Fatma Aydemir, Dschinns. Wiedererkennbarkeit und Typisierung, Wiedererkennbarkeit per Typisierung. Alle Figuren sind gleichzeitig erfahrungssatt ausgearbeitet, "aus dem Leben gegriffen" und perfekt ausgestanzte Puzzlesteine, die sich fugenlos zum schlüssigen Sozialpanorama fügen; das freilich von vorn herein gesetzt ist, durch die einzelnen Figurenerzählungen nur immer wieder neu bestätigt wird, nicht dynamisch gedacht ist oder gar entgleisen kann. Die Spannung, die es im Inneren der Figurenkonstellation nicht gibt, wird stattdessen von außen hinzu addiert, durch ein "geheimes Familienmitglied", eine Art materiellen Geist, an dem das Unbehagen aller anderen Figuren mit sich selbst fassbar wird, fast wie in einem viktorianischen Melodram. Wie das gesamte Buch kann man auch diese Volte bewundern; gleichermaßen ornamental und wuchtig geschrieben ist Dschinns allemal - nur bleibt der Horizont halt stets eine Ordnung des Repräsentationellen, die mich nicht interessiert.
Esther Kinsky, Am Fluss. Passagen entlang Londoner, rheinländischer, osteuropäischer, anderer Wasserwege, nature writing vielleicht, aber stets mit einem aufmerksamen Blick für Kontaminationen: der Natur mit Urbanität, der Urbanität mit Natur, der Subjektivität mit Äußerlichem, des Äußerlichen mit Subjektivität, der Beschreibung mit Erzählung, der Erzählung mit Beschreibung. Ein Buch über die Gegenden vor allem, in der die Stadt ihre Form verliert und dadurch anders lesbar wird, ein bisschen wie Bernhard Sallmanns Berlin JWD, aber Berlin ist natürlich nicht so sumpfig-modrig, so schlackig-träge, wie London es womöglich tatsächlich mancherorts ist. Berlin ist immer schon modern, auch da wo es schrecklich demode ist. Vielleicht gerade da. Kinsky treibt hingegen London die Modernität gründlich aus, und zielt doch nicht auf ein Heimisch- oder Heimeligwerden... sondern ganz im Gegenteil auf einen Abschied, auf ein Verblassen.
Sven Heuchert, Alte Erde. Es gibt nicht viele Pageturner in der deutschen Gegenwartsliteratur. Das hier ist einer. Und was für einer. Ein rheinischer Redneck-Western, mal alttestamentarisch wuchtig, mal unverschämt spekulativ wie gutes Grindhouse-Kino (warum nicht mal jenseits jeder erzählerischen Dringlichkeit einem random Paar beim Ficken im Waldsee zuschauen und heimleuchten) und doch immer geerdet in dichtem, perspektivlosem Provinzmief. Keine Exposition, nur schemenhafte Figuren in präzise beschriebenen Landschaften, immer wieder überraschende Sprünge in Subjektiven, die nichts erklären, schon gar nichts rechtfertigen. Subjektivität ist in dieser Welt nur ein Brandbeschleuniger, reine Kinetik. Libidinöse Übersprungshandlungen: Der Blick auf die Frau, die einem entgleitet und der Griff zur Waffe sind eins. So viele Waffen, so viele Patronen. Irgendwo geht ein Wolf um. Und das alles soll ein paar Kilometer neben Siegburg spielen? Fabelhaft. Deutscher Hard Boiled, ja, aber auch deutscher Cormac McCarthy. Natürlich schon unverschämte Männerliteratur irgendwie. Aber halt auch: sowas von mein Ding.
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