El enemigo principal ist nach Ukamau der zweite Film des bolivianischen Regisseurs Jorge Sanjines, den ich gesehen habe. War Ukamau, Sanjines' erste große Produktion, noch eine etwas unentschlossene Unternehmung irgendwo zwischen ethnografischem Impuls, langatmigen Spielfilmszenen und zaghaften Versuchen in Richtung politischer Avantgarde, so ist der sieben Jahre später entstandene El enemigo... ein geradliniger, gut geölter Agitpropfilm, der genau weiß, was er will.
Ukamau erzählte noch eine traditionell strukturierte Geschichte, zentriert auf einen individuellen Helden und dessen langsam erwachendes politisches Bewusststein. In El enemigo... gibt es keinen zentralen, individuierten Protagonisten mehr. Genauer gesagt wird die Figur, der diese Rolle zunächst zuzufallen scheint, bereits nach kurzer Zeit vom Bösewicht enthauptet: Ein indianischer Bauer klagt den örtlichen Großgrundbesitzer an, Vieh gestohlen zu haben und wird daraufhin ermordet.
Anschließend verändert sich die Perspektive von einer individuellen zu einer des Volkes. Immer neue Gesichter lösen sich aus der Menge, treiben die Erzählung ein wenig weiter und tauchen anschließend wieder ein in die Gemeinschaft. Die Dorfbewohner bemächtigen sich des Großgrundbesitzers. Der erste Versuch, die Machtverhältnisse zu ändern, bleibt noch in den Mühlen der Justiz hängen. Erst als einige dandyhafte Che-Guevara-Verschnitte aus der Stadt auftauchen, können die Machtverhältnisse in Frage gestellt werden.
Wunderbar ist El enemigo... schon in technischer Hinsicht: die treibende Musik, die kraftvolle Kameraarbeit. Schlicht und einfach großartig ist die Schauspielführung. Ausnahmslos Laiendarsteller treten auf. Das allein war zwar schon seit dem Neorealismus keine große Sache mehr, aber Sanjines gelingt es, das Laienspiel ungeheuer fruchtbar zu machen. Keiner der Darsteller versucht, sich in seine Rolle einzufühlen, ganz im Gegenteil, alle Beteiligte scheinen sich darüber klar zu sein, dass ihre Aufgabe letztlich eine durch und durch soziale, politische ist und dass es nicht darum geht, glaubhaft zu wirken, sondern darum, dem Publikum Argumente an die Hand zu geben.
Es war ja tatsächlich eine Amateurtheatertruppe mit klar definierter Mission, die diesen Film gedreht hat und genau so sieht das Ergebnis denn auch aus. Im Ergebnis ist das keine sterile, sondern eine durch und durch vitale (in den weniger gelungenen Momenten zugegebenermaßen auch eine etwas zu folkloristische) Didaktik. Ständig sind zehn, fünfzehn, zwanzig enthusaistische Menschen in einer Einstellung zu sehen (und sie werden dauerhaft von mehreren Hunden und Katzen begleitet), alle möchten zum Gesamteindruck beitragen, sprudeln vor Tatendrang und so manche Szene verlängert sich schon alleine deshalb, weil auch noch der dritte Komparse von links (natürlich ist hier niemand wirklich Komparse) das erzählen will, was auch schon fünf andere vor ihm zu Protokoll gegeben haben. Die großartigste und eindringlichste dieser Massenszenen ist die schlussendliche Hinrichtung des Gutsherren. Wie da dessen Verbrechen einzeln und aus verschiedensten Mündern ausgerufen werden (Vergewaltigungsopfer werden beim Namen genannt etc), das muss man schon gesehen haben.
Sanjines' Film behandelt, lebt von, befürwortet Kommunikation. Das beginnt bereits bei der Rahmung: Ein leutseliger Erzähler führt in die Geschichte ein, bindet sie zunächst, in direkten, frontalen Ansprachen in die Kamera, zurück in die glorreiche Vergangenheit der Indios und strukturiert sie im weiteren immer wieder in kurzen Einschüben. Auch ansonsten beharrt der Film darauf, dass die gegenseitige Verständigung im Gespräch der einzig gangbare Weg zur Klassensolidarität ist.
Argumentativ unternimmt der Film Vereinfachungen, die oft dreist sind, aber stets effektiv. Ebenso, wie der Erzähler in einer kurzen Bewegung die Kolonialgeschichte Südamerikas mit der Ausbetung der Gegenwart verbindet, setzen die Studenten im Gespräch mit den Bauern die Methoden des Gutsbesitzers in Hinblick auf die Bauern mit denen der USA in Hinblick auf die dritte Welt als Ganzer gleich.
Solche simplifizierende Modelle unterlaufen dem Film nicht, sie sind konstitutiv für seine Ästhetik. Das Kinomodell, das Sanjines entwirft, ist ein didaktisches. Die Didaktik ist aber eine rein pragmatische, sie zielt auf tagesaktuelle Problematiken und soll ganz direkt den bewaffneten Kampf unterstützen. Sanjines tourte mit seinen Filmen durch bolivianische Dörfer und suchte in den Siebziger Jahren den direkten Anschluss an die Bauernrevolten.
Ganz weit entfernt ist das von der vielleicht prägnantesten didaktischen Position innerhalb des dritten Kinos: der Ousmane Sembenes. Sembenes Kino ist von der Perspektive der marxistischen Geschichtsphilosophie her gedacht: there's no shortcut to revolution und wenn doch, dann ist dieser shortcut mit Sicherheit nicht das Kino, das zunächst im klassischen Sinne ein aufklärerisches sein muss. Das Bewusstsein verändert sich langsam. Wenn das Sembene-Kino im engeren Sinne apellativen Charakter hat, dann nur in Bezug auf eng umgrenzte Einzelfragen, wie die Klitorisbeschneidung in Moolaade. Doch auch dann argumentiert Sembene weitaus komplexer, als Sanjines dies tun würde.
Überhaupt hat es mich überrascht, dass es eine solche völlig unzweideutige Agitprop-Position im lateinamerikanscihen Kino überhaupt gibt (beziehungsweise, dass es eine gibt, die gleichzeitig kraftvoll und authentisch wirkt). Die bekannteren Filme, gerade die brasilianischen, gehen da doch anders vor. Man denke nur an die Szenen nach dem Eintreffend er Studenten. Sanjines' Film ruft all die Probleme auf, die sich beispielsweise im Kino eines Glauber Rocha zwischen der intellektuell-revolutionären Avantgarde und dem gedachten eigentlichen revolutionären Subjekt, den Bauern, als schier unüberwindliche Gräben auftun, von Ressentiments ("die Bärtigen, die Langhaarigen") bis hin zu sexuellen Spannungen ("der Stoff ist schön, aber nicht so schön wie Du" meint einer der Revoluzzer zur Bäuerin). Bei Sanjines schmelzen im genseitigen, gutwilligen Gespräch alle Differenzen in Windeseile dahin.
El enemigo... ist ein Agitpropfilm, der sich an nichts mehr bricht, außer - rückblickend natürlich und als Argument gegen den Film möchte ich das ohnehin nicht, oder nur sehr bedingt, verstanden wissen - an der historischen Wirklichkeit. An der dafür umso heftiger.
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