Monday, April 13, 2009

Hunger, Steve McQueen, 2008

Der Film beginnt außen, in der tristen Realität: Aufgelöst in fast beliebigen, starren Einstellungen ohne offensichtichen dramaturgischen Gehalt beobachtet der Film einen Mann, wie er seinen Alltag lebt. Er nimmt eine Mahlzeit ein, fährt zur Arbeit, schließlich begibt er sich zu einer Wand und blickt auf etwas, das sich hinter der Kamera zu befinden scheint. Bald darauf wird klar, dass das Objekt seines Blicks eine Strafanstalt ist, in der verurteilte IRA-Aktivisten ihre Strafe absitzen.
Der Film wechselt schnell ins Gefängnis und bleibt, mit wenigen Ausnahmen, bis zum Filmende dort. Man könnte sogar sagen, es gibt gar keine Ausnahmen, denn die wenigen Einstellungen, die nicht das Innere des Gefängnisses zeigen, sind Erinnerungsbilder, Träume und / oder Visionen der Insassen und entspringen deren Innerem. Im Gefängnis gliedert sich der Film streng in drei Abschnitte: Zunächst geht es um einen Gefangenenaufstand gegen die Kleiderordnung der Strafanstalt, anschließend inszeniert Steve McQueen eine ausführliche Gesprächssequenz, in der sich die Hauptfigur Bobby Sands mit einem Priester über Sinn und Zweck des noch im Gefängnis fortgesetzten Widerstands gegen die britische Staatsmacht unterhält, schließlich folgt der Hungerstreik, der im Jahr 1981 Sands und neun weiteren IRA-Mitgliedern das Leben kostete.
Steve McQueen nutzt in seiner ersten Regiearbeit diese strenge Form nicht als Selbstzweck. Die Struktur ist gewissermaßen dialektisch: Zunächst, im ersten und mit Abstand beeindruckendsten Filmabschnitt hält der Film größtmöglichen Abstand zum Diskursiven (eine Ausnahme stellen einige Thatcherzitate auf der Tonspur dar, die vielleicht das größte Problem des Films sind), es gibt nur den Körper, seine Ausscheidungen und kalte, harte Materie. Die nackten, langhaarigen Gefangenen beschmieren die Zellenwände mit Scheisse, zermantschen ihre Mahlzeiten auf dem Boden, vermischen sie mit Körperflüssigkeiten. Das Organische wird zum vielgestaltigen Brei, der sich in sonderbaren Mustern organisiert. Es geht nicht um Ekel und Schock, vielmehr findet McQueen eine außerweltliche Schönheit in der auf sich selbst zurückgeworfenen Materie. Bobby Sands steht am Fenster der Zelle, berührt zärtlich die Gitterstäbe, blickt nach draußen in eine Welt, die sich in allem von der grausamen Schöheit dessen unterscheidet, was ihn im Inneren derselben umgibt. Wie der letzte Romantiker sieht Sands in diesem Moment aus. Die Scheisse an der Wand wird zu Ornamenten geformt, aus dem Essen entstehen Skulpturen. Es gibt dann auch die reine Brutalität, die Wächter, die mit ihren Schlagstöcken auch dann noch auf die Gefangenen eindreschen, wenn diese reglos am Boden liegen. Die Wächter gehören nicht derselben Ordnung an wie die Gefangenen, auch wenn sie ihr manchmal nahe kommen. Vielleicht ist die Uniform im Weg. Zumindest richtet sich die Gewalt recht eindeutig auf das, was die Gefangenen sind, nämlich eine Gruppe nackter Körper dies- oder jenseits (zumindest einige fantasmatische Aufnahmen aus dem Zelleninneren sprechen für die letztere, interessantere Variante) der Zivilisierung und nicht auf das, was sie im politischen Diskurs verkörpern. Ein Wächter weiß genau, was er da tut und deshalb versteckt er sich hinter einer Wand und weint.
Im zweiten Teil dominieren Wort und Diskurs. Nicht nur, weil gesprochen wird, sondern auch aufgrund der Form des Gesprächs. Es beginnt mit in Windeseile hin- und hergeworfenen Floskeln und kleinen Scherzen, vorgetragen in einem harten, klaren Dialekt. Über den Informationswert des Wortes hinaus wird eine ganze Sozialisation mitkommuniziert. McQueen filmt den größten Teil des Gesprächs aus einer einzigen Kameraperspektive, die gehörigen Abstand zu den Sprechenden hält. Sands, dem kurz zuvor schon die Haare geschnitten wurden, wird radikal entkörperlicht, sein zusammengesunkener Oberkörper ist in eine Sträflingsjacke gehüllt, er ist ganz und gar Teil der symbolischen Ordnung geworden.
Der dritte Abschnitt kehrt nur scheinbar zur Ästhetik des ersten zurück. Zwar rückt wieder der Körper in den Mittelpunkt, doch es ist ein anderer Körper. Der erste war weniger archaisch und ursprünglich als unbesetzt und freischwebend, ein Körper vor oder (das wäre natürlich immer die schönere Variante, ich bin mir nicht sicher, ob der Film sie voll einlösen kann) jenseits seiner Instrumentalisierung, außerhalb von Selbstdisziplin und stahlhartem Gehäuse, aber deshalb doch nicht „wild“. Kein Körper, der zum Instinkt zurück findet, sondern einer, der seine Programmierung löscht, ohne bereits zu wissen, in welcher Richtung es weitergehen soll und der sich auf die ihn umgebende Materie hin öffnet. Der Körper des hungernden Sands ist dagegen ein sakraler. Er hat seine Bestimmung gefunden, die Kamera fährt nahe an das geknechtete Fleisch heran, an die Knochen, die fast aus der Haut ragen, die Wunden und Abszesse. Der Körper hat eine Bestimmung in der eigenen Finalisierung gefunden und ist aufgrund dieser Bestimmung nicht mehr ganz frei vom Diskurs auch wenn sein Diskurs einer gegen die Gesellschaft und gegen Instrumentalisierung ist; der Film bleibt, obwohl im letzten Teil kaum mehr Worte fallen wie im ersten, zumindest teilweise innerhalb der symbolischen Ordnung.
Der Film schreibt im dritten Teil den Diskurs des zweiten auf den Körper des ersten um. Dabei schleicht er sich ganz langsam wieder an das Genre heran, dem er seinem Sujet nach von Anfang an, seiner formalen Logik nach aber über zwei Drittel ganz und gar nicht, angehörte: dem Biopic. Der Film reicht Erinnerungsbilder nach und metaphorisiert in Vogelschwärmen den Tod, er strebt in die Vergangenheit und ins Jenseits gleichzeitig, er synthetisiert eine Biografie, wo vorher Wort und Körper disparat blieben. Vielleicht ist Hunger damit so etwas wie ein Metakommentar zum Genre Biopic, aber das ist mit Sicherheit nicht der interessanteste Aspekt des Films. Eher habe ich mich gefragt, wie sehr dieser letzte Teil das Vorhergehende entwertet. Vielleicht ist die nachgeschobene Narrativierung und Linearisierung darauf zurückzuführen, dass der Künstler Steve McQueen meinte, bei seiner ersten Kinoarbeit dem neuen Medium ein wenig entgegen zu kommen zu müssen. Wie man Hunger beurteilt, wird nicht zuletzt davon abhängen, inwieweit man von diesem letzten Abschnitt abstrahieren kann und in der Lage ist, die wahnwitzigen Bilder der ersten Filmhälfte für sich selbst stehen zu lassen.

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