Wednesday, May 30, 2012

Ein komischer Heiliger, Klaus Lemke, 1979

Der neben Amore schönste Fierek / Kretschmer / Leme-Film, den ich bisher gesehen habe ist Ein komischer Heiliger.  Fierek steigt da am Anfang im Münchner Hauptbahnhof mit der Bibel in der Hand aus dem Zug, am Ende steigt er dann wieder ein, die Kretschmer denkt, er fährt weg, er steigt aber auf der anderen Seite wieder aus dem Zug und schaut sie einen Moment lang an, während sie noch den Waggons hinterher blickt. Sie sieht ihn dann auch (sie steht mit dem Rücken zur Kamera, ein reaction shot ist nicht notwendig, ihr kurzer Aufschrei "Wolfgang" genügt), sie überquert die Gleise und schließt den komischen Heiligen in die Arme. Das Bahngleis kommt dabei nicht ins Bild, die Kretschmer taucht einfach kurz nach unten weg. Ich dachte erst, das wäre ein trick shot, so wundervoll schwebend und märchenhaft ist die Szene, aber selbstverständlich gibt es Bahnhöfe, an denen so etwas funktioniert.










Kurz vorher: ein kurzer Blick auf ein paar Münchner Jungs.



Wolfgang Fierek heißt im Film Wolfgang Fierek (wie "Viereck" wird sein Name einmal ausgesprochen); Cleo Kretschmer allerdings heißt nicht Cleo Kretschmer, sondern Baby Kirchbauer. Baby Kirchbauer ist Prostituierte, Fierek singt für sie ein Lied im Bordell und nimmt sie nach einem Streit mit dem Zuhälter mit. Später baut Baby Kirchbauer auf einem Toilettendeckel einen religiösen Schrein, wird von einem Arzt belästigt, destilliert "gesegnetes Wasser" in der Badewanne und geht jedem, der nicht sofort Deckung sucht, gehörig auf den Wecker. Fierek holt sich derweil eine Verletzung und eine eigentümliche Kopfbedeckung ab:



An einem anderen Volkskino habe Lemke gearbeitet, an einem, in dem das Volk sich selber spielt, schrieb Hans Blumenberg damals in der Zeit. Ich würde vielleicht eher sagen: Lemke dreht ein Volkskino, das an die Stelle des Volkes Kretschmer und Fierek setzt. Die beiden vermitteln schon etwas von der Art widerständiger "Volkskultur", die zum Beispiel Pasolini interessiert hat, aber gleichzeitig sind sie zu exzentrisch, als dass man sie ernsthaft als Repräsentanten von irgend etwas nehmen könnte.

Alle Kretschmer / Fierek / Lemke-Filme, die ich bisher gesehen habe, sind im Grunde zwei Filme: Der eine erzählt jeweils eine generische Romkom-Geschichte (oft mit durchaus interessanten Wiederverheiratungspointen), der andere konfrontiert die beiden Volksschauspieler, denen das Volk abhanden gekommen ist, mit dem gesellschaftlichen Raum und protokolliert eine Kollision, aus der die Gesellschaft nie, Kretschmer und Fierek aber manchmal durchaus einen Nutzen ziehen. Toll ist in Ein komischer Heiliger zum Beispiel die Szene mit dem Fotografen; am tollsten aber eine Anhörung vor Gericht, die eindrücklich zeigt, dass Kretschmers unermüdliches Mundwerk von keiner Geschäftsordnung der Welt zu bändigen ist.

Monday, May 28, 2012

Cameroon Love Letter (For Solo Piano), Khavn de la Cruz, 2010

Zwei Liebesbriefe: ein geschriebener, weiblicher, nicht-westlicher, in rhythmisch über das Bild verteilten Textclustern, ein gesprochener, männlicher, westlicher, eine tiefe, traurige, gleichförmige Stimme, fast wie ein Gebet; anders als der weibliche Brief (der dafür auf die Bilder selbst übergreifen darf) erhält der männliche auch einen Körper, oder vielleicht eher ein "Körperangebot": Gertjan Zuilhof - ein programmer des International Film Festival Rotterdam, ohne das Khavn wohl kaum eine internationale Karriere hätte beginnen können - fährt durch afrikanische Straßen, sitzt in afrikanischen Cafes, fotografiert akrikanische Häuser und Menschen. Erst wechseln sich die Briefe einander ab, gegen Ende überlappen sie sich gelegentlich. Dieses Überlappen ist aber schon die einzige Art von "Reaktion", die die beiden eingehen.

Man kann sich nicht einmal sicher sein, ob die zu Ende gegangene Beziehung, der der männliche Brief hinterhertrauert und die der weibliche Brief nun als wechselseitigen Selbstbetrug-von-Anfang-an zu durchschauen meint, in irgendeinem Sinn aufeinander bezogen sind; im Grunde spricht dafür nur die Konstellation, die Texte selbst geben nicht allzu viele Hinweise. Die Texte scheinen gefangen in Klischees, schön sind sie nicht für sich selbst, in ihren Bildern, sondern in ihrem Kampf gegen die eigene Tendenz zur Phrase.

Khavns Filme (zumindest seine guten Filme; Mondomanila zum Beispiel orientiert sich in Richtung Spielfilm und scheitert eher kläglich) sind stets zuerst Konstellationen: Verschaltungen von zwei, drei, vier unterschiedlichen Materialien, die sich an ihren Rändern eher gegeneinander verhärten, als dass sie sich verunreinigen lassen. In diesem Sinne ist Khavn der einzige unter den neuen philippinischen Regisseuren, der tatsächlich so etwas ähnliches wie post-Cinema macht. Im Grunde arbeitet er installativ, nur, dass er seine Installationen stur phasenverschoben verzeitlicht. Weder sieht man beides (alles drei etc) gleichzeitig (wie in der klassischen Installation), noch das eine im anderen (wie im klassischen Kino). Wie in einem Zug, in dem man erst durch die eine, dann durch die andere Landschaft fährt, ohne dass man die Geschwindigkeit bestimmen könnte (wie im Auto) und ohne, dass man einen Überblick hätte (wie im Flugzeug; meistens sieht man da allerdings nur Wolken, vielleicht gefallen mir deshalb installative Arbeiten nur sehr selten).

Cameroon Love Letter (For Solo Piano) ist eine seiner schönsten Installationen: eine ergreifende, mehrfach asymmetrische Liebesgeschichte, die vielleicht nie eine war, tritt in Kontakt mit melancholischen Klavierklängen und dokumentarischen Aufnahmen aus Kamerun. Besonders eindrücklich: eine ausführlich gezeigte Beschneidung. Fast der gesamte Film ist in "verwischten" Zeitlupeaufnahmen gehalten und oft bläulich, seltener orange eingefärbt; distanzierte, subjektiv vermittelte Aufnahmen, die zwischendurch immer wieder in ein objektiveres, dokumentarisches Blicksystem umgeleitet werden. Wie die Briefe sind auch die Bilder gefangen in vorgefertigten Strukturen; nicht in Afrikakitsch, sondern in Khavns formalistischer Überformung, gegen die sich dann immer wieder einzelne Bilder durchsetzen, so wie sich der kleine Vogel den der Kamera entgegengestreckten Kinderhänden entwindet und in die Freiheit fliegt.

Tuesday, May 22, 2012

Deterritorialisierte Sitcoms

Die sonderbar gebauten Räume in Friends: die Küche schräg hinter dem Sofa, die Gespräche, die über die Rückenlehne des Sofas geführt werden (im Raum gegenüber: die Sessel, die Gespräche blockieren). Analog im Cafe: die Theke hinter dem Sofa als Bühne hinter der Bühne. Die "Zweiwertigkeit" der drei wichtigsten Räume (während in Seinfeld Jerrys Wohnung um die Tür herum, das Cafe um den Tisch herum organisiert ist - also jeweils "einwertig"; oder täuscht mich meine Erinnerung?).
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Da zumindest das Cafe nicht mehr auf einen (unsichtbaren) Fernseher hin perspektiviert ist: worauf hin dann?
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Fluktuationsbewegungen durch die Räume (Sofas, Küchen, Theken) über die gesamte Serie hinweg, aber auch in fast jeder einzelnen Folge; kein Raum darf irgendjemand vollständig gehören. (Warum nicht?)
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Die Unmöglichkeit echter travellings in multi-Kamera-Sitcoms; welche Strategien gibt es, sie zu ersetzen? (Das Unheimliche der Sitcom-Rückprojektion, weil das Bühnensetting, anders als im klassischen Kino, nicht akzidentiell, ein aufzuhebender Mangel ist)
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Welche Rolle spielt das Bildformat? Ein Schock, neue HD-Abtastungen in widescreen zu sehen; die Integrität der Figuren im Raum geht verloren.

Wednesday, May 16, 2012

Project X, Nima Nourizadeh, 2012

Eine amerikanische High-School-Komödie vollzieht derzeit nach, wie leicht die Rebellion gegen Autorität selbst autoritäre Züge annehmen kann. Nicht nur innerhalb des Films selbst: Seit einigen Wochen werden in amerikansichen Städten Partys nach Vorbild der in Project X dargestellten organisiert, mindestens einem Menschen haben sie bereits das Leben gekostet.

Der Party-Exzess, der in Project X von drei sehr generischen High-School-Jungs (Hauptdarsteller Thomas Mann heißt nicht nur tatsächlich so, sondern könnte auch eine echte Entdeckung sein, man muss da allerdings noch ein wenig abwarten) geplant wird, schlägt nicht einfach irgendwann in Gewalt um; die Gewalt ist ihm von Anfang an als strukturierendes Moment eingeschrieben: Territorien werden abgesteckt und verteidigt, jugendliche Schläger mit Elektroschockpistolen und gelben Uniformen ausgestattet und als Wachschutz engagiert. Dass die Party selbst ihre Rechtfertigung vor allem in der Jagd nach sexuellen Attraktionen findet, ist im Genre nichts Neues und ja auch an sich nichts Verwerfliches; allerdings ist die Geschlechteraufteilung in diesem Fall wieder so einseitig, wie sie es selbst in den Sex-Comedies der Achtziger eigentlich kaum einmal war. Und der "found footage"-Stil, in dem der gesamte Film gehalten ist, kommt nur hier zu seinem eigentlichen Recht: in Blicken auf Frauenkörper, die schon in ihrer dispositiven Verfasstheit eine Blickumkehr, einen Perspektivwechsel, ausschließen.

Wenn der Vater den Sohn klammheimlich bewundert, nachdem der das familiäre Eigenheim in Brand gesetzt hat, dann nicht, weil der Sohn ein echtes Gegenmodell zur eigenen, in Wohlstand verhärmten Existenz gefunden hätte; sondern, weil es dem Sohn gelungen ist, den vorher zivilisatorisch halbwegs gebändigten protofaschistischen Unterstrom des eigenen Lebens freizulegen.

Thursday, May 10, 2012

Vénus et Fleur, Emmanuel Mouret, 2004

Mein dritter Mouret und jetzt bin ich endgültig hin und weg. Mit dem neuesten, dem spielerischen aber dabei ungemein souveränen L'art d'aimer, der nächste Woche in die deutschen Kinos kommt, hatte ich angefangen, inzwischen habe ich ihn zweimal gesehen und ich glaube nicht, dass dieses Jahr noch viel ins Kino kommen wird, das mich mehr begeistert; dann Promène-toi donc tout nu! (1999), der erste, halblange Film, eine Skizze eher, in der aber schon alles angelegt schien, was in L'art d'aimer zur Reife gelangt: die sanfte Ironie, die Auflösung von Liebe in Kommunikation und Spiel, die Experimente mit dem Voice-over, die Modulation von Raum eher innerhalb der Einstellung als im Schnitt. Die tolle Art, mit Schauspielern umzugehen, natürlich, in diesem Fall vor allem mit dem Regisseur-als-Schauspieler.

Vénus et Fleur aber öffnet das Werk noch einmal komplett neu. Der Film nimmt das Moment von Versuchsanordnung, den ironischen Laborblick (der auch in den anderen Filmen keine Beengung, keine Begrenzung impliziert, aber doch so etwas wie einen Behälter) weg und scheint sich von seinen eigenen Figuren überraschen zu lassen, von den eigenen Schauspielern, die auch keine Profis mit Profitricks sind, wie in L'art d'aimer, sondern Laien, von denen der Film lediglich manchmal zu behaupten scheint, dass sie Stars sind, aber nur, um ihnen in der Pose eine ganz spezielle Individualität abzugewinnen (tatsächlich musste ich, der immer noch sehr kontrollierten, eleganten Form zum Trotz, manchmal an Lemke denken, an dessen besten Filme natürlich nur). Vor allem von der russischen Vénus, die, vermittelt über zwei identische Handtaschen (das ist dann wieder Mouret pur) in den Film und in das Leben Fleurs (anfangs allein in der Marseiller Villa, auf Urlaub, die Verandatür öffnet sich hin auf eine Hochhaussiedlung, die etwas zu versprechen scheint, bei der der Film dann aber doch nie anlangt, die Hintergrund bleibt, wie unten, im zweiten Bild) eindringt, lässt Mouret sich überraschen, von ihrem Oberteil, auf das ein grünes Monster gedruckt ist, von ihren wilden Schreien den Jungs hinterher und von jeder Menge Tattoos auf ihrem Körper, an die die Kamera ganz nah heranfährt, vieleicht fahren muss, weil sie diesen Körper nie so ganz in den Griff bekommt.

Vénus und Fleur teilen sich ihre Kleider und irgendwann teilen sie sich auch ihre Männer, ein bisschen, da ihnen manchmal schon Knie als Sexualobjekte reichen, ist das gar kein so großes Problem. Sie reden lieber über die Zukunft als über die Vergangenheit, allein in der Stadt und Urlaub: das ist gleich doppelt Freiheit, vielleicht zieht es sie auch deshalb nicht ins Zentrum, sondern an die Ränder, an die Strände und in die Natur "vor dem Hintergrund der Hochhäuser", in denen doch wieder nur Verpflichtungen sich ergeben würden).

 Vénus und Fleur heißen die Frauen, Bonheur und Dieu die beiden jungen Männer, die irgendwann auch in der Villa aufkreuzen, am Anfang jagt Vénus am Strand noch ein paar anderen Typen hinterher, versucht sie, mit einem rot-weißen Ball einzufangen, aber dann gibt es irgendwann nur noch diese vier jungen Menschen mit den seltsamen Namen; Namen wie auf Urlaub von der Welt der Gegenwart und ihren bürgerlichen Identitäten, Namen, die schon auch irgendwie symbolisch sind, aber vor allem wie zufällig zugeteilt wirken (ich mag da einiges überhört haben, ich kann kein Französisch), provisorisch, weil man sich noch nicht ganz entscheiden will und lieber große, luftige, ein wenig wirre, als kleine, fieße, verbiesterte Gedanken haben möchte.




Monday, May 07, 2012

The Good Wife S01E10

In The Good Wife S01E10 gibt es zum ersten Mal einen Bruch, der nicht sofort wieder gekittet werden kann, der nicht sofort wieder überführt wird in eine liberale Wunscherfüllungsfantasie, die das abstrakt fehlerhafte System in eine Serie bewältigbarer Einzelfälle auflöst und dabei tendenziell aus den Augen verliert.

Die Großmutter (die von Anfang an die mit Abstand unsympathischste Figur war und vielleicht deswegen die interessanteste der Serie ist; man traue, besonders im amerikanischen Networkfernsehen, seinen Antipathien) besucht die Mutter einer Freundin ihrer Enkelin - vorderhand, um diese Freundin zum play date abzuholen, eigentlich, um ihre eigenen Vorurteile bestätigt zu sehen. Und was nicht passt, wird passend gemacht. Die Szene beginnt, schon das ist untypisch, mit einer vergleichsweise präzisen Verortung: ein eher bescheidenes Reihenhaus aus den roten Backsteinen der Arbeitersiedlungen, ein kleiner Vorgarten mit Eisentor, schließlich der tröpfelnde Gartenschlauch. Ein Milieu, von dem man sich (im Gegensatz zum großbürgerlich-aristokratischen der zentralen Familie, deren in ihrer Position allerdings akut gefährdetes Oberhaupt die Großmutter ist) in drei Einstellungen problemlos ein Bild machen kann.