Thursday, December 14, 2006

Snake Eyes, Brian De Palma, 1998

In Snake Eyes hat Brian De Palma leichtes Spiel: Das Drehbuch ist dermaßen banal und unwichtig, dass es nie zum Balast wird, sondern seine Rolle darin erschöpft, einen Schauplatz zu liefern, der sich geradezu perfekt nicht nur für technische Bravourstücke eignet, sondern auch für mediale Reflektionen jeglicher Art und den ständigen Wechsel verschiedener Blickwinkel und Subjekt-Objekt Verhältnisse. Die völlig entfesselte Kamera erscheint dieser kokaindurchtränkten, von fieberhafter aber meist eher ziellose (und vor allem extrem zirkulärer und selbstgenügsamer) Geschäftigkeit durchdrungenen Boxarena voll und ganz angemessen, ist diese selbst doch an allen Ecken und Enden von Überwachungskameras erschlossen, deren genaues Treiben kaum jemand mehr zu überblicken scheint. Ebenso wie es unmöglich erscheint, aus den Daten der unterschiedlichen Kameras innerhalb der Diegese auch nur irgend etwas korrekt zu rekonstruieren (aber nur, weil es zu viele Kameras gibt, nicht etwa zu wenig), verschwindet auch die Boxarena als konkret erfahrbare physikalische Räumlichkeit, je unbeschränkter De Palmas Zugriff auf dieselbe erscheint. Selbst die - ansonsten vollkommen nebensächliche - Handlung verläuft nach ähnlichem Muster: Je mehr Personen die Ereignisse um den Boxring herum erhellen, desto bescheuerter wird der Komplott, der sich schließlich daraus ergibt.

Haze, Tsukamoto Shinya, 2005

Tsukamoto ist von all den jungen Wilden, die das japanische Kino seit ungefähr Mitte der Achtziger heimsuchen, wahrscheinlich der talentierteste, sicherlich aber derjenige, der seine Visionen am ungefiltertsten auf die Leinwand zu bannen vermag. Und so ist auch Haze wieder einmal Körperkino in Extremform.
Zu Beginn lernen wir einen Mann in einem Keller kennen. Bis auf ein paar gestammelte Worte, die alles oder nichts besagen können, ist die Bekanntschaft rein somatisch: Glänzende Muskeln, immer wieder das Gesicht, das aber nichts ausdrückt, da im Gegenteil ständig irgendetwas auf es (und den ganzen Körper) einwirkt. Die Sinneswahrnehmungen und Körpererfahrungen, die im ersten, unglaublich intensiven, Abschnitt evoziert werden, sind stets so angelegt, dass sie die Alltagserfahrung des eigenen Körpers überschreiten, ja selbst das Einfühlungsvermögen. Die somatischen Zustände, in die Tsukamoto seine Hauptfigur (i.e. sich selbst) versetzt, sind nie ganz fassbar und wirken dadurch umso stärker.
Plötzlich erscheinen dann genuine Splatterfilmbilder, die fast wie eine Befreiung wirken. Zwar ist immer noch kein narrativer oder sonstiger Zusammenhang in Sicht (das wird sich bis zum Ende der knapp 50 Minuten auch nicht ändern), doch die Spannung, die durch die unklare Inanspruchnahme der menschlichen Physis entstand, löst sich zumindest teilweise: Ein abgehackter Arm ist eben ein Abgehackter Arm und ein Leichenberg ein Leichenberg.
Im Folgenden nähert sich Tsukamoto dann dem Erzählkino und führt seinen Protagonisten schließlich aus dem Kellerverließ. Die letzten paar Minuten, in gleissend hellen Räumen und im Sonnenlicht, haben jedoch nur den Effekt, die bedrängende Kellerminuten mit einigem Abstand noch deutlicher zu akzentuieren.

Friday, December 08, 2006

Close-up, Abbas Kiarostami, 1990

An einer Stelle in Abbas Kiarostamis Close-up rollt eine Blechdose, angetreten von einem Journalisten, die Straße herunter. Die Kamera verfolgt diese Bewegung mit derselben Selbstverständlichkeit, mit der sie in anderen Sequenzen den Figuren folgt. Diese Szene fällt durchaus auf und irritiert, nicht nur, weil der restliche Film zu weiten Teilen über Dialoge zu funktionieren scheint, sondern auch, weil die Struktur des Werks auch darüber hinaus sehr diskursiv angelegt ist und viele selbstreflexive Elemente enthält. Die Dose wird jedoch nicht - wie etwa die Plastiktüte in American Beauty - metaphorisch oder sonstwie aufgeladen, wird nie Teil eines Diskurses, sondern bleibt ein rein physikalisches Objekt, dessen Bewegung scheinbar automatisch die adäquate Reaktion der Kamera auslöst.
Die unterschiedlichen Vermittlungsinstanzen, die zwischen der Filmhandlung und dem Zuschauer liegen, werden in Close-up nicht durch formale Spielereien oder intertextuelle Verweise offengelegt, sondern durch konkrete Eigenschaften des filmischen Bildes, der Tonspur und der Einstellungen. Besonders deutlich wird dies unter anderem in der Sequenz am Ende des Films, in welcher Makhmalbaf auftritt. Während der Begegnung des Regisseurs mit seinem Bewunderer scheint die Tonspur zusammen zu brechen, auch die Kamera hat Mühe, den beiden zu folgen. Bild und Ton scheinen angesichts einer Art semantischen Überladung der gesamten filmischen Struktur zusammenzubrechen.

Sunday, December 03, 2006

The Last Kiss, Tony Goldwyn, 2006

Eigentlich lassen die Voraussetzungen das schlimmste befürchten: Drehbuch Paul "Crash" Haggis, Hauptdarsteller Zach "Garden State" Braff und auf der Soundspur tonnenweise Indierock. Dass das ganze dann doch nicht nur erträglich geworden ist, sondern sogar tatsächlich als halbwegs gelungen bezeichnet werden darf, gehört sicher zu den Überaschungen dieses Kinojahres. Vielleicht liegt es an der mir unbekannten Vorlage (möglicherweise drehen die Italiener so gute Schnulzenfilme, dass sie nicht einmal vom amerikanischen Indiekino in den Sand gesetzt werden können). Vielleicht lässt sich der verhältnismäßige Erfolg des Films auch damit erklären, dass Filmemacher und Milieu perfekt zusammen passen. Zumindest wird schnell deutlich, dass Haggis kleinstädtische WASPler mehr liegen als das multiethnische LA. So umschifft The Last Kiss ohne allzugroße Schnitzer selbst potentiell schwer peinliche Momente und gerät nur im ersten Filmdrittel, in welchem Goldwyn dann doch etwas zu penetrant versucht, ein "Lebensgefühl" oder was zu evozieren, manchmal ins schleudern. Überhaupt ist die Regie erstaunlich solide, was überascht, da gerade im Indiebereich das amerikanische Kino handwerklich derzeit ziehmlich vor die Hunde geht...
Doch auch meine Meinung zu Mister Haggis muss ich wohl langsam aber sicher revidieren (den stärkeren Beitrag leistet hier freilich Flags of our Fathers). Zwar ist die Filmstruktur vergleichbar mit Crash, doch hier versucht niemand, alle Fäden am Ende des Films manisch wieder einzufangen. Zwei Charaktere dürfen denn tatsächlich der Indierockhölle entkommen und selbst die äußerst wertkonservative Auflösung der Hauptgeschichte ist nicht ohne Charme und zumindest um einiges erträglicher als irgendeine halbgare Emanzipationsvolte, die dem Zeitgeist sicher mehr entsprechen würde. Nein, auch Milieus wie dieses müssen sich reproduzieren und das funktioniert halt dann im Zweifelsfall genau so, wie in The Last Kiss.
Wer mit dem Ganzen trotzdem nichts anfangen kann, der hat noch eine weitere Möglichkeit, den Film zu genießen: Durch Beobachtung der Hauptfigur. Zach Braff (der hier gottseidank nicht selber Regie führt) schaut bereits in der ersten Einstellung mit einem derart entrückt-geistlosen, zombieartigen Gesichtsausdruck in die Luft, dass einem Angst und Bange werden kann. Im Weiteren gelingt ihm das Unmögliche: Der Mann schafft es doch tatsächlich, in jeder Szene noch ein wenig blöder aus der Wäsche zu schauen. Das soll ihm erst einmal einer nachmachen.

Friday, December 01, 2006

The Long Goodbye, Robert Altman, 1973

Marlowes Appartement liegt hoch über der Stadt und scheint gleichzeitig gar nicht zu derselben zu gehören. Zu absurd erscheint die Raumkonstruktion, die halbnackten Hippiemädchen der Nachbarschaft verstärken noch den irrealen, traumartigen Eindruck, welchen die Wohnung des Detektivs erzeugt. Doch nicht nur dieser Ort ist meilenweit von den Hard-Boiled Klischees entfernt, die mit den Romanen Raymond Chandlers verbunden sind. Altmans LA wird bewohnt von kauzigen Freaks, die ständig in die unterschiedlichsten Rollen schlüpfen und aus den verschiedensten Filmen zitieren.
Die vielleicht auffälligsten formalen Merkmale des Films finden sich auf der Tonspur. Die Titelmelodie (mitsamt Text) wird in ständig wechselnder Modulation wiederholt, passt sich oftmals unmerklich dem Ort der Handlung an und wechselt fließend zwischen nondiegetischem und diegetischem Gebrauch. Eine ähnliche Position nehmen auch gesprochene Sätze ein, Elliot Gould redet im Grunde ständig, doch nicht immer zum Zwecke der Kommunikation, oft wechselt sein Monolog in den Modus eines mehr oder weniger assoziativen Bewusstseinsstroms.
Auch Kameraführung und Montage sind von fließenden Bewegungen bestimmt, innerhalb der einzelnen Szenen gehen subjektive, subjektivierende und objektive Aufnahmen oft unmerklich ineinander über. Auffallend ist auch das Framing der Personen. Marlowe, die nominelle Hauptfigur, rückt manchmal (vor allem während der Party, nach welcher der Schriftsteller ertrinkt) minutenlang in den Hintergrund, ist zwar noch im Bild zu sehen, ergreift jedoch nie die Initiative. In anderen Sequenzen öffnen sich seltsame Bildräume, vor allem in Spiegelungen.
In der Sequenz, in welcher Marlowe an den Strand geht, während der Schriftsteller sich mit seiner Frau unterhält, ist das Spiel mit unterschiedlichen Perspektiven und Bildräumen vielleicht am deutlichsten zu erkennen. Nachdem Marlowe das Haus verlassen hat, verlässt auch die Kamera die Wohnung und filmt das Gespräch des Ehepaares durch die Fensterscheibe, was allerdings nicht die Perspektive Marlowes ist, welcher kurz darauf in einer Spiegelung der Scheibe in einem neuen Bildraum zu sehen ist. Diese Sequenz ist auch deshalb ausergewöhnlich, weil der Rest des Films recht konsequent aus Marlowes Perspektive erzählt ist (nicht visuell, aber inhaltlich).
Die am konventionellsten aufgelöste Szene findet sich ganz am Ende des Films. Elliot Gould streift für einen Moment alle Manierismen ab und schlüpft in die Rolle eines echten Hard-Boiled Helden. Das Aufeinandertreffen mit dem ehemaligen Freund wird in klassischer Schuss-Gegenschuss Technik dargestellt. Ironischerweise stellt diese Szene die größte Abweichung von der Romanvorlage dar, die Robert Altman sich erlaubt.