Wednesday, December 22, 2010

die anders aussehen als man selbst

Eine kurze Einführung, gehalten am 6.12.2010 im Kino Babylon Mitte im Rahmen der Filmreihe "Die Freunde des schrägen Films" zu Tödliche Engel schlagen zurück / Cewek jagoan kembali (Indonesien, 1981) von Danu Umbara.

Vielen Dank an Philipp und Jürgen für die Einladung. Vorweg sei gesagt: Ich kenne den Film, den wir gleich gemeinsam sehen werden, auch noch nicht. Es war mir trotz einiger Bemühungen nicht möglich, eine DVD- oder VHS-Version von Tödliche Engel schlagen zurück aufzutreiben, weder in den Berliner Programmvideotheken, noch im Internet. Das heißt natürlich auch, dass sie gleich eine echte Rarität zu sehen bekommen werden. Hier also nur einige Vorbemerkungen allgemeinerer Natur, zuerst zu kinogeografischen Aspekten, dann zum Genre, mit dem wir es heute zu tun bekommen.

Der heutige Abend zeigt, wie bereits einige andere Veranstaltungen der Freunde des Schrägen Films, dass die Bahnhofskinos in Deutschland – und anderswo – zumindest auch „Weltkino“ waren. Dass da also nicht nur amerikanische und europäische Genrekost zu sehen war, sondern dass auch jede Menge Filme aus anderen Kulturkreisen aufgeführt wurden. Gerade heute, wo man schon froh sein muss, wenn alle paar Jahre wenigstens der neue Film Wong Kar-Wais einen regulären Kinostart erhält, lohnt es, sich daran zu erinnern, dass noch bis in die Achtziger Jahre japanische Yakuza-Thriller und Pinku Eigas oder Martial-Arts-Reißer aus Hongkong ganz selbstverständlich Teil der deutschen Kinolandschaft waren. Oder mexikanische Horrorfilme, denen hier bereits eine ganze Reihe gewidmet war; oder eben südostasiatische Dschungel-Exploitation, wie wir sie heute kennenlernen werden.

Natürlich wird man kaum behaupten können, dass derartige Filme ein authentisches Bild ihres jeweiligen Herkunftslandes vermitteln. Und natürlich schert sich auch die deutsche Synchronisation meist wenig um kulturelle Feinheiten, die betitelt einen Martial-Arts-Film auch schon mal „Der gelbe Teufel mit dem Superschlag“. Aber es bleibt doch bedenkenswert, dass man in den Siebziger und Achtziger Jahren im Kino sehr viel häufiger als heute Menschen sehen konnte, die anders aussahen als man selbst, oder Orte, die anders aussahen als die eigene Umgebung. Ich glaube, dem Kino geht einiges verloren, wenn es ganze Kontinente in Filmfestivalghettos sperrt.

Das südostasiatische Kino ist, dieser Vorgeschichte zum Trotz, für die europäische Filmgeschichtsschreibung noch weitgehend terra incognita. Und zwar schon deswegen, weil weite Teile des klassischen Kinos der Philippinen, Thailands oder eben Indonesiens aufgrund der schlechten, um nicht zu sagen, nicht existenten Archivlage in diesen Ländern, auf immer verloren sind. Dass das Kino ein zu bewahrendes Kulturgut ist, hatte sich auch hierzulande erst herumgesprochen, als die ersten Jahrzehnte Filmgeschichte bereits arg ausgedünnt waren. In Südostasien ist die Erkenntnis immer noch nicht angekommen, kaum ein Jahr vergeht, in dem nicht irgendein Lager mit historisch wertvollen Kopien „zufällig“ abbrennt, um nicht zu sagen, mutwillig zerstört wird, damit die jeweilige Produktionsfirma das Grundstück weiterverkaufen kann. Es würde mich nicht wundern, wenn auch die Originalfassung des Films, den wir heute sehen, bereits unwiederbringlich verloren ist.

Doch auch, wenn man heute nicht mehr allzu viel davon sehen kann, besaß Indonesien, wie seine Nachbarländer, von den Sechzigern bis in die Achtziger eine produktive und vielseitige Filmindustrie. In den Neunzigern gerieten alle Filmindustrien Südostasiens in eine schwere Krise, von der sich bis heute keine voll erholt hat. Indonesien hat es von allen am schlimmsten getroffen, im Jahr 2000 wurden im Land mit der weltweit viertgrößten Bevölkerungszahl lediglich sechs Kinofilme produziert. Erst in den letzten drei, vier Jahren hat sich die Situation wieder etwas verbessert. Ein Hoffnungsschimmer, gerade auch im Kontext dieser Reihe, ist zum Beispiel die Tatsache, dass Brian Yuzna, der vorher zuerst in den USA, dann in Spanien großartige Horrorfilme produziert und inszeniert hatte, sich inzwischen in Indonesien niedergelassen hat. Seine erste indonesische Regiearbeit, der Monsterfilm Amphibious 3D, wurde dieses Jahr fertig gestellt.

Zurück zum heutigen Abend. Was hat es nun mit Tödliche Engel schlagen zurück auf sich? Wie der Titel bereits andeutet, handelt es sich um ein Sequel. Wie gesagt war es mir nicht möglich, den Film selbst zu sichten, zwei andere Filme des Regisseurs Danu Umbara habe ich jedoch auftreiben können. Einer davon ist der Vorgänger mit dem Titel Five Deadly Angels. In diesem ersten Film kämpfen fünf junge Frauen gegen eine Horde Bösewichte. Mehr gibt es über die Handlung, auf die es wohl auch heute noch weniger als in anderen Filmen dieser Reihe ankommen wird, eigentlich nicht zu berichten. Ein ungeheuer kruder, aber extrem kurzweiliger Streifen ist das, in dem sich Autoverfolgungsjagden, Martial-Arts-Sequenzen, Musical-Einlagen, Slapstick-Humor und romantische Szenen fast im Minutentakt abwechseln. Ein anderer Umbara-Film namens Jungle Virgin Force ist sogar noch wilder. Auch da geht es um eine Gruppe kämpfender Frauen, die allerdings zu allem Überfluss auch noch übersinnliche Kräfte entwickeln und ihren Gegnern auch schon mal mit bloßen Händen die Eingeweide aus dem Leib reißen.

Über den Nachfolger findet man wenig Informationen. Ein wichtiger Unterschied ist sicherlich, dass von den fünf Engeln des ersten Films nur noch drei übrig geblieben sind. Wie im Vorgänger beginnt der Film als Rachegeschichte, aber es steht zu hoffen, dass daraus um einiges mehr wird, als nur ein weiterer Rape/Revenge-Film. Die Schauspielerinnen, die sie gleich zu sehen bekommen werden, sind übrigens große Stars in Indonesien, sie haben zahllose Preise gewonnen und spielen gewöhnlich in prestigeträchtigen Fernseh- und Kinoproduktionen. Das wirkt erst einmal so, als hätte Dorish Wishman die Hauptrolle ihres Meisterwerks Tödliche Brüste nicht mit Chesty Morgan, sondern mit Faye Dunaway besetzt. Schon das zeigt, dass man Genregrenzen nicht einfach von einem Kontinent in einen anderen übertragen kann.

Als Vorbild für die Tödlichen Engel-Filme wird immer wieder die Fernsehserie Charlie's Angels, auf deutsch Drei Engel für Charlie genannt. Sicherlich wollten die Produzenten von der Popularität dieser Serie profitieren, das zeigt schon der Titel. Mir scheint aber, dass andere Einflüsse mindestens genauso wichtig sind. Denn im Grunde hat ein reißerischer, rauhbeiniger Streifen wie „Five Deadly Angels“ mit den slicken, ironischen und ganz und gar jugendfreien Engeln Charlies wenig zu tun. Überhaupt war der handfeste Actionfilm im amerikanischen Kino, abgesehen von außergewöhnlichen Produktionen wie den Cleopatra-Jones-Filmen, noch bis in die Neunziger Jahre fest in männlicher Hand, wirklich geändert hat sich das, zumindest ist das mein Eindruck, erst mit Milla Jovovich und Angelina Jolie. Im asiatischen Kino dagegen, insbesondere in Filmen aus Japan und Hongkong, ist es schon seit den frühen Siebziger Jahren eine Selbstverständlichkeit, dass auch Frauen zum Actionhelden taugen. In Japan kann man da zum Beispiel an die Filmserien um Lady Snowblood und die Knastinsassin Sasori denken, aber auch an die hierzulande weniger bekannten Alley Cat Rock-Filme, in Hongkong an zahllose stylische Prügelfilme, erinnert sei hier nur an den Shaw-Brothers-Klassiker Intimate Confessions of a Chinese Courtesan.

Interessant sind derartige Filme auch deswegen, weil sie wenig Aufheben um das Geschlecht ihrer Heldinnen machen. Kein Westentaschenfeminismus, aber eben auch keine falsche Zurückhaltung. Frauen teilen aus und stecken ein, genau wie die Männer, ohne dass das aufwändig plausibilisiert werden müsste. Schon allein das ist einiges wert, finde ich. Der Film, den wir heute sehen werden, ist zwar aller Wahrscheinlichkeit nach nicht auf demselben handwerklichen und künstlerischen Niveau wie die Vorgänger aus Hongkong und Japan, aber wie ich Herrn Umbara kenne, wird er das fehlende Büdget mit dem puren Wahnwitz seiner Inszenierung spielend wettmachen.

Und damit möchte ich die Veranstaltung auch nicht mehr länger aufhalten. Jetzt also die tödlichen Engel, ich hoffe ja vor allem, dass sie auch in diesem Film wieder singen. Ich wünsche uns allen eine gute Projektion.


Gesungen haben die tödlichen Engel dann zwar nicht, ein schöner Film war's trotzdem. Und einen Song aus dem ersten Teil gibt es auf Youtube:

Monday, December 13, 2010

Kein Internet zu Hause zur Zeit, deshalb auch keine Updates. Wenn es welche gäbe, würde hier vielleicht bereits einiges über die Filme Rudolf Thomes zu lesen sein. In den letzten Wochen habe ich fast alle Langfilme, soweit ich sie noch nicht kannte, gesehen, gestern haben Ekkehard Knörer und ich Thome auf seinem Bauernhof besucht und ein Videointerview aufgezeichnet (das bald bei cargo auftauchen sollte).
Hier nur zwei Bilder aus Paradiso, zuerst Hanns Zischler als John Wayne. Wie bei John Ford kommt der Zug von links und also aus der Vergangenheit.



Später filmen Thome und Vorschneider auch einen Picknickausflug wie eine Westernszene. Obwohl in diesem Siedlertreck keine Planwagen und Pferde auftauchen, gefällt mir bereits das eine Bild besser als der gesamte neue Film von Kelly Reichardt.

Wednesday, November 24, 2010

Zähmung der Moderne in zwei Sätzen

Über das Museu d'Art Contemporani in Barcelona:
Schon von außen fällt dieses große rechteckige Gebäude auf, es stört fast ein wenig in diesem Altstadtbereich. Und genau deshalb passt es auch wieder, denn moderne Kunst will ja auch gerne mal „stören“.

in: Hans Jürgen Fründt: CityTrip Barcelona. Reise Know-How-Verlag Peter Rump. Bielefeld, 2009.

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Im Museum projiziert zwischen allerlei gezähmter Moderne: In the Street, ein kurzer, unzähmbarer Dokumentarfilm von James Agee, Helen Levitt und Janice Loeb. Manny Farber schrieb 1952 über den Film:
Let me say that changing one's identity and acting like a spy, or a private eye, are more a part of the american make-up than I'd ever imagined before seeing this picture.

Bored to Death S01

Eine Meta-Sitcom ist Bored to Death nicht, weil das Format mitreflektiert wird. Das machen andere Sendungen auch und viel exzessiver. Eher, weil andauernd expliziert und monologisch versprachlicht wird, was in Cheers, Seinfeld etc noch szenisch aufgelöst, situativ dialogisch verhandelt wurde: die Selbstverständlichkeiten und Paradoxien von Beziehungen, ihre Implikationen für das Subjekt. Sophisticated sind Jonathan, George und Ryan (manchmal) im Männergespräch, in den Begegnungen mit den Frauen degenerieren sie bis hin zur kompletten Infantilität. Ihr Problem (und schon auch irgendwie das Problem der Serie) ist nicht so sehr die Erbärmlichkeit der Lebensumstände, auch nicht in erster Linie die Aufdringlichkeit und letztlich: Schlichtheit des ökolinken Milieus, das sich in einer Art in den Vordergrund drängt, wie sie in wirklich guten Sitcoms aus guten Gründen vermieden wird (die Flucht ins Milieu, wenn die Figuren nicht mehr so recht gelingen wollen: auch zu beobachten in My Name Is Earl, It's Always Sunny in Philadelphia, beide freilich insgesamt deutlich gelungener). Eher leiden sie unter einer konsequent nach außen gewendeten Ironie, die kein reflektiertes Verhältnis zur Welt ist (wie in Seinfeld), sondern eine bloße Vermeidungsstrategie (aus der die Serie dann wiederum ihre redundante Struktur ableitet). Einzig Zach Galifianakis, der freilich schlechteste Schauspieler der drei, darf ein wenig echten Masochismus leben.
Natürlich bereitet es andererseits große Freude, Ted Danson wiederzusehen...

Monday, November 15, 2010

Pickup, Hugo Haas, 1951

Ich hatte mir das Kino von Hugo Haas wilder vorgestellt, weiter entfernt in ästhetischer wie dramaturgischer Hinsicht vom Studio-Mainstream. Sein geringes Budget sieht man Pickup zum Beispiel nur insofern an, als dass sehr wenige Sets und verhältnismäßig wenige Darsteller auftauchen, ansonsten ist alles sehr smooth. Die kleine Noir-Erzählung um einen braven, osteuropäischen Immigranten und die blonde all-american-Slut ist nicht High Camp, doch das hat sie auch gar nicht nötig; sie entwickelt einen ganz eigenen Reiz. Am Anfang hält die Blondine den Hund im Arm, den sich der Immigrant kaufen will, er kauft dann statt dessen die Blondine. Am Ende ist Blondie verscheucht, er hält den Hund in seinen Armen. Eine perfekte Substitution, keine Frage. Die Verwicklungen dazwischen hat sich Hugo Haas, der die Hauptrolle selber spielt, garantiert nur ausgedacht, damit es eine halbwegs glaubwürdige Rechtfertigung für eine masochistische Fetischanordnung aus dem Bilderbuch gibt: Die Blondine beschimpft den Immigranten (also Haas, den Regisseur) aufs Übelste, der hört jedes Wort, kann sich aber nicht wehren, weil sie ihn für taub hält. Ohne Zweifel sind beide und auch alle Nebenfiguren komplett durchgeknallt, aber eben nur ein bisschen. Oder vielleicht: erst seit kurzem. Vielleicht waren der Immigrant, die Blondine, der junge Rivale, der "Professor" vor nicht allzu langer Zeit noch ganz normale Menschen - und ein wenig erinnern sie sich immer noch daran, wie es damals war. Durchgeknallt, aber auf eine bodenständige Art und Weise, das sind die Figuren, das ist die ganze Unternehmung. Ein Film, der sich damit begnügt, einen sehr privaten Fetisch ins Bild zu setzen und der ansonsten ganz unambitioniert populäres Kino sein will: Das hat mir dann doch ziemlich gut gefallen.

Thursday, November 11, 2010

Totality as Conspiracy: Overkill

Frederic Jamesons These, dass die soziale Totalität moderner Gemeinschaften nur noch als Verschwörung dargestellt werden könne und dass deshalb Verschwörungsfilme eine gesellschaftliche Wahrheit gerade dann aussprächen, wenn ihre Plots besonders absurd daher kommen, erscheint angesichts des aktuellen Kinojahrs, in dem kaum ein größerer Actionfilm ohne Verschwörungstheorie auskommt, plausibler denn je. Gleichzeitig aber scheinen diese Filme selbst uninteressanter denn je, auch für eine Lektüre der Art Jamesons. Die Verschwörungsmechanik ist herabgesunken zu einer Drehbuchtrope der banalsten Art, zu einer voll konventionalisierten Form, in die man High-Concept-Formeln wie "Präsentation von Angelina Jolies aktueller Kleider- und Perückenkollektion" (daraus wurde der immerhin noch ganz coole Salt), "Rentner machen Krawall und klopfen dabei dumme Sprüche" (daraus wurde jüngst Schwentkes okay inszenierter aber leider furchtbar gescripteter Red) oder "80ies-Trash-TV-Revival" (daraus wurde die nun vollig unterirdische A-Team-Neuauflage) gießen kann, ohne dass sich die Verschwörung irgendwie zu dem verhalten müsste, womit sie da konfrontiert wird.
Die Verschwörungsfilme der Siebziger Jahre waren nicht einfach nur origineller, man spürt in ihnen vor allem auch immer ein wenig - wie auch immer ästhetisch sublimierte - Entrüstung über die realen Verschwörungen (Kennedy, Martin Luther King, Watergate, im weiteren Sinne auch Vietnam), zu denen sie sich auf komplexe Weise verhalten (das heißt eben auch und zuerst: sie haben eine Haltung). Unterhält das heutige Hollywood (oder sonst irgendwo... wobei ich de Palmas Redacted zB noch nicht gesehen habe) ein ähnliches Verhältnis zum Irakkrieg, den erfundenen Massenvernichtungswaffen, den Folterungen? Natürlich gibt es ein Verhältnis, die Verweise sind meist überdeutlich und nicht zu übersehen, aber selbst einem Film, dessen Verschwörung mit ihrem realen Vorbilder in eins fällt (Green Zone) kann ich sein liberales, gut gemeintes Programm nicht ganz abnehmen; zu routiniert greift da ein Verschwörungsrädchen ins andere, zu routiniert wird auch die Wandlung vom patriotisch-affirmativen zum patriotisch-kritischen Subjekt vollzogen (ok, das liegt vielleicht auch an Matt Damon, der kann und will halt nichts anderes sein als ein hochprofessioneller Routinier). Nicht umsonst ist in The Hurt Locker, dem besten Irakfilm, die Verschwörung radikal abwesend.
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Es mag das alles auch damit zusammenhängen, dass die Fallhöhe, die ein guter Verschwörungsplot braucht, schon in der Wirklichkeit nicht mehr gegeben ist, wenn der nominelle Chef-Verschwörer seine Untaten nur wenige Jahre später stolz publizieren und bei Oprah präsentieren kann. Wenn also der Skandal nicht mehr hinter der Lüge versteckt ist, sondern darin besteht, dass es der Lüge gar nicht mehr bedarf. Andererseits ist das vermutlich nichts neues. Siehe zum Beispiel die Tirade in Philip Roths I Married a Communist anlässlich Nixons Beerdingung.

Tuesday, November 02, 2010

Viennale 2010: Mistérios de Lisboa, Raoul Ruiz, 2010

Man möchte eigentlich Camilo Castelo Brancos literarische Vorlage lesen nach diesem Film, ein Epos aus der Mitte des 19. Jahrhunderts, leider scheint es weder deutsche, noch englische Übersetzungen zu geben. Der Film kommuniziert nicht, wie viel von ihm in Brancos Werk angelegt ist, ob sich all die Intrigen, Betrügereien, Lügengeschichten schon bereits dort zu der sonderbar ursprungslosen Ursprungserzählung der Moderne fügen, die sie bei Ruiz geworden ist. Oder ob der Roman lediglich eine gut funktionierende Geschichtenmaschine war, die eher zufällig mit Chiffren der Moderne (französische Revolution, Amerika) angereichert wurde.
Der ungeheuer elegant inszenierte Film (dessen Grundbewegung der laterate tracking shot ist) zumindest konstruiert eine Welt, in der die Individuen nicht mehr identisch mit sich selbst und das heißt auch: nicht mehr identisch mit der sozialen Konfiguration, in die sie hineingeboren wurden, sind. Das Individuum wird zum Herr (seltener: zur Herrin) über die eigene Biografie. Aussehen, Namen, gesellschaftlicher Rang sind nicht mehr Natur, sondern werden Verhandlungsmasse. Verkleidung und Adoption sind die grundlegenden Motive, die den Film antreiben. Im Zentrum steht ein Junge, der im Gegensatz zu seinen Schulkameraden nur einen Vornamen trägt und deswegen gehänselt wird: In den Zusatznamen ist die Genealogie enthalten und damit für das jeweilige Gegenüber verfügbar. Ein Mensch mit nur einem Namen muss entweder Kind eines Niemand sein oder es muss eine Verschwörung gegen die Identität vorliegen. Letzteres ist in Mistérios de Lisboa der Fall, die Aufdeckung der einen Verschwörung führt allerdings nie weiter als zu einer neuen Verschwörung hinter der Verschwörung. So oder so entzieht sich ein Mensch ohne Zusatznamen den Kategorisierungen der Gesellschaft. In diesem Kind im Zentrum des Films, dessen Genealogie eine einzige Verschwörung ist, wird der Film zur Ursprungserzählung einer gesellschaftlichen Formation, die alle sozialen und biologischen Gegebenheiten in Potentiale verwandelt. Ursprungslos ist diese Ursprungserzählung, weil die Hauptfigur selbst fast nie handelndes Subjekt ist, sondern ein passiver Kristallisationspunkt bleibt, um den herum sich Geschichte um Geschichte, Betrug um Betrug anlagert. Die Hauptfigur selbst erlebt die Modernisierung als multiples Melodram, als ein ewiges "zu spät".

Sunday, October 31, 2010

Viennale 2010: Ken Jacobs

The Day Was a Scorcher, 2009
A Loft, 2010

Zu meinen schönsten Entdeckungen auf der diesjährigen Viennale zählen zwei neue Filme eines weit über Siebzigjährigen Avantgardisten. Beide bedienen sich einer ähnlichen Technik, die ich nicht bis ins letzte verstanden habe: Jacobs montiert Einzelbilder beziehungsweise sehr wenige kontinuierliche Filmframes in dreidimensional anmutende, skulpturale Arrangements. Kleine Verschiebungen und zwischengeschaltete Schwarzbilder konstruieren virtuelle Bewegungen, die man auch dann nachzuvollziehen gezwungen ist, wenn man ihre Virtualität durchschaut hat. Oft schwirrt eine plastisch gewordene Welt um einen stillgestellten, flachen Angelpunkt.
The Day Was a Scorcher nutzt fotografisches oder filmisches Material (da habe ich unterschiedliche Angaben gefunden), das Jacobs vor Jahrzehnten selbst aufgenommen hat: Ein Familienurlaub, seine Frau und die zwei gemeinsamen Kinder spazieren durch eine (europäische?) Stadt. In den absurden Räumen erhalten die Gesichter eine piktoriale Qualität, wie ich sie so noch nie gesehen habe. Die Bilder werden einerseits radikal enthistorisiert und ins digitale Zeitalter eingeschrieben, andererseits gewinnen die Großaufnahmen der Gesichter eine Expressivität, die die gesamte Filmgeschichte auf einmal zu evozieren scheint.
A Loft setzt sein Ausgangsmaterial ans Ende: Der Film basiert auf einem wenige Sekunden langen Schwenk durch ein recht chaotisches Appartment. Jacobs nimmt diesen Schwenk auseinander und verwandelt das Appartment mit Flickereffekten, Farbkorrekturen und videografischen Bilddrehungen in eine Art Raumschiff, das bei jeder Drehung eine neue, flirrende Räumlichkeit und eine neue, halbmaterielle Textur erhält.

Saturday, October 30, 2010

Viennale 2010: Festival, Jean-Claude Rousseau, 2010

Das Filmfestival als Zauberwürfel. Eine Drehung weiter und eine neue Verbindungslinie wird sichbar: Festivalfilme über Filmfestivals. Guerins Guest kommuniziert einerseits mit The Forgotten Space, andererseits aber auch mit Jean-Claude Rousseaus Festival. Diesmal sind die Filme keine Antagonisten hinsichtlich ihres Bildkonzepts, sondern hinsichtlich der Blickrichtung (die Guerin wiederum mit Burch / Sekula teilt). Auch Rousseaus Film ist ausschließlich auf Filmfestivals entstanden, genauer gesagt auf unterschiedlichen Ausgaben des Torino Film Festivals und auch in Festival kommt das Festival selbst nicht vor. Der Regisseur strebt allerdings nicht nach der Aufhebung der eigenen Subjektivität im dokumentarischen Welt, sondern arbeitet an einer komplexen Selbstfiktionalisierung, die auf ihre Weise auch eine Aufhebung darstellt: Der Film spielt fast ausschließlich in anonymen Hotelzimmern, deren einziger Bewohner Rousseau selbst ist.
Eine denkbar spröde, aber nicht ganz humorlose Metafiktion (ich kenne keine anderen Filme Rousseaus - bis auf den kurzen Series noire - und muss das möglichst bald nachholen). Starre, flache Einstellungen, irritierende Ton / Bild-Scheren, Betonung des Rahmens und des hors cadre, das Schwarzbild als konstitutives Element einer sehr privaten Poetik. Das erste Zimmer ist mit einem anderen Raum (filmisch, nicht räumlich) verschaltet, in dem eine Frau mit einem Tonbandgerät sitzt und sich wiederum mit Rousseau... nicht unbedingt unterhält, aber zumindest mit ihm in Verbindung steht. Auf die Bitte, ihr zu schreiben, habe er geantwortet: "ich schreibe nicht" und hinzugefügt, dass er an die "Grafie" in der Cinematografie nicht glaube, dass also die Kamera kein Medium der Schrift sei. Oder so ähnlich. Und besonders viel geschrieben / kommuniziert wird im Folgenden tatsächlich nicht. Es gibt einige Straßenaufnahmen, die von Rousseau und einem anderen Mann kommentiert werden, einige Aufnahmen aus einem Kinosaal, in dem sich niemand befindet außer Rousseau, der einige Positionen ausprobiert, sich in einem Sessel niederlässt, wieder aufsteht, ein paar Reihen nach vorne geht, sich auf einen anderen Platz setzt, wieder aufsteht... Sonst: Bilder in Hotelzimmern, Blicke aus den Fenstern von Hotelzimmern (wobei die Zusammenhänge zwischen einzelnen Ausschnitten nur über die Montage entstehen und nie in einer Totalen oder einer Kamerabewegung, nicht einmal in räumlichen Überschneidungen verifiziert werden; ein konstruktivistisches Kino, aber im Straubschen Sinne: Die Integrität des einzelnen Bildes darf nicht durch andere Bilder gefährdet werden, auch deshalb vielleicht die Schwarzbilder als Stopper dazwischen). Fast zwanghafte Wiederholungen von Einstellungen und Einstellungsfolgen. Variationen und Serien: Die Frau auf dem Nachbarbalkon wird langsam abgelöst durch einen Mann, der einen langen, leeren Kontrollblick in Richtung Kamera wirft. Auf eine am Anfang angedeutete metafiktionale Pointe läuft das ganze nicht heraus. Sondern auf eine Gegenüberstellung: Das Fenster zur Welt gegen die harsche Linie des Schriftzugs auf weißem Papier. In der letzten Einstellung verrutscht das Papier, seine Kante wird sichtbar, der Rahmen des Filmbilds setzt sich ein weiteres Mal in sein Recht.

Thursday, October 28, 2010

Viennale 2010: They Met in Hongkong

The Forgotten Space, Noel Burch / Allan Sekula, 2010
Guest, José Luis Guerín, 2010


Filmfestivals schaffen räumliche Verdichtungen, aus denen sich fast zwangsläufig Begegnungen, Übereinstimmungen, oder auch exakte Kontraste ergeben, die weniger mit den Objekten selbst zu tun haben, als mit ihrer zufälligen und in vieler Hinsicht willkürlichen Nachbarschaft in der Programmierung. In den letzten Tagen zum Beispiel haben sich eine niederländisch-österriechische Koproduktion und ein spanischer Dokumentarfilm in Hongkong berührt. Sowohl The Forgotten Space von Noel Burch und Allan Sekula als auch José Luis Gueríns Guest landen auf ihren sehr unterschiedlich gearteten Reisen (globalisierte Roadmovies sind beide, aber die Bewegungsformen ähneln sich ebenso wenig wie die filmische Flaschenpost, die in ihrem Verlauf entsteht) in Hongkong. Und beide interessieren sich dort für dieselbe Personengruppe: Phillippinische Hausmädchen, die fernab der Heimat und der eigenen Familie fremde Kinder erziehen. Sonntags treffen sie sich im öffentlichen Raum und leisten sich in ihrem Leid Gesellschaft. In den Blick kommt mit dieser Übereinstimmung aber kein gemeinsames Projekt, ganz im Gegenteil. Ganz zufällig ist der Zufall zwar nicht: Sicherlich gibt es ein Gemeinsames beider Filme, eine gemeinsame Blickrichtung zumindest, die beide Filme in Hongkong zu den exilierten Hausmädchen treibt und nicht irgendwo anders hin. Aber was hinter dem Blick steht, könnte verschiedener nicht sein.
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Bei Burch / Sekula steht hinter dem Blick eine These: Welthandel ist böse. Diese These treibt den Film an und verwandelt die für sich selbst durchaus interessanten Menschen, Orte und Zusammenhänge, auf die die Regisseure stoßen, in Argumente. Material für fünf, wenn nicht zehn interessante Dokumentarfilme gibt es in The Forgotten Space. Nicht nur für Filme über die Hausmädchen (und über die phillippinischen Männer, die im Hafen der Stadt arbeiten), auch für solche über Architekturgeschichte, Gewerkschaftsbewegungen, Containerschiffahrt (wobei es zu letzterem Thema mit der zweiten Staffel von The Wire eigentlich bereits ein ziemlich überzeugendes Statement gibt). Aber die interessanten Teile fügen sich zu einem uninteressanten Ganzen. Schuld ist nicht die Präsentation, die ist zwar für einen angeblichen "Filmessay" stellenweise etwas slick, aber grundsätzlich schon okay. Schuld ist die Reduktion von allem aufs Argument. Und teilweise auch die Dummheit des fürchterlich technophoben Arguments, dem alles Dialektische fremd ist. Eine argumentative Auseinandersetzung mit dem Welthandel müsste mit der Feststellung beginnen, dass er zuerst einmal eine großartige Sache ist, dass es der Menschheit inzwischen möglich ist, jeden Tag abertausende Container von einem Ende der Welt ans andere zu transportieren und dass die Probleme da anfangen, wo die falschen Sachen auf die falsche Weise und vielleicht auch noch in die falsche Richtung transportiert werden. Bei mir, der ich mit seinem Grundanliegen eigentlich schon halbwegs sympathisiere, hat der Film am Ende eher eine Trotzreaktion ausgelöst. Das Bild eines Containerschiffes inmitten der Weltmeere, mit dem Burch / Sekula ihr dokumentarisches Panorama punktieren, ist für mich auch weiterhin eher eine Utopie denn eine Dystopie.
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José Luis Guerín hat kein Argument, nur eine Kamera. Mit der begleitet er seinen eigenen Film En la ciudad de Sylvia auf dessen Reise um die Welt, von Filmfestival zu Filmfestival (ein Film, in dem ein Mann Frauen anschaut, zwei dieser Frauen tauchen noch einmal kurz auf im neuen Werk, Guerín hat sie gefilmt, fotografiert und jetzt schon wieder gefilmt, seine Kamera, seinen Blick wird man nicht so ohne weiteres los). Hauptsächlich entsteht der Film in Lateinamerika, dazu kommen Abstecher nach Asien, Israel und New York, in Venedig, einer der letzten Stationen, fühlt sich die Kamera sichtlich unwohl; auch in Kuba filmt Guerín. Die Bilder die er dort findet, werden aller Voraussicht nach dafür sorgen, dass er vom dortigen Havana Film Festival nicht mehr so schnell wieder eingeladen werden wird.
Der Tagebuchfilm Guest dokumentiert also einen Weg. Struktur geben lediglich Tagebuchblätter zwischen den einzelnen Episoden. Ansonsten ist der Modus das Sammeln und die Form die Skizze. Manchmal folgen auf ein Kalenderblatt nur impressionistische Aufnahmen aus einem Fenster, aus der Eisenbahn, aus dem Flugzeug, manchmal filmt Guerín den Fernsehbildschirm in seinem Hotelzimmer, manchmal sind es Begegnungen (mit Jonas Mekas und mit Chantal Akerman zum Beispiel), einmal erlaubt sich der Film einen Blick in das Notizbuch des Regisseurs, wobei sich offenbart, dass in der Zukunft vielleicht ein Guerín-Bibelfilm ansteht, manchmal entstehen aber auch ganze kleine Dokumentarfilme. Was in Guest fast gar nicht vorkommt, ist das Event selbst. Gerade, weil die Festivals nicht (bzw kaum) vorkommen, wird der Film zu einer alternativen Topografie des Kinos. Zu Gast ist der Regisseur in der jeweiligen Stadt, nicht in ihren Festivals. Und seine Kameras interessiert sich konsequent für die Menschen, die gerade nicht vom Festival adressiert werden. Zunächst sucht die Kamera das Leben auf der Straße: Straßenmusiker/händler/prediger/verkäufer/sänger, Demonstrationen, einfache Gespräche mit Passanten. Wo der öffentliche Raum wenig preisgibt (in Macao, in Cuba), geht Guerín mit der Kamera auch in den Wohnraum.
Was ein narzisstischer Film sondergleichen hätte werden können, ist das Gegenteil geworden. Schon im fiktionalen En la ciudad de Sylvia hatte sich ein nur auf den ersten Blick voyeuristischer Blick von der Schwere der maskulinen Subjektivität gelöst (die männliche Hauptfigur wurde zur Leerstelle, lud nicht zur Identifikation ein, sondern hatte Teil an einem fast rein physikalischen Kräftespiel; Anziehung und Abstoßung), im dokumentarischen Nachfolger (eigentlich ganz wörtlich: im Begleitfilm) Guest ist das Blicksubjekt noch weniger definiert. Einige wenige Male hört man Guerín zu seinem jeweiligen Gegenüber sprechen, ein einziges Mal sieht man seine Hand, wie sie eine Horizontlinie nachzeichnet. Aber es gibt nichts, was auf ein Individuum hinter der Kamera verweist, auf einen Autor, dem es daran gelegen wäre, die jeweilige Blickrichtung, die Bewegung zu plausibilisieren. Der entkörperlichte Blick hat eine Richtung, eine Tendenz, eine Vorliebe und sogar, vielleicht: zuallererst eine moralische Haltung, aber keine Agenda. Man könnte das Unfertige nicht nur am Film, sondern an jedem einzelnen Bild bemängeln. Aber dann würde man übersehen, dass sich gerade in der Entscheidung, das Unfertige unfertig stehen zu lassen, eine Form von Vertrauen in die Möglichkeiten des Bildes artikuliert, die einem Film wie The Forgotten Space vollkommen fremd ist.

Wednesday, October 27, 2010

Viennale 2010: Schmutziger Süden, Klaus Lemke, 2010

Das Gespräch nach dem Film war unerträglich. Tobias Kniebe als in sich hinein grinsender Stichwortgeber bringt die schlechtesten Aspekte seines Gegenübers zum Vorschein. Klaus Lemke macht natürlich nur allzu bereitwillig mit; wenn er sieht, dass Wenders-Bashing gut geht, schiebt er noch ein „Schrott, alles Schrott!“ nach. Die eigene Pose wird zum selbstgewählten Gefängnis. Ein Filmgespräch zum aus-trotz-Wim-Wenders-Fan werden. (Keine Angst, so weit wird es nicht kommen...)
Dabei wäre, unter anderen Umständen, nicht alles (im poetischen Sinne) falsch, was er sagt. Ich nehme ihm das, was er daüber erzählt, wie seine Filme entstehen, durchaus ab. Dass die Filme sehr direkt Begegnungen mit erstens einzelnen Menschen und zweitens bestimmten Städten entspringen: Das sieht man ihnen an. Dass Lemke dabei ohne Netz und doppelten Boden arbeitet, dass er sich Menschen und Orte aussucht, die ihn herausfordern, auch, weil sie das, was bei ihm selbst Pose ist, einfach nur sind: Das sieht man ebenfalls. Die Entscheidung Drehort Hamburg oder Drehort Berlin kann in so einem Kino tatsächlich zur existenziellen Frage werden. Und der endgültige, totale Formkollaps, der Schmutziger Süden ist, der wird dann erfühlbar als Folge einiger schiefgelaufener Begegnungen. Die falsche Stadt, die falschen Mädchen, auch der Hauptdarsteller kommt eigentlich aus Essen.
In Hamburg hatte Lemke vorher zwei großartige und auf ihre Weise sehr stringente Filme gedreht: zuerst das Melodram Finale (weg von der Fußball-WM, hin zur amour fou), dann den urbanen Thriller Dancing With Devils (aus dem Knast in den Tod). Der neue Film beginnt ebenfalls in Hamburg, als Kleinkriminellengeschichte, schon dort beginnt die Sache aus dem Ruder zu laufen. In München angekommen zerfällt der Film seinem Regisseur sichtbar unter den Fingern. Er hat das sicherlich bemerkt und sich dann entschlossen, doch weiter zu drehen. In Abwesenheit einer anderen Struktur strukturieren höchstens die verschiedenen Frauen. Vier, fünf, sechs Lemke-Mädchen (manche interessant, manche weniger, die mit den halblangen blonden Haaren aber möchte ich noch sehr gerne in anderen Lemke-Filmen sehen, weil sie mehr Widerstand leistet als die anderen) umschwärmen bald abwechselnd den neuen Helden, der wieder in einem seltsamen Spannungsverhältnis zu seinem Regisseur steht: Lemke investiert stets etwas zu viel in seine Männer, sie sind nicht einfach Stellvertreter, neurotische Projektionen sind sie natürlich schon, aber irgendwo scheinen die Filme trotzdem immer zu wissen (auch wenn Lemke selbst das vielleicht tatsächlich nicht mehr weiß), dass an dem unbedingten, in jeder Geste ausgestellten Vitalismus etwas faul sein muss, dass er (fürs Leben schon gleich gar nicht und auch) für den Film nur als ästhetischer Effekt taugt, der mit anderen Effekten und Affekten konfrontiert werden muss. Inkongruenzen, die im neuen Film tendenziell, aber doch nicht ganz, hinter grundlegenderen, offensichtlicheren Inkongruenzen verschwinden. Denn in Schmutziger Süden ist es vielleicht tatsächlich nur noch die Diskontinuität, der brutale Bruch, in dem dieses Wissen zu verorten ist.
Und toll ist das Titellied: „Overnight Slavery“.

Tuesday, October 26, 2010

Viennale 2010: Das rote Zimmer, Rudolf Thome, 2010

Nur ein wenig jetzt, mehr wird es hoffentlich später zu sagen geben über diesen schönen Film, aber dazu muss und möchte ich auch Das rote Zimmer wohl zuerst noch ein zweites Mal sehen; so kunstvoll versteckt der Film seine kunstvolle Konstruktion.
Vielleicht sind alle Thome-Filme inzwischen Beschreibungen von Inseln. Beschreibungen weil sie eher beschreiben denn erzählen, wie etwas geschieht: nicht unbedingt nüchtern, aber stets genau und ein wenig pedantisch (das Kino darf pedantisch sein), eins nach dem anderen, jeder Schritt hat dieselbe Emphase, ob sich zwei küssen und eine dritte den Kuss beobachtet (das passiert oft im Film und der Blick der Beobachtenden hat ganz unterschiedliche Bedeutungen, ist mal nur wissenschaftlich-neugierig, mal eifersüchtig, mal irgendwas dazwischen), oder jemand nur mit einem Auto an Weizenfeldern (?) entlang fährt, anhält und aussteigt. Was würde es bedeuten, wenn...? Und genau dieses "was wäre, wenn" ist die Form der Filme, das resultiert allerdings nicht in fantastischen Konstruktionen, sondern in Welten knapp neben der Realität, Welten, in denen man sich auch nicht wundern muss, wenn in den Fernsehnachrichten vom Oderhochwasser die Rede ist. Beziehungsfilme als Science Fiction der Jetztzeit. Inseln, weil die Filme auf inselartige Organisationsstrukturen zustreben. Häuser mit eigenem Garten und Teich, Selbstversorger aus freiem Willen, vertraglich geregelte Absonderung. (Aber die Insel ist nicht völlig isoliert, sie braucht ihr Außen, die Stadt. Und es ist nicht so, dass allen Thome-Figuren in der Stadt unbedingt etwas fehlt.) Auf einer Insel gibt es andere Organisationsformen (oder: es kann andere Organisationsformen, solche, die es sich im Kino zu beschreiben lohnt, nur noch dort geben) als an Orten, die keine Inseln sind. Und diese Formen zu beschreiben ist nicht dasselbe wie eine einfache Flucht ins Private.
Wie in Tigerstreifenbaby wartet auf Tarzan: Ein Mann, zwei Frauen, ein Haus auf dem Land. Aber das Ende ist völlig anders und im ganzen Film geht es um Wissenschaften und um Verträge, um Formalisierungen. Fred, der Mann ist außerdem diesmal kein Alien, sondern Kussforscher und schreibt einmal ein biochemisches Paper mit allerlei Formeln und Statistiken, während ihm die Kamera über die Schulter blickt. Die beiden Frauen, auf die er trifft, erforschen Gefühle, erstellen Fragebögen, formulieren Verträge. Luzie, die eine Frau, schreibt außerdem Romane, sie ist es, die Fred findet und in das gemeinsame Landhaus einführt. "Ich werde Dich lieben, bis ich sterbe", sagt sie. Sibil, die andere Frau, ist erst sehr bossy, als Fred dann aber mit verbundenen Augen in Richtung rotes Zimmer geführt wird, hebt sie sanft die Äste eines Baumes, damit die ihm nicht ins Gesicht geraten. Ein anderes Mal legt sie ein, so nennt es der Abspann: Buschfeuer. Diese Szene habe ich nicht ganz verstanden. Auch deshalb möchte ich diesen Film bald wieder ansehen.

Monday, October 25, 2010

Viennale 2010: Hahaha, Hong Sang-soo, Südkorea

Hahaha ist der vielleicht kunstvollste Film Hongs: Nicht mehr sind es zwei (drei, vier, fünf) aufeinanderfolgende Geschichten, die sich um einen Umschlagpunkt spiegeln, sondern zwei (drei) parallele, auf verschiedenen Ebenen ineinander verschränkte Geschichten, die sich außerdem weniger spiegeln, als gegenseitig verunreinigen. Der Film spielt wieder einmal in der Provinz und er hat seinen Schauplatz so perfekt im Griff, wie nur sehr wenige Filme, die ich kenne. Vier, fünf, sechs zentrale Orte, die exakt und doch spielerisch miteinander verschaltet sind; das Eingangstor zum Haus einer Frau (die Frauen arbeiten, die Männer schreiben "pubertäre Gedichte" und "haben noch keinen Film gedreht", außerdem haben sie inzwischen gehörige mother issues) spielt eine wichtige Rolle, doch erst in der dritten oder vierten Szene, die dort spielt, zeigt Hong seine relative Lage zu den restlichen Orten.
Probleme hatte ich zunächst mit der Klammer, die um die beiden Geschichten gelegt wird: ein rückblickendes Gespräch zwischen zwei der drei männlichen Hauptfiguren (die dritte ist der eine innerdiegetische Schalter zwischen den Strängen, das Gespräch der andere). Alkohol ist natürlich im Spiel, sowohl in der Klammer, als auch immer wieder in dem, was eingeklammert wird. Die Klammer irritierte mich zunächst, weil sie die ganze Angelegenheit doch ein wenig in Richtung (masochistischen, aber das entschuldigt nicht alles) Herrenwitz zu wenden schien. Mit etwas Abstand aber gebe ich Ekkehard, der bereits einen großartigen, langen Text zum Film geschrieben hat, doch völlig recht: die Klammer ist keine Verankerung, sondern wird konsequent zum Störmoment. Nicht nur, weil es ein Spannungsverhältnis zwischen Gezeigtem und Gesagtem gibt, auch in der Art, wie die Klammer gebaut ist. Das Gespräch der beiden Freunde wird eingeführt mit schwarz-weißen fotografischen Standbildern und Voice-Over-Gesprächen. Anfangs hört man auch noch einige Geräusche, zum Beispiel Getränkebecher, die gegeneinander gestoßen werden. Später reduziert sich diese beschränkte Zeichenwelt noch weiter: es tauchen in den Überleitungen zwischen den beiden Handlungssträngen immer weniger Fotografien auf und es sind außerdem immer wieder dieselben: der eine lacht, der andere auch, sie stoßen an. Auf der Tonspur: "Prost!" und nicht viel mehr. Das bekommt bald etwas Zwanghaftes, wird Irritation, nicht Rückversicherung.

Viennale 2010: Road to Nowhere, Monte Hellman, 2010

Nach 20 Jahren Abwesenheit ein Comeback ohne jedes Pathos, ohne blick zurück, sehr gegenwärtig, aber nicht unbedingt "zeitgemäß". Allerdings eher deshalb nicht, weil darin "gemäß" steckt und also eine regelhafte Zuordnung, auf die Hellman keinen Bock hat. In der Titelsequenz zu Beginn taucht nicht einmal sein Name auf, da heißt der Regisseur Mitchell Haven. Immer sonderbar und immer faszinierend ist Road to Nowhere, beim ersten Sehen kaum vollständig entschlüsselbar, weder in seiner Handlung, noch als poetisches System. Anschließend dann auch nur einige erste Notizen.
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Die Titel und der Prolog gehören einem Film im Film, der freilich den gleichen Titel trägt wie das, was um ihn herum gebaut ist. Zuerst Casting, dann Dreharbeiten. Es gibt auch noch andere Filme im Film: Der Regisseur schaut sich zwischendrin mit der Hauptdarstellerin und Geliebten Klassiker von Bergman bis Sturges an und erklärt jeden einzelnen zum "fucking masterpiece". Auch diese Filme stehen nicht außerhalb des Spiegelsystems, das Road to Nowhere ist. Zuerst setzt Hellman stilistische Differenzen zwischen den beiden ontologischen Ebenen, nach und nach reist er sie dann wieder ein. Es interessiert Hellman am Film-im-Film-Konzept einmal der Moment der Ununterscheidbarkeit, von dem aus eine Einstellung in die eine oder in die andere Richtung kippen kann. Dann auch die Idee, dass alle Bilder und nicht nur die Bilder, auch Häuser und Menschen, zwei Seiten haben. Eine wichtige Mordszene, die den Ursprung des Films gleichzeitig bezeichnet und im Dunkeln lässt, spielt mit den zwei Seiten eines Hauses, eine andere, die den Fluchtpunkt des Films gleichzeitig bezeichnet und im Dunkeln lässt, spielt mit den zwei Seiten eines Fensters und dann auch des Filmbilds selbst.
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An Two Lane Blacktop und vielleicht noch mehr an Cockfighter schließt der Film an, weil er einerseits die Chronik einer Obsession ist, der die Hauptfigur nach und nach alles opfert, aber auch, weil er andererseits den Inhalt dieser Obsession nach und nach verschwinden lässt. Es gibt immer einen dunklen Mann, ein Geheimnis im Hintergrund, dessen Einzelheiten weniger wichtig sind als die Effekte, die sie zeitigen, und die vor allem Aushöhlungen sind. Von Obsessionen, auch von Figuren.
Toll ist zum Beispiel Bruno (Walon Payne, der vorher in Walk the Line Jerry Lee Lewis gespielt hat, sonst aber noch nicht allzu viel) ein "Berater" am Set, von dem man von Anfang an nicht so genau weiß, was er da eigentlich zu suchen hat - als Film über die postfordistischen Kino-Produktionspraktiken ist Road to Nowhere vielleicht gerade in solchen Unsicherheiten instruktiv. Bruno ist eine Art Cowboyattrappe, er stolziert ausgemergelt und mit alberner Frisur in der Gegend herum, gabelt irgendwann eine blonde Bloggerin auf (die nochmal andere Filme im Film produziert) und mischt sich in Dinge ein, von denen er ncihts versteht und die ihn nichts angehen. Aber man merkt schnell: Egal worin sich Bruno einmischen würde, er würde von nichts etwas verstehen und nicht würde ihn etwas angehen. Ein Körper, der in sein eigenes Klischee geflüchtet ist und sich da unwohl fühlt. Einmal steht er in dem - vergleichsweise und etwas melancholisch in sich selbst ruhenden - Regisseur und möchte den Ermittler geben, allein, es klappt nicht, schon an den Gesten, an der Mimik scheitert er.
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Grandios ist die letzte Einstellung. An der Wand hängt die Fotografie der toten Hauptdarstellerin. Ein weichgezeichnetes Hochglanzbild, ein Starschnitt. Der Mund allerdings ist nicht weichgezeichnet, sondern extrem scharf, die geöffneten Lippen sind ein wenig aufgesprungen, stellen ihre Textur aus. Hellman zoomt erst auf das Foto, dann direkt auf die Lipen, während die Credits - diesmal die echten - über die Leinwand laufen. Der Mund als Spalt, gleichzeitig psychosexuell, als Verschiebung auf einen anderen Spalt verweisend und aber auch ontologisch: der Mund als Bruchstelle, durch die etwas eindringt, ein stoffliches Reales, das in den billigen Videobildern des übrigen Films (der mit einer Art Fotokamera gedreht wurde, die auch mehrmals direkt im Bild auftaucht und einmal mit einer Waffe verwechselt wird, das ist alles sehr schön, aber die 35mm-Bilder habe ich doch mehr vermisst als in vielen anderen digital produzierten Filmen der Gegenwart) wie ein Fremdkörper wirkt.

Sunday, October 24, 2010

Viennale 2010: Pink Saris, Kim Longinotto, 2010

Dokumentarfilme haben zwar einerseits den Vorteil, dass sie, wenn sie ein interessantes Thema behandeln, kaum ganz unerträglich sein können. Andererseits schaue ich auf Festivals bei Dokumentarfilmen mindestens genauso auf den Regisseursnamen wie im Fall von Spielfilmen. Was mich interessiert, ist doch zuerst die Art und Weise, mit der sich da jemand einem Gegenstand annähert. Oder vielleicht eher: Ohne eine sinnvolle Art der Annäherung verschwindet der Gegenstand in seiner bloßen Sichtbarkeit. Es geht einer an Regisseuren orientierten Cinephilie nicht zwangsläufig um das Autorengenie, gerade die Dokumentarfilme zeigen das: Was mich interessiert, ist die jeweilige Methode, die eine Weltsicht konstruiert und nicht etwa nur neutrales Medium einer solchen ist. Im Dokumentarfilm, insbesondere im guten, bleibt viel von der Produktionsrealität der Dreharbeiten im fertigen Film sichtbar. Filmemachen wird als ein gleichzeitig technisches und soziales System lesbar.
Kim Longinottos Methode schätze ich sehr. Ihre Filme konstruieren die Welt als ein System sozialer Beziehungen. Die Filme zeigen die ganz verschiedenen sozialen Beziehungen inhärenten sexistischen Unterdrückungsmechanismen Stück für Stück, Szene für Szene auf, ohne Behauptungen einzuführen, die nicht direkt im profilmischen Raum verifizierbar sind. Die Welt als sinnlich wahrgenommene, die Welt vor der Kommunikation taucht in den Filmen stets nur nebenbei auf, im Fall von Pink Saris in Seitenblicken der Kamera auf spielende Kinder, auf arbeitende Bauern, auf Tiere. Die Filme machen das sehr bewusst und gehen auch sonst mit ihrer Bildlichkeit sehr sorgfältig um. Oft laufen die Filme auf einzelne Bilder zu, die die Unterdrückungsverhältnisse exemplarisch enthalten. In Pink Saris ist es ein Bild auf einem Bauernhof, die Nichte der Regisseurin, die von ihrem Mann und ihren Schwiegereltern misshandelt wird, hat sich den Schleier über das Gesicht gezogen und steht statuesk, völlig hilflos zwischen ihren Verwandten und deren Kühen. Eine solche Beschreibung sagt freilich wenig darüber aus, wie verheerend dieses Bild wirkt (allein die Kühe, das Verhältnis der Kühe zu dem Mädchen, die kleinen Bewegungen zweier Männer der Familie in ihre Richtung), Sinn ergibt es erst im Kontext des Films.
Es bedarf einiger Anstrengung, die Welt als ein System sozialer Beziehungen zu zeigen. Longinottos Filme (viele kenne ich noch nicht) suchen Knotenpunkte des Sozialen, oft Institutionen, die aber nie nur für sich selbst interessant sind (wie bei Wiseman), sondern die immer für einen größeren Ausschnitt des gesellschaftlichen Ganzen stehen. In Pink Saris gibt es einen besonderen Dreh: Longinotto folgt fast ausschließlich einer einzelnen Frau. Diese Frau, Sampat Pal, die selbst einer ärmlichen Familie entstammt, von der sie sich zwar emanzipiert, aber nciht ganz losgesagt hat, leitet in Nordindien eine Art feministische Bürgerwehr, die brutal unterdrückten Frauen und Mädchen zu Hilfe kommt. Sampat Pal geht von Haus zu Haus, von Familie zu Familie und zwingt (die Kamera hilft ihr dabei sicherlich) die Opfer wie die Täter, die Konfilkte zuerst zu verbalisieren und anschließend auf der Polizeiwache aktenkundig zu machen. Nicht immer hat sie Erfolg, aber insgesamt ist der Film nicht unbedingt pessimistisch, er glaubt daran, dass Verbalisierung von Strukturen zu deren Überwindung beitragen kann, er muss daran glauben, weil er selber nichts anderes macht und weil Dokumentarfilme (nicht alle, sicher, es gibt natürlich auch Seidl) wenn sie etwas zeigen, auch immer sagen: es ist gut und richtig, das so und nicht anders zu zeigen.

Friday, October 22, 2010

The Arrival, Erik Matti, 2009

Ich kannte von Matti vorher nur Gagamboy, eine wilde, offensiv und freudig trashige Parodie auf Superheldenfilme, in die immer wieder die soziale Wirklichkeit des Drehorts eindrang in Form von Passanten, die das Bild durchquerten und tendenziell zuungunsten der albernen Handlung dominierten. Der neue Film macht etwas ähnliches mit seiner Tonspur. Viele Innenraumszenen sind geradezu ohrenbetäubend laut, weil - wie in Brillante Mendozas Serbis - Alltagsgeräusche durch die Ritzen in den dünnen Wänden dringen. Dabei spielt der Film zu weiten Teilen nicht einmal in der Großstadt, sondern in der Provinz. Die Hauptfigur Leo, mit deren süßlichen Bescheidenheit ich mich nicht immer so leicht abfinden konnte, nimmt zu Beginn Urlaub (und auch dabei kommt ihr der Straßenlärm zu Hilfe), fährt in die Provinz und bleibt dort. Zuerst nur, weil Leo ein Haus und eine Frau aus einem Traum erkannt zu haben glaubt - im Traum läuft die Frau aus dem Haus und küsst die Kamera.
Doch dieser Handlungsstrang ist von Anfang an underplayed, die romantische Eroberung gestaltet sich zunächst leichter als erwartet, nur um dann aus heiterem Himmel aprupt und endgültig zu scheitern. Sowohl Courting als auch Liebeskummer sind dem Film bereits zu viel Dramatik. Viel wohler fühlt sich der Film - und fühlt sich Leo - bei seinen Wirten, einem Vater und einem Sohn, die ihn zunächst ein wenig ausnehmen, dann ein wenig liebgewinnen. Matti filmt The Arrival strikt antiklimatisch, jeder dramaturgischen Spitze, die am Horizont aufzutauchen scheint, wird schnellstmöglich eingedampft. Es ist schon irgendwie rührend, wie der Genrefilmer Matti gegen die Instinkte der Industrie, der er entstammt, einen fast-schon-Ozu-Film zu drehen versucht. Weniger rührend als sonderbar ist, wie sich zwischendurch doch wieder Bilder in den Film schieben, die eindeutig einem Kino entstammen, dem Aufmerksamkeitsökonomie über alles geht. Die Hochglanz-Traumszenen gehören dazu, es gibt aber andere Passagen, die viel stärker aus dem angestrebten Fluss der sanft modellierten Alltagsdynamiken ausscheren. Eine von mehreren Montagesequenzen, die das gemütliche Landleben zu gemütlichem Asia-Pop zelebrieren, beginnt mit freundschaftlichen Grillabenden und Angelausflügen, endet jedoch mit einem gemeinsamen Bordellbesuch, eine ganze Schar von Prostituierten stürzt sich auf die drei Männer, im späteren Verlauf wird diese Szene nicht nur nie erwähnt, sie hat auch nicht die geringsten Nachwirkungen, weist keinerlei Kontinuität zur restlichen Filmwelt auf.

Monday, October 18, 2010

Nénette et Boni, Claire Denis, 1996

Einerseits kann man einer neuen Form beim Entstehen zusehen. Andererseits bleibt's halt doch ein Sozialdrama. Keine Differenz mehr wird vorausgesetzt zwischen Körper und Welt. Die Körper sind nicht mehr vereinzelt und ganz, sondern aufeinander bezogen und fragmentiert. Die Welt ist kein neutraler Container mehr, sondern die Gesamtheit der sinnlichen Bezugnahmen auf Materie. Was entsteht, ist ein halborganischer Flow, der sich nur dann ein wenig falsch anfühlt, wenn rhythmische Musik ihn begleitet. Und das spricht für den Flow: es ist ein dichterer, ein komplexerer Flow als der der Musik. Auch schön: keine falsche Romantik folgt aus der neuen Form. Paradigmatisch ist das Armband, das im Krankenhaus an der Babyhand befestigt wird. Der Eintritt in die Welt ist der Eintritt in die verwaltete Welt. Und doch: Es bleibt halt ein Sozialdrama. Und sogar ein übles, mit Teenageschwangerschaft, broken homes, ungenau definiertem migrantischen Milieu und so weiter. Wie Denis in ihren Flow die Zeichenlogik des Sozialdramas einbaut, wie widerstandslos dieser Einbau funktioniert, vor allem: Das hat mich immer wieder ziemlich abgestoßen, es wirft die Frage auf: wenn man sich "in die Bilder fallen lässt" (den ganz großen synästhetischen Überschlag kaufe ich der entsprechenden Theorieschule ohnehin nicht ab), wohinein fällt man dann ganz eigentlich? In ihren Afrikafilmen gibt es Stellvertreter für Denis' eigene Position und damit automatisch hierarchische Unterscheidungen. Vielleicht sind hierarchische Unterscheidungen manchmal eine gute Sache. Zumindest, wenn sie im Film figuriert - und nicht nur, bevor die Bildprofuktion überhaupt beginnt impliziert - sind.

Monday, October 11, 2010

Philip Roth

Eingestiegen bin ich in dieses Werk von der falschen Seite: mit I Married a Communist und American Pastoral. Insbesondere letzteren könnte man als Versuch begreifen, tatsächlich die "Great American Novel" zu schreiben, die der gleichnamige Baseballroman aus den Siebzigern parodiert. Vom Gesamtwerk her betrachtet sind auch diese beiden, stark vom Attraktionswert der Zeitgeschichte her konstrierten Bücher vor allem als Rearrangements der klassischen Roth-Obsessionen zu lesen: jüdisches Leben, Maskulinität, Newark, Lindbergh, Nixon, Antikommunismus, Nachkriegsamerika, Father-Issues etc. Dass Sex keine allzu große Rolle spielt, ist auch in erster Linie einem In-joke (Zuckermans Impotenz) zu verdanken.
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Weitherhin irritiert die Erzählperspektive. Macht Roth sich seinen verschiedenen, aber untereinander eng verwandten Erzählern tatsächlich total gleich? Immer wieder suche ich nach Momenten, in denen der Autor sich vom Erzähler distanziert und sei es auch nur ein wenig. Ich finde sie nicht. Aber neutrale Medien, bloße vermittler der Sicht des Autoren auf die Welt sind sie dann auch wieder nicht. Schließlich finden sich in den Büchern auch immer wieder Passagen, die andere, manchmal genau entgegengesetzte Positionen artikulieren. Und die sprachliche Investition in diese Passagen ist dieselbe, derselbe Verve, dieselbe Wortgewalt.
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Die Freude der Romane an Momenten, in denen Zeitgeschichte und fiktionale Diegese perfekt ineinandergreifen, ist eine durchaus perverse.

Wednesday, October 06, 2010

Resident Evil: Afterlife, Paul W.S. Anderson, USA

Der beste Hollywood-Actionfilm 2010 (naja, hierauf muss man natürlich noch warten, bevor man den Titel endgültig verleiht) hat vieles gemein mit dem besten Hollywood-Actionfilm 2009. Wie James McTeigue geht es auch Paul W.S. Anderson zuerst darum, jede einzelne Szene seines Films so aufregend wie möglich zu gestalten. Die Bässe pumpen fast durchgehend, auch die 3d-Effekte bleiben zuerst Effekte und zielen nicht auf ein intensiviertes world building: Messer fliegen in den Zuschauerraum, Regen perlt schon von den Schriftzügen der Credits plastisch in Richtung Sitzbank. Dem Primat des Styles muss sich alles andere beugen: Vorlagentreue, smarte In-jokes, Figurenzeichnung, die über das notwendige Minimum hinausginge. Natürlich muss das Franchise weitergehen, deswegen ist das Ende nicht ganz stimmig, passt nicht wirklich in die Eigenlogik des Films. Dennoch will Resident Evil: Afterlife stets zuerst ein gut funktionierendes B-Movie sein und erst danach eine intertextuell korrekte Computerspielverfilmung. Eigentlich ist es ein kleines Wunder (und vermutlich auch ein wenig dem 3d-Bonus zu verdanken), dass ein solch altmodisches Konzept an den Kassen Erfolg hatte und hat.
Gleichzeitig hat die Art der szenischen Inszenierung in beiden Fällen etwas von einer ehrlichen, sportlichen (vielleicht tatsächlich: materialistischen) Selbstbeschränkung: Anderson und McTeigue zeigen zuerst einen Raum, dann zeigen sie die Akteure, die sich im Raum befinden (beziehungsweise zeigen sie manchmal auch die Unsichtbarkeit einzelner Akteure), dann lassen sie Raum und Figuren miteinander reagieren und zwar auf eine zwar möglichst spektakuläre, aber dabei doch noch folgerichtige Art und Weise. Dennoch ist Resident Evil: Afterlife ein um einiges klassischerer Film als McTeigues posthumanistische Übung und insgesamt eher John Carpenter als Robert Bresson (Ninja Assassin als High-Tech-Variante von Lancelot du Lac) verpflichtet.
Die Festung inmitten LAs, in der eine Handvoll Einzelkämpfer dazu gezwungen werden, gemeinsam ums kollektive Überleben zu kämpfen, evoziert sehr unmittelbar Assault on Precinct 13, Escape from New York und Ghosts of Mars. Eine bei allem Oberflächenzauber klassische Spannungsdramaturgie zerteilt den einen, großen Raum in mehrere kleine, deren lokale Dynamiken und Perspektivierungen in schnellen, aber nie chaotischen Parallelmontagen verschaltet werden. Einige eigentlich nicht ganz zulässige Shortcuts gibt es, zugegeben (einer führt wieder einmal durch den Lüftungsschacht), aber die Gruppenbewegungen durch die Räume bleiben fast immer stimmig und im Framing nachvollziehbar.
Erstaunlich ist auch, wie unangefochten Milla Jovovich das Franchise inzwischen dominiert. Im neuen Film ordnet sich auch ein Wentworth Miller, der in seiner korrekten Prison Break-Rolle als Gefängnisausbrecher eingeführt wird und der mit seiner Statur und seiner Gestik einen Actionfilm dieser Größenordnung auch durchaus alleine stemmen könnte, wie selbstverständlich hinter Jovovichs Alice gemeinsam mit der auch wieder sehr guten Ali Larter in der zweiten Reihe ein. Man vergleiche Jovovichs minimalistische Souveränität (stylisch aussehen IST Ausdruck und Ausdruck genug) und Andersons inszenatorische Nonchalance nur einmal mit dem Aufwand, den Salt oder Wanted (beides auch okaye, beziehungsweise im zweiten Fall mehr als nur okaye Filme btw) in Angelina Jolie investieren, um sie als Action-Heldin salonfähig zu machen. Die Form des B-Films ist geschlechterblind (Hongkong weiß das schon lange), der Sexismus kommt von außen und oft von kulturell angeseheneren Sphären.

Tuesday, October 05, 2010

Ross MacDonald

Keine "two story" structure, sondern eine "three story" structure. Die Geschichte der Ermittlung / die Geschichte der Tat / die Vorgeschichte der Tat. Während die ersten beiden tendenziell kollabieren, bleibt die dritte distinkt und ist immer erst in einer Personenkonstellation erfassbar, nicht in einer einzelnen Erzählung. Zentrales Moment der Struktur (als strukturierende Abwesenheit zentraler noch als das traumatische Ereignis selbst) ist eine Latenzzeit zwischen Vorgeschichte der Tat und Geschichte der Tat. Mal sind das nur ein paar Wochen / Monate, mal mehrere Jahrzehnte. Die Bücher füllen diese Zeit kaum mit Alltag, es muss aber einen solchen geben, als alltägliches Leben mit einem schrecklichen Wissen, das Archer erst nach und nach zusammen trägt.

Verschränkt mit der zeitlichen sind eine räumliche und eine soziale Struktur. Erstere entsteht in jedem Buch neu, letztere ist ziemlich konstant: Die kalifornische High Society der ersten beiden Geschichten wird mit der working-class-Vergangenheit der Vorgeschichte konfrontiert. In Black Money führt der Weg von ersterer zu zweiter durch den hobo jungle.

Archer ist zunächst (The Galton Case) eine reine epistemische Funktion, fast entkörperlicht, selbst Beschreibungen seiner körperlichen Eigenarten sind meist mehrfach gefiltert. Langsam dringt mehr von ihm in die Bücher ein, The Far Side of the Dollar ist dann fast schon ein Dammbruch und überhaupt das seltsamste Buch der Reihe (soweit ich sie kenne).

Klar kommen muss man mit einer manchmal schon unangenehmen pädagogischen Schlagrichtung (v.a. The Doomsters), cringeworthy wird es in akademischen (Black Money) oder jugendkulturellen (The Zebra-Striped Hearse, aber auch sonst immer wieder zwischendurch) Milieus.

Wednesday, September 29, 2010

Paul Giamatti...

...ist ziemlich großartig in der Titelrolle der HBO-Miniserie John Adams. Er gibt das von klangvolleren Namen überschattete Arbeitspferd der amerikanischen Revolution als sturen Störenfried, der wieder und wieder, die Fäuste zusammengeballt, das Gesicht leicht verzerrt, eingreift, wenn sich seine perückengeschmückten Kollegen auf Abwege begeben. Die Geschichte, die einem widerfährt schlägt in diesen Momenten und in diesem Körper um in die Geschichte, die gemacht werden kann.

Auch sonst gefallen mir die ersten beiden Abschnitte sehr gut. Durch die eine oder andere Montagesequenz muss man durch und dass die tollen New-England-Aufnahmen immer so pittoresk angewinkelt sind, nervt irgendwann auch ein wenig. Aber vergegenwärtigen möchte die Serie nicht die physische Welt im Dekor, sondern einen Moment der Selbstermächtigung, der mit einer Abstraktionsleistung einhergehen muss.

Monday, September 27, 2010

Works and Workers at Denton Holme, 1910

Einen fünfminütigen "Fabriktorfilm" - genau das und nichts anderes ist er - haben die beiden Kuratorinnen an das Ende ihrer wundervollen Filmreihe Suffragetten - Extremistinnen der Sichtbarkeit (mehr hier) gesetzt. (Stimmt nicht ganz, es gab ganz zum Schluss noch eine anarchische Überraschung, die meinen verlinkten Text an einer Stelle Lügen straft.) Die Kamera filmt nicht, wie bei den Lumieres, nur aus einer Position, sondern sammelt mehrere Szenen. In fast jedem Bild sind 20, 30, oft noch deutlich mehr Menschen versammelt. Die meisten sind offensichtlich Arbeiter, Arbeiterinnen und deren Kinder. Einige Männer scheinen einem Aufsichtsteam anzugehören; ich weiß nicht, ob das ein Team des Films ist oder eines der Fabrik - oder ob das auf dasselbe heraus kommt, weil die Fabrik nicht nur Auftraggeber, sondern auch Produzent war. Diese wenigen Männer leiten gelegentlich das Gewusel vor der Kamera an, wobei meist nicht klar wird, was das exakte Ziel der Anleitung ist, welcher Bildeffekt erzielt werden soll, welche Abrichtung da antrainiert wurde und reproduziert werden soll. Was eh alles nicht so recht klappt. Zu viel Bewegung, zu viele Menschen, zu früh kommt auch immer wieder der Schnitt.
Eine Momentaufnahme des Verhältnis von Kino zur Masse 15 Jahre nach Erfindung des Mediums. Es gibt hier nicht den Lumiereschen Strom einer eindeutig gerichteten, gleichzeitig naturalisierten Bewegung, sondern den vielfach unterbrochenen Fluss (vielleicht eher: ein halbchaotisches System) unterschiedlicher, ein-wenig-choreografierter (und damit teilweise entnaturalisierter) Vektoren. Die Menschen - in der Reihenfolge ihrer Häufigkeit: Frauen, Kinder, Männer - blinzeln nicht mehr nur verschämt in Richtung Filmteam, sie richten sich offensiv nach der Kamera aus, manchmal schauen sie nur, manchmal posieren sie wie in Gangsterfilmen, die es also schon damals gegeben haben muss. Jedenfalls spricht aus der Reaktion auf die Kamera ein Wissen übers Kino, das noch nicht in Respekt umgeschlagen ist. Noch kann jeder ein Filmstar werden. Gleichzeitig reagiert de Masse als Masse, jeder einzelne ist sich nicht nur der Kamera, sondern auch deren Verhältnis zur Gesamtsituation bewusst. Die Kamera, die sich auch selbst ein wenig bewegt (ein Schwenk erst über lässig an der Mauer lehnende Frauen, dann über lässig an der Mauer lehnende Männer, räumlich getrennt und doch vereint im Habitus), bannt die Masse nicht, sie aktiviert sie.

Sunday, September 26, 2010

Wasser

In zwei Filmen, die am letzten Donnerstag in den deutschen Kinos angelaufen sind, stehen Menschen mit den Füßen im Wasser. Rebecca Hall wird in The Town von ihren Entführern gleich zu Beginn, noch vor dem Titelschriftzug, gen Ufer geschickt, mit verbundenen Augen. Sie darf erst wieder sehen, wenn sie das Wasser an ihren Füßen spürt. In Dinner for Schmucks läuft Steve Carell dagegen von selbst ins Wasser und Paul Rudd, der ihn nur indirekt hinein getrieben hat, folgt und stellt sich neben ihn.
Die Wasserszene in Ben Afflecks eigentlich schon okayem white-trash-Bankräuber-Thriller gibt sich viel Mühe, aus dem Gang ins Wasser einen großen Kinomoment zu zimmern. Handkamera, hyperreales Glänzen, flirrende Luft, vielspuriges Geschwurbel auf der Soundspur. Wenn der Film später flashbackend noch einmal auf dieses Bild zurück kommt, wirkt es einfach nur noch grob zusammen gezimmert, wie alles, was an dem Film mehr als Gesichter- und Milieustudie ist. Jay Roach schneidet dagegen mit berückender Schlichtheit in die Totale und schafft ein einleuchtendes Bild von Egalität - eines von vielen in seiner großartigen Komödie; beziehungsweise ist das eigentlich nur ein Bild einer Utopie von Egalität, einer Egalität, die der Film ganz einzuholen gar nicht vorgibt. Die Utopie realisiert sich lediglich im Abspann, in Form ausgestopfter und kostümierter Mäuse. Die vorangegangene, ziemlich beängstigende Imagination der Unterschicht als "Freaks mit besonderen Fähigkeiten" wird mit dem Abspann ebenso wenig durchgestrichen wie die präzise Analyse der Träger dieser neoliberalen Aufsteiger-Imagination.
Man könnte Affleck mit dem Hinweis verteidigen wollen, dass es ihm nicht um die Semantik des mit-den-Füßen-im-Wasser-Stehens gehe, sondern um ein reines Wahrnehmungsbild (Verschaltung von Sinneseindrücken). Aber dem könnte man dann wiederum entgegen halten, dass es doch wieder nur der Jay-Roach-Film ist, der sich, nach dem Verlassen des Teichs, für das Schwappen in durchnässten Designerschuhen interessier, in denen Paul Rudds, genauer gesagt. Das Herz des Hollywoodkinos schlägt auch weiterhin in Komödien.

Friday, September 17, 2010

Alicia en el país, Esteban Larraín, 2008

Vor ein paar Tagen habe ich im Arsenal einen Lauffilm gesehen. Lauffilme gibt es viele zur Zeit im world cinema. Manche sind ein wenig prätentiös, die schönsten kommen aus den Philippinen. Alicia en el país hat mich vor allem an Brillante Mendozas besten Film Manolo erinnert. Ein junges Mädchen, wie die Hauptfigur aus Mendozas Film auf eindeutig nicht-Lolitahafte Art und Weise früh zur Frau geworden, läuft über das lateinamerikanische Hochland, erst durch Bolivien, dann über die Grenze (die dem Film nur einen Schwenk wert ist) nach Chile. Sie trifft auf dem Weg ein paar Menschen, die sie aufnehmen und kurze Gespräche mit ihr führen, es gibt ein wenig Geschichtsunterricht, es wird gegessen und die Wasserflasche muss gefüllt werden (die Kamera und das Mädchen warten, bis keine Blasen mehr aufsteigen, eine schöne Szene) mehr passiert nicht. Erst ganz am Ende erfährt man, dass das Laufen, auch dies ähnlich wie in Mendozas Film, eine nationale Allegorie enthält, dass es von einem Wohlstandsgefälle angetrieben wird und dass auf den einen Laufweg ein anderer, entgegengesetzter Rücktransport folgen wird. Freilich bleibt die Allegorie eher eindimensional, anders als Manolo illustriert der Film lediglich einen Zusammenhang und bringt ihn nicht in seinen Bildern erst hervor. Der Film versucht davor vor allem, so etwas wie die Totalität dieser körperlichen Bewegung durch den Raum darzustellen. Die Kamera sitzt dem Mädchen mal im nacken, mal hält sie Abstand, mal ist sie souverän, mal sprunghaft. Einmal fokussiert sie die Füße und das Laufen wird zum abstrakten Spiel von Licht und Dunkel. Eher beschreibt der Film das Laufen, als dass er zeigt, was die Welt dem Laufenden bedeutet.

Thursday, September 16, 2010

Monsters, Gareth Edwards, 2010

Im fantastischen Kino gibt es Filme, die eher an der Welt interessiert sind, die sie konstruieren, ihren Eigengesetzlichkeiten, ihrem allegorischen Potential und so weiter. Anderen Filme ist die Welt eher ein Vorwand; eigentlich interessieren sie sich für anderes, für eine Geschichte meistens und für die Figuren in der Geschichte, auch für andere Attraktionen natürlich, für Spektakel, seltener für Ideen. Monsters ist der sonderbare Fall eines fantastischen Films, der weder für die Welt, die er konstruiert, noch für die Geschichte und die Figuren sonderliches Interesse zeigt.
Das Setting ist erst einmal nicht uninteressant: Aliens sind einige Jahre, bevor der Film einsetzt, auf der Erde gelandet; ausnahmsweise nicht in den USA, sondern etwas südlicher in Mexiko. Der nördliche Teil des Landes wurde zur „infected zone“ erklärt, sowohl die USA, als auch Restmexiko errichteten Grenzanlagen, erstere Nation macht außerdem regelmäßig mit Militärflugzeugen Jagd auf die Riesenquallen. Es gibt in dieser Konstruktion naheliegende Parallelen zu den Migrationsdebatten, auf die der Film auch immer mal wieder recht vage hinweist. Aber besonders am Herzen scheint ihm das alles nicht zu liegen. Nicht die Natur der Monster (die irgendwie mit dem mexikanischen Ökosystem zu interagieren scheinen), erst recht nicht, wie man sie wieder loswerden könnte und auch nicht irgendwelche politischen Fragen. Glaubwürdig ist diese Welt zwar irgendwie schon, aber eben nur insoweit, wie sie auf fantastische Überformung fast vollkommen verzichtet, sei es in Hinsicht auf Textur, auf Technologie oder auf Gesellschaftlichem.
Die Geschichte selbst ist simpel. Samantha und Andrew, zwei junge Amerikaner, die lediglich mit den allernotwendigsten biografischen Angaben (inklusive einiger Komplikationen, die eine sofortige Paarbildung verhindern) versehen werden, wollen von Restmexiko in die USA und also irgendwie die infected zone überbrücken. Nachdem der ursprüngliche Plan einer Schiffsüberfahrt scheitert, wagen sie sich mit einigen, wenig vertrauenserweckenden Begleitern auf den Landweg.
Der Rest des Films ist Reise und kommt fast schon irritierend unaufgeregt daher.
Einen dramatischen Inhalt im eigentlichen Sinne hat der Film schlichtweg nicht. Und auf das bisschen konventionellen Handlungsablauf, das es doch gibt, verschwendet er noch weniger Sorgfalt als auf das world building. Nicht nur bleiben so elementare Fragen unbeantwortet wie die, warum die beiden Helden sich keine Flugtickets kaufen können (mag sein, dass es doch eine Erklärung gab und ich sie überhört habe). Auch das, was die Figuren statt dessen machen, ergibt nicht immer Sinn. So äußert die sonst durchaus zickige Samantha nicht den leistesten Unmut über die Tatsache, dass Andrew ihre Chance auf eine sichere Bootspassage durch ein One-Night-Stand in der Hafenstadt zunichte macht. Und Andrew selbst ist ohnehin eine komische Gestalt. Ein Fotoreporter (die Figur ist ein leises, allerdings völlig entpolitisiertes Echo auf James Woods in Oliver Stones Salvador) mit reichlich unbeholfenen Macho-Allüren und einem sechsjährigen Sohn in der Heimat. Nicht selten redet er kompletten Stuss daher („Funny word: biologist“, „Change of topic: do You like pets?“, auch sonst machen die Dialoge oft genug einen derangierten Eindruck) und macht überhaupt einen extrem vertrottelten Eindruck. Und es sieht nicht so aus, als sei dieser Eindruck vom Film beabsichtigt – zumindest nicht in diesem Ausmaß.
Auch die Monster, die der werbetechnisch gewitzte Filmtitel gleich in den Plural setzt, schauen nur selten vorbei. Sicher ist dafür das geringe Budget verantwortlich. Im Grunde gibt es nur eine einzige richtige Monsterszene mit reichlich CGI, ansonsten tauchen höchstens Mal einige Tentakel vor der Windschutzscheibe oder Gummiquallen im Fernsehen auf.
Echte Actionszenen gibt es gleich überhaupt keine. Der neue Cloverfield, als der er nach Veröffentlichung des ersten Trailers bereits gehandelt wurde, wird Monsters deshalb mit ziemlicher Sicherheit nicht werden. Wenigstens ein bisschen Krawall – und sei er, wie in District 9 auch noch so hässlich und unbeholfen runtergefilmt – braucht ein Film dieses Genres einfach, um an die ganz großen Dollars zu kommen.
Außerdem ist Monsters schlicht und einfach ein zu guter Film. Ein zu schöner Film, um genau zu sein. Alles ist wie nebenbei gefilmt, mal dringt ein wenig Natur, mal ein Hauch von Ethnografie in die Bilder, aber nie eine große Behauptung oder ein dramaturgisches Klischee. Jedem neuen Setting nähert sich die Kamera vorsichtig und nie scheint sie schon immer vorher zu wissen, wie man Figur und Hintergrund kombinieren muss, um maximale Effekte zu erzielen.
Wenn sie nicht die ödeste aller Fragen wäre, müsste man sie in diesem Fall fast stellen: Für wen ist dieser Film gedreht? Und die Antwort könnte vielleicht lauten: Für alle, die an langweiligen Kunstfilmen nicht den Kunstwillen, sondern die Langeweile schätzen. Und eine dieser seltenen Kreaturen wäre dann wohl ich.

Wednesday, September 15, 2010

Glas

Nur eine Glaswand trennt in den Tiefen des Sony Centers am Berliner Potsdamer Platz das Kino Arsenal von einer auf originalsprachliche Versionen spezialisierten Cinestar-Filiale. Ich halte mich auf beiden Seiten der Glaswand ungefähr gleich häufig auf. Wenn ich im Arsenal-Foyer sitze und auf den Beginn des Einlass warte, so kann ich mich fast nie des Gefühls erwehren, dass ich eigentlich auf der falschen Seite der Wand sitze. Oder zumindest, dass irgendwas nicht stimmt. Zum Beispiel, dass eigentlich die falschen Filme auf der falschen Seite der Wand laufen. Oder auch, dass die falschen Leute sich auf der falschen Seite der Wand befinden und nur ich zufällig am richtigen Platz bin. Auf jeden Fall verwirrt es mich jedes Mal, wie wenig diese beiden Räume, die da, einander weitgehend einsehbar, nebeneinander liegen, miteinander zu tun haben wollen. Natürlich muss ich meiner instinktiven Vorliebe für den und Sehnsucht nach dem stylisch-kitschig-mondän-abgeschmackten Cinestarraum misstrauen. Und erst recht der Tatsache, dass ich, wenn ich mich auf der anderen Seite befinde, weitaus seltener in Richtung Glasscheibe blicke und ich weitaus weniger stark das Gefühl habe, dass etwas nicht stimmt, dass ich mich ganz im Gegenteil meist sehr wohl in meiner Haut und in Einklang mit meiner Umgebung fühle. Aber dieses Misstrauen bewirkt nichts anderes als eine Intensivierung des Problems. Zwei Räume, die zusammen gehören sollten, weil Film Film ist und weder Hierarchien kennt noch sich um Fragen, die der Soziologie angehören, scheren sollte, zwei Räume, die aber nicht zusammen kommen können, weil am Potsdamer Platz und auch sonst fast überall Film nicht Film sein darf, sondern entweder Kunst oder Unterhaltung werden muss. Die naheliegende Lösung wäre, die Glasscheibe zu entfernen, oder wenigstens die Tür zu öffnen, doch wenn letzteres geschieht, wie alljährlich während der Berlinale, fühlt sich alles erst recht falsch an, nicht wie eine Versöhnung, sondern wie eine Zweckgemeinschaft, die auf dem Ausschluss des Eigentlichen gleich beider Orte basiert.

Tuesday, September 07, 2010

Days of Youth, Yasujiro Ozu, 1929

Wunderbare Bilder auf der Skipiste; im Schnee geht nie einfach eine Einstellung aus der anderen hervor, der Film lässt sich mit den Skifahren und der Piste treiben, vollführt die Sprünge elegant, die bei den Sportlern, die sich durchaus auf die Schanze wagen, manchmal etwas ungelenk wirken. Mehrere amüsante POV-shots brechen den davor eher statischen Film auf (natürlich auch schon vorher großartige Comedy-Nummern, vor allem die mit der Farbe auf der Hand - und die jungen Schauspieler sind fast alle toll, oft gibt es am Ende der komischen Interaktionen zweier Menschen vor unbewegter Kamera, aus denen der erste Teil hauptsächlich besteht, eine kleine Geste, zum Beispiel von linkischer, aber harmloser Hilflosigkeit, die durch den Schnitt sehr schön akzentuiert wird). Der Skilehrer führt vor, die Skischüler machen ganz andere Sachen. Man stapft mutig drauflos ins Weiße, ins Ungewisse. Eine Dreierromanze kommt mit dem Film in Schwung. Der eine (der fast exakt gleich aussieht wie Harold Lloyd) versucht es mit das Mädchen aus Versehen umfahren, der andere (der viel Betrieb macht) wirft sie gleich mehrmals mit voller Absicht in den Schnee. Und klopft sie danach ausführlich ab. Warum am Ende beide scheitern, erklärt der Film nicht allzu ausführlich. Obwohl: stimmt gar nicht, sie ist halt verlobt, mit einem anderen, einem dritten. In den meisten anderen Filmen wäre das natürlich eine etwas zu billige Auflösung, fast eine Feigheit. Aber hier passt das: irgendwann taucht der Verlobte auf und der Film, der sich im Schnee so wohlgefühlt hat, ist aus. Zumindest fast. Die Rückfahrt mit dem Zug gibt es noch, die ist schön. Ein running gag taucht noch einmal auf und ein Blick aus dem Fenster in die Stadt, der in ein nicht mehr an ihn gebundenes Stadtpanorama übergeht.
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Der erste Teil der Film in der Stadt sehnt sich nach Amerika. Hinter dem Lloyd-Double hängt ein Poster von Borzages 7th Heaven (immer noch habe ich keinen Borzage-Film gesehen...), außerdem gibt es ein papiernes Rad mit aufgedruckten amerikanischen Städten ringsherum. Der zweite Teil des Films im Schnee sehnt sich in die Alpen. Da hängen dann Werbeschilder für Österrichische und Schweizer Bergorte.

Sunday, August 15, 2010

Was wir sehen, blickt mich an

Bei der WM war das sich selbst bejubelnde Publikum in fast jeder Fernsehübertragung zu beobachten. Auf der Piazza Grande in Locarno konnte ich genauer (teilnehmend) beobachten, was da im Einzelnen vor sich geht. Vor den Filmvorführungen richten die Veranstalter Kameras ins Publikum, die entstehenden Publikumsbilder werden live auf dieselbe Leinwand projiziert, auf der später der Film gezeigt wird. Natürlich ist das eine Anordnung, die mit dem klassischen Kinodispositiv und dessen Versprechen von Anonymität und Unsichtbarkeit nichts zu tun hat. Der einzige nicht verhandelbare Unterschied zwischen der Welt des Films und der des Zuschauers war einmal, dass letzterer in ersterer zwingend abwesend war. Damit ist Schluss in einer Zeit, in der, wohin man auch seine Augen lenkt, immer schon eine Kamera positioniert ist, die zurück blickt.
Es geht nicht einfach nur um die freudige Erwiderung des Blicks der Macht, der eine Gruppe von Individuen mithilfe des Frames in der Gruppe isoliert und aus ihr heraus hebt. Es gibt eine ganze Kette von Ereignissen, die sich in eine regelrechte Inszenierung fügen. Was dabei entsteht, ist eine neue Form von Masse, deren Genese nicht zu trennen ist von sich ständig wiederholenden Akten der lokalen Individualisierung:
-Suchender Kameraschwenk
-Isolierung von zwei, drei Zuschauern, die, das ist entscheidend, im Moment der Isolation NICHT auf die Leinwand blicken
-Fremderkennung, aufgeregte Zurufe und Hinweise durch die Sitznachbarn
-Freudige Selbsterkennung
-Sofortiges Bejubeln der Selbsterkennung durch das gesamte Publikum

Splitter (3/3) Monsters, Gareth Edwards, 2010

Wenn sie nicht die ödeste aller Fragen wäre, müsste man sie in diesem Fall fast stellen: Für wen ist dieser Film gedreht? Und die Antwort könnte vielleicht lauten: Für alle, die an langweiligen Kunstfilmen nicht den Kunstwillen, sondern die Langeweile schätzen. Und eine dieser seltsamen Kreaturen wäre dann wohl ich.

Splitter (2/3) A Royal Scandal, Otto Preminger, 1945

Die totale Verbürgerlichung des Lubitschschen Anarcho-Spektakels, Differenz und Fremderfahrung interessieren nicht, alles muss ewig gleich bleiben.

Splitter (1/3) Periferic, Bogdan George Apetri, 2010

Und überhaupt: Arthausfilme über junge, kurzhaarige Frauen, die um irgend etwas kämpfen, sollte man vielleicht gleich ganz verbieten.

Thursday, July 29, 2010

Toy Story 3, Lee Unkrich, 2010

Anmerkung zu hier:

Selbstverständlich kolonisieren weder Toy Story 3, noch Pixar, noch Hollywood, noch "die Amis" irgendwelche Fantasien oder gar das Unterbewusste (die Textüberschrift stammt nicht von mir). Auf Ideen wie die mit der Unterbewusstseinskolonialisation können sowieso nur linkskonservative Mystiker wie Wim Wenders kommen. Es geht nicht um den territorialen Übergriff, die verräumlichte Machtausübung eines kolonialen Systems, auch nicht um die Fremdbestimmung eines kolonisierten Subjekts. Sondern um die Projektion eines sorgfältig vorstrukturierten Subjekts, das gar nicht kolonisiert zu werden braucht, weil es mit sich selbst und der Welt von Anfang an völlig identisch ist. Es geht, anders ausgedrückt, um einen Mangel an Fantasie auf Seiten des Films. Die Fantasie des Zuschauers dagegen wird nicht vom Film im Moment der Vorführung kolonialisiert, sie wird von ihm von Anfang an als eine verdinglichte vorausgesetzt. Als Filmkritiker möchte ich der Projektion keine Zauberkräfte andichten, sondern sie lieber so gut wie möglich beschreiben.

Tuesday, July 27, 2010

In passing

True Blood 1.1+1.2

Alan Ball bleibt mein ganz privates rotes Tuch. Mit American Beauty konnte man mich schon immer jagen, Towelhead ist nur deshalb erträglicher, weil Ball von Anfang an weniger will und deshalb auch weniger falsch machen kann, Six Feet Under hatte ich damals bereits nach einer Folge aufgegeben. True Blood möchte ich mindestens eine Staffel lang eine Chance geben. Aber die Serie macht es mir nicht leicht. Die Episoden ein einziges Grimassieren, das man hinterher nicht einmal mehr so recht nach Personen und individuellen Gesichtszügen aufschlüsseln möchte, Südstaatenlokalkolorit wird mit dem Vorschlaghammer eingeimpft. Auch sonst wird alles, was eventuell in einer Szene drinsteckt, auch ausgesprochen. Keine Geheimnisse, nirgends.
Verglichen mit dieser aufgepimpten Vampirerotik wirkt zumindest der erste Twilight-Film wie eine Abhandlung über reales weibliches Begehren. Nun denn, immerhin: Vielleicht verhält sich die Serie zu Six Feet Under wie Towelhead zu American Beauty: offensiver, naiver Trash statt Qualitäts- und Reflektionsbehauptung.

La mujer sin lágrimas, Alberto B. Crevenna, 1951

"Alles wird gut, wenn Du älter wirst!" meint die Tante (?). "Nein" widerspricht die Mutter (?) und spricht den Säugling direkt an: "nichts wird sich ändern". Das ist der Ende des Prologs eines recht generischen, gleichzeitig äußerst wahnwitzigen mexikanischen Melodrams und eigentlich ist damit schon alles klar. Später ist das Kind ein Mädchen kurz vor der Unabhängigkeit vom Elternhaus und der zweite Satz hat sich bewahrheitet. Es entspannt sich ein erbitterter Schwesternkrieg um einen älteren Mann, der junge Freund des Mädchens möchte auch in den Film rein, hat aber gegen die alten Diven keine Chance. Hyperbolische Alltagshysterie in einer erschreckend unbekannten Nationalkinematografie. Alberto B. Crevenna hat in seinem Leben über 150 Filme gedreht.

Wednesday, July 21, 2010

La signora di tutti, Max Ophüls, 1934

Ophüls düsterster Film, vielleicht, einer seiner schönsten auf jeden Fall. Trotz unübersehbarer inhaltlicher Parallelen scheint er mir weniger auf Lola Montez zu verweisen, denn auf das größte Meisterwerk des Regisseurs, Letter from an Unknown Woman. Während Liebelei dessen Setting vorweg nimmt, das gleichzeitig nostalgische und unerbittliche Wien- und Österreichbild genauso wie die grundsätzliche Uniformiertheit alles Männlichen (Stefan bleibt die eine, große Ausnahme), nimmt La signora di tutti den eigentlichen Gegenstand des späteren Films vorweg: die Subjektwerdung, die education sentimentale, schließlich das Subjektverlöschen der Protagonistin. In beiden Filmen steht diese Bewegung so sehr im Mittelpunkt, dass alles andere zur Staffage wird. Oder direkt zur Ausleuchtung. Tatsächlich richtet der junge Liebhaber den Scheinwerfer seines Wagens auf Gabrielle Murge, die Heldin, macht sie sichtbar und stellt sie gleichzeitig aus. Fordert sie heraus, aktiviert sie. Vergleichbare Szenen in Letter...: Der Windstoß, der Lisas Haar bewegt, als sie das Fenster zu Stefans Wohnung öffnet, später die Art, wie Stefan ihr ins Gesicht pustet und dadurch den Effekt noch einmal nachstellt. Das Kino Ophüls ist voller derartiger kleiner Bezugnahmen eines Menschen auf einen anderen und vielleicht ist es in diesen Momenten am größten.
Aber noch bevor das Licht ihr ins Gesicht scheint, bekommt sie eine Prägung, von männlichen Stimmen aus dem Off. Zunächst schilt sie der Lehrer, der im Off bleibt, während sie neben einem Globus steht. Gleich danach schimpft der Vater auf sie vor der Mutter und bleibt dabei ebenfalls im Off, während sie selbst im Nebenzimmer steht, auf und ab geht, vor dem Hund kniet, ihn streichelt, sich die Tränen aus dem Gesicht streicht.
Kaum einer seiner Filme enthält mehr der berühmten Kamerafahrten Ophüls und in kaum einem ergeben sie mehr Sinn: als ganz buchstäblicher Nachvollzug der Bewegung-als-Selbstbehauptung eines Menschen im Raum. Dass Figuren- und Kamerabewegung bei Ophüls fast nie ganz zur Deckung kommen, verweist schon auf die Instabilität der Subjektkonstruktion.
Dann noch wunderschöne Szenen: erotische Anziehung im / durch Zigarettenrauch, Schuss/Gegenschuss-Flirt zwischen Auto und Ruderboot, ein Opernbesuch ausschließlich in einer Überblendung aufgehoben: Gabrieles Gesicht vor dem Orchestergraben. Und großartige Bilder: die lehmverschmierte Hand in Großaufnahme, die den Liebesgruß des Verehrers aufhebt. Die melodramatischen Routinen des Drehbuchs bringt Ophüls schnell unökonomisch hinter sich. Ihren impact dagegen fängt er lange und einfallsreich ein. Und dieser impact beschränkt sich eben nicht auf die bloßen Leiden einer Frau. Tränenselig wird der Film zu keiner Sekunde.
Man muss diesem wundervollen Film dann doch manches nachsehen, gerade gegen Ende. Eine etwas arg konventionelle Hysterie bekommt Gabrielle vom Drehbuch verschrieben, einige deplazierte christologische Motive schleichen sich ein (das mag ich mir allerdings auch nur eingebildet haben) und die Kritik des Starkults funktioniert zwar in der letzten Einstellung wunderbar (die technische Reproduktion lässt sich auch nach dem Tod des Originals nicht so einfach stoppen), aber davor nicht immer. Doch all das macht wenig aus: Ophüls hat keine perfekten Filme gemacht, sondern solche, die sich mit Haut und Haaren und all ihrer Brillanz auf Welt und Figuren einlassen; und sein Spätwerk ist vielleicht gerade deshalb etwas enttäuschend, weil es oft nur noch die Brillanz will und nicht mehr die Welt.

Thursday, July 15, 2010

The Hand of Fate / Eunmyeongui son, Han Hyeong-mo, 1954

Den ersten Filmkuss Koreas gibt es in The Hand of Fate zu sehen, wie man hier nachlesen kann. Das ist eine sonderbare Sache schon deshalb, weil Han Heong-mos Film erst einmal alles andere als eine fröhlich-lebensbejaende Angelegenheit ist. Sondern vielmehr ein äußerst abstrakt gehaltener Agentenfilm. Die geopolitische Situation kurz nach dem Koreakrieg lastet schwer auf jedem einzelnen Bild und stellt selbst die Grundlagen filmischer Repräsentation in Frage.
Wie Deaf Sam-ryong beginnt auch The Hand of Fate mit der Großaufnahme einer Hand. In diesem Fall ist es nur eine einzige, sie hält eine Pfeife, später sieht man einen auffälligen Ring an einem ihrer Finger. Die Hand bleibt während der gesamten Titelsequenz im Bild, schließlich klopft sie an eine Tür. Was es mit dieser Hand auf sich hat, erfährt man im Lauf des Films erst langsam, das zur Hand gehörige Gesicht offenbart sich gar erst in der letzten Szene des Films.
Erstaunlich unkommunikativ ist der Film lange Zeit, selbst sein Genre offenbart er nur vorsichtig. Zunächst sind da lediglich ein Mann und eine Frau, er Tagelöhner, sie etwas wohlhabender, die Quellen ihres Wohlstands allerdings sind von Anfang an zwielichtige. Die schon im Entstehen erkaltende Liebesgeschichte der beiden könnte fast aus einem Antonionifilm zehn Jahre später stammen. Recht wenige koreanische Filme der Fünfziger sind erhalten, noch einmal weitaus weniger auf DVD verfügbar. Ob der erstaunliche Modernismus, der den Film - und durchaus auch einzelne szenische Auflösungen - durchzieht, typisch für die damalige Produktion war, ist so schwer zu erraten. Regisseur Han selbst hat zumindest zwei Jahre später mit Madame Freedom einen deutlich slickeren Film vorgelegt, dessen spezifische Modernität viel deutlicher beschrieben werden kann, nämlich als die der amerikanischen Konsumgesellschaft der Nachkriegsjahre.
Dass die Spannung, die in den düsteren, teilweise fast apokalyptischen Bildern enthalten ist, sich in der zweiten Hälfte in eine politische transformiert (und sich freilich gleichzeitig des sozialen Gegensatzes zwischen den beiden Protagonisten entledigt), damit kann man am Anfang nicht rechnen. Bis zu einem gewissen Grad scheint sie den Bildern äußerlich zu bleiben, "Nord" und "Süd" haften als bloße Label an den Figuren und man kommt nicht umhin, dem Film die Sehnsucht nach einer angemesseneren Etikettierung zu unterstellen.
Und abstrakt bleibt der Film auch in der zweiten Hälfte, wenn er vor plötzlich auftauchender romantisch-reduzierten Bergkulisse nüchterne Verfolgungsjagden inszeniert. Die reale Gechichte bleibt dem Film tendenziell immer die entkörperlichte Hand mit Pfeife, die aus dem Nichts kommt, an die Tür klopft und verhindert, dass aus dem ersten koreanischen Filmkuss gebührend Kapital geschlagen wird.

Sunday, July 11, 2010

Deaf Sam-ryong / Beongeoli Sam-ryong, Shin Sang-ok, 1964

Zwei Hände, die sich schnell bewegen und komplexe Zeichen formen, eröffnen den Film, scheinen ihn auf eine sonderbare Art und Weise anzuzählen. Hände in Großaufnahme, abgetrennt vom Rest der Welt, reine Energie, gleichzeitig reine Körpersprache; denn natürlich sind die Zeichen, die Sam-ryong formt, Zeichen der Gebärdesprache.
Die Expressivität des Körpers verdichtet sich in der Gebärdensprache symbolisch, kodifiziert, aber die nicht-arbiträren ikonischen Rückstände in ihr, die Mimesis der Hände ans Bezeichnete, sind mit dem Saussureschen Sprachmodell nicht in Einklang zu bringen. Und selbst die reine körperliche Vehemenz, die dieser in den Augen des der Gebärdensprache nicht mächtigen Beobachters eignet, scheint auf eine andere Beziehung dieser Sprache zur Welt zu verweisen.
Es ist sicher kein Zufall, dass der Film, in dem die Gebärdensprache selbst später keine allzu große Rolle spielt, mit den isolierten Handbewegungen seines Protagonisten einsetzt. Bewegung-als-Expressivität ist nicht nur ein Motiv, sondern der Modus des Films. Shin Sang-oks Deaf Sam-ryong erzählt ein Melodram, das von der jedem Narrativ vorgängigen Vehemenz der Körper seiner Protagonisten angetrieben wird.
Der stumme Sam-ryong, Hausangestellter (eigentlich: Sklave) einer wohlhabenden, aber sozial niedrig gestellten Bauernfamilie, kennt und braucht keine Ruhe. Die Kamera bewegt sich wenig, er umso mehr. Oft rennt er in die Tiefe des (Bild-)Raums, entschwindet nicht ganz in Richtung des perspektivischen Fluchtpunkts, sondern etwas schräg nach hinten aus dem Bild. Seinen Bewegungen eignet eine anarchische Freiheit, die von den Frauen des Dorfes sympathisierend verlacht, von den Männern misstrauisch beäugt wird. Gleich mehrere Szenen des Films zeigen genau das: Die Reaktionen der Dorfgemeinschaft auf die unkontrollierte Bewegung in ihrer Mitte, eine Bewegung, die das hierarchisch organisierte Gemeinschaftliche zu dezentrieren droht.
Auch sein Herr und Widersacher positioniert sich vor allem körperlich, allerdings auf andere Weise: Jede Geste ist ein unbedingter Machtanspruch, der das Soziale nicht umjustiert, sondern komplett negiert. Er hat eine Frau geheiratet, die einer höheren sozialen Schicht entstammt und der er diese Tatsache nicht vergeben kann. Sein invertierter sozialer Dünkel manifestiert sich in kompletter, brutaler Zurückweisung und während er statt dessen eine Affäre mit seiner (ebenfalls verheirateten) Jugendliebe weiterführt, schließt seine Angetraute mit Sam-ryong Freundschaft. Der purzelt während eines gemeinsamen Spaziergangs vor ihr über die Wiese.
Die beiden Männer werden zu Kontrahenten, müssen es werden, schon alleine, weil ihre jeweiligen Bewegungssmodelle miteinander nicht kompatibel sind: soziale Anarchie als kreativer Bezug zur Natur vs asoziale Dominanz als destruktive Negation von Natur. Gemeinsam treiben sie den Film an, der die Bewegung im Kader selten durch eine Bewegung des Kaders verdoppelt, der oft auf Distanz bleibt, auf die Expressivität der Körper im Raum vertraut und nur selten (wie in der ersten Einstellung), mithilfe eines engeren Framings deutlichere Akzente setzt. (In dieser ersten Einstellung kann Shin Sang-ok die Groß/Detailaufnahme allerdings genau deshalb wählen: Weil sie hier ganz Intensität sein darf und nichts überdeterminiert.)
Verglichen mit den anderen Filmen der Shin Sang-ok-Collection, die das Korean Film Archive vertreibt, ist Deaf Sam-ryong eine kleine Produktion, nicht ganz 90 Minuten lang, schwarz-weiß, alles andere als ausstattungsintensiv. Gleichzeitig ist Deaf Sam-ryong die Perle der Kollektion, ein Film, der mit dynamischen Handbewegungen beginnt und mit einem wilden, (fast) alles vernichtenden Feuer (fast) endet. Nicht nach der Logik der Handlung, durchaus aber nach der poetischen Logik des Films wurde das Feuer eben von diesen Händen in der ersten Einstellung entfacht. Ganz am Schluss hat die körperliche Expressivität die Körper, an denen sie haftete, zerstört und es bleibt nichts zurück, außer der Materialität des Traums.

Thursday, July 08, 2010

Enamorada, Emilio Fernández, 1946

Wenn man wie ich die mexikanische Revolution fast nur aus amerikanischen und italienischen Western kennt, wird man sich einiges neu überlegen müssen nach diesem Film. Enamorada (siehe auch Bert Rebhandl auf cargo) projiziert nichts von außen auf diese Revolution, er versucht, ein noch sehr junges und offensichtlich kaum verarbeitetes Ereignis möglichst in seiner Gänze mit einer dynamischen Liebesgeschichte zu verkoppeln. Das vielleicht großartigste an der Sache ist, dass am Ende Liebesgeschichte und Revolution sich einander nicht im Weg stehen. Sondern zu beidseitiger Zufriedenheit zu Ende geführt werden.
María Félix gibt die weibliche Hauptrolle und ist außer Rand und Band. Eine Furie, die Ohrfeigen verteilt, mit Feuerwerkskörpern um sich wirft, Pistolen streichelt...

...und sich auch sonst zu wehren weiß:

Emilio Fernández' Regie ist äußerst inspiriert und verzichtet konsequent auf banale Filmrhetorik, fast jede einzelne Szene leistet sich kleine oder größere Extravaganzen. Oft filmt Fernández Menschen in ihrer ganzen Größe und leicht in Untersicht. Auch die Montage ist alles andere als analytisch und unsichtbar, viel eher eindeutig und selbstbewusst formend. Da lässt er eine Einstellung wie die Folgende auch schon mal gefühlt minutenlang ohne Schnitt und Bewegung laufen...

...nur um dann unvermittelt und schockartig zu einer Nahaufnahme in Aufsicht zu wechseln:

Auch María Félix setzt der Film klug ein. Zwar dominiert sie jede Szene, in der sie auftritt, mit Leichtigkeit, aber allzu viel klassische Star-Close-ups bekommt sie gar nicht. Primär ist sie im Film Handelnde, eines der Bewegungszentren, den Blick stillstellen will sie nur selten. In einer der wenigen "echten" Großaufnahmen (im Deleuzschen Sinne) klebt ihr eine adrette Träne unter dem Auge:

Erst gegen Ende, wenn sich der gesamte Film eine Pause, ein musikalisches interlude, gönnt, unternimmt er eine eingehende Studie dieses Stargesichts (mitsamt leicht exaltierten Augenbewegungen):









Der Film beginnt mit seiner Analyse also genau da, wo das konventionelle Melo mit seiner aufhört und sich in weichgezeichneten Hochglanz-Großaufnahmen ergeht.
Meine Lieblingseinstellung aber entstammt der Szene, in der María Félix ihren soon-to-be-Lover in die Luft sprengt. Kurz bevor der durch die Luft fliegt, bringt sie sich in Sicherheit und klettert über eine Mauer. Zurück bleibt - seelenruhig - eine Kuh: