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Thursday, November 28, 2019

Konfetti 46: Scharnier

Liebe und Musik - im Laufe eines knappen Jahres Konfetti hat sich dieser Zusammenhang als ein doppeltes Grundmotiv erwiesen, das in vielen Texten dieses Blogs auf die eine oder andere Weise verhandelt wird. Die Liebe und die Musik gehören zusammen, zumindest im Kino. Aber sie stehen, und eben das zeichnet sie als genuine Medien des Kinematografischen aus, in keinem fixen, vorab festgelegten Verhältnis zueinander. Über die ganze Filmgeschichte hinweg kombinieren Filme ganz unterschiedlicher Genres und Machart die beiden Bestandteile des Musik-Liebe-Komplex immer wieder neu, mal werden sie gegeneinander ausgespielt, mal fließen sie ineinander. Mal “untermalt” die Musik die Liebe, mal verleiht umgekehrt die Liebe der Musik Schwung.

Helmut Käutners Wir machen Musik (1942) ist ein Film, der diese kinematographische Multivalenz von Liebe und Musik direkt zum Thema macht. Den Titel könnte man ausbauen zu: Wir machen Musik - und lieben uns. Die beiden einander als Liebesobjekt erwählenden Hauptfiguren sind Berufsmusiker: Er, Karl Zimmermann (Viktor de Kowa), würde am liebsten Opern komponieren, sie, Anni Pichler (Ilse Werner), schreibt und singt Schlager. Die Geschlechterdifferenz bildet sich auf eine künstlerisch-kulturelle ab und auch wenn letztere im Finale ziemlich eindeutig in Richtung Unterhaltungsmusik aufgelöst scheint (der Film läuft auf eine aufwändig gestaltete Revuenummer zu, in der ein überdimensionierter Konzertflügel als Showbühne fungiert), wird die Frage, wie (und ob) sich die Liebe musikalisieren, beziehungsweise die Musik romantisieren lässt, in jeder einzelnen Szene wieder neu und stets etwas anders beantwortet.

Nachdem die beiden Hauptfiguren ziemlich genau in der Mitte des Films heiraten, stehen im Wohnzimmer, gewissermaßen als Pendant zum Ehebett, nicht mehr ein, sondern zwei Klaviere, auf denen Anni und Karl, in einem Moment des ehelichen Überschwangs, Rücken an Rücken sitzend, ein vierhändiges Stück aufführen, das in einen Kuss übergeht; ein regelrechter musikalischer Orgasmus. Wenig später allerdings hängt, aufgrund eines typischen musikkomödiantischen Missverständnisses, der Haussegen schief und nach einem direkt neben dem Musikinstrument ausgefochtenen Streit bleibt nur noch einer, er, am Klavier sitzen.

Es folgt die virtuoseste Szene des Films: eine Trennungsdramaturgie, in der sich Musik und Liebe mit fast schon mathematischer Präzision verfehlen. Es beginnt damit, dass sich Mann und Frau voneinander wegdrehen. Er wendet sich seinem Klavier zu, sie dem Schlafzimmer, das vom Wohnzimmer nicht durch eine Tür, sondern durch einen Vorhang abgetrennt ist - ein Hinweis auf die theaterartig-performative Natur des Beziehungsspiels. Während er versuchsweise ein paar Akkorde anschlägt und anfängt, quasi als Begleitung seines Spiels in einem bereits deutlich weniger agitierten Tonfall laut über die plötzlich krisenhafte Beziehung nachzudenken, packt sie hastig ein paar Kleider in einen Koffer.

Währenddessen wechselt die optische Perspektive. Karl wird nun nicht mehr in der Rück-, sondern in der Vorderansicht gefilmt, außerdem ist das Framing weiter und die Kamera gleitet solange um ihn herum, bis der Eingang zum Schlafzimmer, in dem Anni sich zu schaffen macht, genau hinter ihm zu sehen ist. Sie tritt schließlich, während Karl ganz in sein Klavier und seinen Monolog vertieft ist, aus dem Schlafzimmer, also aus dem intimsten Beziehungs- und Liebesraum, hervor, in Reisemontur und mitsamt gepacktem Koffer. Einmal noch schneidet der Film auf sie, auf ihren resignierten Blick in Richtung des Ehemanns, der nicht merkt, dass er längst nur noch ein musikalisches Selbstgespräch führt, dann schlägt sie die Augen nieder und strebt der Wohnungstür entgegen.

Die Kamera ist derweil wieder bei Karl, und sie dreht sich mitsamt Annis Bewegungen kreisförmig um den Klavierspieler und dessen Instrument. Der musizierende Karl ist das Scharnier, um das das Bild rotiert - er fungiert als das narzisstisches Zentrum der Szene, paradoxerweise entgleitet ihm aber gerade deshalb, gerade weil er sich als der Mittelpunkt der Welt geriert, die Kontrolle. Sein Redefluss - der sich die ganze Szene über nie ganz zum rhythmischen Sprechgesang konkretisiert, aber sich gleichzeitig nicht vom Klavierspiel lösen möchte, nicht ins Feld der dialogischen Alltagskommunikation überwechseln will, der in diesem Sinne ständig zwischen musikalisierter Rede und der Sprache der Liebe changiert - mündet schließlich doch noch in einer direkten Ansprache: “Du musst mir natürlich entgegenkommen, naja, das ist ja klar, nicht… Aber ich werde Dir auch entgegenkommen… Wir wollen uns beide entgegenkommen… Anni, wir könnten uns vielleicht auf der Höhe der Schlafzimmertür treffen”.

Karl wendet, wenn er diese Worte spricht, den Kopf vom Klavier weg in Richtung Vorhang; allerdings nicht, wie er glaubt, in Richtung Anni. Ganz im Gegenteil dreht er sich nur immer weiter von ihr weg, da sie gerade dabei ist, auf der anderen Seite des Klaviers die Wohnung zu verlassen. Wenn er die letzten Sätze spricht, hat sie die Tür bereits hinter sich geschlossen, seine Worte zielen ins Leere. Stattdessen blickt er, wenn er sich umdreht, fast direkt in die Kamera, die sich inzwischen so weit um den Pianisten herum gedreht hat, dass sie nun ungefähr dort positioniert ist, wo Karl Anni vermutet. Die Kamera hat ihren Platz eingenommen und registriert an ihrer Statt sein Versöhnungsangebot.











Hier offenbart sich ein entscheidender Unterschied zwischen Musik und Liebe: Musizieren kann man notfalls allein, zur erfüllten Liebe gehören zwei. Der Versuch, Liebe und Musik unilateral zu synchronisieren, ist gescheitert. Freilich nur vorerst. Als beschwingter Revue- und, das sei bei aller filigranen Liebessemantik nicht vergessen, Durchhaltefilm kann uns Wir machen Musik das Happy End nicht verweigern. In der letzten Szene kehrt Karl aus dem Theater, in dem er gerade Annis Revue bewundert hatte, in seine Wohnung zurück, die er geschmückt und herausgeputzt vorfindet. Staunend steht er vor dem ungewohnten Anblick, als hinter ihm Anni erscheint - sie tritt durch eben jenen Vorhang hin zum Schlafzimmer, hinter dem er sie früher im Film zu Unrecht vermutet hatte und schlingt die Arme um ihn. Sie ist zu ihm zurückgekehrt - zu ihren Bedingungen.


Konfetti 44: Notation

Vom “ureigenen Wesen jeder Melodie, (...) der Einstimmigkeit näherzukommen” spricht der Pianist und Komponist Grigorij Michailow (Albrecht Schoenhals) in einem parodistisch überspitzten Dozententonfall. Er steht vor einer Kreidetafel, auf der Notenlinien aufgemalt sind. Nun beginnt er, auf diese hastig eine kurze, beispielhafte Partitur zu skizzieren. Lisa (Ingeborg Theek) wartet derweil schweigend und eingeschüchtert am Rand der Tafel. Sie ist, und das weiß sie auch, nicht als Grigorijs Schülerin, sondern als seine potentielle Geliebte zugegen in dieser Szene des Willi-Forst-Klassikers Mazurka (1935). Die Worte des Musikers zielen nicht auf ihre Belehrung, sondern auf ihre sexuelle Eroberung.

Dennoch ist die Tafel mitsamt der musikalischen Notation das bestimmende Element der Szene. Sie bildet nicht einfach einen neutralen Hintergrund, sondern definiert ein exakt begrenztes, regelmäßiges Feld, das im Folgenden auch die Bewegungen der beiden Figuren rahmt. Beziehungsweise: auf dem die Figuren verzeichnet werden. Die musikalische Notation verwandelt sich in eine filmische. Nicht mehr geht es darum, das auf und ab einer Melodie grafisch festzuhalten, sondern darum, die Annäherung zweier Figuren im Bild nachvollziehbar zu machen.

Wobei es sich um eine recht einseitige Angelegenheit handelt. Grigorij ist von Anfang an als das aktive Element gekennzeichnet. Schließlich ist er der Herr der Tafel, im Besitz der Kreide, allein zeichnungsberechtigt, außerdem steht er mitten im Bild, mitten in der Notation, während Lisa zunächst noch halb im Außen verbleibt. Zwar hatte sie sich kurz zuvor selbstbewusst einmal quer durch die Tafel bewegt, aber nun, da er die Definitionsmacht über die Szene an sich gerissen hat, traut sie sich nicht mehr, sich selbst in die Notenzeilen einzutragen. Stattdessen greift Grigorij nach ihrer Hand, zieht sie an sich und macht sie gleichzeitig zum Teil der filmischen Partitur.

Im Moment des Kusses nun erfolgt ein abermaliger Ebenenwechsel: Orgelmusik setzt ein, laut und bestimmt. Vorher war die Szene nur von diegetischen, direkt im Bild verankerten Klängen begleitet gewesen (da die beiden sich in einer Musikschule befinden, sind aus den Nebenzimmern gelegentlich Melodiefetzen zu vernehmen), nun tritt ein extradiegetischer Score hinzu, also Musik, die auf eine der profilmischen Welt äußerliche Komposition verweist. Wobei die Sache in diesem Fall komplizierter ist. Schliesslich hatte Grigorij tatsächlich ein paar Noten auf die Tafel gemalt, bevor er Lisa an sich zieht. Die Orgelmusik setzt erst ein, wenn beide küssend vereint vor der Tafel stehen - und dabei grafisch exakt mit den eingetragenen Noten zur Deckung kommen. (Im Folgenden, im Affekt der Umarmung, löst sich der Film von der Kreidetafelrahmung, rückt per Montage den beiden Figuren auf den Leib; nur die finale Engführung von Musik, Bild und Begehren ermöglicht den Sprung in die körperliche Intimität.)

Auch wenn die Orgelmusik klanglich nichts mit der dahingeschluderten Kreidenotation zu tun hat, so stellt sie doch eine Art verspätete Fortsetzung des musikwissenschaftlichen Diskurses fort, mit dem die Szene eingesetzt hatte. Genauer gesagt handelt es sich um ein dreistufiges Modell: die Notenschrift springt erst auf die Liebesdramaturgie über, und dann auf die Tonspur des Films. Verzeichnet wird in dieser rapiden Bewegung allerdings weniger eine wechselseitige Verführung denn, siehe oben, eine Eroberung. Die romantische “Einstimmigkeit” stellt sich durchaus her, aber nur, weil sie in einem Akt der auktorialen Gewalt verfügt wird. 




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Auf der einen Seite der Mann, der Bild, Musik und Begehren orchestriert, auf der anderen Seite die Frau, die sich dieser gesamtkunstwerklerischen Komposition als Material zur Verfügung zu stellen hat… Die Asymetrie dieser Anordnung wird besonders deutlich im Abgleich mit einem anderen Film, der denselben Dreischritt noch einmal aufgreift - Joe Mays Confession (1937) ist das Hollywoodremake von Mazurka, und zwar ein Remake, das auf weitgehenden filmischen Gleichklang mit dem Original setzt. May hat, so ist zu lesen, Cast und Crew von Confession fast zur Weißglut gebracht mit seiner Insistenz darauf, den älteren Film Einstellung für Einstellung noch einmal neu drehen zu wollen. Aber wie sklavisch man sich auch an eine gegebene Partitur hält - es kommt doch bei jeder einzelnen Interpretation etwas Neues heraus.

So auch im Fall der Szene vor der Kreidetafel. Grigorij heißt jetzt Michael und wird von Basil Rathbone gespielt, Lisa ist immer noch Lisa, aber jetzt im Körper von Jane Bryan. Die Szene entfaltet sich ansonsten bis hinein ins Framing identisch: Wieder doziert der Musiker, wieder trägt er, wie zum Beweis, ein paar Noten in das Tafelbild ein, wieder sind beide Figuren vor der Notation im Profil zu sehen, wieder erfolgt ein Kuss, mit anschließend einsetzender Orgelmusik. Aber die exakte Wiederholung der filmischen, raumzeitlichen “Rahmenbedingungen” lässt nur umso deutlicher die Unterschiede hervortreten, die es zwischen den beiden Szenen durchaus gibt. Sichtbar wird eine differentielle Musikologie des Filmischen, die vielleicht auch etwas mit dem Übergang von Nazideutschland zu Hollywood zu tun hat.

Anders ausgedrückt: Die Körper der Schauspieler_innen können verstanden werden als Instrumente, die eine Partitur bespielen. Jedes Instrument hat dabei eine eigene Klangfärbung. Das beginnt bei ihrer Positionierung: In Confession steht die Frau etwas näher bei dem Mann und vor allem hat sie sich bereits ins Notenbild vorgewagt. Aus freien Stücken hat sie sich auf die musikalisch-romantische Dramaturgie der Szene eingelassen. Die Kreidenotation selbst befindet sich im Bild exakt zwischen beiden - in Forsts Version war sie eindeutig dem Mann zugeordnet gewesen, bei May hingegen wird sie, auch wenn ursprünglich von Michael angefertigt, von beiden Seiten als Partitur eines geteilten Begehrens akzeptiert.

Besonders deutlich wird die Differenz beim Kuss selbst. Wenn Michael seine Hand ausstreckt, dann ist das kein Befehl, sondern ein Angebot, das von Lisa freudig angenommen wird. Sie strebt mit so viel Schwung auf den Musiker zu, dass sie sogar die Bildkomposition aus dem Gleichgewicht bringt. Anders als bei Forst finden das küssende Paar und die Kreidepartitur, die filmische und die musikalische Notation, erst nach einem Schnitt in die Nahaufnahme völlig zur Deckung. Vielleicht weil es in Confession um eine Form von Harmonie geht, die nicht auf Ein-, sondern auf Zweistimmigkeit beruht.



Monday, November 04, 2019

Konfetti 41: Fritz Grünbaum


Wally (Marta Eggerth) war zu Filmbeginn Verkäuferin in einem Schallplattenladen, durch einen Zufall wurde sie für die Bühne entdeckt und bereitet sich nun aufgeregt auf ihren ersten großen Auftritt vor. Peter (Gustav Fröhlich) ist zwar dafür verantwortlich, dass sie entdeckt wurde (der Plot ist, wie so oft im vermeintlich seichten Genre der leichten Komödie, ziemlich komplex), hält inzwischen aber nicht mehr viel von ihren Ambitionen und heckt einen ausgesucht garstigen Plan aus, mit dessen Hilfe er ihr Herz gewinnen möchte. Genauer gesagt will er sie ganz für sich allein haben, und zwar wortwörtlich: Er ersteht sämtliche Karten für die Premierenvorstellung von Wallys Revue. Das hat zur Folge, dass einerseits alle an der Produktion Beteiligten - die Tänzerinnen, die Musiker, der großartig hochtrabende Theaterdirektor (Paul Morgan) und so weiter – von einem ausverkauften Haus ausgehen; dass aber andererseits der weit ausladende Zuschauerraum gähnend leer ist, wenn Peter ihn gemeinsam mit seinem Assistenten Adolph (Fritz Grünbaum) betritt.




In der Tat ist das ein Moment, den der Film regelrecht zelebriert. Zunächst wird ausführlich vorgeführt, wie Peter und Adolph das fast komplett menschenfreie Foyer durchqueren, die Mäntel bei der Garderobe abliefern und so weiter. Wenn sie den Theatersaal selbst betreten, folgt ein Schwenk über die nicht besetzten Publikumsränge und Logen. Wir dürfen diese Einstellung wohl als eine Point-of-View-Aufnahme aus der Perspektive Josephs lesen – überhaupt ist dieser etwas tüddelige ältere Herr zumindest zu Beginn der Szene vor allem als eine Art Interpretant zugegen, als jemand, der zwischen dem Film und dem Publikum vermittelt, die angemessenen Reaktionen vorgibt: Verdutzt lässt der Assistent seinen Blick über die menschenleeren Sitzreihen schweifen. Die Einstellung dauert fast zehn Sekunden und wird weder von Dialog noch von Musik begleitet; in diesem ansonsten bei jeder Gelegenheit die Errungenschaften der nach wie vor jungen Tontechnik ausstellenden Film ist diese Insel der Stille eine starke Markierung.

Währenddessen laufen hinter dem noch zugezogenen Vorhang die Vorbereitungen für die Show ungestört weiter. Dass sich die Bühnentruppe vom offensichtlichen Mangel an Publikum in Saal und Foyer nicht irritieren lässt, mag man, wenn man denn unbedingt möchte, als ein unglaubwürdiges Plotmanöver kritisieren. In der inneren Logik des Films (und die ist mir fast stets lieber als die dem Alltagswissen entlehnte) ergibt das Geschehen hingegen durchaus Sinn: Es geht in Géza von Bolvárys Operettenfilm Ein Lied, ein Kuss, ein Mädel (1932) insgesamt, und in der Szene im leeren Theater noch einmal besonders, um die Entstehung der Kulturindustrie als eines weitgehend autonom organisierten gesellschaftlichen Funktionssystems. Oder, anders ausgesdrückt, um die Emergenz einer Form populärer Kultur, die sich von der älteren Volkskunst gelöst hat und in der es keine unproblematischen, zumindest einigermaßen selbstevidenten Verbindungen mehr gibt zwischen den Kunstschaffenden und dem Publikum.

Noch einmal anders ausgedrückt: Es gibt, unter den Bedingungen der popkulturellen Moderne, keine funktionierenden Feedbackloops zwischen Sendern und Empfängern. Die musikalischen und bühnentechnischen Routinen laufen auch dann weiter, wenn niemand im Saal sitzt. Wie ja auch das Radio weitersendet, wenn niemand das entsprechende Programm einschaltet. In Ein Lied, ein Kuss, ein Mädel setzt zunnächst die Musik ein (das Orchester sitzt ohnehin im Graben, den Blicken des Publikums entzogen, aber auch seinerseits blind; auch das eine Erfindung der kulturindustriellen Moderne, allerdings ihrer Frühphase im 19. Jahrhundert), dann betreten Tänzerinnen die Bühne, auch sie ganz in ihrer Performance gefangen. Die Vorführung bricht erst in dem Moment zusammen, in dem Wally, bereits mitten in ihrem ersten Song, dem Titellied des Films, verdutzt die Augen zusammenkneift (einen Moment lang scheint sie in Richtung der Kamera zu blicken) und in ihrer Bewegung erstarrt. Die Musik läuft noch ein paar Sekunden weiter, klingt dann aber ebenfalls schnell und unelegant ab.




Es folgt, als Gegenschuss, ein Blick auf die Zuschauerränge. Allerdings lässt der Film offen, was genau Wally in diesem Moment sieht: Die beiden Männer, die sie ihrerseits anblicken? Oder die leeren Plätze drumherum? Letztlich ist es, so oder so, die Liebesgeschichte, die der Kulturindustrie in die Quere kommt, beziehungsweise momenthaft ihre Absurdität entlarvt. Dass diese konkrete Romanze die Bezeichnung „Liebesgeschichte“ kaum verdient, weil Peter, siehe oben, eine besonders garstige List anwedendet, um Wally weniger zur Liebe zu verführen, als zur Ergebenheit zu erpressen, verleiht der Szene eine zusätzliche, abgründige Ebene: Zumindest von heute aus betrachtet können wir kaum anders, als uns einen gründlich anderen Ausgang der Sache zu wünschen; Wally soll doch bitte Erfolg haben, ein Star werden und Peter soll, wenn er nicht damit klarkommt, sehen, wo er bleibt.

Aber das ist natürlich kein besonders hilfreicher Gedanke – Filme der Vergangenheit an den soziokulturellen Normen der Gegenwart zu messen ist grundsätzlich eine blöde Idee. Und außerdem hält die Szene in Ein Lied, ein Kuss, ein Mädel eine wunderbare Schlusspointe bereit. Nachdem Wally weinend die Bühne verlassen hat (Peter eilt ihr gleich hinterher), betritt der Theaterdirektor die Bühne. Der hat natürlich als Allerletzter begriffen, was vor sich geht und schickt sich nun an, die Vorstellung zu beenden. Nun meldet sich allerdings Adolph zu Wort. Er habe, sagt der nun einzige verbliebene Zuschauer, den vollen Eintrittspreis bezahlt, und bestehe deshalb darauf, die Revue auch bis zum Ende ansehen zu dürfen. Der Kapellmesiter ist sofort einverstanden und sogleich setzt die Musik wieder ein.

Ob im Anschluss auch die Tänzerinnen wieder auftreten und ob vielleicht gar ein Ersatz für Wally organisiert wird, bleibt offen, ist aber ohenhin Nebensache. Weil die Aufmerksamkeit des Films, wie in der ganzen Szene, nicht der Bühne, sondern den Publikumsrängen gilt. In denen jetzt nur noch Adolph sitzt, allein und doch mit sich und der Welt zufrieden. Die Montage isoliert ihn, über drei Einstellungen hinweg, im Raum. Zunächst eine Vogelperspektive: Wir sehen ein Meer an Sitzplätzen, auf einem davon, einzeln und verloren, Adolph. Die zweite Einstellung wechselt auf eine Seitenansicht. Die Kamera ist immer noch recht weit vom letzten verbliebenen Zuschauer entfernt, wodurch der leere Raum um ihn herum prominent im Bild bleibt; aber Adolph ist nicht mehr nur ein kontingenter Fleck, sondern bereits Zentrum und Anker einer Komposition, die gemäß der Beschränkungen menschlicher Alltagswahrnehmung konstruiert ist. Die dritte Einstellung schließlich rückt noch einmal deutlich näher an den einsamen Zuschauer heran, zeigt ihn frontal in einer Halbnahen. Zu sehen ist ein entspannt sich im Sessel zurücklehnender Konsument, der ein Spektakel genießt, dessen technische und soziale Voraussetzungen ihn nicht weiter zu interessieren haben. Kurz und gut: eine idealtypische Verkörperung des Publikums in Zeiten der Kulturindustrie.




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Friday, October 25, 2019

Konfetti 40: Spalier

Im Spalier aufgereiht erwarten Soldaten hinter dem Grenzzaun des fiktiven Fürstentums Marana die Passagiere eines Schiffes, das soeben im Hafen angelegt hat. Das Empfangskomitee soll den Prinzen Michael ausfindig und dingfest machen, der im Land erwartet wird (und die Herrschaft eines anderen, illegitimen Prinzen gefährdet).

Da wird ein Spießrutenlauf vorbereitet, könnte man meinen. Tatsächlich jedoch formen die Soldaten mitsamt ihrer in die Gasse hineinragenden Gewehre kein Bestrafungsdispositiv; vielmehr definieren sie eine Bühne. Deutlich wird das schon vor dem Eintreffen des Schiffes: Die Truppe wird von ihrem Vorgesetzten nicht mit militärischem Drill auf die Aufgabe eingeschworen - sondern musikalisch. Die steckbriefartige Beschreibung des Prinzen verwandelt sich in den Text eines mehrstimmig vorgetragenen Liedes (“Blaue Augen, blondes Haar / Alter: Fünfundzwanzig Jahr / Gesicht oval / Gestalt normal / und desgleichen / keine besonderen Kennzeichen”), das, sobald das Schiff anlegt, bruchlos übergeht in ein komplexeres musikalisches Arrangement: Die Stimme Gitta Alpars, der Sopranistin des Ensembles, legt sich über den Männerchor. Der plötzlich nur noch eine Art Rhythmusgruppe ist für das Solo der Diva. Es besteht jedenfalls eine hörbare Übereinkunft des Singens, des gemeinsam Musizierens, die Jäger und Gejagte miteinander verbindet.

Vor dem Grenzzaun stehen also die musikalischen Soldaten, in zwei Reihen in die Tiefe des Bilds gestaffelt. Einer nach dem Anderen treten dann die Mitglieder eines Opernensembles, das in Marana gastiert (oder zu gastieren vorgibt, eigentlich haben sie andere Pläne und natürlich ist Michael, der Gesuchte, Teil des Ensembles) in die Gasse, die von den Soldaten definiert wird. Die Ankommenden sind, nachdem sie durch ein Tor im Zaun treten, zunächst nur klein, im Hintergrund zu sehen und schreiten dann, während sie schon zu singen beginnen, durch das Spalier auf die Kamera zu, bis sie in einer Nahaufnahme ankommen und also das Bild dominieren. Nun erst ist der Bühnenraum komplett etabliert. Und zwar handelt es sich nicht um einen theaterhaften, sondern um einen genuin filmischen Bühnenraum, also einen, der in erster Linie vom zweidimensionalen Bild her gedacht ist: Die links und rechts jeweils zuvorderst platzierten Soldaten verdoppeln die Ränder der Leinwand, die ins Bild ragenden Gewehre isolieren, als zusätzliche Rahmung, die Gesichter der Vortretenden.

Wer vorn im Bild angekommen ist, sieht sich, im nächsten Schritt, mit der Aufgabe konfrontiert, diese Rahmungen zu überschreiten und also das Spalier zu durchbrechen. Den Sängerinnen und Sängern gelingt das, natürlich, singend. Jeder Neuankömmling trägt eine eigene Strophe vor, stets in derselben Melodie und stets im Stil einer humoristischen Selbstvorstellung: “Ich bin der Opernbösewicht / aber keine Angst, ich tu nur so / im Leben bin ich’s nicht”, “Ich bin noch jung und sing schon Alt” und so weiter. Die Musik greift auf alle Elemente der Filmsprache über: Wenn der Bass seine Stimme immer tiefer absenkt, spielt die Kamera das Spiel mit und gleitet ebenfalls an seinem Körper entlang in Richtung Boden.

Es geht bei alldem darum, die Grenzen des Bildraums zu erweitern, aber nicht rabiat, sondern spielerisch; es gilt, die Mensch gewordenen Begrenzungen des filmischen Bühnenraums weichzusingen, zu bezirzen, ihnen schöne Augen zu machen. Jeder und jede erreicht dies auf seine oder ihre eigene Weise. Selbstverständlich ist auch die List, mit deren Hilfe Michael, der Prinz, die Soldaten überlistet, eine musikalische List und gleichzeitig eine Bühnenlist: Max Hansen, der Darsteller des Prinzen, schreitet mit Perücke und in Frauenkleidern durch die Reihen der Soldaten und gibt sich als Understudy der Sopranistin aus: “Mir unterdrückt man mein Talent / Weil man mich zweite Besetzung nennt”. Raffinierter noch als alle seine Kollegen beherrscht der falsche (aber mit einem erstaunlichen Stimmumfang ausgestattete) Sopran den Bildraum und hängt, aus Lust am Rollenspiel, gleich noch eine zweite Strophe dran: “Was kann so schön sein / Wie Deine Liebe / Küss mich um die ganze Welt”.

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Die Szene findet sich in Carl Froelichs Die - oder keine, einer der Sternstunden des inzwischen weitgehend vergessenen, aber einst enorm populären Genres des Operettenfilms. Die - oder keine entstand 1932. Ein Jahr später übernahmen die Nationalsozialisten in Deutschland die Macht und auch das Kino. Die oben beschriebene Szene führt mir noch einmal in schmerzhaften Deutlichkeit vor Augen, was der deutschen Filmgeschichte in der Folge verloren gegangen ist: Im Nazikino wird der alle Aspekte des Filmischen umfassende musikalische Konsens aufgekündigt und die vorher noch flexiblen Ränder des Bildes verhärten sich.

Wednesday, September 25, 2019

Konfetti 36: Silhouette

Nacktheit ist im Kino längst nicht mehr der Skandal, der sie einmal war. Dennoch stellt sie immer noch eine Art Grenz- oder Testfall des Visuellen dar. Der Nacktheit ist die Behauptung einer absoluten Sichtbarkeit inhärent, auch deshalb (und eben nicht nur aufgrund von historishen Zufälligkeiten wie Zensurbestimmungen oder Moralvorstellungen) ist sie nach wie vor mit einem Tabu belegt. Das sich allerdings längst nicht mehr in absoluten Bilderverboten äußert, sondern in einer Tradition des spielerischen Ent- und Verhüllens, die sich durch alle Epochen der Filmgeschichte verfolgen lässt.

Mich interessiert ein Sonderfall. Wenn ein nackter Körper nicht “direkt” vor der Kamera steht, sondern sich als Silhouette auf einer Oberfläche, zum Beispiel einem Vorhangstoff, abzeichnet: Was genau sehen wir dann? Den Körper oder nur ein Bild, das den Körper darstellt? (Sehen wir im Kino nicht ohnehin immer nur sein Bild?) Führt von der Silhouette nicht stets eine Spur zum realen Körper? (Eine Spur allerdings, die unter Umständen täuschen kann.) Könnte man anders herum vielleicht sogar sagen, dass die Silhouette eines nackten Körpers noch nackter ist als ein Bild des “echten” nackten Körpers? Schließlich muss der Film, der eine nackte Silhouette zeigt, diese Nacktheit ausstellen, damit sie überhaupt sichtbar wird, er muss also gerade das, was einen nackten von einem angezogenen Körper unterscheidet, in den Blick rücken.

Nicht zuletzt ist die nackte Silhouette fast schon automatisch ein Zeichen, das Nacktheit kommuniziert. Die nackte Person ist - zumindest vorläufig - nur noch ein Bild der / ihrer eigenen Nacktheit und als solches etwas, das auf eine andere, betrachtende Person verweist - das gilt selbst dann noch, wenn in der entsprechenden Szene keine andere Figur anwesend ist. In einem solchen Fall können wir kaum anders, als uns vorzustellen: stünde dort jemand, so würde dieser jemand genau dies jetzt sehen. Der nackte Körper selbst braucht kein Gegenüber, unverstellte, "direkte" Nacktheit kann zum Beispiel auch einfach auf den Naturzustand des Menschlichen verweisen; die Silhouette eines nackten Körpers ist ohne Gegenüber hingegen kaum interessant. Die Nacktheit hat die Sphäre des Kreatürlichen verlassen und ist in den Bereich des ästhetischen Spiels hinübergetreten.

Eine Szene, die solche und ähnliche Fragen aufwirft, findet sich in Frank Wisbars Barbara - Wild wie das Meer, einem bundesdeutschen Inselmelodram aus dem Jahr 1961, das in den letzten Jahren, im Verlauf mehrerer Sichtungen, zu einem meiner Lieblingsfilme avanciert ist. Die Silhouette taucht an einem neuralgischen Punkt der Handlung auf: Die Arztwitwe Barbara (Harriet Anderson) übernachtet gemeinsam mit Paul (Helmuth Grien), der die Praxis ihres verstorbenen Mannes übernehmen soll, in einem Landgasthaus. Da der Platz eng ist, schlafen Barbara und Paul im selben Zimmer, getrennt nur von einem Stofftuch und einer Art Gatter.

Dass die beiden sich zueinander hingezogen fühlen, wurde vorher ausreichend deutlich. Ein Liebespaar werden sie allerdings erst durch die Silhouette der nackten Barbara, die sich, bevor sie sich ins Bett legt, kurz auf dem Leintuch abzeichnet. Da es sich um einen noch weitgehend züchtigen Unterhaltungsfilm handelt, ist die Nacktheit nur Andeutung, aber eben: eine entscheidende Andeutung. Auf dem Stoff zeichnet sich ab, wie Barbara sich, aufrecht stehend, dabei die Rundungen ihres Körpers betonend, das Kleid über den Kopf zieht. Paul schaut zunächst in ihre Richtung, dann richtet er den Blick hilflos nach oben.

Er selbst hatte sich vorher, ganz ohne Silhouette, das Hemd ausgezogen. Sein nackter Körper ist im Bild deutlich präsenter als der ihre. Aber anders als seine ist ihre eine kommunikative, kalkulierte Nacktheit: Während er sich einfach nur auszieht, kontrolliert sie, was er von ihr sehen darf. Im nächsten Schritt kontrolliert sie, was er von ihr berühren darf. Nachdem sie eine Weile still nebeneinander liegen, gleichzeitig getrennt von und vereint durch Wisbars Montage, die die beiden auf Kopfkissen gebetteten Köpfe zeigt, in Großaufnahmen isoliert, schiebt Barbara eine ihrer Hände durch einen Spalt in der Stoffwand und lässt sie von Pauls Hand einfangen. Anschließend steht sie auf und blickt, durch einen anderen Spalt, zu ihm herunter. Weiterhin ist sie ihm nur als ein Bild verfügbar, allerdings nun als ein Bild, das Annäherung zulässt. Durch die Latten des Gatters hindurch küssen sie sich, und erst dann öffnet Barbara eine hölzerne Tür - es öffnet sich, anders ausgedrückt, ein dritter Spalt, der ihn, so steht zu vermuten, zu ihr führen wird.

Eine Verführungsszene, in der sich der Körper in ein Kommunikationsmittel verwandelt, über das souverän verfügt wird. An die Stelle der Wucht sexuellen Begehrens, die geläufigen Vorstellungen zufolge idealerweise vom ganzen Körper in all seinen sinnlichen Dimensionen und außerdem gewissermaßen in einem Ruck Besitz ergreifen soll, setzt Wisbars Film eine Abfolge erotischer Dispositive, die auf einzelne Sinne (Blick; Tastsinn) und isolierte Körperteile, beziehungsweise -aspekte (Gesicht, Hand, Nacktheit) verweisen; diesen korrespondiert eine Abfolge von Öffnungen, die metaphorisch den Geschlechtsakt vorwegnehmen.





















Außerdem verweist die Szene auf eine andere, frühere im Film. Während einer feuchtfröhlichen Feier landet Barbara mit einem spanischen Matrosen in einem Stall. Erst streckt sie sich einladend im Stroh aus, aber als er sich auf sie legt und sie stürmisch zu küssen beginnt, streckt sie ein Bein aus - und öffnet mit ihren Zehen ebenfalls ein Gatter. Hinter dem sich eine Gruppe von Schafen befindet, die sogleich das Liebesnest stürmt und den Matrosen vertreibt. Geht es also darum, dass Barbara die “tierische” Sexualität ablehnt zugunsten einer verfeinerten und letztlich fast körperlosen Liebeskunst? Wohl kaum, sowohl Barbara als auch Wisbar haben einfach nur ein filmisches, effektbewusstes Verhältnis zum Sex.
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Monday, February 25, 2019

Konfetti 28: Am Pool

Laura (Joanna Canton) und Raoul (Sean Costello) sitzen nebeneinander auf Plastikstühlen neben dem Pool des Motels, in dem beide wohnen. Vor ihnen ein Plastktisch. In vorherigen Szenen hatten sie nur Blicke gewechselt, jetzt wechseln sie zum ersten Mal Worte. Eben hatte sich das zögerliche Gespräch noch um Coppolas The Godfather gedreht, den Laura nicht gesehen hat, aber zu einem, wenigstens irgendwie, italienischen Film erklärte. Noch während sie die Worte ausspricht, fängt sie an zu lachen, und Raoul fährt sich mit der Hand übers Gesicht. Vielleicht, um sein eigenes Gelächter zu unterdrücken, beziehungsweise um seine Mimik wieder glattzustreichen. Im Anschluss entsteht eine kurze Gesprächspause, während der Laura ihre Hände gegeneinander reibt und ein weiteres Mal zu kichern beginnt. “You seem nervous”, meint Raoul zu ihr. “I’m very nervous, I don’t know why”, antwortet Laura.

Die Szene stammt aus Eckhart Schmidts Sunset Motel, einem Low-Budget-Film, der auf der Erzählung “Selbstmörder” von Cesare Pavese basiert. Eine Literaturverfilmung also, außerdem ein Film über die Verschränkung von Begehren und Tod. Diese Verschränkung prägt fast das gesamten Werk des Regisseurs (zumindest seine Spielfilme), aber kaum einmal ist sie ähnlich rein und ablenkungsfrei ins Bild gesetzt wie hier. Das heißt nicht, dass die Ablenkungen der anderen, oft deutlich barockeren Filme nicht auch ihren Reiz hätten… aber Sunset Motel destilliert gewissermaßen die Essenz des Schmidtschen Liebestodmotivs, legt den dunkelromantischen Kern seines stets von erotischen Obsessionen sprechenden Kinos frei, in wunderschönen, malerischen, geduldigen Low-Fi-Digitalbildern, die den kommenden Tod vorwegnehmen in Form einer langsam um sich greifenden Entlebendigung.

Aber, und erst das macht Sunset Motel zu dem Wunder, das der Film ist: Es gibt eben auch Szenen wie die auf den Plastikstühlen am Pool. Die überlebensgroße, alles verschlingende Liebe realisiert sich, wenn die beiden Liebenden erstmals direkten Kontakt miteinander aufnehmen, als kommunikative Überforderung, in stockenden Nonsensgesprächen über The Godfather und Ravioli. Als eine Form von Nervosität, die sich dem Verstehen entzieht. Ein anrührend ungeschicktes erstes-Date-Gespräch, das noch nicht einmal als ein misslungener Flirt durchgeht, weil keine Taktik, kein einander-Austesten im Spiel ist. Dass beide willig sind, daran besteht von Anfang an kein Zweifel, zumindest für die beiden Beteiligten und auch für uns, die wir Schmidts Kino kennen; Aussenstehende freilich würden nichts anderes sehen als Awkwardness. Die Liebe ist schon da, nur wie geben wir ihm eine Form? Zunächst ist da eine totale Blockade: Hier sitzen wir und müssen ein Gespräch führen. Worüber nur?

Das erste Gespräch des Paars, das nach dem “I’m very nervous, I don’t know why” noch ein wenig weiterläuft, ist in einer einzigen Einstellung gedreht, die Dialoge sind zumindest teilweise improvisiert. Das schafft einerseits einen Freiraum, andererseits setzt es die Situation unter Druck. Canton und Costello sind professionelle (und ausgezeichnete) Schauspieler, die in keinem Moment aus ihren Rollen fallen; und dennoch passt Lauras Eingeständnis ihrer eigenen Nervosität auch zur Drehsituation: Hier sitzen wir, die Kamera läuft, geduldig und unnachgiebig, und wir müssen uns zueinander verhalten, gewissermaßen hängt alles, der ganze Film, davon ab, dass diese erste längere Dialogszene funktioniert.

Die ganze Zeit im Hintergrund: Los Angeles. Gedreht wurde im Sahara Motor Hotel auf dem Sunset Boulevard (der Ort ist ein Fixpunkt in Schmidts Schaffen, hier entstand 2008 auch Hollywood Fling, eine Art düsterer Zwilling von Sunset Motel). Ein äußerst fotogener Schauplatz, der die beiden Hauptfiguren paradoxerweise gleichzeitig isoliert und direkt in die Großstadtwelt einschreibt. Die Intimität ist nicht ohne ihr Anderes, ohne die technisierte Anonymität der Metropole, zu haben. Die Liebesgeschichte wird geradezu mariniert in den Texturen LAs: Während der späteren Sex- und Streitszenen dringt durch die dünnen Wände der Motelzimmer Straßenlärm, selbst wenn Laura unter der Dusche steht, kann man durchs mitgeframte Badezimmerfenster auf die offene Straße hinausblicken. Insbesondere in solchen Innenszenen artikuliert sich eine urbane Form der Klaustrophobie. Zwei Körper, in eine beständig sich verändernde Welt geworden, und doch isoliert, stillgestellt, das kann auf die Dauer nicht gutgehen.

Das weniger beengend sich anfühlende Gespräch am Pool ist ebenfalls so fotografiert, dass man im Hintergrund, an der Motelrezeption vorbei, direkt auf den belebten Sunset Boulevard blickt. Und eben, wenn Laura den Satz über ihre Nervosität ausspricht, biegt von dort ein Fahrradfahrer in die Moteleinfahrt ein, dreht, direkt hinter den Sprechenden, einen Kreis und scheint neugierig in Richtung Kamera zu blicken. Genau im richtigen Moment, ein bloßer Zufall vermutlich, aber so etwas klappt eben nur in einem Film, dem auch sonst alles gelingt.

Tuesday, June 12, 2018

Disco Fieber, Hubert Frank, 1979

Hubert Frank's gloriously delirious Disco Fieber is the german Gold Diggers of 1933. Or at least, the closest german cinema could ever, after germany's own 1933, come to Gold Diggers of 1933. When Gold Diggers can be described as a film which acknowledes the reality of the depression, and by way of this very acknowledgement somehow overcomes it, Disco Fieber manages to do the same with and for (west-)german provinciality.

And it does so, again just like Gold Diggers, by way of a textual bifurcation. For the most part, the film plays out like a standard, juvenile sex farce of the time, chronicling the escapades of a few wannabe-studs who try out gestures and chat-up-lines taken more or less directly from american youth films (Lemon Popsicle clearly was a big influence, too). The jokes are stale and the slapstick-hide-in-the-closet-the-nuns-are-coming-routines are even staler, but that doesn't matter, because it's all about attitude, anyway, about celebrating the art of carelessly entering the classroom, about slouching on the bench with buttoned-downed shirts, about the right amount of disgracing oneself in an agreeable way.

Most of this works perfectly, despite itself. By now, Hubert Frank is, without a doubt, my favorite german sexploitation director. He may not be as distinctive as Jürgen Enz, as unconditionally perverted as Hans Billian, as rigorous a stylist as Ernst Hofbauer, but he is the most inspired of them all. Frank may just be the only truly instinctive filmmaker of German erotic cinema. He finds something special in every single scene. The low angles he uses for a football game, the way he glamourizes a female teacher, a bizarro dance montage involving several disguises, magnificent sport cars popping up out of nowhere in southern german no-man's-land - this is a film thoroughly infused with pleasures of the cheap, but powerful kind.

Frank's films always have charme and style, even when, or maybe especially when he has next to nothing to start from - like in this case: a film structured around Boney M, but without Boney M actually showing up on set for principal photography. When they do appear, they inhabit not only a different space than the rest of the cast, but a different layer of reality, and indeed a different medium: all the scenes with Boney M and other Frank Farian acts were shot by Klaus Überall (the name itself is a hint: "überall" is german for "everywhere") - on video.

These music video-like performances are the real piece du resistance of Disco Fieber, and also the sequences which align the film once and for all with Gold Diggers of 1933. Just like Berkeley's exuberant production designs and body sculptures in motion, Überall's crude video intrusions (complete with oldschool video effects - miniature people dancing on their own hands, whispering in their own ears) transcend the diegetic space in order to become objects of pure cinema. And, just like in Gold Diggers, it's impossible to decide if these intrusions of the musical-spectacular represent the inner truth of the more prosaic world the rest of the film inhabits, or pure, unreachable externality.

Monday, November 13, 2017

Filmwoche Duisburg Nachtrag

Filmfestivals sind immer beides: Exzesse des Sinnlichen und Diskursmaschinen. Einerseits schöpfen sie ihren Reiz daraus, dass man in einem engen Zeitraum sehr unterschiedliche Bilder und Töne entdecken kann, andererseits kann man kaum anders, als diesen Überschuss doch wieder begrifflich einzuhegen. Ein Beispiel: Bei den Filmen, die ich in Duisburg gesehen habe, sind mir zwei unterschiedliche Formen von Formatierung aufgefallen. Die eine arbeitet mit dramaturgischer Struktur und kontextuell-diskursiven Rahmungen, die andere mit fiktionalem, fantasmatischem Überschuss und immersiven, erfahrungsästhetischen Entrahmungen. Die eine verweist aufs Fernsehen, die andere aufs Kunstsystem (und das schlägt auch auf Filme durch, die nicht direkt an den einen der beiden Verwertungszusammenhänge gebunden sind).

Daraus ergeben sich eine Reihe von Fragen. Zum Beispiel die, ob es eine Essenz des Dokumentarischen hinter solchen Formatierungen überhaupt gibt. Oder ob das nicht nur eine idealistische Projektion ist, die übersieht, dass auch der “klassische Kinodokumentarfilm”, der in der Tat nicht allzu oft auftaucht im Duisburger Programm, immer schon formatiert war. Auf einer streng begrifflichen Ebene ist eh klar, dass selbst zB Wiseman-Filme formatiert sind. Vielleicht sogar gerade die; die Differenz ist eher, dass das dann in erster Linie eine auktoriale Formatierung ist, die sich direkt aus der Arbeitsmethode ergibt. Aber auch Wiseman ist umstellt von technologischen und filminstitutionellen Voraussetzungen, zu denen er sich nicht komplett autonom verhalten kann.

Ich frage mich außerdem, warum mich Formatierung bei Dokumentarfilmen mehr beschäftigt und auch mehr ärgert als bei Spielfilmen. Im fiktionalen Kino stören mich funktionale Bilder und erzählerische Allgemeinplätze für gewöhnlich nicht allzu sehr, und wenn andere Kritiker sich an solchen Rhetoriken stören, kommt mir das oft kleinlich vor (fast wie eine Form der absichtsvollen Blindheit; nicht, weil eine solche Kritik formalistisch wäre, sondern weil sie Form nur da erkennt, wo sie zum Klischee geronnen ist). Im Dokumentarischen ist das anders. Ich habe mich zum Beispiel in CHoisir à vingt ans (Regie: Villi Hermann), einem schweizerischen Film über franzöische Deserteure während des Algerienkriegs, regelrecht geärgert über einen wiederkehrenden Einstellungstyp: Die Kamera filmt, wieder und wieder,  aus einem fahrenden Auto heraus, erst richtet sie den Blick nach vorne, auf die Straße, dann folgt ein Schwenk, auf die daneben ausgebreitete Landschaft. Die mechanistische Gleichheit dieser Einstellungen zeigt mir, dass es nicht um ein Interesse an der Welt außerhalb des Autos geht, sondern um das bloße Behaupten eines solchen Interesses.

Das kann auch einzelne Momente von Filmen betreffen, die mir ansonsten gefallen. Zum Beispiel habe ich mich gefragt, warum Flavio Marchettis Tiere und andere Menschen, eine rührende, klug gefilmte Studie über den zwischen-geschöpflichen Alltag in einem wiener Tierheim, es nötig hat, seine geduldig beobachteten Miniaturen in eine konventionell-dramaturgische Klammer einzufassen: Es beginnt mit der Ankunft eines Tieres im Käfig, es endet mit einer Auswilderung, oder zumindest mit dem Versuch einer Auswilderung - der Abspann beginnt, bevor zu sehen ist, ob dem Vogel den Abflug in die Freiheit auch tatsächlich gelingt. Das ist ein enttäuschend berechnender, manipulativer Abschluss für einen Film, dessen Struktur sonst eher von der Abfolge klug getimeter tierischer Attraktionen bestimmt wird (ein beständiger Strom an Hunden und Katzen als Grundtextur, die Einzelfallstudie zweier Affen als Leitmotiv, dazwischen als Stargäste: ein Schwan, ein Biber und so weiter).

Die Formatierung fürs Kunstsystem funktioniert anders, nicht über dramaturgische Formeln und Bildklischees, sondern über strategisch platzierte Diskurspartikel, wie etwa im ersten und letzten Drittel von Helena Wittmanns Drift. Wenn ich darauf nicht ganz so allergisch reagiere, dann vielleicht, weil Drift, oder auch Nicolaas Schmidts Final Stage ohnehin stärker fiktionalisiert sind. Dennoch verliert auch da der dokumentarische Kern durch seine Rahmungen an Evidenz. Möglcherweise hat mein Problem in allen Fällen damit zu tun, dass das Dokumnetarische auf jeweils unterschiedliche Weise funktionalisiert wird; und dass diese Funktionalisierung nicht mitreflektiert, nicht wieder ans Material zurückgebunden wird.

Tuesday, September 12, 2017

Mein Herz ruft nach Dir, Carmine Gallone, 1934

Paul Hörbiger, der Direktor des Opernhauses, eilt mit dem Telefonhörer in der Hand zum Fenster, verfolgt von Theo Lingen, seinem Assistenten, der ihm beibringen will, dass er, Hörbirger, gar nicht mehr mit der Polizei verbunden ist, weil der Stecker des Telefons herausgesprungen ist aus der Steckdose, die Verbindung gekappt, nur noch ein Sprecher, kein Hörer mehr, aber der Sprecher merkt das nicht, merkt das aus Prinzip nicht in diesem wunderbaren Film der enthusiastischen Mißverständnisse, in diesem Film der fröhlichen, polymorphen Korruption, sein Sprechen ist, vielleicht weil es ein junges Sprechen ist, ein Sprechen des jungen Tonfilms, noch nicht aufs Innehalten, auf die Erwiderung, vorbereitet, es spricht sich wie von selbst immer weiter, lässt sich nicht aus der Ruhe bringen vom Schweigen des Geräts und auch nicht vom hilflosen Gejapse Lingens, der mehrmals in diesem Film nicht zum Sprechen kommt, weil mal Hörbiger, mal der Gegenimpressario Paul Kemp auf ihn einreden, ohne Widerworte auch nur für möglich zu halten. Der Film weiß freilich bei aller Begeisterung fürs Sprechen, dass dieses Nichtsprechen Lingens eine mindestens gleich große Attraktion ist wie das Sprechen Hörbigers und Kemps. Tatsächlich gibt es da eine schöne Pointe: Einmal wird Lingen gerade deshalb für den Chef gehalten, weil er nicht zu Wort kommt, schweigend wird er befördert, zumindest für den Moment, und Hörbiger hat dafür am Ende dauerquasselnd sein Opernhaus verzockt.

Aber erst einmal eilt er nur zum Fenster, er will die Welt von dem Skandal unterrichten, der sich vor dem Opernhaus abspielt, das noch seines ist: eine Gegenaufführung unter freiem Himmel, mit Dirigent aber ohne Orchester, der Taktstock folgt nur noch reflexhaft der Schallplatte, anstatt seinerseits etwas in Bewegung zu setzen. Wie gesagt, es ist eh niemand mehr in der Leitung, wenn Hörbiger schließlich doch ans Fenster gelangt, und wenn er den Hörer dann zum Fenster herausstreckt, im Glaube, dass der bloße Wille genauso viel Wert oder vielleicht schlichtweg dasselbe ist wie Kommunikationstechnologie, wenn er also in einem gedanklichen Kurzschluss zur Überzeugung gelangt, er selbst sei ein Medium der fernmündlichen Kommunikation, und zwar das einzig nötige, dann folgt gleich noch ein zweiter Kurzschluss, der aber Sinn ergibt, weil Hörbiger schließlich ein Kinowesen ist, also immer schon audiovisuell, und er ruft ins Nichts des Apparats nicht nur "Hören Sie!", sondern auch noch "Schauen Sie!".

Tuesday, June 27, 2017

Il Cinema Ritrovato 2017: Große Freiheit Nr. 7, Helmut Käutner, 1944

A man's passion done in by automaton love. But he himself is part of the automaton world, he just doesn't want to admit it (to himself, first and foremost). Hans Albers as Hannes Kröger still thinks of himself as king of the high seas, although he's been stranded in St. Pauli's red-light version of the cultural industry for quite a while. Right at the beginning the mighty four-master is exchanged with a ship in a bottle. When in the end he reenters the world of seafaring, this doesn't feel like liberation, but rather like his giving in to an imaginary solution.

The melodrama in between never settles down on a constant tone; for all its musical and cinematographical brillancy (lightning and make-up turning Albers' face into a mask, transforming him into the most uncanny of the film's many automatons) it's first and foremost driven by gestures. Hilde Hildebrand leaning over the counter with the beer tap pressing into her chest; the automaton lover Hans Söhnker absentmindedly stroking the handrail while waiting for Ilse Werner, his automaton girlfriend; Werner squeezing the automaton egg between her hands, while holding it up over her head, creating a personal world of her own in just one single, simple shot.

Wednesday, April 12, 2017

Besonders Wertlos 19: Tränen trocknet der Wind, Heinz Gerhard Schier, 1967

Ein zerbrechlicher Film... Seine Weichheit und Zartheit hält einem harten, genauen Blick, steht zu vermuten, nicht Stand. Wenn man ihm aber ein paar Schritte entgegenkommt, gütig, neugierig und vorsichtig, dann beschenkt er einen mit seinem sanften Zauber.

"Seine totale Maßstablosigkeit ordnen den Film wie von allein in die Kategorie jener Leinwandstücke ein, deren Besuch abzulehnen ist", schrieb einst der filmdienst, der wieder einmal aus einer richtigen Beobachtung die grundfalschen Schlüsse zieht. Die Liebesdialoge von Margarethe von Trotta und Günther Becker haben etwas fast schon experimentell Tastendes, wie als wäre das der erste Flirt der Menschheitsgeschichte, noch dazu zu einem evolutionären Zeitpunkt, an dem sich die Sprache nicht vollständig mit Sinn aufgeladen hat, zum freihändig-vor-sich-hin-Delirieren neigt. Auch den Gefühlen fehlt der Maßstab, von Trotta inbesondere befindet sich auf einer (freilich sonderbar introvertierten) emotionalen Achterbahnfahrt, deren Schienenverlauf nach jeder Kurve neu konzipiert wird. 

Vielleicht kann man es auch so fassen: Für gewöhnlich sind sich Gefühl und Sprache wechselseitig Maßstab, in Tränen trocknet der Wind dagegen ist diese Verbindung in beide Richtungen gekappt. Die eigenartige Schönheit des Films hat aber auch damit zu tun, dass von Trotta und Becker sich nicht entmutigen lassen, weder von der eigenen Unbeholfenheit, noch von der des jeweils Anderen. Sie unternehmen immer neue Anläufe, doch zumindest so etwas Ähnliches wie eine Liebeskommunikation zustande zu bekommen. Der Film unterstützt sie nach Kräften, mithilfe einer aufs Sinnlich-Impressionistisch zielenden, dabei allerdings mindestens ebenso unbeholfenen Montage.

Parallel wird eine Gangstergeschichte behauptet; angeblich ist sie es, die die Liebe der beiden unter Druck setzt. Das bekommt die Liebe freilich schon ganz gut selbst hin. Schön sind die kurzen Szenen, die nach Originalschauplatz ausschauen, die Hafenstraßenminiaturen, und vor allem eine schier endlose Strip-Sequenz, in der eine denkbar zurückhaltende Kamera minutenlang gleich zwei Performances hintereinander filmt, in Totalen, die permanent Gefahr laufen, die jeweilige Tänzerin, der kaum mehr Aufmerksamkeit geschenkt wird als dem Mobiliar, ganz aus den Augen zu verlieren. Im Halbschlaf eine Tänzerin beobachten, die sich unmerklich in einen Stuhl zu verwandeln scheint - solche Erfahrungen ermöglichen nicht viele andere Filme.

Thursday, April 06, 2017

Besonders Wertlos 19: Magdalena - Vom Teufel besessen, Walter Boos, 1974

Laut Internetquellen ist Dagmar Hedrich 1935 geboren, war also fast 40, als sie für ihre einzige glaubwürdig aktenkundige (imdb listet sie im cast eine brasilianische Produktion aus dem Jahr 1967; in deren Vorspann taucht allerdings lediglich eine "Dagmar Heidrich" auf) Filmrolle engagiert wurde. damit war sie auch älter als Eva Kinsky und Elisabeth Volkmann, die in Magdalena - Vom Teufel besessen ihre Erzieherinnen spielen. Das ist einerseits ein ziemlicher, freilich auch ein schwer nachvollziehbarer casting coup; andererseits passt es zu der eigenwilligen intergenerationellen Dynamik des Films.

Denn es ist keineswegs so, dass es in Magdalena, wie man das gelegentlich über dessen Vorbild The Exorcist liest, um die Angst einer älteren Generation vor ungestümen Jugendkulturen und deren unbändiger Sexualität geht. Eher anders herum: Kinsky und Volkmann, die Vertreterinnen der Elterngeneration, blicken schon fast mit Verachtung auf die kreuzbrave Jugend, die es beim Heringsschmaus trotz reichlich vorhandenem Sekt nicht einmal ein bisschen krachen lassen will. Dazu passt dann, dass die eine Jugendliche, die dann doch durchdreht und die Kommunion über die Fotze empfangen möchte, eine gefälschte ist. Verkommen und verdorben, aber auch sinnlich und verwegen ist in dieser ranzigen Altbau-Bundesrepublik (super location scouting, fast durchweg: dieser unfassbar modrige Hinterhof vor allem!) nur das Alte.

Hedrich ist großartig - wie sie die Besessenheit stets raumgreifend, mit vollem Körpereinsatz ausspielt. Dämonensex sieht einfach besser aus, wenn man wirklich der Darstellerin die Anstrengung ansieht, ihr Hohlkreuz durchzudrücken. In einer besonders tollen Szene führt sie erst Karate-Trockenübungen auf der Treppe durch und zertrümmert anschließend eine Tür mit dem nackten Fuß. Noch großartiger sind die beiden Frauenteams, die der Film in der ersten Hälfte um Hedrich herum gruppiert. Zum einen Kinsky und Volkmann (mit perfekt aufeinander abgestimmter Kleidung), zum anderen eine resolute Hausmeisterin und eine selbstbewusst-vulgäre Prostitutierte, die leider beide alsbald in eine periphere Nebenhandlung verbannt werden.

Sowohl das Ponyhof-Sanatorium, als auch das aus Arzt und Pfarrer bestehende Altherrenteam, das an die Stelle der Frauendoubles tritt, sind dann zwar weitaus weniger erquicklich; aber die fröhliche Derbheit der ganzen Unternehmung, und auch die Holzhammerregie, die den einfachen Stoptrick zum Gestaltungsprinzip des gesamten Films erklärt, bis hin zum Musikeinsatz, dem plötzlichen umkippen des freundlich-blumentapezierten Heimatfilmgedudel in Geisterbahnkonservenmusik, auch die Idee, Besessenheit ins Vokabular des Tischtennis zu übertragen - das hat mir alles schon einige Freude bereitet. Es ist schon wieder eine Kunst, einen Horrorfilm zu drehen, der nicht nur kein bisschen unheimlich ist, sondern der wirklich überhaupt keinen Begriff vom Unheimlichen hat, nicht einmal ein klein wenig, der wirklich in keiner einzigen Szene auch nur die allerkleinste Ahnung davon vermittelt, was das sein könnte, das Unheimliche.

Friday, March 24, 2017

Die große Versuchung, Rolf Hansen, 1952

Der Film beginnt mit Großstadtbildern. Autos, S-Bahngleise, Fußgängerströme als divergierende Bewegungsvektoren übereinander gelegt, im city-symphony-Montagestil der 1920er. Nicht das mechanistische Funktionieren der perfekt durchorganisierten Metropole wird damit bezeichnet; sondern das Chaos, die Zumutungen der Moderne. Die Sequenz findet ihren Höhepunkt, wenn der derangiert wirkende Dieter Borsche, der einen gerade aus der Kriegsgefangenschaft heimgekehrten Medizinstudenten spielt, fast von einem Auto überfahren wird.

Der Film endet wieder mit Großstadtbildern. Wieder Autos, wieder S-Bahngleise, wieder Fußgängerströme, aber die Bewegungsvektoren gleiten jetzt sanft ineinander, auch die Montage setzt auf Nachvollziehbarkeit. Die Moderne ist gebändigt, eingedampft auf die Maßstäbe individuell-menschlicher Wahrnehmung. Dieter Borsche, jetzt ein fertiger Arzt, kann aufrechten Hauptes in eine bundesrepublikanische Moderne hinein laufen, die mit sich selbst wieder im Reinen ist und die avantgardistische Versuchung abgewiesen hat. An Borsches Arm Ruth Leuwerik - leider bleiben die Frauen, bleiben beide eigentlich ziemlich toll angelegten Frauenfiguren in diesem Film durchweg ein Nachsatz. (Renate Mannhardt ist sogar noch toller als Leuwerik, aber leider auch noch mehr Nachsatz, fast nur eine Klammer.)

Gerade gerückt wird das Großstadtbild, wird damit die junge Bundesrepublik insgesamt, durch einen Regelbruch und dessen nachträgliche Sanktionierung. In gewisser Weise wird in dieser erzählerischen Konstruktion die Kriegsvergangenheit gleichzeitig in ihrer traumatisierenden Wirkung anerkannt und in ihrer moralischen Dimension verdrängt. Aus heutiger Sicht zumindest ist diese doppelte volkstherapeutische / ideologische Funktion freilich so offensichtlich, dass sie fast automatisch mitläuft, interessant ist der Film aus ganz anderen Gründen.

Wie in einem Räderwerk greift im Arztmelodram, das Die große Versuchung hauptsächlich ist, eins ins andere. Tatsächlich scheint das Räderwerk etwas zu gut geölt zu sein. Bzw: Die einzelnen Zahnräder der Gefühlsmaschinerie greifen nicht nur perfekt ineinander, sie scheinen sich beim Ineinandergreifen gegenseitig überbieten zu wollen. Auf jeden Reiz muss sofort eine Reaktion folgen, und zwar eine prägnante, am besten eine komplett überbordende. Insbesondere Leuwerik zelebriert in ihren leider zu wenigen Szenen eine vorauseilende Hysterie sondergleichen (der "Leuwerik reaction shot" sollte ins Lexikon der allgemeingültigen Filmsprache aufgenommen werde). Es wirkt manchmal, als wären die Menschen sich ihrer Gefühle trotz aller Hilfestellung, die ihnen der Film gewährt, nicht ganz sicher, als müssten sie sich in ihre Gefühle regelrecht hineinsteigern, damit sie sie auch ja nicht wieder verlieren. Das gelingt freilich immer nur im Moment, in kleinen emotionalen Ekstasen, deren formales Korrelat eine ebenfalls überprägnante Kameraführung darstellt, die keine Gelgenheit auslässt für vehemente Flugmanöver.

Am besten ist der Film in den Szenen, die den Arztberuf selbst thematisieren. Die Typologie der Patienten, auch die Dialekte, in denen sie sprechen, die knorrigen alten Ärzte, die resoluten Krankenschwestern, die GIs, die in kameradschaftlicher Eintracht auf das Niederkommen einer fleißigen Fraternisiererin warten. Da steckt eine vulgäre Energie im Film, die sich leider nur zum Teil auf die Haupthandlung überträgt.

Sunday, March 05, 2017

Es kommt ein Tag, Rudolf Jugert, 1950 (Filme gegen Deutschland 5)

Der Film beginnt in einem Lazarett, die maladen Soldaten binden sich nachts mit einem Gurt auf den Pritschen fest, auf denen sie liegen. Damit sie nicht hinweggeweht werden von den Erinnerungen. Die Kamera ist freilich von Anfang an agil, unruhig kriecht sie über die Betten hinweg. Als einer ansetzt, eine dieser Kriegsgeschichten zu erzählen, möchten ihn die anderen erst stoppen, aber die Vergangenheit drängt herauf, der Film springt ein paar Jahre zurück, in den Deutsch-Französischen Krieg.

Ein deutscher Soldat Mombour (Dieter Borsche) tötet einen französischen. Er kriecht dann nah an ihn heran, sodass sein Kopf neben dem des Toten zu liegen kommt. Bereits in diesem Bild wird Es kommt ein Tag zum Geisterfilm. Mombour hat sich selbst getötet, die Identität wie auch das Schicksal seines Feindes sind auf ihn übergesprungen, er weiß es nur noch nicht. Vor allem wird er es deutlich später wissen als wir. Der Film ist der melodramatisch zerdehnte Prozess seiner Erkenntnis und unseres tränenseligen Nachfühlens: Mombour muss nicht nur erkennen, was er getan hat, sondern auch, was aus seiner Tat für ihn folgt. Genauer gesagt geht es um einen komplexen Mechanismus der Erkenntnis, der Musik, Liebe und Tod hoffnungslos ineinander verschränkt. (Keineswegs sollte man diese Erkenntnis mit Aufklärung verwechseln; Es kommt ein Tag ist ein regressiver Film - aber ein großartig monströs regressiver!)

Es kommt ein Tag ist im Kern ganz flackerndes Licht und verwehte Melodie. Borsches weiches Gesicht hat weder der todbringenden Melodie, die ihn immer wieder, in verschiedenen Inkarnationen, meist nur als Ahnung, heimsucht, noch den halluzinativen Lichtornamenten, die sich wie ein Schleier über die Welt und eben insbesondere über sein Antlitz legen, viel entgegen zu setzen. Seine Liebesgeschichte mit der Maria-Schell-Figur ist ein bloßer Reflex, eine Mechanik der träumerischen Blicke und der Treppenerotik, dass aus ihr je eine lebbare Beziehung folgen könnte glaubt man in keinem Moment, schon das ausführlich angeteaserte Eifersuchtsgeplänkel mit einem französischen Maler kommt nicht recht in Gang.

Es gibt dann freilich noch Gustav Knuth als Soldat Paul, ein rundlicher Schnurrbartträger, ein liebenswürdig polternder Genussmensch, der den Mägden hinterhersteigt und mit den Franzosen ausführlich Brüderschaft trinkt. Der für alles, was er tut, mehr Zeit und Raum in Anspurch nimmt, als solcher Tätigkeit eigentlich zustehen würde. Ein massiver Klotz, der im Film rumsteht, oder eher rumfläzt, nicht zu übersehen, nur äußerst mühsam aktivierbar, aber im gemächlichen Normalmodus durchaus unterhaltsam. Komplett ungeisterhaft und diesseitig eigentlich... aber auch er stimmt immer wieder auf der Mundharmonika die unglückselige Melodie an. Letzten Endes ist auch er nur ein weiterer Träger des Virus, der am Ende unweigerlich die Welt in Brand setzen wird. Der das liebevoll evozierte französische Dorfleben mit den Waschfrauen am Brunnen, den neugierigen Blicken auf die uniformierten Männer, den spielenden Kindern in eine paranoide Seelenlandschaft verwandelt.

Dass die deutsche Filmgeschichtsschreibung das Kino der 1950er von sich weg halten will (oder zumindest wollte, es gibt glücklicherweise viel Gegenbewegung, momentan), hängt vielleicht weniger mit dem vorgerlichen Eskapismus dieser Filme zusammen; sondern ganz im Gegenteil damit, dass sie mehr von Deutschland offenbaren, als man eigentlich wissen will. Es kommt ein Tag ist ein Meisterwerk - als Ausdruck einer Gesellschaft, die mit sich selbst kein bisschen im Reinen ist.

Friday, November 25, 2016

Das Verschwinden der Schwelle durch das Öffnen der Tür, Heidi Specogna / Thomas Schultz / Petra Heymann, 1986

Ein in den 1980er Jahren an der dffb entstandener, konzentrierter Montage-Interview-Film über das Asylverfahren - das schon vor Drittstaatenregelung und Ähnlichem auf Ausschluss, nicht auf Inklusion angelegt war. Im Film umreißen Vertreter der verschiedenen Institutionen, mit denen ein eingereister Ausländer, der Asyl beantragt, in Kontakt kommt, ihre jeweilige Tätigkeit. Fast alle Gespräche sind isoliert voneinander aufgenommen, höchstwahrscheinlich zumeist in den Räumlichkeiten der einzelnen Institutionen. Es fällt auf, dass insbesondere die Vertreter der Staatsmacht fast genauso viel kommunikative Energie wie auf die Beschreibung ihrer Tätigkeit darauf verwenden, diese spezifische Tätigkeit von anderen Tätigkeiten abzugrenzen. Die Person, die für den ungünstigen Verlauf des Verfahrens tatsächlich zuständig ist, sitzt immer irgendwo anders, im Zweifelsfall in der Politik. Besonders stark ist der Film, wenn er sich systemischen Schnittstellen widmet, die ansonsten selten in den Blick kommen. Zum Beispiel macht eine ganze Serie von Gesprächen zweifelsfrei klar, dass Abschiebungen mit den alltäglichen Prinzipien ziviler Luftfahrt ganz und gar nicht vereinbar sind; aber trotzdem weiterhin in sie eingebettet bleiben.

Die Leitdifferenz, die in fast allen Gesprächen auf die eine oder andere Art aufgerufen wird - und an dieser Stelle scheint er sehr seiner Zeit verbunden zu sein; ich kann mir kaum vorstellen, dass ein aktueller Film zum selben Thema ähnlich vorgehen würde - ist die zwischen formalem Recht und den Handlungsoptionen der Individuen innerhalb dieses Rechts. Das heißt zum einen: Aus dem tagtäglichen Missbrauch des formalen Rechts folgt die Forderung nach Transparenz, nicht die nach Rechtsbruch. Und zum anderen, auf einer allgemeineren Ebene: Der Film geht davon aus, dass alle dieselbe Sprache sprechen, dass die diversen Vertreter der Ordnungshüter und die Unterstützer der Flüchtenden (die selbst nicht zu Wort kommen, was man problematisch finden kann, im Konzept des Films aber Sinn ergibt) eben in der Rechtsordnung etwas Gemeinsames vorfinden, von dem aus Kommunikation möglich ist. Tatsächlich ist der Film zwar im Großen linear entlang eines (erfolglosen) Asylverfahrens montiert, im Kleinen schneidet er aber immer wieder "auf Argument", indem er einen Interviewten auf einen anderen "antworten" lässt.

Wednesday, November 23, 2016

in passing: dffb (2)

Manoeuvres d'Élégance, Jose van der Schoot, 1992

Zwei Frauen in einer Wohnung, die vor allem aus einem Ballettübungsraum zu bestehen scheint, aber auch ein Badezimmer und eine tolle Treppe enthält. Die Frauen ziehen sich selbst und sich gegenseitig an und um, schminken sich, duschen sich und reden über ihr Aussehen. Die Dialoge gleiten immer wieder ab ins Allgemeine, suchen nach Prinzipien, die das Verhältnis zum eigenen Körper regeln könnten. Aber die gibt es offensichtlich nicht. Eleganz kann nur als Manöver realisiert werden, nur für den Moment, und nur im Blick einer gedachten oder tatsächlichen Anderen; und die Differenz zwischen der gedachten und der tatsächlichen Anderen muss auch noch mitbedacht werden. Jedes Kleid bleibt fremd (eine der Frauen trägt für eine Weile einen fat suit), aber es ist auch nicht so, dass unter den Kleidern etwas echtes liegen würde, das von den Kleidern nur überdeckt würde. Man kann den Kleidern so wenig entfliehen wie der Sprache. Gesprochen wird französisch, nur einmal kurz deutsch. Das ist einer dieser scheiternden Fluchtversuche. Irgenwann wird es Nacht, dann kommen die Männer dazu und machen alles nur noch komplizierter.

Mise-en-scene, Jose van der Schoot, 1991

Der Schauspieler soll auf die Schauspielerin einreden und im Reden gleichzeitig um die Spüle herumgehen, an der sie sich zu schaffen macht. So will es der Regisseur, der das Dispositiv von Anfang an so sehr unter Druck setzt, dass es sich erst gar nicht richtig etablieren kann. Er funkt so lange von außen in die Szene hinein, bis er irgendwann in ihr drin ist, und sowieso ist nie ganz klar, ob es noch um eine Probe, schon um den Dreh oder überhaupt um etwas drittes geht. Nebenan ist grundsätzlich immer Lärm, aber es muss weiter gehen, immer weiter, immer noch ein take, noch eine Kulisse; wenn etwas nicht passt, wird einfach ein weiterer Liebhaber ins Drehbuch geschrieben, aber das Drehbuch hat eh keine allzu große Durchschlagskraft, wenn die Darstellerin das falsche Kleid anzieht, ist es auch schon wieder passé.

Wie alle Filme von van der Schoot, die ich bisher gesehen habe, könnte das ewig weitergehen, es gibt keine natürlichen Grenzen, keine Fluchtpunkte in ihrem Kino, nur Kommunikationspattern, die sich in ewiger Transformation gleich bleiben. Umso überraschender, dass sich am Ende doch eine Tür öffnet, aus der ewigen Kulissenschieberei heraus ins Freie. Der Regisseur steht an der falschen Tür, und das Klackern der Pferdehufe hört sich verdächtig nach Kokosnüssen an.

Monday, November 21, 2016

in passing: dffb

A la orilla del rio, Ricardo Iscar, 1990

Eine behelfsmäßige Roma-Siedlung am Rand einer spanischen Stadt. Zelte, Wellblech, Frauen bei der Hausarbeit, spielende Kinder, Männer, die manchmal in Richtung der Brücke gehen, hinter der die Stadt liegt. Ein schwarz-weiß-Film in rohem, aber glasklaren 16mm. Ein Film, der seine eigenartige Kraft aus der Subtraktion gewinnt. Fast aller Klang ist der Situation entzogen, was doch noch hörbar ist, verweist auf das Elementare an der Lebenssituation. Das Wasser des Flusses, der in der Nähe vorbeifließt, der Wind, der die Kleider trocknet. Das Brodeln im Kochtopf bei der Essenszubereitung. Am Ende zwei Versuche, doch noch etwas hinzu zu addieren. Brüchig-minimalistische Gitarrenklänge zu einer abendlichen Tanzszene, nach dem letzten Titel dann ein Klagegesang, der unnötigerweise versucht, den Affekten, die die Bilder unweigerlich aufrufen, eine Form zu geben; der diesem wunderbaren Film aber nicht viel anhaben kann.

Bäume, Ricardo Iscar, Jose van der Schoot, 1990

Ein Film über Bäume im Zustand ihrer Umzingelung. Architektonisch umzingelt von der Stadt, in die sie eingepflanzt sind, instrumentell umzingelt von Bewässerungsanalagen, die diesen eigentümlichen Film ziemlich genial rhythmisieren, semantisch umzingelt von narrativen Miniaturen: jemand huscht in Tarnuniform durch den Wald, eventuell gehen Geister um. Dennoch kein Spiel-, aber auch kein Dokumentar- und auch kein Essayfilm. Vielleicht eine Art Lexikoneintrag, verfasst von Aliens, deren Interesse an unserem Planeten uns fremd ist. Ein Film ohne Platz im System der bewegten Bilder, und deshalb genau die Art von Film, für die es sich lohnt, Filmschulen zu gründen.

Eine Schürze aus Speck, Ed Herzog, 1994

Der Spießbürger trägt seine Nacktheit wie eine Uniform. Eine wunderbare Saunaminiatur, lange Zeit dominiert vom fast terroristischen Quietschen der Badeschlappen, mit der Bernhard Marsch sich durch den Wasserdampf bewegt.

Gute Referenzen, Jose van der Schoot, 1994

Ein Bewerbungsgespräch, das ständig aus dem Ruder läuft, aber das deshalb nicht scheitert. Denn genau das ist sein Punkt: Es geht nicht darum, eine einzelne Person auf ihre Tauglichkeit für eine einzige Position hin zu überprüfen, sondern darum, ein allumfassendes, permanentes Dispositiv des Überprüfens, des Fähigkeitenabgleichs zu etablieren. Es geht nicht darum, dass Leute ein Gespräch über Themen führen, sondern um eine Gesprächssituation, oder besser um eine geschäftig-kommunikativer Grundzustand, die Leute und Themen rekrutiert, nach Belieben über sie verfügt. Ein neoliberaler Horrorfilm, gefilmt in einer Turnhalle.