Wednesday, January 31, 2018

L'adolescente, Jeanne Moreau, 1979

Ein Sommer im Grünen, in der Mitte Frankreichs, im Land der erloschenen Vulkane. Marie, die Hauptfigur, ist 12 Jahre und wird in dem Sommer ihre erste Periode bekommen, während anderswo auf der Welt, das Jahr ist 1939, zum Krieg gerüstet wird.

Als Zeitbild bleibt L'adolescente weitgehend subtil, wenn auch durchaus gelegentlich jene "zufällig belauschten Gespräche" vorkommen, die mir Filme dieser Art bisweilen verleiden: Ein bisschen schrulliges Gepolter über Hitler und Mussollini hier, ein paar genervte Hinweise darauf, dass diese ausländischen Angelegenheiten uns heimatverbundenen Franzosen doch eh nichts angehen da. Strategische Informationsverteilung, die im Film aber glücklicherweise nicht viel Raum einnimmt.

Denn schon die antisemitische Verunglimpfung beim ersten Auftauchen des Arztes Alexandre ist nicht nur Zeitkolorit, sondern eine Positionsbestimmung: Alexandre bleibt in der Dorfgemeinschaft ein hoffnungsloser Außenseiter, er ist deshalb auch nicht Teil der Montagesequenz, die die Dorfbewohner vorstellt, wenn Marie mit ihren Eltern im Sommerurlaubsort ankommt. Schöne, typisierende Miniaturen sind das, die außerdem ein Netz knüpfen: Sie liebt ihn und hat ihm ein Kind geboren, aber er darf sie wegen seines Vaters nicht heiraten, dafür ist eine andere dauernd schwanger und stolz darauf und eine dritte ist wahrscheinlich eine Hexe.

Zunächst bleibt der Film auf dieser Ebene, bei der Dorfgemeinschaft. Marie wird ihrerseits Teil des Netzes, aber sie wird doch nicht nicht ganz in es eingeknüpft, weil sie noch die Narrenfreiheit der Kindheit für sich beanspruchen kann, sie turnt im Netz, muss noch keine tragende Funktion einnehmen. Mit einer Freundin und zwei Jungs tobt sie durch den Heuspeicher, an einem Balken schwingt sie hin und her, hoch über den Köpfen der anderen. Neugierig beobachten die Mädchen anschließend die Jungs beim an-die-Wand-Pissen.

Dann jedoch verändert sich der Film. Es beginnt damit, dass Maries Vater verschwindet. Der hatte sich vorher immer wieder an Maries Mutter herangedrängt, sein ungestümes, noch immer jugendliches, stets plötzliches, von einem einzigen Blick getriggertes Verlangen war dabei oft, aber nicht immer, erwidert worden. Das spitzt sich zu einer Krise zu, von der der Film nur die Folge zeigt: Er fährt weg, zu Erntearbeiten vermutlich, die Mutter bleibt mit der Tochter zurück. Beide wohnen sie bei der Großmutter, und beide verlieben sie sich in Alexandre.

Der Film hört schnell auf, Sozialpanorama zu sein. Fast hat man das Gefühl, dass das Dorf überhaupt zu existieren aufhört, zumindest als eine soziale, und auch wirtschaftliche Gemeinschaft. Es gibt jetzt nur noch eine Mechanik des Gefühls, liebende Körper und sehnsüchtige Blicke. Alexandre wohnt, das passt dazu, eh nicht im Dorf, sondern in einem düsteren Märchenschloss, es gibt eine tolle Totale des Schlosses bei Dämmerung: Hinter einem Fenster brennt ein Licht, Marie stellt ihr Fahrrad ab und nähert sich dem Gebäude wie einem Geheimnis, das es zu erforschen gilt, vor dem sie aber auch ein wenig Angst hat, das zumindest unendlich größer ist als sie.

Aber Maries versponnene Kleinmädchenliebe ist nur eine kurze Episode. Ihr offensichtlich aus Filmen oder Zeitschriften abgeschauter Kussversuch wird wenn auch ungelenk abgewehrt, bald tritt die Mutter an ihre Stelle. Und anders als Marie verwandelt die Mutter sich tatsächlich in Gegenwart des Arztes, weil sie bei ihm eine sexuelle Annäherung vorfindet, die noch nicht von Besitzdenken überwuchert ist und eher eine Form von Neugier ist. Und so wird sie, wenn sie bei ihm ist, eine andere: Das Haar löst sich, die Schritte werden frei, der Blick hebt sich. Marie kauert derweil mit ihrem Fahrrad unter einer Böschung, sie erlebt einen emotionalen Überschwang, der sie überwältigt, zu Boden drückt. Im reich der Liebe funktionieren die Sortiersysteme der Gesellschaft nicht.

Statt dessen bricht im Liebestaumel etwas Archaisches über die Menschen herein, wie als wenn die Vulkane im Zentrum Frankreichs doch noch einmal ausbrechen. Man muss zu anderen, älteren Mitteln greifen. Und siehe da: Der Zaubertrank, den Marie mischt, um ihre Eltern wieder zusammenzubringen, wirkt tatsächlich.

Tuesday, January 30, 2018

Spiegel






Viele Szenen in Dallas beginnen "im Spiegel". Hier tritt Sue Ellen im unscharfen Hintergrund durch eine Tür. Und wenn J.R. aufblickt, wissen wir noch nicht, dass er sie eigentlich bereits anschaut, und auch nicht, dass sie die Reflektion seines Gesichts sehen kann, dass sein Augenaufschlag gar kein privater ist, sondern bereits Kommunikation.








Das Schöne daran, eine Serie wie Dallas zu sehen, ist, dass man sie nicht beurteilen, dass man, weil eh schon alles über sie gesagt zu sein scheint, nichts an ihr einsortieren muss, dass man in aller Ruhe nach schönen, kurzen Momenten wie diesem suchen kann: Eine Schuss/Gegenschuss-Montage, die die Körper von Sue Ellen und J.R. miteinander verschaltet, gegen einige, beidseite Widerstände.






Eine weitere Frau, die Spiegel auftaucht, diesmal allerdings als eine Art Nachbild von JR. Wenn sie ins ungespiegelte On des Bildes tritt, hat er bereits die Macht über sie erlangt. 

Die folgende Szene ist um zwei leuchtende Rechtecke - eine Landschaftsmalerei und die Fensterfront von J.R.s Büro - herum konstruiert.



"come on"



"come on"





"come on"






Die folgende, von der Serie selbstverständlich nicht gezeite Vergewaltigung wird in der visuellen Auslöschung des Körpers der Frau gleichzeitig vorweggenommen und geleugnet.

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Die meisten Filme, die ich zur Zeit sehe, sehe ich, weil ich über sie schreiben muss, oder weil sie Teil eines "Projekts" sind. Auf die Dauer ist das kein guter Zustand, die Filme müssen frei auf mich zukommen, sie dürfen nicht von Texten oder, noch schlimmer, "Projekten" belastet sein. Immerhin habe ich Dallas. Noch eine ganze Weile werden Filme eh nichts anderes sein als das, was ich zwischen zwei Dallas-Episoden sehe.

Saturday, January 27, 2018

JR

Man müsste über JR Romane schreiben und auch ausführlich seine unelastisch am Kopf festklebenden Haare bewundern. Er sieht aus - die Beobachtung kommt nicht von mir - wie eines dieser Legomännchen, denen man einen Haarschopf auf den zylinderförmigen Kopf aufklicken kann. Man sieht einem solchen Haarteil an, dass das leicht Wellige, Beschwingte an ihm fake ist, ohne dass man freilich sagen könnte, was für eine Konsistenz, für eine Anfühlung, das Haar tatsächlich hat. Das des Legomännchens ist aus Plastik, aber es soll natürlich nicht so ausschauen, als sei es aus Plastik. Es soll ausschauen, als könne es tatsächlich vom Wind zerzaust werden. Nur leider bricht die Illusion an dieser Stelle in sich zusammen, das Haar ist das falscheste Teil des Legomännchens, und auch JRs Frisur ist phony.

Und ein wenig bewegt JR sich auch so wie eine Legofigur, vor allem gilt das für seinen massiven Oberkörper, der unflexibel auf dem Hüftgelenk aufzusitzen scheint. Statt Lego Star Wars ein Lego Dallas: das würde mir gefallen, das Ranchhaus sieht auch aus, als würde man es gut mit Legosteinen nachbauen können.

Wenn sein Haar das Falscheste an JR ist, dann ist das Wahrhaftigste an ihm sein Lächeln. Nicht das mal freudlos routinierte, mal reflexhaft gehässige halblaute Lachen, mit dem er sich selbst aus jeder sozialen Situation, die ihm potentiell unangenehm werden könnte, ihn zu einem Bekenntnis drängen könnte, gleich wieder herausnimmt; sondern das stille Lächeln, das regelmäßig von seinem Gesicht Besitz ergreift, fast immer am Ende einzelner Szenen, als ein Nachsatz, ein Epilog, reflexhaft, fast mechanisch. Ein Lächeln oder ein Grinsen? JRs infernalische Bosheit scheint Letzteres nahe zu legen, aber für mich ist das trotzdem eher ein Lächeln, weil es nicht angeberhaft nach außen, sondern nach innen gerichtet ist.

Tuesday, January 23, 2018

Bobby

Der Kern von Dallas ist eine dunkle Negativität, vor der nichts und niemand sicher ist. Verkörpert wird sie nicht von JR, sondern von Bobby, dem aufrechten Schönling mit der voluminösen Frisur. Der unbedingte Wille zur Macht ist in ihm gepaart mit einer beispiellosen Selbstkontrolle. Aber was kontrolliert diese Kontrolle? Bobby ist eben kein Triebmensch, der sich zurückhalten muss, er lebt exakt das Leben, das er leben will. Wenn man sagt: Bobby hat sich unter Kontrolle, dann ist das bloß wörtlich zu verstehen - er setzt seine körperlichen und geistigen Fähigkeiten bewusst ein. Das beginnt bei der Körperlichkeit: Seine Bewegungen sind artifiziell und überkontrolliert, aber gleichwohl elegant, seine Haltung ist statuesk, ohne je ins Manieristische umzuschlagen. Wenn Bobby das Handtuch am Beckenrand ablegt, in den Pool springt und mit kräftigen Zügen auf seine Frau Pam zuschwimmt, dann ist das eine Bewegungsstudie von klassischer Schönheit. Selbst seine stets etwas gepresste und allzu schnell hörbar genervte Stimme behält ein melodisches Gleichmaß. Bobby ist mit sich und der Welt, die ihn umgibt, in jedem Moment im Reinen. Gerade das macht ihn so gefährlich.

Friday, January 19, 2018

Ray

Anfangs hatte Ray seinen Hut stets abgenommen, wenn er sich, zumeist gleichzeitig lächelnd und jeden einzelnen Schritt zögerlich abwägend, einem Mitglied der Ewing-Familie genähert hatte. Eine Geste der Unterwerfung zwar, aber eine, die ihm gleichzeitig Sicherheit und Stabilität verlieh. Die Hand mit Hut vor der Körpermitte, als eine Art Schild, das ihm die Ewing-Psychosen vom Hals hält. Die ihn freilich dann umso schlimmer treffen, wenn er durch ein etwas fahriges Drehbuchmanöver in die Familie hineingeholt wird. Er kann den Hut nun nicht mehr abnehmen, da er zumindest pro forma auf Augenhöhe mit den anderen Hauptfiguren agiert. Das lähmt ihn, er weiß nicht, wie er sich jetzt, mit zwei freien Händen, bewegen soll, wie er sich in den Ewing-Räumen anders denn als Zuarbeiter und geduldeter Gast verhalten kann. Rays Langsamkeit ist nicht mehr als texanische Höflichkeit und Übervorsichtigkeit lesbar, schon gar nicht als entspannte Sexyness (inzwischen unvorstellbar, und längst nicht nur aufgrund des Inzest-Tabus, dass er zu und vor Beginn der Serie der Liebhaber gleich mehrerer Ewing-Frauen war), sondern nur noch als eine einzige, allumfassende Selbstblockierung. Wenn er betrunken und selbstmitleidig auf dem Sofa liegt, hat man das Gefühl, einen gefällten Baum im Wald beim Vorsichhinmodern zuzusehen. Geblieben ist sein ewiges Lächeln, das aber längst etwas Maskenhaftes bekommen hat.

Thursday, January 11, 2018

Pilgrimage, John Ford, 1933

There might be some earlier Ford films (JUST PALS and THREE GODFATHERS, especially), which are stronger works on their own terms, but for me, this is where it finally all flows together. The crushing force of public opinion and, necessarily opposed to it, the proud insistence on individual sorrow. The rejection of moralist stances of any kind. The elevation of myth over truth not as a function of ideology, but of psychology.

And, above all, the visual textures: The pictorialism no longer feels derivative, but is thoroughly bound to Ford's eternal, unresolvable investigations into ambiguities and paradoxes - the idyllic nature scenes at the start already being shot through with premonitions of decay and death. And the solid narrative flow almost constantly being offset by the gestrural precision of the actors: Hannah Jessop's way of vehemently, almost aggressively feeding her chicken tells you all you need to know about her.

Monday, January 01, 2018

lists 2017

10 new films (alphabetically)


A Bride for Rip van Winkle (Shunji Iwai)
Bickels [Socialism] (Heinz Emigholz)
Contes de juillet (Guillaume Brac)
Dalida (Lisa Azuelos)
Detroit (Kathryn Bigelow)
Les sept déserteurs ou La guerre en vrac (Paul Vecchiali)
Madame Hyde (Serge Bozon)
Song to Song (Terrence Malick)
The Sleep Curse (Herman Yau)
Western (Valeska Grisebach)


10 old films (alphabetically)


Days of Glory (Jacques Tourneur)
Deaf Mute Heroine (Wu Ma)
Eva Nera (Joe D’Amato)
Große Freiheit Nr. 7 (Helmut Käutner)
Il Bacio di Tosca (Daniel Schmid)
Lac aux dames (Marc Allegret)
Lumiere d’ete (Jean Gremillon)
Tauchfahrt ins Verderben (Bruno Sukrow)
The Club (Kirk Wong)
Tour Eifel (Rainer Knepperges, Christian Mrasek)


6 analog film screenings


Alpha City (Eckhart Schmidt) 35mm, 8.4., Filmclub 813 Köln
As Without So Within (Manuela de Laborde) 16mm, 22.5., Videoex Zürich
The River Fuefuki (Keisuke Kinoshita) 35mm, 9.6., Filmmuseum Wien
La notte dei serpenti (Giulio Petroni) 35mm, 30.7., Filmmuseum Frankfurt
Wichita (Jacques Tourneur) 35mm, 6.8., GranRex Locarno
Knightriders (George A. Romero) 35mm, 22.12.,  Cinematheque Francais


1 digital film screening

PROTOTYPE (Blake Williams) DCP 3D, 3.8., PalaCinema, Locarno