Saturday, April 18, 2009

Filmreihe: Revolutionen aus dem Off



Auch hier der Hinweis auf die Filmreihe "Revolutionen aus dem Off" im Zeughauskino, an deren Programmierung und Organisation ich beteiligt war. Ab heute und dann bis Mitte Mai sind dort insgesamt 34 Filme aus 14 asiatischen, lateinamerikanischen und afrikanischen Ländern zu sehen. Auftaktfilm ist heute Kidlat Tahimiks wunderbarer Travelogue Der parfümierte Alptraum. Direkt danach folgt Nagisa Oshimas Gishiki. Mehr auf der Website zur Reihe.

Monday, April 13, 2009

Hunger, Steve McQueen, 2008

Der Film beginnt außen, in der tristen Realität: Aufgelöst in fast beliebigen, starren Einstellungen ohne offensichtichen dramaturgischen Gehalt beobachtet der Film einen Mann, wie er seinen Alltag lebt. Er nimmt eine Mahlzeit ein, fährt zur Arbeit, schließlich begibt er sich zu einer Wand und blickt auf etwas, das sich hinter der Kamera zu befinden scheint. Bald darauf wird klar, dass das Objekt seines Blicks eine Strafanstalt ist, in der verurteilte IRA-Aktivisten ihre Strafe absitzen.
Der Film wechselt schnell ins Gefängnis und bleibt, mit wenigen Ausnahmen, bis zum Filmende dort. Man könnte sogar sagen, es gibt gar keine Ausnahmen, denn die wenigen Einstellungen, die nicht das Innere des Gefängnisses zeigen, sind Erinnerungsbilder, Träume und / oder Visionen der Insassen und entspringen deren Innerem. Im Gefängnis gliedert sich der Film streng in drei Abschnitte: Zunächst geht es um einen Gefangenenaufstand gegen die Kleiderordnung der Strafanstalt, anschließend inszeniert Steve McQueen eine ausführliche Gesprächssequenz, in der sich die Hauptfigur Bobby Sands mit einem Priester über Sinn und Zweck des noch im Gefängnis fortgesetzten Widerstands gegen die britische Staatsmacht unterhält, schließlich folgt der Hungerstreik, der im Jahr 1981 Sands und neun weiteren IRA-Mitgliedern das Leben kostete.
Steve McQueen nutzt in seiner ersten Regiearbeit diese strenge Form nicht als Selbstzweck. Die Struktur ist gewissermaßen dialektisch: Zunächst, im ersten und mit Abstand beeindruckendsten Filmabschnitt hält der Film größtmöglichen Abstand zum Diskursiven (eine Ausnahme stellen einige Thatcherzitate auf der Tonspur dar, die vielleicht das größte Problem des Films sind), es gibt nur den Körper, seine Ausscheidungen und kalte, harte Materie. Die nackten, langhaarigen Gefangenen beschmieren die Zellenwände mit Scheisse, zermantschen ihre Mahlzeiten auf dem Boden, vermischen sie mit Körperflüssigkeiten. Das Organische wird zum vielgestaltigen Brei, der sich in sonderbaren Mustern organisiert. Es geht nicht um Ekel und Schock, vielmehr findet McQueen eine außerweltliche Schönheit in der auf sich selbst zurückgeworfenen Materie. Bobby Sands steht am Fenster der Zelle, berührt zärtlich die Gitterstäbe, blickt nach draußen in eine Welt, die sich in allem von der grausamen Schöheit dessen unterscheidet, was ihn im Inneren derselben umgibt. Wie der letzte Romantiker sieht Sands in diesem Moment aus. Die Scheisse an der Wand wird zu Ornamenten geformt, aus dem Essen entstehen Skulpturen. Es gibt dann auch die reine Brutalität, die Wächter, die mit ihren Schlagstöcken auch dann noch auf die Gefangenen eindreschen, wenn diese reglos am Boden liegen. Die Wächter gehören nicht derselben Ordnung an wie die Gefangenen, auch wenn sie ihr manchmal nahe kommen. Vielleicht ist die Uniform im Weg. Zumindest richtet sich die Gewalt recht eindeutig auf das, was die Gefangenen sind, nämlich eine Gruppe nackter Körper dies- oder jenseits (zumindest einige fantasmatische Aufnahmen aus dem Zelleninneren sprechen für die letztere, interessantere Variante) der Zivilisierung und nicht auf das, was sie im politischen Diskurs verkörpern. Ein Wächter weiß genau, was er da tut und deshalb versteckt er sich hinter einer Wand und weint.
Im zweiten Teil dominieren Wort und Diskurs. Nicht nur, weil gesprochen wird, sondern auch aufgrund der Form des Gesprächs. Es beginnt mit in Windeseile hin- und hergeworfenen Floskeln und kleinen Scherzen, vorgetragen in einem harten, klaren Dialekt. Über den Informationswert des Wortes hinaus wird eine ganze Sozialisation mitkommuniziert. McQueen filmt den größten Teil des Gesprächs aus einer einzigen Kameraperspektive, die gehörigen Abstand zu den Sprechenden hält. Sands, dem kurz zuvor schon die Haare geschnitten wurden, wird radikal entkörperlicht, sein zusammengesunkener Oberkörper ist in eine Sträflingsjacke gehüllt, er ist ganz und gar Teil der symbolischen Ordnung geworden.
Der dritte Abschnitt kehrt nur scheinbar zur Ästhetik des ersten zurück. Zwar rückt wieder der Körper in den Mittelpunkt, doch es ist ein anderer Körper. Der erste war weniger archaisch und ursprünglich als unbesetzt und freischwebend, ein Körper vor oder (das wäre natürlich immer die schönere Variante, ich bin mir nicht sicher, ob der Film sie voll einlösen kann) jenseits seiner Instrumentalisierung, außerhalb von Selbstdisziplin und stahlhartem Gehäuse, aber deshalb doch nicht „wild“. Kein Körper, der zum Instinkt zurück findet, sondern einer, der seine Programmierung löscht, ohne bereits zu wissen, in welcher Richtung es weitergehen soll und der sich auf die ihn umgebende Materie hin öffnet. Der Körper des hungernden Sands ist dagegen ein sakraler. Er hat seine Bestimmung gefunden, die Kamera fährt nahe an das geknechtete Fleisch heran, an die Knochen, die fast aus der Haut ragen, die Wunden und Abszesse. Der Körper hat eine Bestimmung in der eigenen Finalisierung gefunden und ist aufgrund dieser Bestimmung nicht mehr ganz frei vom Diskurs auch wenn sein Diskurs einer gegen die Gesellschaft und gegen Instrumentalisierung ist; der Film bleibt, obwohl im letzten Teil kaum mehr Worte fallen wie im ersten, zumindest teilweise innerhalb der symbolischen Ordnung.
Der Film schreibt im dritten Teil den Diskurs des zweiten auf den Körper des ersten um. Dabei schleicht er sich ganz langsam wieder an das Genre heran, dem er seinem Sujet nach von Anfang an, seiner formalen Logik nach aber über zwei Drittel ganz und gar nicht, angehörte: dem Biopic. Der Film reicht Erinnerungsbilder nach und metaphorisiert in Vogelschwärmen den Tod, er strebt in die Vergangenheit und ins Jenseits gleichzeitig, er synthetisiert eine Biografie, wo vorher Wort und Körper disparat blieben. Vielleicht ist Hunger damit so etwas wie ein Metakommentar zum Genre Biopic, aber das ist mit Sicherheit nicht der interessanteste Aspekt des Films. Eher habe ich mich gefragt, wie sehr dieser letzte Teil das Vorhergehende entwertet. Vielleicht ist die nachgeschobene Narrativierung und Linearisierung darauf zurückzuführen, dass der Künstler Steve McQueen meinte, bei seiner ersten Kinoarbeit dem neuen Medium ein wenig entgegen zu kommen zu müssen. Wie man Hunger beurteilt, wird nicht zuletzt davon abhängen, inwieweit man von diesem letzten Abschnitt abstrahieren kann und in der Lage ist, die wahnwitzigen Bilder der ersten Filmhälfte für sich selbst stehen zu lassen.

Thursday, April 09, 2009

Tropa de Elite, Jose Padilha, 2007

Der Film hat zwei Hauptfiguren, Nascimento und Matias. Nascimento ist Captain einer Elite-Einheit in Rio, eine Elite-Einheit, die eigentlich nichts anderes ist als ein Todesschwadron. Martin will rein in die Truppe. Nascimento ist ein Faschist. Um rein zu kommen muss Matias auch einer werden.
Der Körper des Films gehört Matias: Er muss zugerichtet werden für die Gewalttaten, die im Todesschwadron an der Tagesordnung sind. Wie das geht, das mit dem Zurichten, und warum das so sein muss, das steht bei Foucault. Zumindest so ungefähr. Der Film ist, auch wenn das einige etwas aufdringliche Diskursivierungsversuche zu Filmbeginn nahelegen, keine direkte Foucaultlektüre. Wichtig ist nur, dass die Gewalt eine systemische ist. Es geht um Systeme, aber in welcher Hinsicht? Zunächst geht es konkret um das System des Drogenhandels und um das System der Institution Polizei, wenn sie mit der Realität einer Drittweltmetropole konfrontiert wird. Und es geht um partielle Isomorphien dieser beiden Systeme. Gleichzeitig geht es aber auch um etwas abstrakter Systemisches, für das das Schlagwort "Foucault" zwar einsteht, das über dieses Schlagwort aber nicht hinreichend fassbar wird.
Die Stimme des Films gehört Nascimento, als Voice-Over-Kommentar. Immer wieder kommentiert Nascimento direkt Matias' Handlungen und ruft ihn zur Ordnung, bzw. zur Waffe. Die Stimme diszipliniert den Körper. Einen durch und durch faschistischen Voice-Over Kommentar legt Padilha über seinen Film und in dem Film findet sich keine Position, die diesem Kommentar widerspricht. Man muss, das verlangt Padilha von seinem Zuschauer, in der Lage sein, zu begreifen, dass dieser Voice-Over-Kommentar selbst gleichzeitig Symptom und Ursache des Systems (der Systeme?) ist - freilich in erster Linie Symptom und erst in zweiter Ursache.
Padilha verlangt von seinem Publikum, dass es in der Lage ist, von identifikatorischen Figuren auch dann zu abstrahieren, wenn keine Abstraktionsmarker gesetzt sind, denn Tropa de Elite möchte auch als unreflektierter Soziopolit-Actionfilm funktionieren und schließt als solcher deutlich (weniger an Cidade de Deus als) an die Fernsehserie Cidade dos homens an. Gleichzeitig verlangt er vonm Zuschauer, dass er sich selbst mit seinem eigenen kleinen Faschisten im Kopf konfrontiert. Deshalb sehen die Actionszenen umso besser aus, je mehr unschuldige Slumbewohner in ihnen ihr Leben lassen müssen und deshalb taucht immer wieder die Egoshooterperspektive auf (die Waffe als einzige Interaktionsform mit der sozialen Umwelt, vergl The Soldier, James Glickenhaus, 1981). Ich denke, dass Padilha ein gutes Recht hat, beides zu tun. Ekkehard Knörer hat hier wunderbar beschrieben, wie das im Einzelnen funktioniert und warum Tropa de Elite ein hoch interessanter Film ist.

Zurück bleibt bei mir dennoch ein ungutes Gefühl. Wenn der Film der faschistischen Erzählperspektive auf der Handlungsebene nicht nur nicht widerspricht, sondern sie immer und immer wieder fast manisch durch den Lauf der Dinge rechtfertigt, dann scheint es mir doch bisweilen so, als ob da einer sein eigenes, durchaus ambitioniertes und ehrenwertes Programm ein wenig übererfüllt. Dass sich die NGO, für die Martins Flamme Matias arbeitet, als genau die Drogengeldwäscheanlage entpuppt, als die sie Nascimento von Anfang an unter Verdacht hat, ist nur der Anfang. Analog dazu zerlegt der Film zum Beispiel auch das Versprechen einer gleichberechtigten, aufgeklärten Paarbeziehung zwischen Maria und Matias in seine Einzelteile. Gerade, dass es dem Film nicht genügt, diese Beziehung scheitern zu lassen, sondern das er es gleichzeitig für nötig hält, sie mit der brutalisierten Ehe Nascimentos zu kontrastieren, ist doch ein wenig verdächtig. Die einzige stabile Form der Bezihung ist eine sexistische. Klar, irgendwie muss es wohl auch ein System des Sexismus geben und es liegt nahe, dass Sexismus durchaus auch Teil der Systeme Drogenhandel und Polizei sein kann. Doch (nicht nur hier) verfängt sich der seinem eigenen Anspruch nach analytische Film in vagen Äquivalenzen. Die Beziehung von Nascimento und seiner Frau entspricht irgendwie der vom Dealer Baiano und dessen Geliebten. Mag ja sein, aber was soll das alles heißen? Etwa, dass das Drogenproblem nicht gelöst werden kann, solange es Sexismus gibt? Wahrscheinlich soll es das nicht, Padilha ist ja nicht blöd (ich habe ihn aus dem Publikumsgespräch auf der Berlinale nach dem aufreibenden, ebenfalls äußerst ambivalenten, aber insgesamt gelungeneren Garapa als einen sehr artkulierten und reflektierenden Regisseur in Erinnerung), aber die Universalisierung des Systemischen steht der Problemanalyse im Einzelfall dann eben doch manchmal im Weg.
Mir scheint tatsächlich, dass es dem Film in einigen entscheidenden Momenten nicht genügt, eine hochambivalente Sozialstudie zu sein. Die lokalen Systeme genügen nicht, Padilha zielt aufs große Ganze und zumindest soweit er das tut, zielt er daneben und verfängt sich in unschönen Zynismen (die natürlich trotzdem etwas ganz anderes sind als die Faschismusverherrlichung, die weite Teile der Kritik ihm vorwirft). Ob Padilha deshalb "too smart for his own good" oder "not as smart as he thinks" ist, weiß ich nicht. Vermutlich von beidem ein bisschen.