Chaharshanbe-soori / Fireworks Wednesday, Asghar Farhadi, 2006
Rouhi wird bald heiraten. Ihr Verlobter taucht nur zweimal im Film auf, ganz am Ende und ganz am Anfang. In der ersten Szene fährt er Mofa. Rouhi sitzt auf dem Rücksitz und betrachtet Fotos. Die interessanteren hält sie ihm gelegentlich vor die Augen und wundert sich dann trotzdem, als das Mofa umkippt. Genau genommen ist ihr Tschador daran Schuld, der nach seinem ersten Auftritt als Verkehrsgefährdung auch im weiteren Verlauf eine wichtige Rolle spielen wird, vor allem durch seine Abwesenheit.
Das junge, naive Glück der beiden hat zwar keinen sichtbaren Platz im weiteren Verlauf des Films, gerät aber nie ganz in den Hintergrund und dient als Kontrast zu einer weitaus komplexeren, problematischeren Beziehung. Letztere spielt sich in einem Mietshaus ab, in welchem Rouhi einer Familie beim Ausmisten ihrer grotesk chaotischen Wohnung behilflich sein soll. Die Ehe der Wohnungsbesitzer ist so unwirtlich wie die Zimmer, in denen sie leben. Die krankhaft, wenn auch möglicherweise nicht grundlos eifersüchtige Mojdeh zerstört sich langsam aber sicher selbst und treibt nach und nach auch die Menschen in ihrer Umgebung ins Verderben.
Das Verderben ist - und das zeichnet den Film vor allem Anderen aus - in erster Linie ein soziales. Chaharshanbe-soori ist ein Film über Hausfrauenklatsch und die sozialen Voraussetzungen, auf denen er basiert und die er bearbeitet. Wunderschön klar artikuliert ist Farhadis Film in dieser Hinsicht. Da der soziale Status iranischer Frauen sich über die Kleidung nur bedingt erschließen lässt, wächst der Stellenwert des Make-ups: Die Frauen in dem Mietshaus entstammen der oberen Mittelklasse und sind, die gespenstisch blasse Mojdeh ausgenommen, infolgedessen geschmackvoll (für europäische Verhältnisse: üppig) geschminkt, während die aus ärmeren Verhältnissen strammende Rouhi zunächst gar kein Make-up trägt und bei ihrem ersten Besuch im Schönheitssalon dann etwas zu dick auftragen lässt. Das veränderte Aussehen führt zu einer veränderten Stellung in der sozialen Ökonomie des Mietshauses.
Chaharshanbe-soori ist ein Film der abschätzenden / abschätzigen Blicke, der genau kalkulierten Gesten und Bemerkungen. Farhadi verräumlicht Abhängigkeiten und soziales wie sexuelles Verlangen architektonisch und filmisch. Viel findet vor dem Haus statt, die einzelnen Wohneinheiten sind nur unzureichend voneinander isoliert, anstatt einer strikten Trennung zwischen Privatem und Öffentlichem konstruiert Farhadi fließende Übergänge in einem kontinuierlich halb-öffentlichen Raum. Mojdeh, die sich immer mehr am unteren Ende der Hierarchien, die eben nicht nur ökonomische sind, wenn sie auch stets von diesen abgeleitet bleiben, wiederfindet, flüchtet sich in einigen Szenen in das Badezimmer, in den einzigen Ort, der eine reine Privatheit zu versprechen scheint. Doch auch dort lauscht sie am Lüftungsschacht. Zwanghaft übertreibt sie die Prozeduren, vor denen sie eigentlich zu fliehen versucht.
Die Übertragung der neorealistischen Ästhetik des postrevolutionären iranischen Kinos auf ein Mittelklassepersonal funktioniert ausgesprochen gut (am Drehbuch war Mani Haghighi beteiligt, dessen Men at Work etwas Ähnliches auf eine allerdings ganz andere Art und Weise versucht; Farhadi und Haghghi arbeiteten auch gemeinsam an Haghighis mir noch unbekanntem Folgefilm). Farhadi inszeniert mit einer Eleganz, die sich meist versteckt und sich auch dann, wenn sie nicht mehr zu übersehen ist, nicht aufdrängt. In einer Schlüsselszene etwa setzt der Film, der (mit einer Ausnahme) auf nichtdiegetische Musik verzichtet, Fahrstuhlmusik (auch Fahrstuhlmusik war mir im iranischen Kino glaube ich bisher noch nie untergekommen) auf brilliante Art und Weise als halbironischen Kommentar ein. Und eine längere Passage gegen Filmende durch die Stadt, in der die Feierlichkeiten zum neuen Jahr von Bürgerkriegsbildern nicht leicht zu unterschieden sind, ist schlicht und einfach großartig. Allerdings fügt sich auch diese Szene nicht so eindeutig zur Allegorie, wie sie das etwa bei Jafar Panahi getan hätte. In Chaharshanbe-soori weisen die Figuren zwar durchaus, aber weniger ausschließlich über sich hinaus, sie gewinnen mehr, insbesondere psychologischen, Eigenwert. Chaharshanbe-soori ist auch in seiner Form ein wenig bourgeoiser als die meisten anderen iranischen Filme. Er ist das freilich auf eine wunderbare Art.
Ye che / Night Train, Diao Yinan, 2007
Ein Mann und eine Frau lernen sich bei einer wenig glanzvollen Single-Party kennen. Sie ist eine Henkerin und er ein Loser. Sie vollstreckt das Todesurteil an seiner Frau. Er beginnt, sie zu stalken. Sie weiß nicht, was er mit ihr vorhat und ist mal neugierig, mal verängstigt. Auch er weiß nicht so recht, was er mit ihr vorhat.
Schnell wird klar, dass Diao Yinan sich an die Regeln des panasiatischen Kunstkinos hält. Spätestens die vierte oder fünfte Szene im Film verrät ihn: Mann und Frau unterhalten sich in einem überfüllten Bus. Sie stehen nicht nebeneinander, sondern mehrere Meter voneinander entfernt, jeweils eingeklemmt zwischen anonymen Leibern. Die Kamera verstärkt ihre Isolation, anstatt sie zu vermindern. Ohne die Möglichkeit eines Blickkontakts tauschen sie ein paar belanglose Floskeln aus und schweigen sich dazwischen beharrlich an. Fast schon parodistisches Potential hat diese Sequenz.
Was alles nicht heißen soll, dass Night Train völlig derivativ und öde wäre. Der Film ist deutlich interessanter als der Vorgänger Uniform, ein nun tatsächlich ganz und gar vorhersehbares Jia-Derivat, und hat durchaus seinen ganz eigenen Reiz, nur leidet er eben doch an den Grenzen einer Ästhetik, die zu oft weder Ausdruck einer originellen Autorenposition zu sein scheint, noch eine genuin filmische Auseinandersetzung mit dem Material. Sondern eher so etwas wie die default choice im aktuellen world cinema.
Ye che hat seine stärksten Momente immer dann, wenn er sich der Tristesse seines Gegenstandes anders als bloß mimetisch nähert. In einer Szene früh im Film kippt ein leicht debiler Flirt ohne Vorwarnung in einen Vergewaltigungsversuch, der ebenso abprupt wieder abgebrochen wird. Diao filmt diese Sequenz in expressiver Großaufnahme vor einem Fenster, hinter dem der Blick frei wird auf ein düsteres Industriepanorama. Das entstehende Bild sieht dann mit einem Schlag mehr nach einer Rückprojektion im Stil des klassischen Hollywoods aus als nach Realismus.
Ebenfalls gefallen kann die gesamte, sehr ausgedehnte Schlusssequenz, die zwar in noch tristerer Umgebung als der restliche Film situiert ist, aber in fast (ein starkes "fast", möchte ich doch hinzufügen) hitchcockscher Manier einen Spannungsbogen ausarbeitet. Die tiefgreifende Ambiguität der letzten Schwarzblende verdient sich der Film in dieser glänzenden Schlussphase hart und redlich.
Muss nicht sein
Wer in den Himmel des world cinema will, muss erst durch die Vor/Kurzfilmhölle. Meine dringende Bitte an die Organisatoren der Filmreihe "In 14 Filmen um die Welt": Lasst das in Zukunft bleiben!
Mit dem ersten Film gehe ich mit dir d'accord, aber beim zweiten habe ich so meine Bauchschmerzen ...
ReplyDeleteOb man "Night Train" jetzt wirklich so schell zum neuen "panasiatischen Kino" dazurechnen kann ... Ich bin jedenfalls noch nicht fertig mit dem Film.
Zudem greift mir die Kritik über "Zhou Ye" etwas zu kurz. So schnell würde ich über die feine, subtile und komplexe Mise en Scene nicht hinwegschreiben wollen, zu mal sie ,wie mir scheint, deutliche Anleihen an europäische Vorbilder macht. Aber das ist hier nur ins Unreine formuliert ... :-)
Zhou Ye? Da musst Du mir auf die Sprünge helfen... Oder ist das eine andere Umschrift für Ye che?
ReplyDeleteAnsonsten: In meinen Texten hier ist auch sehr viel ins Unreine geschrieben, ich folge einem Gedanken und werde damit den Filmen sicher nicht immer hinreichend gerecht (noch dazu, weil ich die Filme, über die ich schreibe, normalerweise nur einmal gesehen habe). ZB hat mir "Uniform" (der Vorgängerfilm des Regisseurs), als ich ihn gesehen habe, zuerst ganz gut gefallen. In der Rückschau und gemeinsam mit dem Nachfolger dann aber weit weniger.
Wie dem auch sei: Interessant fand ich den Film durchaus auch, vor allem das seltsame, intensive Ende und ich bin schon gespannt, was da noch kommen wird.
Sorry ich hab mich vertippt - ich meinte "Zou you /In Love We Trust" (Berlinale 08); du verlinks auf den Film mit "panasiatisches Kunstkino"...
ReplyDeleteHatte jetzt nur bedingt etwas mit "Night Train" zu tun, aber ich wollte nicht unter den alten Artikel etwas posten ;-)
Du hast völlig recht, das einmalige Sehen reicht oftmals nicht!
Doch bei erbärmlichen Schrott, wie "Johnny Mad Dog" ist es wieder eine Wohltat, dass die eigenen Augen diesen Mist nie wieder sehen müssen ... Sorry aber ich muss wieder würgen ...