Thursday, February 19, 2015

Taking a Chance on Karlson 7

Ben, Phil Karlson, 1972

Dass Phil Karsons Ben um soviel unbekannter ist als sein von Michael Jackson gesungener Titelsong, ist schon deshalb unfair, weil der Film ein Making Of des Lieds zumindest enthält, in mancher Hinsicht vielleicht auch als Ganzes ist. Der Film zeigt, wie junge Danny die Angst vor seinem eigenen Tod und die Liebe zur Ratte Ben zu einem Lied amalgamiert - vermittelt meherer herzzerreißender Performances. Seinen Ausgang nimmt das alles in einem Marionettentheater: Zunächst läßt Danny da einen recht generischen Clown auftreten, der ein recht generisches Gute-Laune-Lied singt. Das Lied des Clowns lockt die Ratte an. Nach dem Auftritt erhält sie Brotrinde, freundet sich mit Danny an, beginnt mit ihm zu kommunizieren.

Das Ben-Lied komponiert Danny dann auf einem Klavier, wenig später spielt er der Ratte etwas auf seiner Mundharmonika vor, verausgabt sich dabei völlig (ein komplett unromantischer Selbstverlust in die Musik). Aber der Film kehrt noch ein zweites Mal zum Marionettentheater zurück: In einer der sonderbarsten Filmszenen, die ich in der letzten Zeit gesehen habe, performt eine von Danny gelenkte Rattenmarionette für die echte Ratte - nicht den "Ben"-Song, sondern den Clownsong vom Anfang und zwar auf Wunsch der lebendigen Ratte gleich zweimal. Der Film lässt sich komplett auf dieses Spektakel ein, vermittelt - per Montage - ein paar Minuten lang fast ausschließlich zwischen den beiden Ratten.






Ben ist ein auteurist statement der Sonderklasse. Seit Mitte der 1950er Jahre arbeitete sich Karlson, nicht in jedem Film, aber wieder und wieder, an einem einzigen Thema ab: Dem Kampf der zivilisatorischen Ordnungsmächte gegen das umgreifende, (eben stets nur auf den ersten Blick) amorphe Chaos. Die Härte und Tragik seiner Filme hängen mit einer unverhandelbaren Setzung zusammen: Die Ordnung muss sich am Ende durchsetzen, Kompromisse geben. In den meisten anderen Filmen heißt das: Selbstverständlich darf man Phoenix City, Chicago etc nicht dem Mob überlassen. In diesem Fall: Selbstverständlich ist die (Killer-)Rattenplage (die unter anderem, in einer Szene, die Robin Wood gefallen hätte - keine Ahnung, ob er den Film kannte - einen Supermarkt heimsucht, sich Regalmeter für Regalmeter über Frühstückscereals hermacht) zu beseitigen, koste es, was es wolle. Dass die ansonsten als ein soziales Übel gefasste Bedrohung durch das Chaos in Ben naturalisiert wird, führt keineswegs dazu, dass der Film sich dem faschistischen Impuls, der bei Karlson immer irgendwo lauert, vollständig ergeben würde. Ganz im Gegenteil: Etwas so düster Brutales, Seelenzerschmetterndes wie den Viertelstündigen Rattenholocaust, mit dem der Film endet, hat Karlson in seiner Karriere wohl kein zweites Mal inszeniert (ähnlich intensiv sind lediglich einige Passagen in Hell to Eternity). Das Ganze läuft auf eine Szene zu, in der die Sondereinsatzkräfte das Nest der Ratten mit mehreren Flammen- und Wasserwerfern attackieren. Karlson filmt das von oben, wie um noch einmal nachdrücklich zu sagen: no way out. 














Die fantastische Dimension des Films ändert daran nichts: Ben ist zwar gefühlsbegabt, aber eben auch ein Rattenhitler, der die Terrorherrschaft der Mächte des Chaos zu orchestrieren versucht. Das ist das Paradox, aus dem der Film nicht heraus kommt / nicht heraus will: Je alternativloser die Gewalt, umso mehr schmerzt sie. (Und ich glaube, es ist interessanter, sich diesem Schmerz zu stellen, als ihn im Sinne einer linken Kritik umzubiegen, die in den Bildern nur Metaphern für Vietnam etc sieht - man müsste den Film nicht einmal umbiegen, er legt genug Spuren aus in diese Richtung.)

Der Kampf zwischen Ordnung und Chaos muss zwar ein eindeutiges Ergebnis haben, aber gleichzeitig gibt es trotzdem stets eine vermittelnde Instanz. In den meisten Fällen ist das jemand, der aus der Armee des Chaos ausschert und von der Ordnungsmacht rekrutiert wird. Ben erweitert die Konstellation, beziehungsweise dreht sie fast um: Zwar beginnt die Titelratte, mit den Menschen zu interagieren, wichtiger ist jedoch Dannys Empathie für die Tiere - und ganz besonders wichtig ist sein Ausflug ins Rattenreich. Hier erst bekommt er eine emphatische Subjektive, hier lernt er den Blick aufs Erhabene (= auf das kathedralenartige Dach des Rattennests).

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Dialog eines jungen Liebespaars, das gerade Zeuge von Dannys Verschwinden im Rattenreich wurde:

"Am I completely out of touch with reality?"
"Yeah, me too"

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Der Auteurismus ist für mich nicht deshalb der schönste Zugang zum Kino, weil er es mir erlaubt, Autorenhandschriften zu katalogisieren. Sondern weil er mir meine eigene, ihm vorausgehende Faszination für Filme wie Ben erklärt, erweitert.

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Für alle, die immer noch nicht überzeugt sind: Ein paar Screenshots aus der Fitnessclub-Szene:




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