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Thursday, November 05, 2015

Karl Kels

Zwei Filmprojektoren hatte der Neuköllner Kunstraum Spektrum ausgeliehen und nebeneinander auf Holzböcken aufgebaut: Ein 16mm-Gerät, mit dem im ersten Teil des Abendprogramms neun auf einer Rolle gekoppelte 16mm-Filme von Karl Kels vorgeführt wurden. Und ein 35mm-Gerät, durch dem im zweiten Teil Kels' 35mm-Film Sidewalk ratterte. Tatsächlich hatte ich vorher noch nie ein 35mm-Screening mit Projektor im Zuschauerraum erlebt, anders als das sanfte Summen des 16ers lässt sich das deutlich lautere Arbeitsgeräusch des größeren Geräts nicht so ohne weiteres ausblenden, schon gar nicht bei einem stumm konzipierten Film.

Möchte man den Filmen Kels' ein - auch noch allen oder wenigstens den meisten gemeinsames - Thema unterstellen (der Regisseur würde sich dem höchstwahrscheinlich verwehren), könnte das die Modularisierbarkeit der Welt sein. Jeder Weltausschnitt (grundsätzlich ist "Weltausschnitt" in den Kels-Filmen immer raumzeitlich gedacht; mal mehr vom Raum, mal mehr von der Zeit her, allerdings) lässt sich in eine Anzahl distinkter Elemente zerlegen. Wenn man nur genau und lange genug hinschaut, und sich dabei, mithilfe der zumeist komplett starren Kamera (regelrecht verstörend erscheinen die Bewegungen, die nach all der Stillstellung in Ofen, einem faszinierenden, aber auch anstrengenden Ausnahmefilm im Programm, auftauchen), alle Vorurteile über die Welt abtrainiert. Die Modularisierbarkeit transzendiert die Unterscheidung von Natur und Kultur, sie läßt sich auf Nashörner genauso anwenden wie auf Kondensstreifen und Friseursalons.

In den ältesten Filme des Programms - Heuballen, Kondensstreifen, Schleuse - dominieren einfache Formen und gerade Linien. Die späteren Filme zeigen, dass Modularisierung nicht zwangsläufig bei mondrianartiger Abstraktion enden muss; auch ein Nashorn ist ein distinktes Element, kann in der Montage an- und ausgeknipst werden (und verwandelt sich dabei in ein Nashorn-Passepartout). Tatsächlich führen alle Filme ab dem Nashornfilm die Unterscheidung zwischen statischen und bewegten Elementen ein (wobei schon in Kondensstreifen ein Vogel durchs Bild fliegt). Schon in Prince Hotel, noch deutlicher in Sidewalk, wird dann menschliches Verhalten als modularisierbar vorgeführt. Insofern kann man das Programm auch als einen Durchgang durch Genres des Dokumentarischen betrachten: von Natur- und Industrie- über Tier- und Portrait- bis hin zu ethnografischen Filmen. Alle diese Genres werden per Modularisierung an einen formalistischen Nullpunkt gebracht.

Am meisten beeindruckt haben mich Kondensstreifen und Prince Hotel. Kondensstreifen geht von einem vorgefundenen Muster aus - einem nach einer Seite hin offenen Dreieck, das der Kondensstreifen eines Flugzeugs gemeinsam mit einer Stromleitung bildet - und übersetzt sie in ein filmisches Muster. Als verfügbar, bzw modularisierbar wird dabei nicht nur der Bildraum in allen seinen Dimensionen und Spiegelverhältnissen vorgeführt, sondern auch die Emulsion, die in allen Bildpartien an und ausgeknipst werden kann. Kondensstreifen ist in diesem Sinne die Interferenz der beiden Unterscheidungen Welt / nicht Welt und Film / nicht Film. Wenn Kondensstreifen der, tja, kondensierteste Kels-Film ist, ist Prince Hotel der expansivste. Der Film ist in New York entstanden, in der Bowery und wählt als sein zentrales Motiv ältere Männer, die am Straßenrand oder in Hauseingängen sitzen und die gleichzeitig Subjekt und Objekt der Modularisierung sind: Sie segmentieren den Raum und die Zeit des Films, werden aber selbst ebenfalls zerlegt, in Körperpartien (Brustwarzen) und Mikrohandlungen. Ein Film, der beständig abschweift, überall Struktur findet, diese Strukturen aber in ihrer Vielgestaltigkeit zulässt.

Über zwei der 16mm-Filme finde ich im Internet außerhalb der Spektrum-Ankündigung keinerlei Informationen: Little Eddy und Barber Shop ("Barbor Shop" heißt es in der Ankündigung) könnten als Beiprodukte von Prince Hotel entstanden sein. Der erste zeigt ungefähr eine Minute lang ein einzelnes, isoliertes Gesicht, das nicht ganz klassisch, weil mit der Konvention verglichen etwas zu tief geframt ist und das deshalb nicht ganz fest in der Einstellung verankert zu sein scheint. Der zweite ist eine elegante Miniatur über einen Frisiersalon, in dem eine junge schwarze Frau einen Irokesenschnitt verpasst bekommt. Nachdem sie den Salon verlassen hat, zerlegt Kels den Salon in einzelne Elemente. Einmal filmt er eine glänzende Messingschale, in der als Spiegelung er selbst hinter seiner Kamera sichtbar wird.

Saturday, March 21, 2015

Ítél a Balaton, Pál Fejös, 1932

Der erste Film, den ich von Fejös gesehen habe. Gleich auf Anhieb Begeisterung. Schon wie die ersten Einstellungen, Aufnahmen der platten, aber immer schon ornamental, fast dramaturgisch durch Vordergrundobjekte gerahmten gleißend illuminierten Weite des Balaton den Blick schulen... (Dazu in der deutschen Fassung ein mystizistisch schwadronierender Voice Over, vorgetragen in einer Stimme, die den Unsinn, die sie vorträgt, in ihrem Tonfall mimetisch zu verdoppeln sucht - Werner Hochbaums Synchronbearbeitung ist nicht gerade eine Meisterleistung, das beste, was man über sie sagen kann, ist, dass sie sich nicht in den Vordergrund drängt und deshalb dem Film nicht viel anhaben kann.)

Eine Weile springt Ítél a Balaton dann hin und her zwischen dokumentarisch anmutenden Passagen (ethnografische Miniaturen vom Fischfang, liebliche Naturpanoramen, dazu viel Gesang) und einem Melodram, bei dem eine Frau zwischen drei Schnurrbärten zerrieben zu werden droht: Der buschig bebärtigte Vater will, dass sie einen braven, etwas lethargischen Allerweltsschnurrbart ehelicht, sie hat es auf einen schmalen, hochenergetischen, immer etwas schief und ungehörig über ewig bebenden, entsetzlich blassen Lippen klebenden Extremistenschnurrbart abgesehen. Und der auf sie. Toll ist dann, wie auch die dokumentarischen Bilder von den freidrehenden Schnurrbärten heimgesucht werden. Der schmale, nervöse Bart vor allem zerstört jeden billigen Eindruck autarker Ursprünglichkeit, wenn er wild entschlossen durchs Dorf stapft. "Du kannst Deine Frau nicht halten, deshalb fängst Du auch keine Fische mehr," meinen die anderen Männer des Dorfes derweil zu seinem Kontrahenten. Die Gemeinschaft zersetzt sich selbst, die Produktion stockt.

Am Ende, nach einer ziemlich wahnwitzigen Szene, in der sich die Dorffrauen wie die einzelnen Beeren eines Traubenbündels (eine elegantere Formulierung konnte ich trotz Wikipedia auf die Schnelle nicht auftreiben) um ein Kruzifix versammeln, an dem ein seltsam unplastischer Jesus eher klebt als hängt, stellen sich auch die Elemente ganz in den Dienst der selbst- und gesellschafts- und traditionszerstörerisch energisierten Schnurrbärte: Es geht während eines Sturms hinaus auf den See, auf den Balaton (gleichzeitig freilich: hinein ins Studio), in dem man ja eigentlich kaum ertrinken kann, wie M. nach dem Kino meinte. Der eine Schnurrbart freilich gibt sich alle Mühe, und zum Schluss hat er Erfolg.