiovisual Entertainment und schon seit Jahrzehnten selbst B-Movie-förmig. Hätte eine angemessen schäbig synchronisierte Doppelfolge eines "authentischen" (die Anführungszeichen sind ja eh gerade der Punkt) Frauenwrestling-Specials aus den Achtzigern groß anders ausgesehen? Nicht ebenso erheitert? Was der Ereheiterung selbst ja nichts wegnehmen würde... Aber im Großen und Ganzen bleibe ich doch bei Aldrich, fürchte ich, ich kann mir halt nicht helfen...

Aber die Musik, oh, dieser Syntieterror, besonders infernalisch in der Szene, in der der Kleinwüchsige erstmals in den Ring steigt...

Und nicht vergessen: "Sie ist die B-E-S-T-Beste!"

Wednesday, January 01, 2014

Report from the Interior von Paul Auster

Die vier Teile des Buchs ("Report From the Interior", "Two Blows to the Head", "Time Capsule" und "Album") heben sich streng voneinander ab. Den letzten Teil, der Fotografien mit Zitaten aus den ersten drei Teilen auf langweilig literale Art kombiniert und der mir auch sonst nicht recht einleuchten will (die Montagen gelingen teils ganz gut, immerhin), beiseite gelassen, scheint mir das Buch da am interessantesten, wo es literarisch am problematischsten ist. Und da am uninteressantesten, wo es literarisch am stärksten oder wenigstens am rundesten ist.

Was nicht heißen soll, dass mir der erste Teil, der so heißt, wie das Buch insgesamt, die Erinnerungs/Innerlichkeitssplittermontage (das ist die besondere Crux: erinnert werden soll nicht zuerst das äußere, sondern dessen Rückhall im Innern) "Report From the Interior", nicht gefallen hätte. Von Anfang an hat mir der offenherzige Tonfall zugesagt, der weitgehende Verzicht auf Selbststilisierung, auf Originalitätsbehauptungen auch: Ein Leben erst einmal wie jedes andere, alle Spezifizierungen und Besonderungen müssen irgendwoher kommen, von irgendwelchen Sinneseindrücken und von irgendwelchen Erlebnissen, beides nicht mehr zugänglich für den Autor, der notwendig in seiner Gegenwart schreibt. Deshalb hat jede Auswahl, die aus dem Pool der Erinnerungen getroffen wird, einen Aspekt von willkürlicher Setzung. Auch in dieser Hinsicht hat mir Austers Entscheidung eingeleuchtet, nicht in der ersten, sondern in der zweiten Person zu schreiben, sich selbst als einen anderen, aber in der direkten Hinwendung zu konstruieren. Ebenfalls sympathisch ist die Konsequenz, die diese Entscheidung bis in die Inkonsequenz durchhält: Da Auster auf einen Diskurs hinstrebt, der auf sich selbst hin durchsichtig ist (was natürlich stets umso augenfälliger scheitert, je angestrengter es versucht wird) schreibt er auch über sein aktuelles Schreiben und nennt auch den aktuellen Schreiber: "You". Wo genau die Grenze zwischen "You" und "I" liegen könnte, wird immer unklarer, erst recht in Teil 3.
Was an Teil 1 manchmal problematisch ist: Dass es erkennbar zwei widerstrebende Bemühungen gibt, weil zum einen die Erinnerungs/Innerlichkeitssplitter als Splitter, also losgelöst und freischwebend präsentiert werden sollen, dass andererseits aber doch die Geschichte einer Prägung erzählt wird, noch ärger, einer Prägung, deren Resultat das Schreibende Ich zu kennen glaubt (und gleichzeitig schiebt das schreibende Ich dieses Wissen im Wechsel zum "You" wieder von sich weg...). Und dass dieses Widerstreben selbst nicht deutlich herausgearbeitet ist, nicht selbst Form wird.

Die beiden folgenden Kapitel lösen das Problem, indem sie Widerstände einbauen in Form von Objekten, die sich außerhalb der literarischen Selbstgesprächs befinden. Teil 2 "Two Blows to the Head" besteht aus zwei Filmberichten: Der junge Paul Auster war erst von Jack Arnolds "The Incredible Shrinking Man" tief beeindruckt, ein paar Jahre später von Mervyn LeRoys "I Am a Fugitive from a Chain Gang". Durchaus irritierenderweise sind das jeweils eher Filmnacherzählungen als Filmerlebnisnacherzählungen: Genaue Beschreibungen der Handlung und (seltener) der formalen Gestaltung, durchsetzt lediglich mit eher kurzen Hinweisen auf damals besonders eindrückliche Szenen und, ein wiederkehrendes Motiv, Antezipationen, die dann vom Film wiederlegt werden: Aha, jetzt wird also alles doch noch gut. Und dann kommt der Film und macht alle Hoffnung zunichte. Denn darum geht es, folgt man der Rekunstruktion Austers, in beiden Filmen: Um die Zertrümmerung aller Sicherheiten, aller metaphysischen Sicherheiten im Fall des Arnold-Films, aller sozialen Sicherheiten im Fall des LeRoy-Films. Erst aus Perspektive dieser Filmlektüren gewinnen auch die Motive des ersten Buchteils stärker Kontur, die Prägung nicht als ein Sich-Verankern in der Welt fassen, sondern ganz im Gegenteil als einen Sturz ins Nichts.
Offensichtlich hat Auster die Filme, bevor er das Kapitel geschrieben hat, noch einmal gesehen. Vielleicht sogar: während er es geschrieben hat, Szene für Szene. Er beschreibt das Kondensat einer wiederholten und wiederholbaren Seherfahrung, an die nur gelegentlich jene Erinnerungs/Innerlichkeitssplitter andocken, die im ersten Kapitel etabliert worden waren. Anders als im deutlich uninteressanteren (abgesehen vom Kapitel zu Barthes) Filmerinnerungsbuch "The Remembered Film" von Victor Burgin geht es nicht darum, zu zeigen, dass die Erinnerung selektiv auf Filme zugreift, sie zersetzt und dadurch verändert etc. Der Punkt bei Auster ist gerade, dass der Film ist bleibt, was er ist und dass er in all seine felsenfesten Konstanz dazu geeignet ist, ganz im Gegenteil das Subjekt, das mit ihm Konfrontiert wird, zu verstören, wenn nicht zu zertrümmern. Das wäre eine geeignete grammatikalische Kippstelle: Das "I" vor dem Film ist nicht dasselbe "I" wie das "I" nach dem Film und wird deshalb zum "You".

Der dritte Teil des Buchs, "Time Capsule", ist der problematischste, aber vielleicht gleichzeitig der interessanteste. Er besteht aus Briefen, die Auster Anfang 20 seiner ersten Frau geschrieben hat, teils während Reisen in verschiedenen Teilen der USA, teils während eines mehrmonatigen Paris-Aufenthalts. In den Briefen wird das "You" der ersten beiden Teile, das gleichwohl in einordnenden Passagen ebenfalls präsent bleibt, zum "I". Wo die Filmerfahrungen nur kurz und betont oberflächlich kontextualisiert werden, beschäftigt sich der dritte Teil explizit mit "biography building", die Vorbemerkungen zu den Briefen sind nicht selten deutlich länger als diese selbst. Wiederum, wie in Teil 1, ist schön, dass der Auster von heute den Auster von damals nicht stilisiert, auch nicht zu entschuldigen sucht, dass er auch dann nicht peinlich berührt von ihm zu sein scheint, wenn es durchaus Anlass dazu gäbe.
Noch deutlicher als in Teil 2 tritt das (produktive) Missverhältnis zwischen den (Selbst-)Imaginationsakten der Erinnerung und der Evidenz von Objekten (das im vierten Teil des Buches für meine Begriffe grundfalsch aufgelöst wird; aber vielleicht sehe ich da auch irgendetwas nicht), an die sich Erinnerungen binden, hervor. Die Briefe können, anders als Filme, nicht nur nacherzählt, sondern wortwörtlich zitiert werden. Noch dazu handelt es sich jetzt um Evidenzen, die direkt auf Innerlichkeit verweisen. Und die von Auster, das ist irritierend, aber möglicherweise die große Stärke dieses Kapitels, auch genau so behandelt werden: Als materielle Beweisstücke, die einen Blick in die sich selbst fremd gewordene Seele erlauben. Die "bei Licht betrachtet" (aber das Licht wäre ein falsches) nur wenige Wochen dauernde und nicht allzu spektakuläre Paris-Episode, in der Auster das Studium abbricht, sich einem obskuren Filmprojekt zuwendet und schließlich doch wieder die sichere Variante wählt (USA, Fortsetzung des Studiums), wird in den Briefen zu einem weiteren existenziellen Abgrund, zu einem weiteren Sturz ins Nichts. Und der Auster von heute erkennt, dass er kein Recht hat, da irgendetwas wegzuerklären oder zu relativieren.