Saturday, November 22, 2025

Ahnen erahnen (Gegenwartsliteratur, ein Sample 17)

Anne Weber, Ahnen.

"Der Mann heißt Jens Niederhut. Ich merke mir den Namen (...) weil er mich an den Namen des deutschen Autors Jens Sparschuh erinnert, dem er gewissermaßen noch die Kopfbedeckung liefert."

Einer der Sätze, die mich auf die Palme bringen - aber warum? Was soll dagegen sprechen, Sprache als Spielmaterial aufzufassen, kurz zum Selbstzweck werden zu lassen? Was mir missfällt, ist, glaube ich, nicht das Spielerische, sondern, dass das Spielerische so schief im Satz sitzt, als aufgepfropfter Effekt, weil es Weber letztlich, wie im ganzen Buch, nicht ums Spiel, sondern um Selbststilisierung geht.

Genau wie die Annäherung Webers an ihren Ahnen Florens Christian Rang von Anfang an nichts zutage fördern soll außer der Unmöglichkeit einer solchen Annäherung. Die Form, die das Buch sich gibt, ist nicht die einer Recherche sondern die einer selbsterfüllenden Prophezeiung. Und ich werde den Verdacht nicht los: Was sich wirklich als unüberwindbare, gebirgshohe Hürde zwischen Weber und Florens auftürmt, ist nicht die deutsche Geschichte, sondern das Wort "ich". 

Nicht nur "ich" schreibt Weber mit Vorliebe, sondern am liebsten gleich "ich forsche", "ich schwöre", "ich spüre", "ich lese". Ist das ich erst einmal von der Leine gelassen, gibt es keine Ruhe mehr, kontaminiert alles, was es berührt, erhebt sich turmhoch über die Welt. "Schon mit vierzehn hat das ich verstanden, was Sanderling in einem seiner Bücher in die Welt hinausposaunt" posaunt das ich seinerseits in die Welt hinaus. Das ich als sprachautomatische Gnade der späten Geburt. Ist damit das Ende der Fahnenstange der Reflexivität erreicht, die Grenze, die eine vom ich gedachte Reflexivität nicht überschreiten kann?

Noch einmal radikalisiert: Vielleicht hat auch die behauptete und mit sehr viel Pathos umhüllte Scheu Webers, das Wort "Auschwitz" auszusprechen, in erster Linie ein Vorwand, bitte auch weiterhin auf der Ebene des ich zu verbleiben.

Wenn es die "Gesinnungskurve", nach der die Wissenschaft als eine Instanz, die es wagt, vom ich zu abstrahieren, sucht, "nicht gibt", sehr wohl aber, ausgerechnet, "Einzelne (...) mir ihren einzelnen Gesinnungen oder Gesinnungslosigkeiten, und in diesen Einzelnen (...) Stimmen ihres Gewissens"... dann liegt der Gedanke nicht fern, dass es auch die Geschichte nicht gibt. Sondern, eben, nur das ich, das hinter seinen "geschlossenen Lidern (...) unscharfe Gestalten" versammelt... und aber dennoch meint, uns eben davon Mitteilung machen zu müssen.

An anderer Stelle lässt sie in ein Stück Genremalerei, das in seiner Abgeschmacktheit - Strandschuppen an der Nomandie, Muscheln mit Pommes, irischer Pianist, Edith Piaf - ganz und gar nicht zum sonst dominierenden Tonfall investigativer Ernsthaftigkeit (der ja auch ein bestimmtes Dekors impliziert: Archivschreibtische, Schilderwald der Institutionen, verstaubte Aktenberger) passen will, das Horst-Wessel-Lied krachen.

---

Das alles nicht mehr als ein paar hilflose Notizen, die einer Irritation nachspüren sollen, deren Rückseite ein nachhaltiges Getroffensein ist. Denn tatsächlich ist "Ahnen" das erste und bislang einzige Buch im Sample, das ich nicht lesen kann, ohne selbst ins ich zurück zu fallen.

No comments: