Thursday, April 21, 2016

Gérard Blain, zwei Einstellungen

Le pélican beginnt mit einer Reihung kurzer, oft auf einzelne prägnante Einstellungen reduzierte Szenen, die sich bald als subjektiv motivierte Rückblenden zu erkennen geben: Erinnerungsbilder, weniger idealisierte, als minimalistisch stilisierte, vielleicht archetypisierte Erinnerungen an ein glückliches Familienleben, insbesondere an eine glückliche Vaterschaft. Isoliert im Bild, vor einfarbigem, oft schwarzem Hintergrund: Ein Baby, ein Kinderwagen, ich glaube auch ein Blumenstrauß. (Wenige Erinnerungen an die Mutter des Kindes; später spielen weder sie, noch ihr neuer Partner zentrale Rollen im Film, sie bleiben bloße Plotpoints am Rande, die filmische Energie speist sich ausschließlich aus der Vater-Sohn-Beziehung). Ikonische Verdichtungen; aber seltsam säkularisierte Ikonen, näher am Produktdarstellungen in Versandkatalogen als am Mariengemälde.

Ein Bild stich in meiner Erinnerung heraus, auch wenn ich es nicht mehr exakt erinnere: Rechts sitzt der Vater am Klavier, links, tiefer im Bild, seine Sohn auf dem Boden, mit Spielzeug, ich glaube Legosteinen, beschäftigt. Das Bild bleibt eine Weile stehen, in natürlichem Gegenlicht, dazu die warme, und doch klassisch strenge Klaviermusik, eine luftige, ein wenig vergeistigte Vater-Sohn-Harmonie. Beide sind für sich, interagieren nicht miteinander, blicken sich nicht an, passen dennoch perfekt zusammen in den Rahmen der Einstellung.

Später greift der Film dieses Bild noch einmal auf, und bricht es analytisch auf, zeigt beide, Vater und Sohn, getrennt, in einzelnen Einstellungen, aus anderen, weniger distanzierten, außerdem gerichteteren, auf Subjektivität verweisenden Perspektiven. Ein erster Schnitt ist gesetzt, die Harmonie unwiederbringlich zerstört. Es tut sich ein Spalt auf, der immer breiter wird. Die Luganoepisode macht das besonders deutlich: Vater und Sohn sind nur noch durch einen Blick verbunden, passen nicht mehr in eine Einstellung, dazu keine harmonische Klassik, sondern Dudelmusik. (Leider finde ich die Popsongs nicht im Netz; immerhin habe ich herausgefunden, dass es sich um einen 8-track-player handeln muss, im Netz finden sich ein paar Bilder.)

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In Un enfants dans la foule gibt es eine Einstellung kurz vor Schluss, die eine eigenartige Form von Außenseiterschaft darstellt. Die jugendliche Hauptfigur wird von einem Pfarrer auf einen Hof geleitet. Dort spielen Gleichaltrige ausgelassen und konzentriert, sportlich enthemmt (Fußball vielleicht, oder ein tristes Nachkriegssurogat). Zuerst Schuss-Gegenschuss: Auf der einen Seite die spielenden Jungs, auf der anderen Junge und Pfarrer. Dann eine Synthese, die keine ist. Eine recht eng kadrierte laterale Kamerafahrt entlang des Gangs des Jungen, der über den Hof läuft. Die Kamera ihn auf nicht ganz leicht zu beschreibende Weise (denn es geht eben nicht nur um ein räumliches Verhältnis) vorbei an den Spielenden, die gleichwohl im Hintergrund zu sehen sind. Scharf kontrastiert zum Hintergrund, fast silhouettenhaft ausgeschnitten, das gleichwohl unlesbare Gesicht des Jungen. Die Kamerafahrt geht schließlich in einen Schwenk über, der den Jungen in eine Seitenstraße entlässt, der gleichzeitig aber das Bild normalisiert: Im Weggehen, in der Rückansicht, in seinem Verschwinden ist der Junge doch wieder einer von vielen.

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