Wednesday, July 21, 2010

La signora di tutti, Max Ophüls, 1934

Ophüls düsterster Film, vielleicht, einer seiner schönsten auf jeden Fall. Trotz unübersehbarer inhaltlicher Parallelen scheint er mir weniger auf Lola Montez zu verweisen, denn auf das größte Meisterwerk des Regisseurs, Letter from an Unknown Woman. Während Liebelei dessen Setting vorweg nimmt, das gleichzeitig nostalgische und unerbittliche Wien- und Österreichbild genauso wie die grundsätzliche Uniformiertheit alles Männlichen (Stefan bleibt die eine, große Ausnahme), nimmt La signora di tutti den eigentlichen Gegenstand des späteren Films vorweg: die Subjektwerdung, die education sentimentale, schließlich das Subjektverlöschen der Protagonistin. In beiden Filmen steht diese Bewegung so sehr im Mittelpunkt, dass alles andere zur Staffage wird. Oder direkt zur Ausleuchtung. Tatsächlich richtet der junge Liebhaber den Scheinwerfer seines Wagens auf Gabrielle Murge, die Heldin, macht sie sichtbar und stellt sie gleichzeitig aus. Fordert sie heraus, aktiviert sie. Vergleichbare Szenen in Letter...: Der Windstoß, der Lisas Haar bewegt, als sie das Fenster zu Stefans Wohnung öffnet, später die Art, wie Stefan ihr ins Gesicht pustet und dadurch den Effekt noch einmal nachstellt. Das Kino Ophüls ist voller derartiger kleiner Bezugnahmen eines Menschen auf einen anderen und vielleicht ist es in diesen Momenten am größten.
Aber noch bevor das Licht ihr ins Gesicht scheint, bekommt sie eine Prägung, von männlichen Stimmen aus dem Off. Zunächst schilt sie der Lehrer, der im Off bleibt, während sie neben einem Globus steht. Gleich danach schimpft der Vater auf sie vor der Mutter und bleibt dabei ebenfalls im Off, während sie selbst im Nebenzimmer steht, auf und ab geht, vor dem Hund kniet, ihn streichelt, sich die Tränen aus dem Gesicht streicht.
Kaum einer seiner Filme enthält mehr der berühmten Kamerafahrten Ophüls und in kaum einem ergeben sie mehr Sinn: als ganz buchstäblicher Nachvollzug der Bewegung-als-Selbstbehauptung eines Menschen im Raum. Dass Figuren- und Kamerabewegung bei Ophüls fast nie ganz zur Deckung kommen, verweist schon auf die Instabilität der Subjektkonstruktion.
Dann noch wunderschöne Szenen: erotische Anziehung im / durch Zigarettenrauch, Schuss/Gegenschuss-Flirt zwischen Auto und Ruderboot, ein Opernbesuch ausschließlich in einer Überblendung aufgehoben: Gabrieles Gesicht vor dem Orchestergraben. Und großartige Bilder: die lehmverschmierte Hand in Großaufnahme, die den Liebesgruß des Verehrers aufhebt. Die melodramatischen Routinen des Drehbuchs bringt Ophüls schnell unökonomisch hinter sich. Ihren impact dagegen fängt er lange und einfallsreich ein. Und dieser impact beschränkt sich eben nicht auf die bloßen Leiden einer Frau. Tränenselig wird der Film zu keiner Sekunde.
Man muss diesem wundervollen Film dann doch manches nachsehen, gerade gegen Ende. Eine etwas arg konventionelle Hysterie bekommt Gabrielle vom Drehbuch verschrieben, einige deplazierte christologische Motive schleichen sich ein (das mag ich mir allerdings auch nur eingebildet haben) und die Kritik des Starkults funktioniert zwar in der letzten Einstellung wunderbar (die technische Reproduktion lässt sich auch nach dem Tod des Originals nicht so einfach stoppen), aber davor nicht immer. Doch all das macht wenig aus: Ophüls hat keine perfekten Filme gemacht, sondern solche, die sich mit Haut und Haaren und all ihrer Brillanz auf Welt und Figuren einlassen; und sein Spätwerk ist vielleicht gerade deshalb etwas enttäuschend, weil es oft nur noch die Brillanz will und nicht mehr die Welt.

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