Friday, May 30, 2014

Gyunyuya Furanki aka Milkman Frankie, Ko Nakahira, 1956

Frankie Sakai ist Milkman Frankie. Groß, tollpatschig, Babygesicht, totaler Enthusiasmus, unbändige Energie, die ausschließlich von innen zu kommen scheint, keinerlei äußeren Antrieb benötigt: kein love interest, keinen individuellen materiellen Anreiz. Am Anfang erhält er, noch in der Provinz, in einer samuraimäßigen Szene den Auftrag: Gehe in die Stadt, rette den Milchlieferdienst der Verwandtschaft. Das bleibt hinfort sein einziges Ziel.

In der Stadt zieht es bei der Verwandtschaft ein und bringt tatsächlich das Familiengeschäft bald wieder in Schwung (was vom Film wieder und wieder betont wird; wichtiger als jede individuelle ist ihm die ökonomische Erfolgsgeschichte des Milchvertriebs). Milkman Frankie ist auch ein Film, der sich auf sonderbar überschwängliche Art am Kapitalismus berauscht. Service, Service über alles! Wenn man nur die totale Kundenfreundlichkeit lebt und dafür auch aufs Frühstück verzichtet, hat man nicht nur Erfolg (und darf sich ohne schlechtes Gewissen über die chancenlose Konkurrenz lustig machen), sondern landet auch noch im Seifenschaumbad eines mondern girl. Freilich wie gesagt: An love interests hat Frankie gar kein Interesse, das braucht er gar nicht, um rund um die Uhr servicebereit zu sein. Lieber vermittelt er die girls weiter an andere Kunden. So betrachtet ist Frankie selbst noch gar kein kapitalistisches Subjekt... die Warenförmigkeit von Begehren hat er selbst noch gar nicht internalisiert, er hilft nur dabei, sie in Anderen zu installieren.

Frankie dominiert den Film weitgehend, aber nicht vollständig; Nakahiras Regie nimmt sich Freiheiten, unternimmt einige ziemlich durchgeknallte Abstecher. Frankies Landlord ist ein ebenfalls eher tappsiger Student mit Schiebermütze, der wohl eine Art gutmütige Fünfzigerjahre-Boheme-Sleazetype darstellen soll. Jedenfalls unternimmt er literarische Versuche, einer derer vom Film auch visualisiert: plötzlich steht die Kamera schief, und der Student träumt sich seinen eigenen Segelboot-Sexfantasie zusammen. Später träumt der Student einen noch etwas weirderen, expressionistisch ausgestalteten Pornotraum. Die Standout-Szene allerdings etwas später: Frankie begibt sich zum ersten Mal zum Bauernhof, zum Ursprung der Milch, die er immer effektiver zu verteilen versteht. Dort angekommen, folgt erst einmal eine schön alberne Musicalnummer - die dann allerdings unterbrochen wird durch Pfeile, die von Indianern aus einer Westernkulisse hinaus auf den Bauernhof abgefeuert werden. Ein paar Einstellungen später offenbart sich diese mit viel Liebe zum Pulp (besonders toll: eine biestige Revolverheldin) entworfene Kulisse als Teil eines Filmsets, auf dem dann noch so lange herumgealbert wird, bis der Stuhl des Regisseurs unter diesem zusammenbricht.

Tuesday, May 27, 2014

Für die Liebe noch zu mager, Bernhard Stephan, 1974

Dass es in vielen defa-Filmen eine Aufmerksamkeit für Gesichter gibt, die ich ansonsten kaum kenne aus dem deutschen Kino, war mir schon gelegentlich aufgefallen: eine Aufmerksamkeit für das Alltägliche an Gesichtern, für Gesichter in Alltagssituationen. In Für die Liebe noch zu mager droht diese Aufmerksamkeit immer wieder umzukippen in Kommodifizierung. Nicht, dass es nicht auch wieder tolle Szenen gäbe, zum Beispiel einmal einen Blickwechsel beim Tanzen, bei dem sich zwei Gesichter gegenseitig entdecken. Öfter allerdings wird daran gearbeitet, einem einzelnen Gesicht jeder Überraschung zu berauben. Das Gesicht, um das es geht, das vage audreyhepburnhafte Gesichtchen eher von Simone von Zglinicki, sieht aber auch immer und in jeder Situation schick aus (auf eine ziemlich unsinnliche Art, freilich...), da liegt es nahe, es zu drapieren, farbig zu rahmen etc. Auch der verwischte Lidschatten fügt sich in den Gesamteffekt.

Vom Effekt her gedacht ist nicht nur das Gesicht. Fast schon penetrant die Popmusik-Montagesequenzen, die sich nicht einmal damit begnügen, einfach nur ein Gefühl zu bezeichnen, die gleichzeitig immer irgendetwas vorantreiben müssen in der Handlung. (Die Musik muss Arbeit verrichten. Wie alles, was in dem Film Leichtigkeit anzeigen soll, wirkt das reichlich angestrengt).

Los lässt mich der Film trotzdem nicht ganz; das hat schon was, diese zumindest ästhetisch immer schon korrumpierte Coming-of-Age-Geschichte, die da in einer alten Arbeitersiedlung ihren Ausgang nimmt (das Gesicht wohnt oben, im gutsituierten sozialistischen Haushalt, der Angebete in einer Kellerbude), und zwischen dieser und dem Postkartenkitsch, der um sie herum drapiert wird, nie so recht die Balance findet.

Friday, May 23, 2014

The Shadow of Fear aka Neraweta otoko, Ko Nakahira, 1964

Eine Gasse in Ginza. Rechts und links Häuser, in denen es vor allem eng ist, das sieht man sofort, einen Horizont gibt es nicht, eh fast nirgendwo im Film, im Abspann vielleicht mal. (Liebe findet verschämt nach Feierabend hinterm Kneipentresen statt.) Einige Sekunden bleibt die Gasse, nachdem sich die Kamera auf ungefähre Augenhöhe gesenkt hat, ruhig, bzw alltagslaut. In Bewegung setzt sich der Film nicht durch einen Mord, sondern durch die Kunde vom Mord. Bzw durch die kommunikativen Kaskaden, die die Kunde vom Mord in Bewegung setzt: Ein spitzer Schrei, neugierige Nachbarn, die vor die Tür treten, sich gegenseitig anblicken, in Richtung Schrei eilen und so weiter. Vor einem der Häuser hängt eine sich unheilvoll drehende Spirale.

Bevor sich der Film auf eine Richtung festlegt, bewegt er sich erst einmal recht ungezwungen durch die Gasse in Ginza. Nicht ganz frei, immer entlang der Wege, Blicke, Gespräche der Bewohner. Soziales Montagekino: Jemand redet mit dem Polizisten / jemand beobachtet den Redenden / der Beobachtende gibt seine Beobachtung an einen Dritten weiter. Später setzt sich das Prinzip bis ins Innere der Personen fort, als Rückblende. Der Polizist müsste eigentlich mitmachen, müsste den Spuren, die der Film für ihn vorzeichnet, folgen. Aber das klappt nicht. Wenn er, ganz in schwarz, durch die Gasse in Ginza geht, verschwinden alle in ihren Häusern. Er bleibt für die Menschen in der Gasse ganz Funktionsträger, für den Film ganz Funktion; sobald die Verhältnisse halbwegs geordnet, ein Verdächtiger identifiziert ist (und sich dann aber zu wehren beginnt), hat sich die Aufgabe des Polizisten erübrigt.

In der Gasse in Ginza wohnen fragwürdige Gestalten: "perverts", "toy boys", Möchtegerngangster, ein Einäugiger, der das zweite Opfer wird (eine tolle Szene: wie eine Mülltonne nach dem dabei verschütt gegangenen Auge durchforstet wird, und dabei dieses erst nicht, dafür aber alle möglichen anderen Alltagsschätze zu Tage gefördert werden). Der Mörder, lernt man später, ist aber dann gerade einer, der anständig tut. Er verrät sich dadurch, dass er brutal auf einen Hund eintritt. Sein Gegenspieler ist der sanftgesichtige Hauptverdächtige, ein "ex-con", der sich falscher Anschuldigungen erwehren muss.

Manchmal brechen die Schnitte-, Blick und Handlungskaskaden ab und der Film intimisiert, musikalisiert sich. Eine lange, atmosphärische Szene über dem Fluss, mit einer ersten, albtraumartigen Rückblende. Das brutale, klaustrophobische Finale (insbesondere gibt es da einen Armdurchschuss, der irgendwie unheimlich lakonisch wirkt), dessen düstere Konsequenz von einem komischen Epilog wieder halb durchgestrichen wird. 68 Minuten nur braucht Nakahira für das alles.

Thursday, May 15, 2014

Tih Minh, Louis Feuillade, 1918, Episodes 1-3

Whatever else it may be about, Louis Feuillade's Tih Minh is about annihilation. About the deleting of something that once was, clearly, there. So far (after three of twelve episodes), annihilation comes in two variants: black and white. When the marquise deletes Tih Minh's memory image, only a black frame remains. The same happens shortly afterwards with a photograph of her sent to the hero, Jacques d'Athys: He wants to show it to one of his servants, but has to realize, that the whole image has faded into blackness. On the other hand, when another servant, played by the glorious Georges Biscot, carefully erases the dedication on the first page of a mysterious book, only white paper remains. A handwritten letter also fades into whiteness. So far the pattern is clear: images darken, until there is no image, text brightens until there is no text.

But the conspiracy at the very core of Tih Minh isn't only about the annhilation of images and texts. It wants to annihilate everything. How to fight such forces? Not, obviously, by falling back on positivism, by providing some tangible, material alternative to annihilation. The survival of society may be a concomitant circumstance of winning the battle, but this doesn't mean that d'Athys and his allies have any faith in the reality principle. Instead, they practice counter conspiracy. The poisonous, clear lotion is thrown out and replaced by another clear lotion: water. Negating the negative.

The women in white clothing, first seen roaming the "haunted garden", then, inside, scattered across the main hall of one of those huge, manorial buildings Tih Minh is set in, are the ultimate victims of annihilation. These women may have been spoiled daughters of wealthy families once; now, after having been abducted and robbed of both of their material possessions and their memory, they are, as one title card puts it, the "living dead", both terrified by the world around them, and themselves a source of terror for everyone who might get into contact with them. Even the forces of evil, the annihilators, have left them. These women have lost everything, even colour, even shades, maybe even individuality, they gather in small groups, as if to collect strength to follow up on the only thing that comes natural to them: curiosity. If there is any possibility left for the renewal of desire, this new desire won't be a desire for anything specific. Not a desire for, not a desire to, just desire.

The Legend of Hercules, Renny Harlin, 2014

Dass mir der Film gefallen könnte, hatte ich geahnt. Ich wollte aber lange nicht glauben, wie gut er tatsächlich ist. Von der ersten Einstellung, einem tracking shot (beziehungsweise: der CGI-Attrappe eines tracking shots), der unter Wasser beginnt, dann auftaucht, übers Meer gleitet, in eine antike Zauberwelt hinein, hatte ich schon gehört. Wunderbar, wie da offensiv die Künstlichkeit, das Gemachte ausgestellt wird: als etwas, mit dem man etwas machen kann. Dass die nächsten Szenen, der Prolog, der Hercules' Empfängnis und Geburt zeigt, dann auch hochgradig inspiriert gefilmt ist, in rasch auf- und zugefalteten 3D-Tableaus, und außerdem mit einer gehörigen Portion erotomanem Wahnwitz (in der Empfängnisszene...) unterfüttert ist, war für mich auch noch kein Garant: vielleicht ja nur ein Strohfeuer, das bald jenem allerhöchstens altmodisch braven, eher fürchterlich öden Sandalenfilmchen weicht, als den die Kritik The Legend of Hercules besprochen hat. Nicht die Bohne. Es geht einfach immer so weiter: Ein großartiges set piece reiht sich an das andere, die Gefühle überschlagen sich, fressen den plot samt Logik bald komplett auf. Was doch schief geht, geht nicht auf öde, sondern auf spektakuläre Weise schief; vor allem die Farbskalierung scheint immer wieder aus dem Ruder zu laufen. Aber das auch nur, weil Harlin eben nicht auf Nummer sicher geht, weil er jede Szene neu und eigen einfärben möchte. Wie Mario Bava.

Ein durch und durch exzentrischer Film.

Faschistischen Muskelblödsinn wie die 300-Filme oder zuletzt auch Lone Survivor zu fetischisieren, bzw als queer camp umzudeuten, leuchtet mir nicht so recht ein (was nicht heißen soll, dass ich mich in Fetische fremder Leute einmischen möchte...). Das sind so fürchterlich funktional gedachte Bilder, dass sie höchstens als Pornoersatz funktionieren können. Und es ist ja nicht so, dass es heutzutage schwer wäre, echte Pornos aufzutreiben... The Legend of Hercules dagegen ist in vielen Szenen einfach nur schwules Kino, ganz ohne camp und Porno. Und zwar in den Szenen mit Lutz und Liam McIntyre. Wenn sie nach ihrer Gefangennahme mit nacktem Oberkörper Rücken an Rücken beisammen sitzen, während die Kamera sie umkreist, um die beiden herum weitere nackte, erschöpfte bis tote Männerkörper. Beide haben wie Vieh in Western mit dem Eisen Zeichen auf den Oberkörper gebrannt bekommen, schon das stiftet eine Verbindung. McIntyre verschluckt während des Gesprächs Tränen. Wenn dann später Lutz wieder und wieder für McIntyre kämft, in den diversen Arenen, erst im Wasser, dann auf Felsen über Abgründen, schließlich, nachdem er seinem Gefährten die Freiheit ermöglicht hat, in einem waschechten Stadion vor CGI-Publikum.

McIntyres als Sotiris ist eh der größte Glücksfall in einem rundum fantastischen cast. Selten habe ich einen so verletztlichen, empfindlichen, expressiven Mann auf der Leinwand gesehen, ziemlich sicher noch nie eine derart antiheroische Figur in einem Muskelfilm. Jede Geste ist immer gleich schon Ausdruck; deren schönste vielleicht das Aufjaulen nach einem gewonnenen Gladiatorenkampf, neben ihm der im Schlamm ertrunkene Gegner, von dem er sich, scheint er zu erkennen, nur in einer einzigen Hinsicht unterscheidet: Er atmet noch. Eigentlich braucht es noch nicht einmal eine Geste, es genügt, wenn er einfach nur bedröppelt dasteht, mit seinem Bart auf dem dünnen Gesicht. Auch das Gespräch mit seinem komisch geisterfilmartigen Sohn ist ein Kinoglücksmoment.

Nicht nur McIntyre bricht die Stimme weg, in jener Szene, in der er Lutz eigentlich seine Liebe gestehen müsste, wenn das denn erlaubt wäre im Mainstreammoralkino. Auch viele andere Stimmen sind brüchig: Die der Seherin, die Hercules das Vertrauen zu seinem Göttervater lehrt, die von Hercules' Mutter, wenn sie an ihrem Schicksal verzweifelt. Sogar Lutz selbst: Seine rauhen Schlachtenrufe am Ende sind vermutlich martialisch gemeint, anstatt an 300 musste ich aber eher an Aldo Rays fragil anmutende Stimmbeschädigung denken. (Vielleicht passt das eh: Lutz als neuer Aldo Ray, er muss einfach mal ein paar Wochen lang das Fitnessstudio ausfallen lassen...) Um wieviel toller ist dieser Hercules auch als die Superhelden der letzten Jahre: Zum Übermenschen wird er nicht durch den inneren Willen zur Macht, sondern einfach durch die geborgte Kraft der Götter. Die sie ihm auch jederzeit wieder nehmen könnten, das sieht man besonders deutlich gerade in jener Szene, in der er auf dem Höhepunkt seiner Fähigkeiten angekommen ist und mit einem Blitzschwert die Widersacher niedermäht: er hat diesen wild und eindeutig etwas zu chaotisch rotierenden Spezialeffekt nicht so recht unter Kontrolle.

Das eine große Problem, das der Film hat: Die Frauen werden an den Rand gedrängt, sie sterben durchs Messer, während Umarmungen. Umarmen und Erstechen fällt in eins: Das ist, was von der heterosexuellen Liebe bleibt. Zumindest am Königshof. Die Liebe von Hercules und Hebe ist anders, sie hat ihren Platz abseits der Gesellschaft, im Wasser, im Wald (und es gibt noch die göttliche Liebe, die Liebe der Mutter im Bett mit den flatternden Vorhängen...), aber selbst Hebe, selbst Gaia Weiss mit ihrer voluminösen Frisur, die in einer der trotzdem schönsten Sexszenen des Kinojahres vibrierend unter Lutz liegt und ihm an der Lippe nagt, wird immer wieder abgedrängt, beibt wenn es darauf ankommt doch immer oben am Burgeck stehen, wenn die Männer losziehen. Ein Möglichkeitsfenster scheint sich in jenem Moment zu öffnen, in dem der Film ihr, wie sie wieder einmal dort oben steht, eine Subjektive gönnt. Aber man sieht in diesem Moment auch: Selbst wenn sie handeln dürfte, sie könnte doch nichts anderes tun, als in den Tod zu springen.

Kaum zu glauben, dass gleich zwei Sandalenfilme die bislang mit Abstand besten Hollywoodfilme des Jahres sind. Auf Anhieb tue ich mich sogar schwer damit, zu entscheiden, ob mir Pompeii besser gefällt oder The Legend of Hercules. Es wird am Ende wohl doch auf den Film von Anderson hinauslaufen, den ungleich klügeren und radikaleren der beiden (und schon auch den technisch besseren; die Kampfszenen bei Harlin sind zwar ehrlich und brutal, aber auch etwas eintönig). The Legend of Hercules ist romantisch aufbrausend, wo Pompeii slow burning relaxed bleibt (nur, um einen dann mit den tracking shots der Katastrofenszenen umso härter zu treffen). Und wo Pompeii eine sich stets kognitiv navigierbar anfühlende Welt Baustein für Baustein aufbaut (nur, um sie dann umso gründlicher wieder einzureißen), sind die Verbindungen zwischen den Schauplätzen bei Harlin maximal locker, die Übergänge oft traum- und schockartig.

Das 3D ist tatsächlich besser als in Pompeii. Vielleicht das beste (zumindest das beste seiner Art, also das beste, das offensiv vorgeht) seit Resident Evil 4. Besonders toll die Szene, in der Hercules mithilfe seiner Handfesseln zwei Felsblöcke wider seine Gegner und das Publikum schleudert: Das kann die 3D-Technik eben auch: Einen mit völlig unbehauener Wucht zermalmen. Am Ende blickt Lutz in den Himmel, der Sternenhimmel ist ebenfalls dreidimensional modelliert. Als am hellsten leuchtender Stern taucht dann, völlig zu Recht, ein Name auf: Renny Harlin.

Es lohnt sich, diesen Film anzusehen. In der originalen Sprachfassung, in 3D und im Kino, solange das noch geht, bevor die DCPs demnächst in den Mülleimer geworfen werden.

There is no such thing as bad cgi.

Tuesday, May 13, 2014

Der gekaufte Traum, Helga Reidemeister / Eduard Gernart, 1977

Eine Einstellung braucht der Film nur, um das nordbayrische Laina als die Hölle auf Erden zu kennzeichnen, als die der Ort dem jugendlichen Michael, der dort ein Jahr lang in einem evangelischen Erziehungsheim ("Drehverbot!") untergebracht war, vermutlich erschien. Viel zu sehen ist von dem 7000-Einwohner-Nest gar nicht, im Vordergrund stehen Bäume, durch die hindurch kann man ein paar Häuser erahnen, irgendwo eine Kirchturmspitze. Die Texteinblendung: 2 Kirchen, 1 Erziehungsheim. Irgendwo bellt ein Hund.

Derart Ökonomisches steht unbehauen neben Szenen, die ins Leere laufen, in die ewige Repetition: Er hat sich fünf Mark verdient, weil er sie mir geben wollte, dann habe ich sie mir wieder genommen. Aber er hat sie sich doch verdient. Um sie mir zu geben, und wie er sich dann aufgeführt hat, da musste ich sie ihm einfach abnehmen. Damit hatte er nicht gerechnet, dass ich sie ihm abnehme. Aber er hatte sie sich ja verdient. Eines der jüngeren Kinder kriecht während des Gesprächs, das zwei Schwestern miteinander über Michael, den Sohn der einen, führen, unter den Tisch.

Unbehauen stehen auch zwei Ambitionen, zwei Projekte nebeneinander. Einmal geht es darum, Biografien erzählbar zu machen. Zur Seite gedrängte Existenzen, die sich fortschreiben, über Generationen, von Heimaufenthalten zu Hilfsschulen, von Fabrikarbeit im Jugendalter zu späterer Arbeitslosigkeit. Andererseits geht es darum, Alltag erfahrbar zu machen, in langen Einstellungen, die in ihren Fokussierungen und Auswahlen weitgehend beliebig scheinen, die Familie bei Frühstücksvorbereitungen zeigen, beim Putzen (blitzsauber die Wohnung innen, verstaubt und abgewrackt die Welt vor der Tür; bedrückend die Vogelperspektive der Spielplätze direkt neben den Parkplätzen, die vereinzelten Kinder, die in den Lücken der Parzellierung umherschwirren. Ein wenig zu polemisch wird es mir, wenn die bloßen Fassaden der Hochhäuser zum abstrakten Untergrund der anklagenden Schrifteinblendungen werden - da bleibt von der Architekturkritik nur noch die Fortschrittsfeindlichkeit). Das dritte, soziologisch-analytische Projekt, bleibt Andeutung.

Die Szenen mit Michael gehen in keinem der Projekte auf. Er liegt einmal, siebzehnjährig, auf einer grün leuchtenden Wiese, später sitzt er (offensichtlich Jahre später) vor einem Schneideplatz, alleine, bei der Familie lebt er schon lange nicht mehr. Als einzigem im Film scheint es ihm da zu gelingen (oder erlaubt es der Film nur ihm, weil er nur ihn isoliert?), eine Sprache zu finden, die nicht hoffnungslos überdeterminiert ist von den Zwängen der Gegenwart. Dass man nicht Träume ersetzen solle, sondern die Realität, hatte es im Film zu Beginn geheißen. Der Film scheint "Traum" mit dem Mercedes des Vaters in eins zu setzen. Ich weiß nicht, ob mir das gefällt.

Tuesday, May 06, 2014

Christmas Holiday, Robert Siodmak, 1944

Ein Film wie aus einer anderen, von der unseren sanft, aber entschieden enthobenen Welt: Er heißt "Christmas Holiday", handelt jedoch von einem Höllentrip. Überall stehen Weihnachtsbäume herum, die plötzlich aber nur noch bizarr wirken (ist ja auch eine bizarre Idee, sich einen Baum ins Haus zu stellen und dann auch noch zu schmücken). Deanna Durbin und Gene Kelly spielen ein Liebespaar, aber der romantische Überschwang übersetzt sich in einen Alptraum.

Auch in den Details ein sonderbarer Film. Es gibt noch einen zweiten Mann für Durbin, einen jungen, seinerseits gleich zu Beginn mit einer abtrünnig gewordenen Verlobten geschlagenen Soldaten, gespielt von dem seltsam unterdefiniert aussehenden Dean Mason (nicht die Spur gelebten Lebens im Gesicht). Dass Deanna noch einen zweiten Mann braucht neben dem infernalischen Kelly, leuchtet ein. Dass die Geschichte, die sich zu weiten Teilen über Rückblenden als ihre Erinnerung ausbreitet, mit diesem zweiten, eigenschaftslosen Mann einsetzen muss, leuchtet ganz und gar nicht ein. Erst einmal.

Denn diese Volte hat ihren eigenen Reiz: Nur, weil er so wenig eigenen Ballast mit sich herumschleppt (nur ein Telegramm der Verlobten, die ihrerseits nicht im Film auftaucht), kann er sich ganz auf die neue Bekanntschaft einlassen. Er lernt nicht nur einen neuen Menschen kennen, sondern auch gleich dessen Vergangenheit, Sehnsüchte, Träume; die er in gewisser Weise als die eigenen übernimmt.

Das erste Treffen der beiden ist großartig inszeniert (überhaupt: Siodmaks Meisterschaft spricht aus jeder einzelnen Szene...); sie ist Nachtclubsängerin, nach ihrem Auftritt stellt Richard Whorf (!) als wundervoll schmieriger Reporter (?) sie ihm vor, mit dem Hinweis darauf, dass es wohl nicht allzu schwierig sei, ihre Bekanntschaft zu machen. Die beiden sitzen am Tisch, sichtlich unangenehm berührt davon, dass an einen wie auch immer direkten, ehrlichen Kontakt nicht zu denken ist, dass an ihre Bekanntschaft von Anfang an Ansprüche gestellt werden, von Außen her. Whorf schwirrt in der (ihrerseits starren) Einstellung herum, schiebt sich zwischen sie, außerdem steht eine durchaus bizarre, wachsüberlaufene Kerze zwischen ihnen (als Phallussymbol, und auch sonst, ein reichlich obszönes Ding), an dem Mason herumzuspielen beginnt. Vielleicht er und sicher die Zuschauer erkennen, dass das ihr Leben ist: Eine fremdbestimmte Existenz, die einem die Luft zum Atmen nimmt. Dass sie diese Existenzform mit Liebe verwechselt, wird erst später klar.

Es folgt eine außergewöhnliche Kirchenszene. Ausführlich und quasidokumentarisch wird ein Gottesdienst abgefilmt, teils in spektakulären Totalen. Mason verfolgt das religiöse Spektakel als einziger Besucher stehend. Er gehört ganz offensichtlich nicht dazu - während Durbin in der Zeremonie aufgeht, am Ende in Tränen ausbricht. Schon da sieht man, was Mason für sie wäre: Eine säkulare Alternative. Leider aber auch eine ziemlich sexlose (was man erst richtig sieht, wenn Gene Kelly auftaucht).

Ein komplexer, durch und durch eigenartiger Film; es gibt später eine Konzertszene, die ähnlich inszeniert ist wie die Sequenz in der Kirche, in der es denselben dokumentarischen Überschuss zu geben scheint. Aber erst einmal beginnt, wenig später, die ausführliche Rückblende, die den Hauptteil des Films ausmacht. Erst jetzt taucht Gene Kelly auf, man sieht, wie Durbin ihm verfällt. Toll immer wieder ihr Gesicht: Oft fast ganz weiß ausgeleuchtet, die Züge wie vorsichtig und zart mit Tusche aufgetragen. Toll, wie am Ende in der Schlüsselszene des Films Kellys Gesicht einen harten Schatten auf dieses weiche Antlitz wirft. Was einerseits die sexuelle Dimension dieser Beziehung (und des Films) auf den Punkt bringt, andererseits den Untergang der Beziehung einläutet: mit einem solchen Übergriff kann Durbin nicht umgehen.

Wie eine femme fatale sieht Durbin natürlich von Anfang an nicht aus, sie bleibt das etwas pausbäckige Mädchen vom Lande; zumindest bis kurz vor Schluss, bis zu dem exzessivsten Moment des Films, wenn sie, unmittelbar nach dem Schattenwurf Kellys über ihr Gesicht, erkennt, dass sie diesen Mann doch nicht lieben kann, wenn dann ihr Gesicht zu einer Art Wachsmaske wird, wenn alles, was dieses Gesicht zusammengehalten hatte, aus ihm zu entweichen scheint.

(Es gibt zwischendurch noch lange Passagen mit Kellys Mutter, die es mit so mancher Hitchcock-mom aufnehmen könnte. Beeindruckt hat mich an ihr ihre Betonfrisur, in die eine Sträne eingefärbt ist wie ein Markenzeichen. Die Wohnung, in dem Kelly mit seiner Mutter lebt, hat etwas von einem verwunschenen Märchenschloss: von Außen umrankt von allerlei Gestrüpp, im Ofen werden Beweisstücke verbrannt... Die Hexenmutter verschwindet so plötzlich wieder aus dem Film, wie sie aufgetaucht ist.)

Großartig und auch schwer lesbar ist das Ende. Auf den ersten Blick wird das sakrale Motiv wiederaufgegriffen, das seinen Ausgang in der Kirchenszene genommen hatte. Durbin blickt gen Himmel, die Wolken ziehen beiseite, die (eh ständig präsente) Musik schwillt an, "The End". Es gibt aber kurz vorher einen Moment, der im religiösen Pathos nicht aufgeht. Während Durbin sich noch über ihren toten Ehemann beugt, schneidet Siodmak auf Mason. Dieser Schnitt ist nicht durch einen Blick motiviert, auch nicht durch eine Aktion Masons, der zu diesem Zeitpunkt eigentlich schon aus dem Film gefallen ist. Er steht da wieder, nach wie vor sehr grundsätzlich unlesbar, als säkulare Alternative, als ein Körper, an das sich eigentlich ein Begehren, Durbins Begehren heften könnte; allein, es klappt nicht, es bleibt nur der Blick in den Himmel, die Flucht in die Transzendenz.

Wieder und wieder erkenne ich, wenn ich Filme sehe wie Christmas Holiday, dass mir die Klassik des Kinos näher ist als die Moderne des Kinos; dass das vermutlich immer so sein wird. Klassik im Kino heißt gerade nicht: organischer, runder Stil, in sich selbst ruhende Balance von Form und Inhalt. Auch das klassische Kino ist eines, das immer schon aus dem Ruder läuft. Der Unterschied besteht vielleicht eher darin, dass im klassischen Kino sowohl das aus-dem-Ruder-Laufen, als auch der (wenn man genau hinschaut, nie ganz triumphierende) Drang zur Kohärenz etwas weniger narzisstisch unterfüttert sind. Es gibt, anders ausgedrückt, nicht das Meisterwerk als Horizont, gegen den es anzufilmen gilt.