Am Anfang steht Safi Fayes Stimme. Sie spricht über ihre Familie. Gleichzeitig kennzeichnet die Regisseurin ihren Film als einen Brief. Ob es sich um einen Brief nach Afrika oder einen aus Afrika handelt, bleibt bis zum Schluss offen. Wichtiger ist das Faktum der Differenz, die der Brief durchmisst, die vom Absender zum Empfänger, eine Differenz, die dem Abstand der Regisseurin zu ihrem Sujet zumindest teilweise entspricht. Safi Faye ist in einem Dorf in Dakar aufgewachsen, später aber studierte sie, nachdem sie in den Sechziger Jahren die Bekanntschaft Jean Rouchs gemacht hatte, in Paris. Im Anschluss an das Studium entsteht ihr erster Langfilm. Ihr Blick auf das ländliche Afrika kommt gleichzeitig von aussen und von innen. Die Bilder sind manchmal gleichzeitig, manchmal abwechselnd analytisch, persönlich und dokumentarisch. Kaddu beykat zählt zu den interessantesten afrikanischen Filmen, die ich kenne.
Es dauert eine ganze Weile nach dieser Stimme, bis sich das, was als die Story gelten kann, formiert hat. Auch dann bleibt diese Story rudimentär und so oder so ähnlich ist sie im afrikanischen Film der Zeit allgegenwärtig: In einem afrikanischen Dorf sucht der junge Ngor eine Frau. Die Eltern des Mädchens, das ihm versprochen wurde, sind plötzlich von der Heirat nicht mehr überzeugt. Daraufhin macht er sich auf in die Stadt und verdingt sich als Hausangestellter und Tagelöhner.
Doch am Anfang bleibt der Film im Dorf. Faye richtet ihre Kamera auf das Dorfleben und vor allem immer wieder auf die Feldarbeit. Zunächst folgt der Film dem Verlauf eines Tages. Dem Aufwachen, den Mahlzeiten, den verschiedenen Handgriffe der Frauen wie der Männer. Langsam entwickeln sich Wiederholungsstrukturen und ganz nebenbei führt Faye Ngor und seine Versprochene Columba ein. Anschließend folgt der Film dem Verlauf eines Jahres, von der Aussaat bis zur Ernte.
In das dichte Netz aus quasidokumentarischen Beobachtungen (meist ist die Kamera recht weit entfernt von den Figuren) dringen wenige eindeutig inszenierte Momente ein. Eine Einstellung gleich zweimal: Columba tritt im Vordergrund ins Bild, stellt sich an ein Gatter und blickt Ngor nach. Die Grundstruktur des Films würde ich dann folgendermaßen beschreiben: Die Alltagsbeobachtungen, die Bewegungen und Handlungen der Dorfbewohner (später der Städter) bilden das Gerüst des Films, in dieses Gerüst eingetragen werden dann andere Momente, die weder untereinander, noch mit diesem Gerüst zwingend verbunden sind: die Erzählung um Ngor etwa oder politische Diskurse (siehe unten), aber auch spielerische Aneignungen etwa in Form eines Szene, in der Kinder einen Steuereintreiber mimen.
In wieweit der quasidokumentarische Blick ein ethnografischer ist und in welcher Hinsicht sich dieser eventuell ethnografische Blick von anderen ethnografischen Modi unterscheidet, ist nicht leicht zu entscheiden, erst recht nicht für mich, der ich mich im ethnografischen Film kaum auskenne. Dass es einen Unterschied gibt (und zwar einen entscheidenden), dafür spricht nicht zuletzt Fayes Stimme, die sich nach dem Beginn zwar selten, aber wenn doch, dann stets eindrücklich zu Wort meldet. Diese Stimme überträgt die Bilder in persönlichere, autobiografischere Kategorien (einer der Schauspieler ist, das erklärt die Stimme ganz am Ende, Fayes Vater, der sein ganzes Leben in dem porträtierten Dorf verbracht hat) und leitet gleichzeitg über zum politischen Gehalt des Films.
Der politische Diskurs des Films hat einen genau definierbaren Ort: den Dorfplatz im Schatten eines alten Baumes. Hier treffen sich die Dorfältesten und besprechen die Probleme der Gemeinschaft. Die Dorfbewohner (und der Film) kritisieren die von der senegalesischen Regierung verordneten cash crops, die die traditionelle Subsistenzwirtschaft ersetzt haben und die Böden zerstören. Außerdem geht es noch um Maschinen, die der Staat den Bauern leiht, aber was in dieser Hinsicht das Problem ist, habe ich nicht genau verstanden.
Der Senegal, die Heimat Ousmane Sembenes und Djibril Diop Mambetys, kann als das Mutterland des schwarzafrikanischen Kinos gelten. Safi Fayes Position innerhalb dieser Kinematografie unterscheidet sich deutlich von der ihrer berühmteren Landsleute, insbesondere von der Semebenes, dessen Position bisweilen fast in eins gesetzt wird mit der des gesamten afrikanischen Films. Fayes Film geht nicht mehr davon aus, dass der Film aus sich selbst heraus, in didaktischer Manier, Gesellschaft erklären und verändern kann. Die politischen Thesen von Kaddu beykat gehen nicht organisch aus der Handlung oder den Bildern hervor, sie kommen von aussen, teilweise ganz emphatisch in Form von Fayes Stimme. Der Dorfplatz in Kaddu beykat ist nicht wie bei Sembene ein Ort des Diskurses, an dem die Gesellschaft über sich selbst nachdenkt. Die Männer, die bei Faye unter dem Baum sitzen, sprechen zwar nach- aber nicht miteinander, sie blicken sich nicht an und da die Kamera weit entfernt ist, kann man oft noch nicht einmal den Sprechenden ausmachen.
Es gibt am Ende eine Entwicklung, die dieser Darstellung auf den ersten Blick widerspricht. Als Ngor aus der Stadt zurück kehrt, möchte er das Dorf reformieren und agitiert gegen cash crops, außerdem organisiert er den Dorfplatz neu, die Männer sitzen jetzt im Kreis und tatsächlich entsteht so etwas ähnliches wie eine Diskussion. Freilich bleibt nicht nur offen, wohin dieser Wandel das Dorf führen wird, es ist außerdem auch nicht nachvollziehbar, woher er kommt. Weder ist Ngor der erste Dorfbewohner, der die Stadt kennengelernt hat (ein anderer erzählt sogar von Europareisen), noch hat er in dieser Stadt etwas erlebt, was sein Verhalten erklären könnte (ganz im Gegenteil hat er dort eine Niederlage nach der anderen hinnehmen müssen). Der letzte Filmabschnitt ist nicht, wie er das bei Sembene wäre, Teil und vorläufiges Ziel einer Dialektik, sondern lediglich eine weitere Befragung des vorhandenen Materials, ein neuer Versuch. Fayes Film gibt keine Antworten, er stellt sehr vorsichtig Fragen und unternimmt immer neue Versuche. Zurück bleiben nur Bewegungen und Handlungen und ganz zum Schluss bleibt nur Fayes Stimme und eine Fotografie ihres Vaters.
No comments:
Post a Comment