Tuesday, May 12, 2015

I Want to Be a King, Mehdi Ganji, 2014

Abbas hat es geschafft, seiner Vergangenheit zu entkommen. Nicht wirklich klar wird, worin diese Vergange der materiellen Not vor allem: er erzählt von seinem Leben als Straßenverkäufer in der Großstadt, von seinem Aufwachsen in einer bettelarmen Großfamilie, außerdem davon, wie sein Unternehmergeist durch die Begegnung mit europäischen (?) Reisenden erwacht ist, die ihn für die Kochkünste seiner Frau loben. (Das ist schon so gedacht, von ihm, vielleicht auch wirklich von den Touris: Ihn für ihre Künste...)

Dass seine Vergangenheit keine lineare Aufstiegs- und Erfolgsgeschichte entlang kapitalistischer Dramaturgien gewesen sein dürfte, kann man sich spätestens dann denken, wenn er auf seine Zeit in der Armee zu sprechen kommt, oder eben nicht so recht auf sie zu sprechen kommt, sich in Andeutungen verliert, dabei allerdings seine Uniform stolz vorführt. Erst recht kann man sich das natürlich denken, weil er eine Reihe ziemlich offensichtlicher Psychosen mit sich herumschleppt, beziehungsweise an seiner Familie ausagiert. (Nicht alles wird erklärt im Film; zum Beispiel auch nicht, was die Spritzen, die er sich subkutan setzt, enthalten.)

Der einen Vergangenheit ist er entkommen, jetzt will er in eine andere zurück: Um das Ökotourismusgeschäft so richtig anzukurbeln, möchte er einen Stamm gründen, der dafür sorgen soll, dass das Tal in dem er lebt, bald wieder so aussehen wird wie "der Iran vor 200 Jahren". Weil seine Frau das gebährfähige Alter überschritten hat und der einzige Sohn, den sie ihm geboren hat, als Stammhalter nicht taugt, sucht er sich eine Zweitfrau - und setzt damit seine Familie aufs Spiel; oder vielleicht eher: zerstört die alte, kleine Familie bewusst, um Platz zu schaffen für eine andere, größere. Offensichtlich nur für die Kamera inszeniert er die Versöhnungsversuche mit Mutter, Sohn und vor allem seiner energischen, äußerst schlagfertigen Tochter.

Wenn gegen Ende in einer beängstigend intensiven Szene Abbas' Hass nicht nur auf seine Angehörogen, sondern auf sein bisheriges Leben doch noch ungefiltert aus ihm heraus bricht, dann artikuliert sich darin nicht nur die Psychose eines Einzelnen, auch nicht nur ein wild gewordenes Patriarchat; seine nicht länger sublimierte Aggression macht auch die regressiven Abründe sichtbar, die sich hinter der touristischen Sehnsucht nach dem Ursprünglichen verbergen.

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Wie eine staatsbürokratische Variation darauf kommt mir Zhou Haos A Chinese Mayor vor: Ein Provinzbürgermeister will einer geschichtsträchtigen chinesischen Kleinstadt wieder zu altem Glanz verhelfen und lässt dafür gewaltige antike Paläste aufbauen: "In the future, Datong will be an ancient city". Auch das geht auf die Kosten seiner Frau, die sich ob der das Privatleben auffressenden Vergangenheitsobsession ihres Gattens einmal den Aufstand probt und ihn anherrscht, während sie gemeinsam, zwischen zwei Meetings, in einem Aufzug stehen (ein möglicher Ansatzpunkt einer Kulturgeschichte der Gegenwart: der Aufzug als letzter möglicher Ort der Konfrontation). Unangenehm allerdings, dass Zhou sich, anders als Ganji, mit dem Anliegen seines Protagonisten weitgehend identifiziert.

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