Konfetti sind klein und rund. Zumeist sind sie einfarbig, oder jedenfalls denkbar simpel gestaltet. Ein Konfetti alleine ist nichts, kaum jemand wird es auch nur bemerken, wenn es alleine zu Boden schwebt. Streng genommen ist ein einzelnes Konfetti gar kein Konfetti. Konfetti sind immer viele. Einzeln ist ein Konfetti ausdrucksloses Rauschen, erst in der Masse fügen sie sich zu einem Bild. Das dann im Moment seines Entstehens immer schon wieder am Zerfallen ist. Konfetti sind ein Abbild der modernen Massengesellschaft.
Konfetti sind Abfallprodukte der Papierherstellung, sie entstehen bei der Perforation von Endlospapier (es dürften also auch bei der Herstellung von 35mm-Rohfilm Zelluloidkonfetti produziert werden). Sie lassen sich jedoch auch zu hause herstellen, man muss einfach nur ein Blatt Papier mit einem Locher bearbeiten. Ob das Papier vorher bedruckt war oder nicht, interessiert das Konfetti nicht. Konfetti interessieren sich nicht für Sinn, und sie produzieren auch keinen, zumindest keinen, der sich eindeutig fixieren lässt.
Konfetti sind ihrem Wesen nach flüchtig, ereignishaft und gehören dem Bereich der Ästhetik an. Die flattern ein paar Sekunden lang durch die Luft und bereiten ein paar Menschen dadurch eine kurze, nutzlose Freude. Damit hat sich ihr Daseinszweck auch schon wieder erledigt. Sobald sie zu Boden gesunken sind, werden sie zertrampelt, verwandeln sich in ein zu beseitigendes Ärgernis. Dennoch werden bald wieder neue produziert, fürs nächste Fest. Und auch die flattern wieder für ein paar Sekunden durch die Luft.
Ist ein Film nicht mehr oder weniger dasselbe? Also etwas, das nur im Augenblick der Projektion einen Sinn hat, und auch dann nur für diejenigen, die gerade am richtigen Ort und in der richtigen Stimmung sind? Zumindest ist das - die Flüchtigkeit und die nutzlose Schönheit seiner Produkte - ein zentraler Aspekt des Kinos. Deswegen wird dieses Blog ein Jahr lang den Versuch unternehmen, das Kino so anzuschauen, als wäre es Konfetti. Ich möchte von kleinen, insularen Beobachtungen ausgehen, von Lieblingsszenen in Lieblingsfilmen, von Zufallsfunden, von Beobachtungen im Kinos und um Kinos herum. Wo das dann jeweils oder auch insgesamt hinführt, wird sich zeigen. Das ist ja das schöne am Schreiben im Internet: Es gibt kein vorab feststehendes Format, das erfüllt werden muss.
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Beginnen möchte ich mit einer Lieblingsszene aus der deutschen Filmgeschichte. Klaus Lemkes Fernsehfilm Sylvie reist gemeinsam mit seiner Hauptfigur nach einer guten halben Stunde Laufzeit nach Amerika. Amerika war schon in Lemkes vorherigen Filmen ein gleichzeitig unmöglicher und allgegenwärtiger Fluchtpunkt gewesen, schon seit seinem Debüt 48 Stunden bis Acapulco. Der wurde zwar auch schon teilweise in Amerika, genauer gesagt in Mexiko gedreht, da war das Lemke-Amerika noch kaum mehr als eine hochgepitchte Kinofantasie.
Erst 1973 kommt Lemke wirklich im Land seiner Träume an, und gleich das erste Bild, das Lemke sich von Amerika macht, gehört zu den wahnwitzigsten, eruptivsten Amerikabildern der Filmgeschichte. Die Einstellung ist von einem Helikopter aus gefilmt, und sie zeigt das World Trade Center.
Die Kamera hat die beiden Türme erst fast komplett, aus einiger Entfernung im Blick, dann rückt sie näher und schraubt sich gleichzeitig um die Zwillingstürme herum nach oben. Auf einem der beiden Dächer findet sie schließlich die beiden Hauptfiguren wieder: Sylvie (Sylvie Winter) steht da hoch über der Stadt und und wird von Del (Del Negro) fotografiert. Genauer gesagt führt Sylvie einen Tanz auf, und auch Paul tanzt um Sylvie herum. Sie umkreisen sich gegenseitig und Lemkes Kamera wiederum, die das Bild des Öfteren hektisch per Schwenk und Zoom nachjustiert, umkreist die beiden. Ziemlich genau drei Minuten dauert die Szene. Einmal wird die Helikopterfahrt unterbrochen von einer Aufnahme, die Sylvie und Del zeigt, wie sie am Rand des Hochhausdachs auf einem Vorsprung sitzen und sich unterhalten, entspannt und ohne jeden Respekt vor der Erhabenheit des Ausblicks.
Was mich an diesen Bildern fasziniert, ist das Nebenbeinander von stilisiertem Kino-Pathos und Improvisation. Die Szene ist einerseits eine in jeder Hinsicht überlebensgroße, an den Maßstäben Hollywoods orientierte filmische Geste - und gleichzeitig wirkt sie wie eben mal so aus dem Ärmel geschüttelt. Beides widerspricht sich nicht. Ganz im Gegenteil wirkt die Geste gerade deshalb so groß, weil sie ausschaut, als sei sie der Laune des Moments entsprungen: zwei Leute schleichen sich auf ein Hochhausdach, ein dritter schnappt sich einen Hubschrauber und eine Kamera. Dazu passt dass das World Trade Center zum Drehzeitpunkt gerade erst errichtet und noch nicht einmal eröffnet worden war. Um Sylvie und Del herum sieht man noch Baugerüste und -gerät stehen. Schon ein, zwei Jahre später hätte diese Szene nicht mehr so gedreht werden können. Nicht nur, weil die Gerüste verschwinden, sondern auch, weil die Türme zu Ikonen werden, zu visuellen Klischees, gewissermaßen zu automatischen Bildern. Lemke konnte die Türme noch so filmen, als wären es unbekannte Wesen, die erst durch seine Kamera zu Filmstars werden. Genau wie seine Darsteller eben.
Natürlich denke man, wenn man Sylvie heute sieht, immer auch den 11. September mit. Alle Bilder des World Trade Centers umweht inzwischen Melacholie, und die aus Lemkes Film vielleicht ganz besonders, weil die Hochhäuser da noch so jung und unerfahren aussehen. Dass ich vor Kurzem wieder auf Sylvie zurückgekommen bin, hat aber einen anderen Grund. Lange Zeit war von dem Film nur eine halboffizielle DVD-Veröffentlichung verfügbar. Der Transfer ließ vor allem aufgrund der matten, teilweise fast ganz verschwundenen Farben einiges zu wünschen übrig, das oben verlinkte Video gibt einen Eindruck davon.
Vor einem Monat jedoch hat Lemke selbst den Film komplett auf Youtube hochgeladen - in einer anderen Fassung. Auch die ist alles andere als perfekt; vor allem, weil die Farben die Tendenz haben, sich von den Objekten zu lösen und übers Bild zu vagabundieren. Aber andererseits: immerhin gibt es jetzt Farben, und was für welche!
Der wenig dezente Grünstich mag gerade in der World-Trade-Center-Szene irritieren, aber insgesamt haben die warmen, wabernden, psychedelischen Farben der Youtube-Fassung durchaus ihren Reiz. Manchmal schaut die neue Sylvie fast wie ein verfrühter Disco-Film aus.
Trotzdem ist die Frage, welche Fassung nun die “richtige” ist, sinnlos. Nicht nur sind beide offensichtlich defizitär, es ist auch die Frage, was überhaupt eine “richtige” Fassung sein könnte. Sylvie ist auf 16mm gedreht, aber wenn überhaupt noch eine Kopie existiert, dann vertaubt sie in irgendeinem Fernseharchiv. Wenn der Film alle paar Jahre einmal im Kino vorgeführt wird, dann von DigiBeta oder DVD, in Fassungen, die der auf Youtube nicht allzu weit überlegen sein durften. Vermutlich ist die Szene noch überhaupt kein einziges Mal so vorgeführt worden, dass sie ihr volles audiovisuelles Potential entfalten kann. Und vermutlich wird sie auch zukünftig kein einziges Mal so vorgeführt werden (ich hoffe natürlich sehr, dass ich mich irre…). Aber viel wichtiger ist eh, dass die Szene auch auf Youtube ihre Kraft behält. Alle Unwägbarkeiten der Filmtechnik und der Fernsehgeschichte können nicht verschleiern, dass 1973 ein kleines Wunder geschehen ist, weil ein Regisseur (samt, nicht zu vergessen, seinem Kameramann Lothar E. Stickelbrucks), ein Hubschrauber zwei Darsteller und zwei Hochhäuser zur selben Zeit am selben Ort waren.
Die Textreihe "Konfetti" entsteht im Rahmen des Siegfied-Kracauer-Stipendiums. Mehr Informationen hier.
Konfetti sind Abfallprodukte der Papierherstellung, sie entstehen bei der Perforation von Endlospapier (es dürften also auch bei der Herstellung von 35mm-Rohfilm Zelluloidkonfetti produziert werden). Sie lassen sich jedoch auch zu hause herstellen, man muss einfach nur ein Blatt Papier mit einem Locher bearbeiten. Ob das Papier vorher bedruckt war oder nicht, interessiert das Konfetti nicht. Konfetti interessieren sich nicht für Sinn, und sie produzieren auch keinen, zumindest keinen, der sich eindeutig fixieren lässt.
Konfetti sind ihrem Wesen nach flüchtig, ereignishaft und gehören dem Bereich der Ästhetik an. Die flattern ein paar Sekunden lang durch die Luft und bereiten ein paar Menschen dadurch eine kurze, nutzlose Freude. Damit hat sich ihr Daseinszweck auch schon wieder erledigt. Sobald sie zu Boden gesunken sind, werden sie zertrampelt, verwandeln sich in ein zu beseitigendes Ärgernis. Dennoch werden bald wieder neue produziert, fürs nächste Fest. Und auch die flattern wieder für ein paar Sekunden durch die Luft.
Ist ein Film nicht mehr oder weniger dasselbe? Also etwas, das nur im Augenblick der Projektion einen Sinn hat, und auch dann nur für diejenigen, die gerade am richtigen Ort und in der richtigen Stimmung sind? Zumindest ist das - die Flüchtigkeit und die nutzlose Schönheit seiner Produkte - ein zentraler Aspekt des Kinos. Deswegen wird dieses Blog ein Jahr lang den Versuch unternehmen, das Kino so anzuschauen, als wäre es Konfetti. Ich möchte von kleinen, insularen Beobachtungen ausgehen, von Lieblingsszenen in Lieblingsfilmen, von Zufallsfunden, von Beobachtungen im Kinos und um Kinos herum. Wo das dann jeweils oder auch insgesamt hinführt, wird sich zeigen. Das ist ja das schöne am Schreiben im Internet: Es gibt kein vorab feststehendes Format, das erfüllt werden muss.
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Beginnen möchte ich mit einer Lieblingsszene aus der deutschen Filmgeschichte. Klaus Lemkes Fernsehfilm Sylvie reist gemeinsam mit seiner Hauptfigur nach einer guten halben Stunde Laufzeit nach Amerika. Amerika war schon in Lemkes vorherigen Filmen ein gleichzeitig unmöglicher und allgegenwärtiger Fluchtpunkt gewesen, schon seit seinem Debüt 48 Stunden bis Acapulco. Der wurde zwar auch schon teilweise in Amerika, genauer gesagt in Mexiko gedreht, da war das Lemke-Amerika noch kaum mehr als eine hochgepitchte Kinofantasie.
Erst 1973 kommt Lemke wirklich im Land seiner Träume an, und gleich das erste Bild, das Lemke sich von Amerika macht, gehört zu den wahnwitzigsten, eruptivsten Amerikabildern der Filmgeschichte. Die Einstellung ist von einem Helikopter aus gefilmt, und sie zeigt das World Trade Center.
Die Kamera hat die beiden Türme erst fast komplett, aus einiger Entfernung im Blick, dann rückt sie näher und schraubt sich gleichzeitig um die Zwillingstürme herum nach oben. Auf einem der beiden Dächer findet sie schließlich die beiden Hauptfiguren wieder: Sylvie (Sylvie Winter) steht da hoch über der Stadt und und wird von Del (Del Negro) fotografiert. Genauer gesagt führt Sylvie einen Tanz auf, und auch Paul tanzt um Sylvie herum. Sie umkreisen sich gegenseitig und Lemkes Kamera wiederum, die das Bild des Öfteren hektisch per Schwenk und Zoom nachjustiert, umkreist die beiden. Ziemlich genau drei Minuten dauert die Szene. Einmal wird die Helikopterfahrt unterbrochen von einer Aufnahme, die Sylvie und Del zeigt, wie sie am Rand des Hochhausdachs auf einem Vorsprung sitzen und sich unterhalten, entspannt und ohne jeden Respekt vor der Erhabenheit des Ausblicks.
Was mich an diesen Bildern fasziniert, ist das Nebenbeinander von stilisiertem Kino-Pathos und Improvisation. Die Szene ist einerseits eine in jeder Hinsicht überlebensgroße, an den Maßstäben Hollywoods orientierte filmische Geste - und gleichzeitig wirkt sie wie eben mal so aus dem Ärmel geschüttelt. Beides widerspricht sich nicht. Ganz im Gegenteil wirkt die Geste gerade deshalb so groß, weil sie ausschaut, als sei sie der Laune des Moments entsprungen: zwei Leute schleichen sich auf ein Hochhausdach, ein dritter schnappt sich einen Hubschrauber und eine Kamera. Dazu passt dass das World Trade Center zum Drehzeitpunkt gerade erst errichtet und noch nicht einmal eröffnet worden war. Um Sylvie und Del herum sieht man noch Baugerüste und -gerät stehen. Schon ein, zwei Jahre später hätte diese Szene nicht mehr so gedreht werden können. Nicht nur, weil die Gerüste verschwinden, sondern auch, weil die Türme zu Ikonen werden, zu visuellen Klischees, gewissermaßen zu automatischen Bildern. Lemke konnte die Türme noch so filmen, als wären es unbekannte Wesen, die erst durch seine Kamera zu Filmstars werden. Genau wie seine Darsteller eben.
Natürlich denke man, wenn man Sylvie heute sieht, immer auch den 11. September mit. Alle Bilder des World Trade Centers umweht inzwischen Melacholie, und die aus Lemkes Film vielleicht ganz besonders, weil die Hochhäuser da noch so jung und unerfahren aussehen. Dass ich vor Kurzem wieder auf Sylvie zurückgekommen bin, hat aber einen anderen Grund. Lange Zeit war von dem Film nur eine halboffizielle DVD-Veröffentlichung verfügbar. Der Transfer ließ vor allem aufgrund der matten, teilweise fast ganz verschwundenen Farben einiges zu wünschen übrig, das oben verlinkte Video gibt einen Eindruck davon.
Vor einem Monat jedoch hat Lemke selbst den Film komplett auf Youtube hochgeladen - in einer anderen Fassung. Auch die ist alles andere als perfekt; vor allem, weil die Farben die Tendenz haben, sich von den Objekten zu lösen und übers Bild zu vagabundieren. Aber andererseits: immerhin gibt es jetzt Farben, und was für welche!
Der wenig dezente Grünstich mag gerade in der World-Trade-Center-Szene irritieren, aber insgesamt haben die warmen, wabernden, psychedelischen Farben der Youtube-Fassung durchaus ihren Reiz. Manchmal schaut die neue Sylvie fast wie ein verfrühter Disco-Film aus.
Trotzdem ist die Frage, welche Fassung nun die “richtige” ist, sinnlos. Nicht nur sind beide offensichtlich defizitär, es ist auch die Frage, was überhaupt eine “richtige” Fassung sein könnte. Sylvie ist auf 16mm gedreht, aber wenn überhaupt noch eine Kopie existiert, dann vertaubt sie in irgendeinem Fernseharchiv. Wenn der Film alle paar Jahre einmal im Kino vorgeführt wird, dann von DigiBeta oder DVD, in Fassungen, die der auf Youtube nicht allzu weit überlegen sein durften. Vermutlich ist die Szene noch überhaupt kein einziges Mal so vorgeführt worden, dass sie ihr volles audiovisuelles Potential entfalten kann. Und vermutlich wird sie auch zukünftig kein einziges Mal so vorgeführt werden (ich hoffe natürlich sehr, dass ich mich irre…). Aber viel wichtiger ist eh, dass die Szene auch auf Youtube ihre Kraft behält. Alle Unwägbarkeiten der Filmtechnik und der Fernsehgeschichte können nicht verschleiern, dass 1973 ein kleines Wunder geschehen ist, weil ein Regisseur (samt, nicht zu vergessen, seinem Kameramann Lothar E. Stickelbrucks), ein Hubschrauber zwei Darsteller und zwei Hochhäuser zur selben Zeit am selben Ort waren.
Die Textreihe "Konfetti" entsteht im Rahmen des Siegfied-Kracauer-Stipendiums. Mehr Informationen hier.