Einen fünfminütigen "Fabriktorfilm" - genau das und nichts anderes ist er - haben die beiden Kuratorinnen an das Ende ihrer wundervollen Filmreihe Suffragetten - Extremistinnen der Sichtbarkeit (mehr hier) gesetzt. (Stimmt nicht ganz, es gab ganz zum Schluss noch eine anarchische Überraschung, die meinen verlinkten Text an einer Stelle Lügen straft.) Die Kamera filmt nicht, wie bei den Lumieres, nur aus einer Position, sondern sammelt mehrere Szenen. In fast jedem Bild sind 20, 30, oft noch deutlich mehr Menschen versammelt. Die meisten sind offensichtlich Arbeiter, Arbeiterinnen und deren Kinder. Einige Männer scheinen einem Aufsichtsteam anzugehören; ich weiß nicht, ob das ein Team des Films ist oder eines der Fabrik - oder ob das auf dasselbe heraus kommt, weil die Fabrik nicht nur Auftraggeber, sondern auch Produzent war. Diese wenigen Männer leiten gelegentlich das Gewusel vor der Kamera an, wobei meist nicht klar wird, was das exakte Ziel der Anleitung ist, welcher Bildeffekt erzielt werden soll, welche Abrichtung da antrainiert wurde und reproduziert werden soll. Was eh alles nicht so recht klappt. Zu viel Bewegung, zu viele Menschen, zu früh kommt auch immer wieder der Schnitt.
Eine Momentaufnahme des Verhältnis von Kino zur Masse 15 Jahre nach Erfindung des Mediums. Es gibt hier nicht den Lumiereschen Strom einer eindeutig gerichteten, gleichzeitig naturalisierten Bewegung, sondern den vielfach unterbrochenen Fluss (vielleicht eher: ein halbchaotisches System) unterschiedlicher, ein-wenig-choreografierter (und damit teilweise entnaturalisierter) Vektoren. Die Menschen - in der Reihenfolge ihrer Häufigkeit: Frauen, Kinder, Männer - blinzeln nicht mehr nur verschämt in Richtung Filmteam, sie richten sich offensiv nach der Kamera aus, manchmal schauen sie nur, manchmal posieren sie wie in Gangsterfilmen, die es also schon damals gegeben haben muss. Jedenfalls spricht aus der Reaktion auf die Kamera ein Wissen übers Kino, das noch nicht in Respekt umgeschlagen ist. Noch kann jeder ein Filmstar werden. Gleichzeitig reagiert de Masse als Masse, jeder einzelne ist sich nicht nur der Kamera, sondern auch deren Verhältnis zur Gesamtsituation bewusst. Die Kamera, die sich auch selbst ein wenig bewegt (ein Schwenk erst über lässig an der Mauer lehnende Frauen, dann über lässig an der Mauer lehnende Männer, räumlich getrennt und doch vereint im Habitus), bannt die Masse nicht, sie aktiviert sie.
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