Ein Meisterwerk. Ein Zitat Amadou Hampatés am Anfang des Films: „In Afrika ist ein Greis, der stirbt, wie eine Bibliothek, die verbrennt“. Wenn der vor allem anderen beeindruckend freie Film strukturiert wird, dann durch die Erzählungen eines solchen graubärtigen Alten. Der sitzt am Stamm eines gewaltigen, seinerseits uralten, weit ausladenden Baumes (einmal fährt die Kamera einen seiner monumentalen, meterdicken Äste ab, dieser eine Holzstrang bekommt ein solches Eigengewicht, dass man kaum noch glauben mag, dass das wirklich nur ein einziger Baum, ein fest in der Erde verankerter Organismus ist; ohne jede Behauptung, ohne Raunen verweist die Natur in dieser Einstellung über sich selbst hinaus, auf ihre Transformation im Mythos), umringt von Kindern (halbkreisartig angeordnet, wie so vieles im Film, wie so vieles auch in Fayes älterem Kaddu Beykat. Er erzählt dann etwa über die Organisation des Dorfes, vor allem aber über dessen Geschichte und Mythologie, über die Ursprünge des Matriarchats (wobei ich doch gerne genauer wüsste, was für eine Art von Matriarchat das ist; der Alte erklärt das so, dass nicht der Vater dem Sohn, sondern der Onkel dem Neffen vererbt, wo da die Frauen bleiben, die das Dorf ursprünglich gegründet haben, wurde mir nicht vollständig klar, das ist nur eine der vielen Fragen, die außerhalb des Kinos zu verfolgen sind), über den Widerstand gegen einen König, über den Streit zweier Brüder.
Es geht in dem Film aber beileibe nicht nur um die oral history als alternativen Modus der Geschichtsschreibung, das wäre für dieses hochkomplexe Werk auch eine viel zu einfache Opposition. Fad'jal beschäftigt sich in einem viel umfassenderen Sinne mit dem Verhältnis von Tradition und Überlieferung zum historischen Prozess.
Im ersten Teil des Films - soweit man ihn überhaupt unterteilen kann in einzelne Abschnitte - geht es um die Verschränkung menschlicher, tierischer und organischer Genese, um die Art und Weise, wie Natur zu Kultur wird und wie diese in Natur zurückfließt. Allgegenwärtig sind Ackerbau und Viehzucht, die auch in der filmischen Bearbeitung in ihrer Doppelfunktion sichtbar werden: Sie ermöglichen den Lebensunterhalt in feindseliger Natur und arbeiten gleichzeitig die Natur um in kultivierten Lebensraum (immer wieder Bilder von Menschen, meistens von Frauen, die direkt auf die Erde, auf die Pflanzen einwirken, mit Stöcken, Sieben etc). Faye filmt dann eine Geburt, die gebärende Frau kniet, unterstützt von zwei weiteren Frauen, auf dem Boden, anschließend wird das Kind in die Dorfgemeinschaft aufgenommen, indem ein Baum gepflanzt wird (jeder hat wenn ich das richtig verstanden hat, einen solchen - als der alte Erzähler gefragt wird, wie alt er denn tatsächlich sei, verweist er auf seinen eigenen Baum; nicht auf den, an dem er lehnt, der ist noch einmal deutlich älter und bedeutet eher das Alter des gesamten Dorfes). Andere Ereignisse, die soziale Ordnung generieren, fließen eher nebenbei in den Film ein, aber ausgespart wird nichts: Schule, Brautwerbung, Heirat, Eheleben, Tod. Die kleinen Tiere laufen frei zwischen den Hütten, die großen werden beladen, beritten und geschlachtet.
Schon dieser Abschnitt des Films, der noch fast rein dokumentarisch erscheint, weigert sich, die einzelnen Beobachtungen und Sinnzusammenhänge eindeutig zu strukturieren und sei es nur als Bilder, die einer definierbaren Innen- bzw. Außenperspektive zuzuordnen wären. Bei der Geburtszene scheint Faye selbst, die sonst an intimen Bildern überhaupt kein Interesse hat, zu einer dritten Geburtshelferin werden zu wollen, aber es bleibt eine Distanz erhalten, die nicht einfach nur die ontologische des Kinodispositivs ist.
Diese reflektierte Ambivalenz der Perspektive verbindet Fad'jal mit Kaddu Beykat, dem der Nachfolger dann später noch ähnlicher wird, wenn fiktionale Momente auftauchen (freilich bleibt der Film, anders als der Vorgänger, primär weiterhin ein dokumentarischer). Genauer gesagt sind es gleich zwei unterschiedliche Dinge, die in den Film eindringen: Zum einen historische Fiktionen, die die halbmythologischen Erzählungen des Alten nachstellen, ohne dabei freilich jemals ganz bei der illusionären Methode des Spielfilms anzukommen; eher erinnert das an ein in dokumentarischer Diktion ausagiertes Laientheater: ein "König" reitet in bunten Kleidern und mit jämmerlicher Eskorte durch Totalen, die Welt um ihn herum ist ganz eindeutig die der Gegenwart, seine "Untertanen" sind Freunde, die das Spiel freudig mitspielen; nicht nur in diesen Sequenzen hat mich der Film an Michael Pilz' gleichfalls grandiosen Himmel und Erde erinnert, wo ein Schulkind einen Bleistift zur Pfeife umdeutet und den Opa mimt.
Zum anderen dringt der gesamtgesellschaftliche Wandel ein, der in diesem Film, der das Verhältnis von Natur und Kultur von Anfang an dynamisch denkt, ohnehin immer als Potential angelegt ist, der aber erst im zweiten Filmabschnitt eine Konkretion erfährt: Es gibt im Jahr 1977 eine Landreform (über die ich über google nichts gefunden habe), das Gemeindeland wird verstaatlicht und neu aufgeteilt, die Bauern widersetzen sich den neuen Grenzziehungen. Safi Faye Stimme taucht in dem Film, wenn ich das richtig mitbekommen habe, nur hier auf: sie erläutert kurz,in nüchtern-melancholischem Tonfall auf Kontinentalfranzösisch (die einzigen Sätze, die in Fad'jal überhaupt in dieser Sprache fallen) die Einzelheiten der Reform; Angesichts der historischen Umwälzung, die die vorher ausführlich beschriebenen Traditionszusammenhänge radikal in Frage stellt (eine der großen Leistungen dies Films ist es aber gerade, diese Zusammenhänge als immer schon brüchige offenzulegen) gelangt der Film an die Grenzen seiner eigenen Repräsentationslogik; zwangsläufig muss die Stimme aus dem Off, die Stimme aus der Fremde eingreifen. Der Film kann oder möchte noch keine Aussagen über die Folgen der Reform treffen, er endet im Zustand der existentiellen Unsicherheit.
Noch zu wenig ist hier im Grunde beschrieben, wie frei, wie wagemutig Fayes Film vorgeht; wie ambitioniert auch, selbst noch im Vergleich zum seinerseits grandiosen Vorgänger, der immerhin noch einen Protagonisten als Anker behält. Eine einmalige Sichtung ist für mehr nicht ausreichend (wo bleibt die Faye-Werksschau? Für mich ist sie nach zwei gesehenen Filmen mindestens so wichtig wie Sembene und Mambety). Es gibt zum Beispiel gegen Ende des Films eine Serie wunderschöner und ziemlich rätselhafter tracking shots, die den sonst ruhig beobachtenden Film dezentrieren. Und etwas früher im Film, alleine diese Szene zeigt Fayes Meisterschaft, eine wirklich unglaubliche Montagesequenz, die eine Schlachtung, ein soziales Ritual, rhythmisierte Trommelschläge, rhythmisiertes Lachen und Alltagsimpressionen in genuin unheimlicher Manier zusammenbringen.
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