Friday, June 18, 2010

A Grande Arte, Walter Salles, 1991

Ein Film, der sich von Anfang an in der widersprüchlichen Konfiguration seines eigenen Blicks verfängt. Es beginnt mit einer Hitchcock-Allusion: Eine offensichtlich tote junge Frau liegt auf einem Bett, ihr Mörder, dessen Gesicht im Off bleibt, kniet über ihr und ritzt ihr den Buchstaben "P" in die Wange. Die Kamera entfernt sich dann von der Szene, entschwindet aus dem Fenster und öffnet sich für eine Panoramaaufnahme Rio de Janeiros. Dann ein Voice Over: "All my life my eyes have searched for somethin... different." Dann blickt die Kamera auf eine Hausfront, die das gesamte Frame einnimmt und in deren Mitte sich ein Fenster befindet, aus dem eine Frau fast direkt in die Linse blickt. Die Hausfront kollabiert und damit die gesamte Einstellung, erst nach ein paar Sekunden kommt der Abrissbagger als Ursache dieser totalen Disruption ins Bild. Dann folgen Großaufnahmen der Frau, die zu schwarz-weiß-Fotografien einfrieren. Es geht dann noch ein paar Minuten so weiter: die sekundäre Kamera friert die Bilder der primären ein und die Stilisierung der sekundären Bilder verweist vor allem darauf, dass bereits die ersten hochgradig stilisiert sind. Mit dem entfremdeten Blick über den entfremdeten Blick hinaus will A grande arte von der ersten bis zur letzten Minute. Die Form, die Walter Salles wählt, ist die des pulpigen, leicht angetrashten Thrillers, eine Form, die immer eher ein Bild zuviel, als eines zuwenig auswählt, der ich aber eben dafür fast nie ernsthaft böse sein kann.





Bereits Salles' erster Langfilm entstand mit amerikanischem Geld und man hat doch bisweilen das Gefühl, als habe Salles das Projekt nicht immer voll unter Kontrolle gehabt. Der Hollywood-Schauspieler Peter Coyote (unter anderem bekannt aus E.T.) übernimmt die Hauptrolle. Coyote spielt den amerikanischen Fotografen Peter Mandrake, der in Brasilien lebt und dem seine von ihm als distanzierend erlebte Profession nicht mehr ausreicht, der sich danach sehnt, direkteren Kontakt mit der sozialen Realität seiner Wahlheimat aufzunehmen. Der Film beginnt mit Beschreibungen seines Arbeitsalltags. Er lernt dann eine Prostituierte kennen, mit der er nicht nur flirtet, um der wenig entspannten Beziehung zu einer Archäologin wenigstens gedanklich zu entkommen, sondern weil schon dieser Flirt ihn ein wenig von der Position hinter der Kamera befreit und ein kleiner Einbrauch des Realen ist. Die Prostituierte wird ermordet und Coyote beginnt, Unterricht im Messerkampf zu nehmen, weil klar: Pistole wäre eine Fortsetzung der Kamera und ein weiteres Instrument der Distanzierung, wohingegen Mann gegen Mann, Messer gegen Messer, das ist was anderes. Natürlich ist das alles etwas albern, erst recht, wenn der Plot seinen Lauf nimmt und Mandrake zwischen die Fronten eines Drogenkriegs gerät, der von Halunken bestritten wird, die aussehen, als seien sie einem James Bond-Film der Siebziger entsprungen.
Alles etwas platt also, aber sehr interessant dennoch, vor allem aufgrund der Hauptfigur. Der Film erinnert in vieler Hinsicht an Oliver Stones Salvador, der ebenfalls alles zugleich will: Geopolitik, Liebesgeschichte, Paranoiathrills, Genredynamik. Nicht nur in seiner Ausgangssituation: Der Reporter / Bildproduzent als bürgerliche Monade, die versucht, sich selbst zu überschreiten, hin auf ihr postkoloniales Anderes und die dabei von Anfang an alles falsch macht. Er partizipiert auch an den ideologischen blinden Flecken des Sandinisten-Reißers, über die ich hier geschrieben habe - obwohl Salles mit ziemlicher Sicherheit wenn zwar nicht unbedingt ein dynamischerer, aber doch sicher ein klügerer Regisseur als Stone ist. Sicher ist es so, dass auch A grande arte ein etwas aus dem Ruder gelaufener Versuch ist, sich aus dezidiert liberaler Perspektive einen Reim auf die Weltverhältnisse zu machen. Aber wo James Woods' Richard Boyle von allem etwas zu viel ist (zu viril, zu agil, zu artikuliert), ist Peter Coyotes Mandrake von allem zu wenig und pflegt anfangs ein ironisches Verhältnis zur Welt. Mandrake gerät in die Räuberpistole nicht aus Übermut und Tatendrang, sondern aufgrund der Leere in ihm und in seinem Leben. Fast wirkt der gesamte Plot, der sich nach den bildreflexiven ersten zehn Minuten entspinnt, wie eine bloße Projektion auf diese Leere. Das heißt aber auch: Die Sprecherposition des Films selbst ist sich ihrer Sache weit weniger gewiss, als man zu Beginn annehmen konnte. Salles erzählt nicht aus einer Position der Stärke heraus, sondern aus einer der von Innen ausgehöhlten Dominanz. Am Ende greift Mandrake wieder zur Kamera. Es steht zu bezweifeln, dass er der Wirklichkeit näher gerückt ist während seiner ganz persönlichen pulp fiction. Und der Film? Der hat von Anfang an den Umweg durchs Dickicht des Popkulturellen gewählt. Und er ist nicht schlecht damit gefahren.

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