Sunday, July 11, 2010

Deaf Sam-ryong / Beongeoli Sam-ryong, Shin Sang-ok, 1964

Zwei Hände, die sich schnell bewegen und komplexe Zeichen formen, eröffnen den Film, scheinen ihn auf eine sonderbare Art und Weise anzuzählen. Hände in Großaufnahme, abgetrennt vom Rest der Welt, reine Energie, gleichzeitig reine Körpersprache; denn natürlich sind die Zeichen, die Sam-ryong formt, Zeichen der Gebärdesprache.
Die Expressivität des Körpers verdichtet sich in der Gebärdensprache symbolisch, kodifiziert, aber die nicht-arbiträren ikonischen Rückstände in ihr, die Mimesis der Hände ans Bezeichnete, sind mit dem Saussureschen Sprachmodell nicht in Einklang zu bringen. Und selbst die reine körperliche Vehemenz, die dieser in den Augen des der Gebärdensprache nicht mächtigen Beobachters eignet, scheint auf eine andere Beziehung dieser Sprache zur Welt zu verweisen.
Es ist sicher kein Zufall, dass der Film, in dem die Gebärdensprache selbst später keine allzu große Rolle spielt, mit den isolierten Handbewegungen seines Protagonisten einsetzt. Bewegung-als-Expressivität ist nicht nur ein Motiv, sondern der Modus des Films. Shin Sang-oks Deaf Sam-ryong erzählt ein Melodram, das von der jedem Narrativ vorgängigen Vehemenz der Körper seiner Protagonisten angetrieben wird.
Der stumme Sam-ryong, Hausangestellter (eigentlich: Sklave) einer wohlhabenden, aber sozial niedrig gestellten Bauernfamilie, kennt und braucht keine Ruhe. Die Kamera bewegt sich wenig, er umso mehr. Oft rennt er in die Tiefe des (Bild-)Raums, entschwindet nicht ganz in Richtung des perspektivischen Fluchtpunkts, sondern etwas schräg nach hinten aus dem Bild. Seinen Bewegungen eignet eine anarchische Freiheit, die von den Frauen des Dorfes sympathisierend verlacht, von den Männern misstrauisch beäugt wird. Gleich mehrere Szenen des Films zeigen genau das: Die Reaktionen der Dorfgemeinschaft auf die unkontrollierte Bewegung in ihrer Mitte, eine Bewegung, die das hierarchisch organisierte Gemeinschaftliche zu dezentrieren droht.
Auch sein Herr und Widersacher positioniert sich vor allem körperlich, allerdings auf andere Weise: Jede Geste ist ein unbedingter Machtanspruch, der das Soziale nicht umjustiert, sondern komplett negiert. Er hat eine Frau geheiratet, die einer höheren sozialen Schicht entstammt und der er diese Tatsache nicht vergeben kann. Sein invertierter sozialer Dünkel manifestiert sich in kompletter, brutaler Zurückweisung und während er statt dessen eine Affäre mit seiner (ebenfalls verheirateten) Jugendliebe weiterführt, schließt seine Angetraute mit Sam-ryong Freundschaft. Der purzelt während eines gemeinsamen Spaziergangs vor ihr über die Wiese.
Die beiden Männer werden zu Kontrahenten, müssen es werden, schon alleine, weil ihre jeweiligen Bewegungssmodelle miteinander nicht kompatibel sind: soziale Anarchie als kreativer Bezug zur Natur vs asoziale Dominanz als destruktive Negation von Natur. Gemeinsam treiben sie den Film an, der die Bewegung im Kader selten durch eine Bewegung des Kaders verdoppelt, der oft auf Distanz bleibt, auf die Expressivität der Körper im Raum vertraut und nur selten (wie in der ersten Einstellung), mithilfe eines engeren Framings deutlichere Akzente setzt. (In dieser ersten Einstellung kann Shin Sang-ok die Groß/Detailaufnahme allerdings genau deshalb wählen: Weil sie hier ganz Intensität sein darf und nichts überdeterminiert.)
Verglichen mit den anderen Filmen der Shin Sang-ok-Collection, die das Korean Film Archive vertreibt, ist Deaf Sam-ryong eine kleine Produktion, nicht ganz 90 Minuten lang, schwarz-weiß, alles andere als ausstattungsintensiv. Gleichzeitig ist Deaf Sam-ryong die Perle der Kollektion, ein Film, der mit dynamischen Handbewegungen beginnt und mit einem wilden, (fast) alles vernichtenden Feuer (fast) endet. Nicht nach der Logik der Handlung, durchaus aber nach der poetischen Logik des Films wurde das Feuer eben von diesen Händen in der ersten Einstellung entfacht. Ganz am Schluss hat die körperliche Expressivität die Körper, an denen sie haftete, zerstört und es bleibt nichts zurück, außer der Materialität des Traums.

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