Sunday, July 24, 2011

Inside Moves, Richard Donner, 1980 (American Eighties 7)

Ein Film über crippled america. Mir hat gefallen, dass es in diesem Fall nicht, wie zum Beispiel im kurz zuvor gesehenen Cutter's Way, ausschließlich das Vietnam-Trauma ist, das verkrüppelt. Statt dessen gibt es eine Kontinuität der Schmerzen, ein weit aufgefächtertes "Kino der Verletzten" (Peter Kern). Die Figuren in Donners Film haben ihre Wunden in ganz unterschiedlichen Jahrzehnten und auf ganz unterschiedlichen Schlachtfeldern erlitten; es gibt alte Männer, die möglicherweise Veteranen des zweiten Weltkriegs sind, es gibt eine heroinsüchtige junge Frau, der die Gegenkultur der Siebziger arg mitgespielt hat und die nun ihrerseits einen selbstmitleidigen verhinderten Basketballprofi heimsucht. Die Verletzung, die im Zentrum des Films steht, ist völlig kontextfrei. John Savages Selbstmordversuch gleich zu Beginn wird lange überhaupt nicht thematisiert, erst kurz vor Schluss kommt er selbst darauf zu sprechen und führt seine Handlung auf "eine Art Leere" zurück.
Am Anfang also geht der noch adrett frisierte Savage mit seltsam hart, paranoid schwingendem Schritt auf ein Hochhaus zu, er tritt ein, fährt mit dem Aufzug nach oben, springt (beziehungsweise, so zeigt es die Kamera: schwebt) herunter und überlebt mit Müh und Not. Den restlichen Film über hinkt er durch Los Angeles, während seine Frisur eine Typologie der 80ies-Matte erstellen zu versuchen scheint:






Wie an einigen anderen Filmen, die ich in den letzten Wochen für das 1980er-Projekt gesehen habe, gefällt mir auch an Inside Moves vielleicht in erster Linie eine Art Inkonsequenz. Der Film ist mal halb reflexiv gewordene Sozialromantik (in "Max's Bar", wo weite Teile des Films spielen, kann sich das auseinandergebrochene Amerika noch einmal versöhnen, aber nur für die Dauer von Frank Sinatras "Put Your Dreams Away"), mal doch wieder ganz klassische Aufsteiger/Durchhaltestory und irgendwann (genauer gesagt: ebenfalls zu "Put Your Dreams Away") beginnt dann aus heiterem Himmel eine Liebesgeschichte. Was an ihm stimmt, ist nicht eine Kritik an den Verhältnissen, die er leisten würde, sondern die Art, wie er sich einem Auseinanderfallen, einem schwer fassbaren Wegdriften von der geschlossenen Form und den unbedingten Sinnzuschreibungen der Gesellschaft ergibt.
Inside Moves ist konservativer (und besser) inszeniert als Roadie oder Caddyshack, aber der Film macht eine ähnliche Form von Freiheit spürbar; eine, die sich selbst nicht groß inszenieren muss, als autorenfilmerischer Nonkonformismus zum Beispiel. Ganz lässig schlüpft der Film von einer Tonlage in die andere, er lässt einen Gangsterplot (und die Rekonvaleszenz des Junkie-Mädchens) im Hintergrund mitlaufen, ohne, dass alles kommuniziert, alles bis ins letzte erklärbar gemacht werden müsste.
Der Film kommt auch deswegen mit seiner unaufdringlichen Freiheit durch, weil er einen wundervollen Hauptdarsteller hat. John Savage, bleibt, nachdem er vom Hochhaus geschwebt ist, lange außen vor in seinem eigenen Leben, fast sogar in seinem eigenen Körper (er ist schon mit sich selbst beschäftigt, aber nur mit seiner Motorik) er ist der, der, nachdem alle in die Kneipe gegangen sind, noch einen Moment vor der Tür bleibt und orientierungslos durch die Gegend humpelt. Der sich erst einmal lange ein wenig ungeschickt ins Leben der anderen mischen muss, bevor er wieder zu sich selbst finden kann - oder auch nur zu einem Selbst, sein altes, "eigenes" ist es eher nicht. Daraus folgt dann eine Kollision mit dem Basketballspieler, die ganz am Ende, in der letzten Einstellung, in einer rührenden Splitscreen-Aufnahme aufgehoben, filmsprachlich bewältigt wird.

Wednesday, July 20, 2011

Jump'n Run (Erinnerte Computerspiele 2)

Am liebsten gespielt habe ich Adventure-Games, am häufigsten und längsten aber vermutlich die jump'n run-Klassiker: Super Mario Brothers, Kirby's Dreamland, Donkey Kong, Prince of Persia. Computerspiele sind - das zu erkennen, macht einen noch nicht zum Kulturpessimisten - immer auch Ersatzbefriedigung, gleichzeitig Symptom und Agent der Entfremdung von Natur und physischer Erfahrung. Nirgends sind sie das so eindeutig wie im jump'n run, nicht, weil diese Spiele besonders eskapistisch wären, sondern, ganz im Gegenteil, weil sie die Differenz durch Minimierung, durch Mimesis an die tatsächlichen Fähigkeiten, die Erfahrungswelt des Spielers, erst sichtbar, vielleicht in Maßen für den Spieler selbst prozessierbar machen: Anstatt draußen zu springen und zu rennen, sitzt man drinnen vor dem Computer oder vor dem Fernseher und lässt einen Avatar springen und rennen. Es ist nur ein Schritt (der Druck eines Knopfes) von drinnen nach draußen (auf dem Gameboy, den ich selber nie besessen, aber bei anderen exzessiv mitbenutzt habe, stellt sich das noch einmal deutlicher dar); die Bewegung auf dem Bildschirm fließt manchmal tatsächlich wieder in echte Bewegung zurück. Auch umgekehrt: Wie kann der Schritt von draußen nach drinnen prozessiert werden? Vielleicht auch als Reflexion der eigenen Bewegung / der eigenen Beweglichkeit? Auch die Unzulänglichkeiten der Simulation werden in diesem Abgleich viel direkter erfahren: Der digitale Sprung fühlt sich nicht wie der echte an, er ist immer defizitär, genau wie die Kästchenförmige Welt Marios, der ihre Programmiertheit direkt ästhetisches Programm geworden zu sein scheint (klar, in der Hinsicht sind die jump'n runs nicht alleine, das trifft fast noch stärker auf viele Strategiespiele zu), immer schon defizitär erscheint in Bezug auf die Wiesen, Bäche und Felder, die nur wenige Minuten vom Computer entfernt warten. Ich hatte das Glück, in einem Dorf aufwachsen zu können; die fast rührend naiven, exotischen Schauplätze der Spiele werden aber auch Stadtkindern kaum als echte Sehnsuchtsorte dienen können. (Die schönste Welt ist vielleicht das "dreamland" aus den Kirby-Spielen, das sich einsaugen, sich einverleiben und dann wieder ausspucken lässt; bleibt davon etwas übrig, wenn man das Spiel ausstellt und wieder nach draußen geht, von dieser Idee der Interaktion, der Selbstüberschreitung? Und funktionieren Träume am Ende tatsächlich so?)
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(Eine Einstellung in James Bennings Meisterwerk Ruhr kommt mir da in den Sinn, die zeigt eine gewöhnliche Straße, irgendwo in Bochum glaube ich. Die mehr oder weniger gleichförmig errichteten Häuser und Parkplätze auf beiden Seiten sind, das zu bemerken braucht die Zeit, die der Film einem gibt, gegenläufig symmetrisch angeordnet: wo auf der einen Seite ein Haus steht, ist auf der anderen ein Parkplatz und umgekehrt. Eine bedrückende, irgendwie ebenfalls "computerlogische" Modularisierung des urbanen Raums, der die Passanten, die immer wieder durchs - selbst ja auch digitale - Bild laufen, sehr grundsätzlich untergeordnet, unterworfen sind. Die traurigste, härteste Einstellung in einem traurigen, harten Film.)
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Jump'n runs scheinen eine durchlässigere Membran zur Welt zu haben als andere Formen des Computerspiels. Der jump'n-run-Spieler kapselt sich nicht ab, auf Netzwerkpartys (heute: auf den großen Onlineservern) wird nicht Super Mario Brothers gespielt, das glaube / hoffe ich zumindest. Jump'n runs sind primär für Joystick und Konsolen-Controller gemacht, also für Formen von Interface, die noch eher gleichzeitig auch Objekte im vollen Sinne sind - die verloren gehen, um die man sich streitet - als die Tastatur, die da so flach und passiv vor dem Computer liegt, als wolle / solle sie eigentlich gar nicht physikalisch existieren. (Fifa spielen zu zweit auf einer Tastatur)
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Pasolini: "Die Montage bearbeitet das Material des Films, wie der Tod das Leben bearbeitet". Ohne den Tod wäre das Leben deswegen eine unendliche Plansequenz. Und in dieser Hinsicht ist das jump'n run nicht nur nahe am, sondern auch ein Bild fürs Leben. Eine Serie ewiger Plansequenzen, pro Level / "Leben" eines. Die Kamera, die keine ist, hält gleichmäßig Abstand, zentriert auf den Avatar, sie ist dabei aber etwas träge, vollzieht nicht jede Bewegung nach. Das hat eher etwas vom falsch individualisierenden pan & scan der Kinoverschandlung im TV als von der "Ethik der Kamerabewegung" bei Ophüls oder den Stadtpassagen in Pasolinis Mama Roma. Die Plansequenzen des jump'n run könnnen nicht "bearbeitet" werden, wie das Leben durch den Tod oder der Film durch die Montage. Sie sind verdammt zur ewigen Wiederholung in ihrem eigenen Code (siehe auch das Autoren-Computerspiel The Passage).

Friday, July 08, 2011

Fad'jal, Safi Faye, 1979

Ein Meisterwerk. Ein Zitat Amadou Hampatés am Anfang des Films: „In Afrika ist ein Greis, der stirbt, wie eine Bibliothek, die verbrennt“. Wenn der vor allem anderen beeindruckend freie Film strukturiert wird, dann durch die Erzählungen eines solchen graubärtigen Alten. Der sitzt am Stamm eines gewaltigen, seinerseits uralten, weit ausladenden Baumes (einmal fährt die Kamera einen seiner monumentalen, meterdicken Äste ab, dieser eine Holzstrang bekommt ein solches Eigengewicht, dass man kaum noch glauben mag, dass das wirklich nur ein einziger Baum, ein fest in der Erde verankerter Organismus ist; ohne jede Behauptung, ohne Raunen verweist die Natur in dieser Einstellung über sich selbst hinaus, auf ihre Transformation im Mythos), umringt von Kindern (halbkreisartig angeordnet, wie so vieles im Film, wie so vieles auch in Fayes älterem Kaddu Beykat. Er erzählt dann etwa über die Organisation des Dorfes, vor allem aber über dessen Geschichte und Mythologie, über die Ursprünge des Matriarchats (wobei ich doch gerne genauer wüsste, was für eine Art von Matriarchat das ist; der Alte erklärt das so, dass nicht der Vater dem Sohn, sondern der Onkel dem Neffen vererbt, wo da die Frauen bleiben, die das Dorf ursprünglich gegründet haben, wurde mir nicht vollständig klar, das ist nur eine der vielen Fragen, die außerhalb des Kinos zu verfolgen sind), über den Widerstand gegen einen König, über den Streit zweier Brüder.
Es geht in dem Film aber beileibe nicht nur um die oral history als alternativen Modus der Geschichtsschreibung, das wäre für dieses hochkomplexe Werk auch eine viel zu einfache Opposition. Fad'jal beschäftigt sich in einem viel umfassenderen Sinne mit dem Verhältnis von Tradition und Überlieferung zum historischen Prozess.
Im ersten Teil des Films - soweit man ihn überhaupt unterteilen kann in einzelne Abschnitte - geht es um die Verschränkung menschlicher, tierischer und organischer Genese, um die Art und Weise, wie Natur zu Kultur wird und wie diese in Natur zurückfließt. Allgegenwärtig sind Ackerbau und Viehzucht, die auch in der filmischen Bearbeitung in ihrer Doppelfunktion sichtbar werden: Sie ermöglichen den Lebensunterhalt in feindseliger Natur und arbeiten gleichzeitig die Natur um in kultivierten Lebensraum (immer wieder Bilder von Menschen, meistens von Frauen, die direkt auf die Erde, auf die Pflanzen einwirken, mit Stöcken, Sieben etc). Faye filmt dann eine Geburt, die gebärende Frau kniet, unterstützt von zwei weiteren Frauen, auf dem Boden, anschließend wird das Kind in die Dorfgemeinschaft aufgenommen, indem ein Baum gepflanzt wird (jeder hat wenn ich das richtig verstanden hat, einen solchen - als der alte Erzähler gefragt wird, wie alt er denn tatsächlich sei, verweist er auf seinen eigenen Baum; nicht auf den, an dem er lehnt, der ist noch einmal deutlich älter und bedeutet eher das Alter des gesamten Dorfes). Andere Ereignisse, die soziale Ordnung generieren, fließen eher nebenbei in den Film ein, aber ausgespart wird nichts: Schule, Brautwerbung, Heirat, Eheleben, Tod. Die kleinen Tiere laufen frei zwischen den Hütten, die großen werden beladen, beritten und geschlachtet.
Schon dieser Abschnitt des Films, der noch fast rein dokumentarisch erscheint, weigert sich, die einzelnen Beobachtungen und Sinnzusammenhänge eindeutig zu strukturieren und sei es nur als Bilder, die einer definierbaren Innen- bzw. Außenperspektive zuzuordnen wären. Bei der Geburtszene scheint Faye selbst, die sonst an intimen Bildern überhaupt kein Interesse hat, zu einer dritten Geburtshelferin werden zu wollen, aber es bleibt eine Distanz erhalten, die nicht einfach nur die ontologische des Kinodispositivs ist.
Diese reflektierte Ambivalenz der Perspektive verbindet Fad'jal mit Kaddu Beykat, dem der Nachfolger dann später noch ähnlicher wird, wenn fiktionale Momente auftauchen (freilich bleibt der Film, anders als der Vorgänger, primär weiterhin ein dokumentarischer). Genauer gesagt sind es gleich zwei unterschiedliche Dinge, die in den Film eindringen: Zum einen historische Fiktionen, die die halbmythologischen Erzählungen des Alten nachstellen, ohne dabei freilich jemals ganz bei der illusionären Methode des Spielfilms anzukommen; eher erinnert das an ein in dokumentarischer Diktion ausagiertes Laientheater: ein "König" reitet in bunten Kleidern und mit jämmerlicher Eskorte durch Totalen, die Welt um ihn herum ist ganz eindeutig die der Gegenwart, seine "Untertanen" sind Freunde, die das Spiel freudig mitspielen; nicht nur in diesen Sequenzen hat mich der Film an Michael Pilz' gleichfalls grandiosen Himmel und Erde erinnert, wo ein Schulkind einen Bleistift zur Pfeife umdeutet und den Opa mimt.
Zum anderen dringt der gesamtgesellschaftliche Wandel ein, der in diesem Film, der das Verhältnis von Natur und Kultur von Anfang an dynamisch denkt, ohnehin immer als Potential angelegt ist, der aber erst im zweiten Filmabschnitt eine Konkretion erfährt: Es gibt im Jahr 1977 eine Landreform (über die ich über google nichts gefunden habe), das Gemeindeland wird verstaatlicht und neu aufgeteilt, die Bauern widersetzen sich den neuen Grenzziehungen. Safi Faye Stimme taucht in dem Film, wenn ich das richtig mitbekommen habe, nur hier auf: sie erläutert kurz,in nüchtern-melancholischem Tonfall auf Kontinentalfranzösisch (die einzigen Sätze, die in Fad'jal überhaupt in dieser Sprache fallen) die Einzelheiten der Reform; Angesichts der historischen Umwälzung, die die vorher ausführlich beschriebenen Traditionszusammenhänge radikal in Frage stellt (eine der großen Leistungen dies Films ist es aber gerade, diese Zusammenhänge als immer schon brüchige offenzulegen) gelangt der Film an die Grenzen seiner eigenen Repräsentationslogik; zwangsläufig muss die Stimme aus dem Off, die Stimme aus der Fremde eingreifen. Der Film kann oder möchte noch keine Aussagen über die Folgen der Reform treffen, er endet im Zustand der existentiellen Unsicherheit.
Noch zu wenig ist hier im Grunde beschrieben, wie frei, wie wagemutig Fayes Film vorgeht; wie ambitioniert auch, selbst noch im Vergleich zum seinerseits grandiosen Vorgänger, der immerhin noch einen Protagonisten als Anker behält. Eine einmalige Sichtung ist für mehr nicht ausreichend (wo bleibt die Faye-Werksschau? Für mich ist sie nach zwei gesehenen Filmen mindestens so wichtig wie Sembene und Mambety). Es gibt zum Beispiel gegen Ende des Films eine Serie wunderschöner und ziemlich rätselhafter tracking shots, die den sonst ruhig beobachtenden Film dezentrieren. Und etwas früher im Film, alleine diese Szene zeigt Fayes Meisterschaft, eine wirklich unglaubliche Montagesequenz, die eine Schlachtung, ein soziales Ritual, rhythmisierte Trommelschläge, rhythmisiertes Lachen und Alltagsimpressionen in genuin unheimlicher Manier zusammenbringen.

Thursday, July 07, 2011

How to Beat the High Co$t of Living, Robert Scheerer, 1980 (American Eighties 6)

Drei Hausfrauen mit finanziellen Problemen und Männern, die zu nichts mehr zu gebrauchen sind (eine der drei ist die junge Jessica Lange, die hat den schlimmsten Typen abbekommen), planen einen Überfall auf einen "Money-Ball" in der lokalen Mall - eine tombolaartige Veranstaltung, deren Zentrum eben eine Glaskugel darstellt, in deren Inneren Geldscheine herumwirbeln. Dieses Geld unter den Augen der konsumwilligen Kundschaft zu rauben ist der Plan in einem Heist-Film, der zu 90% Soap Opera ist; und zwar eine Soap Opera, in der Romantik andauernd in Geld übersetzt wird, in der nicht nur Liebe, sondern alle zwischenmenschlichen Beziehungen kaum noch anders gedacht werden können als in ökonomischen Kategorien (das gilt, das hat mich dann doch verwundert, wenn es hart auf hart kommt, auch für die Freundschaft der drei Frauen selbst; dass die nicht zerbricht, liegt nur daran, dass am Ende eben doch wieder genug Geld vorhanden ist).
Ich hatte ursprünglich vermutet, How to Beat the High Co$t of Living könnte ein Film über die Wurzeln der Reaganomics in den "Steuerrevolten" der späten Siebziger Jahre sein; damit würde man vermutlich etwas zu viel in diese angenehme, harmlose AIP-Produktion lesen, die gerade in den Szenen aus Ehe- und Familienalltag viele schöne Momente hat ("Don't 'Hi Mom' me" sagt Jane zu ihrem Sohn im Flur, als der noch nicht zum Zahnarzt aufgebrochen ist). Lustig freilich ist der Film nur selten; kein ganz unbedingt wiederzuentdeckendes Meisterwerk, aber auch in vergessenen Durchschnittsproduktionen kann man Interessantes finden. Die sonderbarste Szene ist der Überfall selbst, vor allem rückblickend betrachtet gestaltet sie sich als weirde Allegorie auf das Jahrzehnt, an dessen Anfang der Film steht. Um die Aufmerksamkeit der Besucher von der Glaskugel abzulenken, stellt sich Jane Curtin auf eine Bühne im Einkaufszentrum, erklärt, dass sie etwas über die Zukunft der Stadt erzählen möchte und beginnt sich, während sie die Jahreszahlen der Achtziger durchzählt, auszuziehen. Vorne eine ungelenke Stripshow, im Hintergrund verschwindet das Geld, dazwischen teilweise johlende, teilweise aber auch eher peinlich berührte als angetörnte Supermarktbesucher, am Ende geht die Geldkugel in die Brüche und alle dürfen sich bedienen: Das sind die Achtziger Jahre aus Sicht dieses Films. Was auch immer das zu bedeuten haben könnte.



Sunday, July 03, 2011

Tom Horn, William Wiard, 1980 (American Eighties 5)

"Don't close that door until i get over to that window", sagt Steve McQueen / Tom Horn zum Sheriff. Sich an das letzte verbleibende Stück Freiheit klammern; während der paar Schritte durch die Zelle die Freiheit im Rücken haben, nicht das Gitter. Das Fenster ist natürlich auch vergittert. Und es hat ein ähnliches Format wie die Cinemascope-Leinwand. Kino als Ersatz für die verlorengegangene Erfahrung der ganzen Welt, der Blick ist immer schon melancholisch, artikuliert immer schon ein "zu spät". Ein Gedanke: Wenn es noch Einlasser vor den Kinosälen gäbe (in der Türkei zum Beispiel gibt es sie noch), könnte man sie auch bitten: "Schließen Sie nicht die Tür, bevor der Film angefangen hat". So wie es ist, ist man verdammt dazu, einige Minuten reizdepraviert im Dunkel auszuharren. Der moderne Mensch allerdings ist kein Tom Horn, er kommt damit klar, wenn die Welt ausgesperrt wird. Er hat kein wirkliches Sehnsuchtsverhältnis mehr zur Welt und setzt sich deswegen im Kino nach hinten, hält Abstand, will die Leinwand auch nicht mehr so recht als Welt nehmen, interessiert sich nicht für das, was am Kino Freiheit ist, sondern erfreut sich an deren Einschränkungen (schaut Tom Tykwer und Lars von Trier statt Malick). Tom Horn säße im Kino immer in der ersten Reihe.



Ein eleganter Spätwestern, inszeniert von einem Fernsehroutinier, dem Hauptdarsteller sieht man in seinem zweitletzten Filmauftritt seine schwere Krankheit an. Neues zu erzählen hat Tom Horn nicht, aber vielleicht hat mir gerade das gefallen: kein Versuch, einen letzten großen Western zu drehen. Statt dessen: noch einmal einen kleinen Western drehen, als ginge das noch, als gäbe es noch eine Kontinuität, in die man sich einschreiben könne. Mit Figuren, die etwas verloren in der Cinemascope-Prärie herumstehen, mit einigen herben Blutspritzern und einem Filmende, das Robert Bresson nicht schlüssiger hätte inszenieren können. Der Tod ist mechanisch berechnet, Erlösung bringt nur die Schrift, beziehungsweise die Geschichtsschreibung.
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Steve McQueen mag der "king of cool" sein, aber er ist nicht nur in diesem Film (fast noch mehr zB in seinem allerletzten, dem ansonsten freilich deutlich schwächeren The Hunter) auf seltsam uncoole Art cool. Amerikanische Kino-Coolness (siehe zum Beispiel auch Eastwood, etwa in Bronco Billy, einem anderen sehr schönen 1980er-Film, aber auch in Buddy van Horns dilletantischer Proll-Komödie Any Which Way You Can) ist immer unrein, der Souveränität ist anzusehen, dass sie antrainiert ist, dass sie in jeder Szene neu aktualisiert werden muss, dass sie eine tiefer liegende Unsicherheit verbirgt, die doch immer wieder, in kleinen Gesten und Bewegungen, hervorbricht. Ich habe die amerikanische Film-Coolness viel lieber als die europäische; die ist zwar bei der amerikanischen abgeschaut (Melville, Delon), aber nur als Effekt; sie erstarrt in der Tendenz zur Pose. Auch die Pose kann brüchig werden, aber durchsichtig wird sie dann nur auf ihre filmische Inszenierung, mit dem Star selber und mit seinem Körper hat diese Art von Coolness von Anfang an wenig zu tun (deswegen ist Eastwood auch selbst in seinen schwächeren eigenen Filmen ein besserer Schauspieler als bei Leone).

Friday, July 01, 2011

Gloria, John Cassavetes, 1980 (American Eighties 4)

Einer der schönsten amerikanischen Filme des Jahres 1980. Vielleicht der schönste Filmanfang des Jahres 1980.
Warme, flächig gemalte Bilder gehen über in fast abstrakte Großstadtaufnahmen. (Nicht nur wegen der Musik, die darunter liegt, erinnert das dann ausgerechnet an The Exterminator, den rabiaten, zynischen Gegenentwurf zu Cassavetes' ironsich-sanftem Humanismus.) Die Kamera fährt zuerst nur an Hochhausfenstern entlang, an Mustern leuchtender Quadrate, dann taucht zum ersten Mal das im Film auch später wichtige (nicht narrativ, aber als visueller Anker) Yankee-Stadion auf. Es wird langsam hell, die Musik beschleunigt sich, wird rhythmuslastig, langsam dringt auch der Straßenlärm in den Film. Jetzt ist es weniger ein schwebender Kamerablick (vorher: ausholende Gesten, musikalisch wie visuell, eine Serie von Bewegungen, die eher etwas loslassen, als etwas zu greifen bekommen wollen, die Freiheitsstatue passt auch noch in den Film, sie markiert die Grenze zwischen Tag und Nacht), als ein scannender, einer, der bereit ist, einzurasten, wenn er etwas interessantes entdeckt (eine Brücke, noch einmal das Stadion, ein Bus, die Kinder, die sich hinten an den Bus klammern und schwarz mitfahren; eine Serie von Fokussierungen, die aber nicht besonders zielstrebig sind, etwas Zögerliches haben und deshalb auch irgendwie immer alternative Möglichkeiten zu enthalten scheinen: eine andere Brücke, ein anderer Bus, eine andere Geschichte). Dann ein Sprung in den Bus, der Film hat seinen ersten Ort gefunden, die Kinder rennen im Hintergrund davon. Ein Kameraschwenk auf eine junge Frau, die erste Protagonistin des Films. Gloria selbst kommt erst später, die ersten Minuten des Films gehören Julie Carmen (die ich auch in einem anderen New-York-Film desselben Jahres entdeckt habe, in Robert Butlers äußerst unangenehmem Night of the Juggler, da wird ein Ney York gezeigt, in dem man niemandem trauen kann, in dem selbst harmlose Passanten durch Autoscheiben hindurch wie blutrünstige Zombies beäugt werden). Julie Carmen schaut erst zu Boden, dann blickt sie auf, in Richtung Kamera. In dieser einen Bewegung liegt schon die ganze Schönheit des Cassavetes-Kinos. Es genügt nicht, dass der Film sie ("eine Frau aus der Menge") auswählt, als eine Figur, als seine Figur. Sie selbst muss entscheiden. Durch ihre eigene Kopfbewegung (aber was für eine Melancholie in ihrem Blick liegt...) ist sie in den Film eingetreten, hat ihn angestoßen.