Showing posts with label Il Cinema Ritrovato 2012. Show all posts
Showing posts with label Il Cinema Ritrovato 2012. Show all posts
Sunday, July 01, 2012
Il Cinema Ritrovato 2012 ranking
*****Man's Castle (Frank Borzage, 1933)
*****Gardiens de phare (Jean Gremillon, 1929)
*****Le ciel est a vous (Jean Gremillon, 1944)
*****Twilight's Last Gleaming (Robert Aldrich, 1977)
[*****La Grande Illusion (Jean Renoir, 1937)]
*****La nave ledde donne maledette (Raffello Mattarazzo, 1953)
*****The Thief of Bagdad (Raoul Walsh, 1924)
*****Remorques (Jean Gremillon, 1941)
*****Wild Girl (Raoul Walsh, 1932)
*****Pattes blanches (Jean Gremillon, 1948)
*****Yoshie no furusato (Kenji Mizoguchi, 1930)
*****Point Blank (John Boorman, 1968)
*****Hard to Handle (Mervyn LeRoy, 1932)
*****Bonjour Tristesse (Otto Preminger, 1958)
****Band of Angels (Raoul Walsh, 1957)
****Me and My Gal (Raoul Walsh, 1932)
****The Mystery of the Hindu Image (Raoul Walsh, 1914)
****Symphony of Life (Ivan Pyryev, 1948)
****Geule d'Amour (Jean Gremillon, 1937)
****Joriku daiippon (Hiroshi Shimazu, 1932)
****David Golder (Julien Duvivier, 1931)
****Distant Drums (Raoul Walsh, 1951)
****The Immigrant / The Rink / Easy street (Charlie Chaplin, 1916/17)
****L'etrange Monsieur Victor (Jean Gremillon, 1929)
****Lewat Djam Malam / After the Curfew (Usmar Ismail, 1953)
****Sailor's Luck (Raoul Walsh, 1933)
[****Komedie om geld (Max Ophüls, 1936)]
***Gabriel Over the White House (Gregory La Cava, 1933)
***The Dumb Girl of Portici (Lois Weber / Phillips Smalley, 1916)
***The First Born (Miles Mander, 1928)
***The Big Knife (Robert Aldrich, 1955)
***Pillars of Society (Raoul Walsh, 1916)
**What Price Glory (Raoul Walsh, 1928) (nicht komplett gesehen)
*Cossacks of the Kuban (Ivan Pyryev, 1950)
[] = keine Erstsichtung
Wednesday, June 27, 2012
Il Cinema Ritrovato 2012, Tag 2 und 3
Fujiwara Yoshie no furusato / Home Village, Kenji Mizoguchi, 1930
Ein Opernsänger hat Erfolg, wird überherblich und stürzt ab - und kann eigentlich gar nicht singen; ein anderer Opernsänger hat Erfolg, wird überheblich, stürzt ab - kann dann am Ende aber eben doch singen und tut das schließlich auch mit der richtigen moralischen Haltung; seine Frau hält zu ihm, auch wenn sie einmal mit einem anderen im Taxi saß und er (der selbst von gold diggers verfolgt und beschlagnahmt wird) deswegen nichts mehr von ihr wissen will, nicht einmal, als sie ihn im Krankenhaus besucht. Viel Sinn ergibt der sprunghafte, dynamische Film nicht, schön ist er trotzdem, gerade in seinen Paradoxien; ein Stummfilm / Tonfilm-Hybrid, der Ton scheint noch instabil und ist doch gleichzeitig eine Fessel, die die schwebende Kamera zu bremsen, zu fesseln droht, der Ton verschwindet oft und lange, taucht dann kurz wieder auf, ist vor allem noch ein Problem: jetzt, wo der Ton da ist, muss man sich zu ihm verhalten.
Der Film stellt sich diesem Problem innerhalb seiner Handlung. Es taucht zuerst die Frage auf, ob man singen kann oder nicht; das scheint in dem Film nicht unbedingt eine Sache der Übung zu sein, auch keine des Talents. Aber wo genau steckt die Befähigung zum Gesang sonst? Und kann man sie wieder verlieren? In einem nächsten Schritt fragt man sich dann zum Beispiel, ob man in einer europäischen Spache singen soll oder auf Japanisch. Der Film entscheidet sich in allen diesen Fragen nicht aus nachvollziehbaren Gründen für eine Antwort, er breitet alle möglichen Antworten wie für sich selbst aus und wählt dann erratisch mal die eine, mal die andere, mal mehrere gleichzeitig. Und es tauchen Fragen auf, die noch weniger nahezuliegen scheinen: zum Beispiel danach, ob Geld und Stimme zusammenpassen. Die Antwort, die der Film gibt, ist auch hier kompliziert, unentschieden: Wer nur Geld will, kann nicht singen (hat aber eventuell trotzdem Erfolg); wer bescheiden ist, kann singen und bekommt dann am Ende vielleicht trotzdem wieder Geld.
Man's Castle, Frank Borzage, 1933
Me and My Gal, Raoul Walsh, 1932
Mein Lieblingsfilm bisher neben dem Gremillon'schen Leuchtturmwärterdrama: Man's Castle von Frank Borzage. Ich habe im Kino noch nie ein Liebespaar gesehen, das sich so zueinander verhält (schon rein körperlich; aber auch die Sprachregelungen, die sich herausbilden), wie Spencer Tracy und Loretta Young das tun. Der Film zeigt, wieviel an der Liebe (am Anfang) Herausforderung ist und (später) Anmaßung bleibt, wieviel an ihr deshalb zwingend über das bürgerliche Glücksversprechen hinausweisen muss. Und natürlich hat mich der poetische Antrieb des Films begeistert: das offene Fenster, das Pfeifen der Züge, der Sprung ins Wasser, in dem sich das Mondlicht spiegelt.
Einmal, während Young einen Herd bewundert, von dem sie sich schließlich auch wieder trennen müssen wird, isst er mit viel Vergnügen und ohne alle Hemmungen ein Speiseeis in der Waffel, schleckt mehrmals über die Kugel, steckt sich schließlich die gesamte Tüte in den Mund. In Raoul Walshs Me and My Gal, in dem Tracy einen Polizisten spielt, der in seinem Revier, einem Hafen, an allen Ecken und Enden etwas zu essen auftreibt, verspeist er auf sehr ähnliche Weise eine Banane. Und geht auch sonst auf sehr handfeste Art mit der Dingwelt um.
Der Film ist ansonsten typisches Dreißigerjahre-Chaos: Er springt von einem Genre zum anderen (und irgendwie macht es fast gar nichts, dass Walsh offensichtlich nicht allzu viel von Comedy-timing versteht), lässt viel Platz für Nebenfiguren und erzählt in 80 Minuten fast so viel wie heute ganze Staffeln von Quality-TV-Serien. Am Anfang gibt es eingies im Hafen zu tun, ein Säufer hat mehrere große Auftritte, die er bis in die letzte elegante Torkelbewegung auskostet, Tracy bandelt ein wenig mit einer Bedienung an; dann greift die zum Telefon, ruft ihre Schwester an und plötzlich scheint ein ganz anderer Film zu beginnen. Am Ende steht dann ein sehr schönes Gesellschaftsbild, das jedem sein Recht lässt: dem Säufer, dem Veteranen, der nur noch seine Augenlider bewegen kann, dem nicht so unbedingt begehrten Ehemann mit zahnfleischlastigem Lachen und natürlich auch dem Bananen verspeisenden Tracy.
The Dumb Girl of Portici, Lois Weber / Phillips Smalley, 1916
Eine Opernadaption, ich kenne die Vorlage nicht, auch der Ballett-Weltstar Anna Pavlova war mir nicht bekannt. Sie ist im Film super, schon in der melodramatischen ersten Stunde, trotzdem hat micht erst die zweite Stunde wirklich interessiert; die besteht vor allem aus einem Volksaufstand und dessen Folgen: chaotische, teilweise völlig entfesselte Massenszenen, zuerst der Kampf auf der Straße, Leute, die andere Leute von Pferden reißen, Pferde, die quer durch die Menschenmenge (kaum einmal sind in dieser zweiten Hälfte weniger als 20 Menschen gleichzeitig in einer Einstellung) galoppieren; dann der Kampf um die Burg, in der sich die nominelle Haupthandlung hauptsächlich abspielt. Eine unglaubliche Einstellung: Die Kamera fährt langsam lateral an mehreren Fenstern vorbei, während eines nach dem anderen von den Angreifern kaputt geschlagen wird, anschließend drängen die Aufständischen nach Innen, die Kamera fährt zurück und eröffnet das gesamte Schlachtfeld.
Das alles dauert fast eine halbe Stunde. Ganz zur Ruhe kommt der Film bis zum Ende nicht mehr, es kommt zu Plünderungen, es werden Orgien gefeiert, schließlich schlägt auch noch die Konterrevolution zu. Die Zweite Hälfte von The Dumb Girl of Portici ist Kino als permanenter Ausnahmezustand, an allen Ecken und enden quillt der Film über, droht zu desintegrieren, immer, wenn sich die Lage zu beruhigen scheint, stolpert wieder irgend jemand Neues vor die Kamera, einmal scheint am Ende einer Einstellung ein Teil der Kulisse zusammenzubrechen, schnell Schnitt, weiter. Die Figuren des Dramas kämpfen bei all dem manchmal mit, manchmal bleiben sie in Halbdistanz, am Ende dürfen die meisten von ihnen Operntode sterben. Aber das Kino hat etwas entfesselt, das keine Bühne der Welt mehr eindämmen kann.
Ein Opernsänger hat Erfolg, wird überherblich und stürzt ab - und kann eigentlich gar nicht singen; ein anderer Opernsänger hat Erfolg, wird überheblich, stürzt ab - kann dann am Ende aber eben doch singen und tut das schließlich auch mit der richtigen moralischen Haltung; seine Frau hält zu ihm, auch wenn sie einmal mit einem anderen im Taxi saß und er (der selbst von gold diggers verfolgt und beschlagnahmt wird) deswegen nichts mehr von ihr wissen will, nicht einmal, als sie ihn im Krankenhaus besucht. Viel Sinn ergibt der sprunghafte, dynamische Film nicht, schön ist er trotzdem, gerade in seinen Paradoxien; ein Stummfilm / Tonfilm-Hybrid, der Ton scheint noch instabil und ist doch gleichzeitig eine Fessel, die die schwebende Kamera zu bremsen, zu fesseln droht, der Ton verschwindet oft und lange, taucht dann kurz wieder auf, ist vor allem noch ein Problem: jetzt, wo der Ton da ist, muss man sich zu ihm verhalten.
Der Film stellt sich diesem Problem innerhalb seiner Handlung. Es taucht zuerst die Frage auf, ob man singen kann oder nicht; das scheint in dem Film nicht unbedingt eine Sache der Übung zu sein, auch keine des Talents. Aber wo genau steckt die Befähigung zum Gesang sonst? Und kann man sie wieder verlieren? In einem nächsten Schritt fragt man sich dann zum Beispiel, ob man in einer europäischen Spache singen soll oder auf Japanisch. Der Film entscheidet sich in allen diesen Fragen nicht aus nachvollziehbaren Gründen für eine Antwort, er breitet alle möglichen Antworten wie für sich selbst aus und wählt dann erratisch mal die eine, mal die andere, mal mehrere gleichzeitig. Und es tauchen Fragen auf, die noch weniger nahezuliegen scheinen: zum Beispiel danach, ob Geld und Stimme zusammenpassen. Die Antwort, die der Film gibt, ist auch hier kompliziert, unentschieden: Wer nur Geld will, kann nicht singen (hat aber eventuell trotzdem Erfolg); wer bescheiden ist, kann singen und bekommt dann am Ende vielleicht trotzdem wieder Geld.
Man's Castle, Frank Borzage, 1933
Me and My Gal, Raoul Walsh, 1932
Mein Lieblingsfilm bisher neben dem Gremillon'schen Leuchtturmwärterdrama: Man's Castle von Frank Borzage. Ich habe im Kino noch nie ein Liebespaar gesehen, das sich so zueinander verhält (schon rein körperlich; aber auch die Sprachregelungen, die sich herausbilden), wie Spencer Tracy und Loretta Young das tun. Der Film zeigt, wieviel an der Liebe (am Anfang) Herausforderung ist und (später) Anmaßung bleibt, wieviel an ihr deshalb zwingend über das bürgerliche Glücksversprechen hinausweisen muss. Und natürlich hat mich der poetische Antrieb des Films begeistert: das offene Fenster, das Pfeifen der Züge, der Sprung ins Wasser, in dem sich das Mondlicht spiegelt.
Einmal, während Young einen Herd bewundert, von dem sie sich schließlich auch wieder trennen müssen wird, isst er mit viel Vergnügen und ohne alle Hemmungen ein Speiseeis in der Waffel, schleckt mehrmals über die Kugel, steckt sich schließlich die gesamte Tüte in den Mund. In Raoul Walshs Me and My Gal, in dem Tracy einen Polizisten spielt, der in seinem Revier, einem Hafen, an allen Ecken und Enden etwas zu essen auftreibt, verspeist er auf sehr ähnliche Weise eine Banane. Und geht auch sonst auf sehr handfeste Art mit der Dingwelt um.
Der Film ist ansonsten typisches Dreißigerjahre-Chaos: Er springt von einem Genre zum anderen (und irgendwie macht es fast gar nichts, dass Walsh offensichtlich nicht allzu viel von Comedy-timing versteht), lässt viel Platz für Nebenfiguren und erzählt in 80 Minuten fast so viel wie heute ganze Staffeln von Quality-TV-Serien. Am Anfang gibt es eingies im Hafen zu tun, ein Säufer hat mehrere große Auftritte, die er bis in die letzte elegante Torkelbewegung auskostet, Tracy bandelt ein wenig mit einer Bedienung an; dann greift die zum Telefon, ruft ihre Schwester an und plötzlich scheint ein ganz anderer Film zu beginnen. Am Ende steht dann ein sehr schönes Gesellschaftsbild, das jedem sein Recht lässt: dem Säufer, dem Veteranen, der nur noch seine Augenlider bewegen kann, dem nicht so unbedingt begehrten Ehemann mit zahnfleischlastigem Lachen und natürlich auch dem Bananen verspeisenden Tracy.
The Dumb Girl of Portici, Lois Weber / Phillips Smalley, 1916
Eine Opernadaption, ich kenne die Vorlage nicht, auch der Ballett-Weltstar Anna Pavlova war mir nicht bekannt. Sie ist im Film super, schon in der melodramatischen ersten Stunde, trotzdem hat micht erst die zweite Stunde wirklich interessiert; die besteht vor allem aus einem Volksaufstand und dessen Folgen: chaotische, teilweise völlig entfesselte Massenszenen, zuerst der Kampf auf der Straße, Leute, die andere Leute von Pferden reißen, Pferde, die quer durch die Menschenmenge (kaum einmal sind in dieser zweiten Hälfte weniger als 20 Menschen gleichzeitig in einer Einstellung) galoppieren; dann der Kampf um die Burg, in der sich die nominelle Haupthandlung hauptsächlich abspielt. Eine unglaubliche Einstellung: Die Kamera fährt langsam lateral an mehreren Fenstern vorbei, während eines nach dem anderen von den Angreifern kaputt geschlagen wird, anschließend drängen die Aufständischen nach Innen, die Kamera fährt zurück und eröffnet das gesamte Schlachtfeld.
Das alles dauert fast eine halbe Stunde. Ganz zur Ruhe kommt der Film bis zum Ende nicht mehr, es kommt zu Plünderungen, es werden Orgien gefeiert, schließlich schlägt auch noch die Konterrevolution zu. Die Zweite Hälfte von The Dumb Girl of Portici ist Kino als permanenter Ausnahmezustand, an allen Ecken und enden quillt der Film über, droht zu desintegrieren, immer, wenn sich die Lage zu beruhigen scheint, stolpert wieder irgend jemand Neues vor die Kamera, einmal scheint am Ende einer Einstellung ein Teil der Kulisse zusammenzubrechen, schnell Schnitt, weiter. Die Figuren des Dramas kämpfen bei all dem manchmal mit, manchmal bleiben sie in Halbdistanz, am Ende dürfen die meisten von ihnen Operntode sterben. Aber das Kino hat etwas entfesselt, das keine Bühne der Welt mehr eindämmen kann.
Labels:
Borzage,
Il Cinema Ritrovato 2012,
Japan,
Lois Weber,
Mizoguchi,
Spencer Tracy,
Stummfilm,
USA,
Walsh
Monday, June 25, 2012
Il Cinema Ritrovato 2012, Tag 1 (Fortsetzung)
David Golder, Julien Duvivier, 1931
Drei außergewöhnliche Filme; Julien Duviviers David Golder ist ein außergewöhnlicher Krisenfilm, er näher sich der Weltwirtschaftskrise von der Seite der Reichen, die Angst um ihr Geld haben, haben noch in ihren luxuriösen Anwesen leben. Die Hauptfigur ist ein jüdischer self-made-man, der von zwei Frauen ausgenutzt wird, von seiner hoffnungslosen Frau und von seiner nicht ganz so hoffnungslosen Tochter, die dafür aber möglicherweise gar nicht seine echte Tochter ist. Die Krise lauert im Off, wird immer wieder verschoben, inzweierlei Hinsicht: auf "später" und auf andere.
Ein früher Tonfilm ist David Golder, vielleicht hat das gefühlte Ungleichgewicht zwischen den langen, statischen Dialogszenen und verschiedenen Zwischenspielen (am eindrücklichsten ist eine Sequenz an der Börse mit L'eclisse-artigen Einstellungen, die völlig unvermittelt in den Film eindringt und ihn allerdings auch weitgehend unberührt zurück lässt), die in einem dynamischen, Stummfilm-artigen Stil gehalten sind. Der Film hat bei all dem eine ziemliche Wucht, durchaus auch in den Dialogen, während derer die Kamera oft sehr lange ein einzelnes Gesicht fokussiert, ein einziges Gefühl moduliert.
Sehr sonderbar: die Szene in der Sowietunion.
---
Gardiens de phare, Jean Gremillon, 1929
Ein Meisterwerk: Jean Gremillons außergewöhnlicher Leuchtturmfilm Gardiens de phare. Leuchtturmfilme sind sowieso immer toll (siehe zuletzt Shutter Island, das wäre, siehe unten, auch ein super Alternativtitel für Gremillons Film), das hängt vielleicht mit der Visualität zusammen, die im Leuchtturm steckt und die das Kino abschöpfen kann, vielleicht auch damit, dass der Leuchtturmwärter interessant ist als jemand, der sich vereinzelt, um der Gemeinschaft zu dienen. Gardiens de phare ist auf jeden Fall der Leuchtturmfilm, der (von denen, die ich kenne) am meisten anzufangen weiß mit der Lichtquelle selbst, dem rotierenden Leuchten, ihrem rythmischen Lichtwurf. Nicht eigentlich nach draußen wirft Gremillons Leuchtturm sein Licht (als er das einmal tun soll, versagt ein Wächter), es geht eher um den illuminierten Terror im Inneren des Turms. Der Terror ist nicht das Licht alleine, sondern beides zusammen: Licht und Schatten; eigentlich kann man den Terror im shutter verorten, in jener Apparatur, die um die Lichtquelle herum rotiert. Einige der schönsten Einstellungen des Films zeigen einfach nur das Spiel des shutter, das sind perfekte Experimentalfilmminiaturen. Im Finale wird eine Tür oben im Leuchtturm zu einem anderen shutter, schwingt auf und zu, gibt den Blick auf den Vater frei und verstellt ihn wieder. Es scheint da und auch sonst immer wieder um Bildserien und Serienbilder zu gehen (die tolle Tanzsequenz löst sich auch in eine Art Serienbild auf) und irgendwie natürlich auch um die Kamera selbst, die auch einen Shutter hat, oder um das Schwarzbild zwischen den Kadern; allerdings zeigt der Film das nie ausführlich an, die Bildreflexion läuft nebenbei mit und stellt sich selbst nie still.
Es geht um zwei Leuchtturmwächter, einen Vater und einen Sohn, der Sohn wird psychotisch, dabei spielt einerseits das Licht eine Rolle, andererseits ein Hund, der ihn in den Arm beißt. Gleichzeitig ein sogar sehr gut geöltes Melodram und ein visueller Essay im Stil der französischen Avantgarde der Zwanziger Jahre (auch viele Wellenbilder). Und dann gibt es noch einige textuelle Fährten, von denen man gar nicht mehr so recht weiß, wohin sie einen führen könnten. Zum Beispiel gibt es noch ein Haus an der Küste, in dem drei Frauen mit sonderbaren Hüten wohnen. Wie die sich zum Leuchtturm verhalten, habe ich nicht ganz verstanden, zumindest scheinen sie ihn von ihrem Fenster aus sehen zu können. Ob man auch vom Leuchtturm aus das Haus (oder auch nur die Küste, oder auch nur irgendwas) sehen kann, ist weit weniger klar. Es gibt außerdem in dem Haus an der Küste einen Miniaturleuchtturm auf dem Kamin; eventuell haben Vater und Sohn sich ja in dem einquartiert.
---
Il richiamo, Gennaro Righelli, 1921
Zu außergewöhnlich für diese Uhrzeit.
Drei außergewöhnliche Filme; Julien Duviviers David Golder ist ein außergewöhnlicher Krisenfilm, er näher sich der Weltwirtschaftskrise von der Seite der Reichen, die Angst um ihr Geld haben, haben noch in ihren luxuriösen Anwesen leben. Die Hauptfigur ist ein jüdischer self-made-man, der von zwei Frauen ausgenutzt wird, von seiner hoffnungslosen Frau und von seiner nicht ganz so hoffnungslosen Tochter, die dafür aber möglicherweise gar nicht seine echte Tochter ist. Die Krise lauert im Off, wird immer wieder verschoben, inzweierlei Hinsicht: auf "später" und auf andere.
Ein früher Tonfilm ist David Golder, vielleicht hat das gefühlte Ungleichgewicht zwischen den langen, statischen Dialogszenen und verschiedenen Zwischenspielen (am eindrücklichsten ist eine Sequenz an der Börse mit L'eclisse-artigen Einstellungen, die völlig unvermittelt in den Film eindringt und ihn allerdings auch weitgehend unberührt zurück lässt), die in einem dynamischen, Stummfilm-artigen Stil gehalten sind. Der Film hat bei all dem eine ziemliche Wucht, durchaus auch in den Dialogen, während derer die Kamera oft sehr lange ein einzelnes Gesicht fokussiert, ein einziges Gefühl moduliert.
Sehr sonderbar: die Szene in der Sowietunion.
---
Gardiens de phare, Jean Gremillon, 1929
Ein Meisterwerk: Jean Gremillons außergewöhnlicher Leuchtturmfilm Gardiens de phare. Leuchtturmfilme sind sowieso immer toll (siehe zuletzt Shutter Island, das wäre, siehe unten, auch ein super Alternativtitel für Gremillons Film), das hängt vielleicht mit der Visualität zusammen, die im Leuchtturm steckt und die das Kino abschöpfen kann, vielleicht auch damit, dass der Leuchtturmwärter interessant ist als jemand, der sich vereinzelt, um der Gemeinschaft zu dienen. Gardiens de phare ist auf jeden Fall der Leuchtturmfilm, der (von denen, die ich kenne) am meisten anzufangen weiß mit der Lichtquelle selbst, dem rotierenden Leuchten, ihrem rythmischen Lichtwurf. Nicht eigentlich nach draußen wirft Gremillons Leuchtturm sein Licht (als er das einmal tun soll, versagt ein Wächter), es geht eher um den illuminierten Terror im Inneren des Turms. Der Terror ist nicht das Licht alleine, sondern beides zusammen: Licht und Schatten; eigentlich kann man den Terror im shutter verorten, in jener Apparatur, die um die Lichtquelle herum rotiert. Einige der schönsten Einstellungen des Films zeigen einfach nur das Spiel des shutter, das sind perfekte Experimentalfilmminiaturen. Im Finale wird eine Tür oben im Leuchtturm zu einem anderen shutter, schwingt auf und zu, gibt den Blick auf den Vater frei und verstellt ihn wieder. Es scheint da und auch sonst immer wieder um Bildserien und Serienbilder zu gehen (die tolle Tanzsequenz löst sich auch in eine Art Serienbild auf) und irgendwie natürlich auch um die Kamera selbst, die auch einen Shutter hat, oder um das Schwarzbild zwischen den Kadern; allerdings zeigt der Film das nie ausführlich an, die Bildreflexion läuft nebenbei mit und stellt sich selbst nie still.
Es geht um zwei Leuchtturmwächter, einen Vater und einen Sohn, der Sohn wird psychotisch, dabei spielt einerseits das Licht eine Rolle, andererseits ein Hund, der ihn in den Arm beißt. Gleichzeitig ein sogar sehr gut geöltes Melodram und ein visueller Essay im Stil der französischen Avantgarde der Zwanziger Jahre (auch viele Wellenbilder). Und dann gibt es noch einige textuelle Fährten, von denen man gar nicht mehr so recht weiß, wohin sie einen führen könnten. Zum Beispiel gibt es noch ein Haus an der Küste, in dem drei Frauen mit sonderbaren Hüten wohnen. Wie die sich zum Leuchtturm verhalten, habe ich nicht ganz verstanden, zumindest scheinen sie ihn von ihrem Fenster aus sehen zu können. Ob man auch vom Leuchtturm aus das Haus (oder auch nur die Küste, oder auch nur irgendwas) sehen kann, ist weit weniger klar. Es gibt außerdem in dem Haus an der Küste einen Miniaturleuchtturm auf dem Kamin; eventuell haben Vater und Sohn sich ja in dem einquartiert.
---
Il richiamo, Gennaro Righelli, 1921
Zu außergewöhnlich für diese Uhrzeit.
Sunday, June 24, 2012
Il Cinema Ritrovato 2012, Tag 1
Rückblende 1
Kurz erwähnt sei zumindest Cheang Pou Sois New Blood, der mich vor ein paar Tagen umgehauen hat wie sonst kaum ein Horrorfilm in den letzten Jahren; und schon gleich kein neuer Horrorfilm. Cheang erzählt eine Geistergeschichte, in einer grün-schwaz eingefärbten Welt, durch die er eine rote Spur zieht; in verschiedenen Aggregatzuständen: zuerst als verwischte Blutspur auf dem Asphalt, dann als Linie auf dem Krankenhausflur, dann als gleichfalls Linie gewordene Blutspur durch die Infusionsröhre (korresponierend die grüne Lebenslinie auf der Apparatur). Später bricht die Spur auseinander, verflüssigt sich (wie Blutspritzer in Wasser), verteilt sich (wie rot leuchtende Lampions an Fassaden). Die entfesselte Kamera folgt mal Menschen, mal der Spur, mal macht sie sich ganz selbstständig. Es gibt noch viel mehr im Film zu entdecken, als nur diese eine Spur, doch ich glaube, bevor ich mehr schreibe, will ich ihn mir noch einmal ansehen...
Rückblende 2
Eine junge Frau beschwert sich bei einer anderen, gestern in Kreuzberg, während ich an beiden vorbeilaufe, über ein Kino: "scheiß Bild, scheiß Ton und überall sitzen nur Pärchen...".
Raoul Walsh: The Mystery of the Hindu Image, 1914 & Pillars of Society, 1916
Mit zwei schönen Walsh-Filmen aus den Zehnerjahren steige ich ein; technisch perfekt, dynamisch, schon noch mehr oder weniger anonymes Handwerk, aber mit vielen schönen Situationen. Die exotistische pulp-Erzählung The Mystery of the Hindu Image funktioniert besser als die Strindbergadaption Pillars of Society, obwohl Walsh jede Gelegenheit ergreift, das sehr alteuropäische morality play in amerikanische Bewegung zu versetzen, vor allem mithilfe von Parallelmontagen auch da, wo sie eigentlich nicht so recht angezeigt wären; mein liebster derartiger Moment aber: ein Sprung ins anfahrende Rettungsboot, während des finalen Schiffsunglücks.
The Mystery of the Hindu Image besteht durchweg aus Parallelmontagen (der unschuldig im gefängnis sitzende Held bricht mittendrin aus und wird wieder eingefangen, nur, damit die Geschichte nicht einmal in ihrem Off zum Stillstand kommt), außerdem gibt es tolle Verfolgungsjagden. Der Pianist, der den Film begleitet, ist großartig: in zwei Sequenzen, die den die Handlung unterfütternden indischen Hokuspokus behandeln, fängt er zu singen an, zusätzlich zu seinem Klavierspiel.
Kurz erwähnt sei zumindest Cheang Pou Sois New Blood, der mich vor ein paar Tagen umgehauen hat wie sonst kaum ein Horrorfilm in den letzten Jahren; und schon gleich kein neuer Horrorfilm. Cheang erzählt eine Geistergeschichte, in einer grün-schwaz eingefärbten Welt, durch die er eine rote Spur zieht; in verschiedenen Aggregatzuständen: zuerst als verwischte Blutspur auf dem Asphalt, dann als Linie auf dem Krankenhausflur, dann als gleichfalls Linie gewordene Blutspur durch die Infusionsröhre (korresponierend die grüne Lebenslinie auf der Apparatur). Später bricht die Spur auseinander, verflüssigt sich (wie Blutspritzer in Wasser), verteilt sich (wie rot leuchtende Lampions an Fassaden). Die entfesselte Kamera folgt mal Menschen, mal der Spur, mal macht sie sich ganz selbstständig. Es gibt noch viel mehr im Film zu entdecken, als nur diese eine Spur, doch ich glaube, bevor ich mehr schreibe, will ich ihn mir noch einmal ansehen...
Rückblende 2
Eine junge Frau beschwert sich bei einer anderen, gestern in Kreuzberg, während ich an beiden vorbeilaufe, über ein Kino: "scheiß Bild, scheiß Ton und überall sitzen nur Pärchen...".
Raoul Walsh: The Mystery of the Hindu Image, 1914 & Pillars of Society, 1916
Mit zwei schönen Walsh-Filmen aus den Zehnerjahren steige ich ein; technisch perfekt, dynamisch, schon noch mehr oder weniger anonymes Handwerk, aber mit vielen schönen Situationen. Die exotistische pulp-Erzählung The Mystery of the Hindu Image funktioniert besser als die Strindbergadaption Pillars of Society, obwohl Walsh jede Gelegenheit ergreift, das sehr alteuropäische morality play in amerikanische Bewegung zu versetzen, vor allem mithilfe von Parallelmontagen auch da, wo sie eigentlich nicht so recht angezeigt wären; mein liebster derartiger Moment aber: ein Sprung ins anfahrende Rettungsboot, während des finalen Schiffsunglücks.
The Mystery of the Hindu Image besteht durchweg aus Parallelmontagen (der unschuldig im gefängnis sitzende Held bricht mittendrin aus und wird wieder eingefangen, nur, damit die Geschichte nicht einmal in ihrem Off zum Stillstand kommt), außerdem gibt es tolle Verfolgungsjagden. Der Pianist, der den Film begleitet, ist großartig: in zwei Sequenzen, die den die Handlung unterfütternden indischen Hokuspokus behandeln, fängt er zu singen an, zusätzlich zu seinem Klavierspiel.
Labels:
Cheang,
Filmgeschichte,
Hongkong,
Il Cinema Ritrovato 2012,
Stummfilm,
USA,
Walsh
Subscribe to:
Posts (Atom)