Sunday, August 10, 2025

Gegenwartsliteratur, ein Sample (12)

Nora Bossong, 36,9. Tragödie und Farce, parallel montiert. Die Leute auf goodreads bevorzugen die Tragödie: Antonio Gramsci und die geliebten Schwestern, der leidende Gerechte, der die Liebe als unverhoffte Gnade erfährt und sie doch nicht ganz annehmen kann. Ich bin eher für die Farce zu haben: Anton "Tonio" Stöver, Gramsci-Forscher und Hallodri, auf den Spuren einer Tatjana, die sich vielleicht mit Gramscis Tanja vermischt. Während zuhause Hedda nicht mal mehr unbedingt wartet, die Frau mit dem deutschesten aller Namen. Das ist oft umwerfend komisch, gerade wie das komplette Ausmaß der Erbärmlichkeit Antons sich erst nach und nach herausschält. Auch wie die krachenden Anton-Subjektiven die distanziertere, vielleicht etwas arg gediegene Antonio-Einfühlung zumindest ein bisschen desavouieren... Ein bisschen zu sehr ins eigene Konzept verliebt ist das Buch gelegentlich freilich schon.

Sebastian Fitzek, Amokspiel. Ich weiß nicht, was ich erwartet habe, aber sicher nicht derartig kruden Ultrastuss. Gerade auch sprachlich... Ist ein Frühwerk, vielleicht gibt sich das später, die Fitzek-Bücher können doch nicht alle derart windschief vollgeschrieben sein? Der Reiz besteht, nehme ich an, in den einerseits in halsbrecherischer Geschwindigkeit montierten, andererseits aber doch wieder schrecklich verlaberten Twists. Alle sind erst tot, dann wieder lebendig, dann wieder tot, jeder ein Verräter, jeder ein Agent, die meisten Doppelagenten, aber wer einmal als "überraschend sympathisch" beschrieben wird, dem darf man dann doch hinfort bedingungslos über den Weg trauen. Ein unüberblickbares Figurenarsenal und Plotgestrüpp, gewürzt mit ein bisschen sehr pubertärem Sex hier und lieblos reingeklatschter Comic-Gewalt da. Aus der einen guten Idee, die am Anfang steht - ein intimes "Therapie"-Gespräch wird bundesweit im Radio übertragen -, macht Fitzek ganz und gar überhaupt nichts. Am besten tatsächlich noch in der Action-Konkretion, in der ethusiastischen Evokation endloser billig-Ballerfilme-Showdowns. Es stellt sich wieder mal die Frage, warum das so selten gut geht: Pulp auf deutsch. Von Lee Child, Michael Connelly oder anderen guten Airport-Novel-Autoren ist Fitzek so weit entfernt wie der Potsdamer Platz, auf dem der Roman hauptsächlich spielt, von Times Square.

Martin Suter, Elefant. Gentechnik ist böse, aber ein rosa Minielefant, der im Dunkeln leuchtet, der ist halt trotzdem süß. Um diese letztlich nicht allzu ergiebige Paradoxie herum bastelt Suter einen mäßig erquicklichen Crowdpleaser-Roman, der sein Personal gemäß geläufiger moralischer Kategorien sortiert und in eine einigermaßen ungelenke Plotmechanik einspannt, in der alle immer gerade zur rechten Zeit einander treffen oder eben nicht. Ganz schön, wie unaufgeregt und zugewandt sich das Buch den Zürcher Randständigen nähert. Überhaupt ist die Äquidistanz, die Suter aller moralischen Kasuistik zum Trotz in sprachlicher Hinsicht zu seinen Figuren hält, in der Theorie interessant. Das hat etwas von einem kleinen helvetischen Welttheater, aufgeführt in lakonischen Aussagesätzen. Zumindest in diesem speziellen Fall ist da, auch wegen der penetrant antimodernen Bias, für mich trotzdem nicht viel zu holen.

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