Dokumentarfilme haben zwar einerseits den Vorteil, dass sie, wenn sie ein interessantes Thema behandeln, kaum ganz unerträglich sein können. Andererseits schaue ich auf Festivals bei Dokumentarfilmen mindestens genauso auf den Regisseursnamen wie im Fall von Spielfilmen. Was mich interessiert, ist doch zuerst die Art und Weise, mit der sich da jemand einem Gegenstand annähert. Oder vielleicht eher: Ohne eine sinnvolle Art der Annäherung verschwindet der Gegenstand in seiner bloßen Sichtbarkeit. Es geht einer an Regisseuren orientierten Cinephilie nicht zwangsläufig um das Autorengenie, gerade die Dokumentarfilme zeigen das: Was mich interessiert, ist die jeweilige Methode, die eine Weltsicht konstruiert und nicht etwa nur neutrales Medium einer solchen ist. Im Dokumentarfilm, insbesondere im guten, bleibt viel von der Produktionsrealität der Dreharbeiten im fertigen Film sichtbar. Filmemachen wird als ein gleichzeitig technisches und soziales System lesbar.
Kim Longinottos Methode schätze ich sehr. Ihre Filme konstruieren die Welt als ein System sozialer Beziehungen. Die Filme zeigen die ganz verschiedenen sozialen Beziehungen inhärenten sexistischen Unterdrückungsmechanismen Stück für Stück, Szene für Szene auf, ohne Behauptungen einzuführen, die nicht direkt im profilmischen Raum verifizierbar sind. Die Welt als sinnlich wahrgenommene, die Welt vor der Kommunikation taucht in den Filmen stets nur nebenbei auf, im Fall von Pink Saris in Seitenblicken der Kamera auf spielende Kinder, auf arbeitende Bauern, auf Tiere. Die Filme machen das sehr bewusst und gehen auch sonst mit ihrer Bildlichkeit sehr sorgfältig um. Oft laufen die Filme auf einzelne Bilder zu, die die Unterdrückungsverhältnisse exemplarisch enthalten. In Pink Saris ist es ein Bild auf einem Bauernhof, die Nichte der Regisseurin, die von ihrem Mann und ihren Schwiegereltern misshandelt wird, hat sich den Schleier über das Gesicht gezogen und steht statuesk, völlig hilflos zwischen ihren Verwandten und deren Kühen. Eine solche Beschreibung sagt freilich wenig darüber aus, wie verheerend dieses Bild wirkt (allein die Kühe, das Verhältnis der Kühe zu dem Mädchen, die kleinen Bewegungen zweier Männer der Familie in ihre Richtung), Sinn ergibt es erst im Kontext des Films.
Es bedarf einiger Anstrengung, die Welt als ein System sozialer Beziehungen zu zeigen. Longinottos Filme (viele kenne ich noch nicht) suchen Knotenpunkte des Sozialen, oft Institutionen, die aber nie nur für sich selbst interessant sind (wie bei Wiseman), sondern die immer für einen größeren Ausschnitt des gesellschaftlichen Ganzen stehen. In Pink Saris gibt es einen besonderen Dreh: Longinotto folgt fast ausschließlich einer einzelnen Frau. Diese Frau, Sampat Pal, die selbst einer ärmlichen Familie entstammt, von der sie sich zwar emanzipiert, aber nciht ganz losgesagt hat, leitet in Nordindien eine Art feministische Bürgerwehr, die brutal unterdrückten Frauen und Mädchen zu Hilfe kommt. Sampat Pal geht von Haus zu Haus, von Familie zu Familie und zwingt (die Kamera hilft ihr dabei sicherlich) die Opfer wie die Täter, die Konfilkte zuerst zu verbalisieren und anschließend auf der Polizeiwache aktenkundig zu machen. Nicht immer hat sie Erfolg, aber insgesamt ist der Film nicht unbedingt pessimistisch, er glaubt daran, dass Verbalisierung von Strukturen zu deren Überwindung beitragen kann, er muss daran glauben, weil er selber nichts anderes macht und weil Dokumentarfilme (nicht alle, sicher, es gibt natürlich auch Seidl) wenn sie etwas zeigen, auch immer sagen: es ist gut und richtig, das so und nicht anders zu zeigen.
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