Eine kleine Theorie des Kinos entwirft das Musical Million Dollar Mermaid (1952; Regie Mervyn LeRoy) an einem Strand bei Boston. Der Film zeichnet die Karriere des australischen Schwimm- und Filmstars Annette Kellerman, im Film gespielt von ihrer popkulturellen Erbin, dem amerikanischen Schwimm- und Filmstar Esther Williams, nach. Zentral geht es in Million Dollar Mermaid um die Popularisierung und Kommerzialisierung einer Körperlichkeit, die stets gleichzeitig sportlicher und erotischer Natur ist und die ihre spektakulärste Ausprägung in der letzten halben Stunde des Films in einer Reihe von Wasserballettnummern - Choreographie: Busby Berkeley - erhält. Hier hat sich der Körper ganz und gar in visuelle Attraktion, beziehungsweise in sein eigenes Bild verwandelt.
Mindestens ebenso interessant ist jedoch eine weniger exzessive Szene früher im Film, eben jene am Bostoner Strand. Wir befinden uns noch am Beginn von Kellermans Karriere - und, historisch gesehen, im frühen zwanzigsten Jahrhundert, in einer Zeit, in der sich das Prinzip der spektakulären Körperlichkeit noch nicht voll entfaltet hat. Die Badegäste sind altmodisch-züchtig gekleidet, gemäß einer puritanischen Körperfeindlichkeit; die Männer zeigen immerhin an den Knien und Armen Haut, die Frauen bedecken bis aufs Gesicht alles. Kellerman wird, wenn sie den Strand betritt, buchstäblich zur Botschafterin des Neuen, beziehungsweise konkreter: Sie wird zur Botschafterin des One-Piece-Bathing-Suit, in dem sie an der Seite ihres Managers/Promoters James Sullivan (Victor Mature), der ihr Auftauchen bewusst als Provokation geplant hat, über den Sand stolziert.
Noch nicht einmal in voller Pracht. Sullivan hat Kellerman eine Art Cape umgehängt - um den kalkulierten Aufruhr in Grenzen zu halten, beziehungsweise um die körperliche Unversehrtheit seines Schützlings zu gewährleisten. Zur neuen Ordnung des spektakulären Körpers gehört schließlich auch ein Verhaltenskodex, der auf der Trennung von Blick und Aktion beruht: Anschauen ist erlaubt, Anfassen nicht. Freilich ist das Cape vorne offen und gibt den Blick auf die nackten Beine der Sportlerin freigibt. Diese Beine sind es, die zur eigentlichen Triebkraft des Neuen werden. Ihre rhythmischen, kraftvollen Bewegungen verändern die Welt, transformieren sie von einer statischen in eine dynamische Ordnung.
Der Wandel wird direkt im Bild nachvollzogen. Wenn Kellerman und Sullivan den Strand betreten, sind sie erst einmal nur Teil einer Strandtotalen. Aus dem Hintergrund des Bildes bewegen sie sich nach vorne, auf die zunächst noch unbewegte Kamera zu, und in dem Maße, in dem die beiden filmisch von ihrer Umgebung isoliert, zum dominierenden Element der Einstellung werden, verwandelt sich ihr Auftritt in einen Skandal. Sind die Irritationen zunächst nur auf der Tonspur wahrnehmbar, als eine langsam anschwellende Empörungskakophonie, so werden die anderen Strandbesucher_innen, wenn Kellerman und Sullivan damit beginnen, sich den Bildraum selbstbewusst anzueignen, in eine zunehmend auch sichtbare, motorische Unruhe versetzt. Sie drehen sich zu den beiden um, springen auf, einige beginnen, ihnen zu folgen.
Sobald die beiden im Zentrum des Bildes angekommen sind, beziehungsweise in einer Halbtotalen, die insbesondere Kellerman in voller Größe, von Kopf bis Fuß, vermisst, setzt sich auch unser Blick in Bewegung. Zunächst fährt die Kamera einige Sekunden vor den beiden her, lässt sich sozusagen mitreißen vom allgemeinen Vorwärtsdrang, dann folgen Aufnahmen der zunehmend agitierten Umgebung. Zwei Einstellungen lang befinden wir uns sozusagen in dem Strudel, den die skandalöse Körperlichkeit auslöst. Zwei Einstellungen lang schlingert die Kamera an Badegästen vorbei, die, wie durch einen Zaubertrick aktiviert, in Richtung Kellerman blicken und streben.
Doch der entscheidende Schnitt kommt erst noch: ein Sprung in die Nahaufnahme, der auf Kellermans Beine fokussiert. LeRoy filmt das von der Seite, die Kamera schwebt also parallel zu ihren Schritten über den Boden. Ganz direkt wird die Körperbewegung Antriebskraft des filmischen Bildes. Gleichzeitig betont das enge Framing der Einstellung den gleichförmigen, mechanischen Aspekt dieser Bewegung. Die Beine sind nicht mehr Teil eines autonomen Körpers, sondern werden zu zwei organischen Kolben, zu Teilen, beziehungsweise zum Kraftmoment einer Maschine, die alle anderen Körper zu bloßen Zuschauern und Reagierenden degradiert.
Beziehungsweise, und hier kommt endlich die kleine Theorie des Kinos ins Spiel: Die Beine werden zu jenem Mechanismus, der in analogen Filmprojektoren den Film zum Erscheinen bringt und der historisch erst die technisch-sozialen Voraussetzungen für die Spektakularisierung des Körpers geschaffen hat. Esther Williams’ Beine sind, anders ausgedrückt, mindestens für die Dauer dieser Nahaufnahme gleichzeitig spektakulärer Inhalt und technoökonomisches Formprinzip des Bildes. In der Kombination aus Zirkularität und Voranschreiten ähnelt ihre Bewegungsform jenem System von Zahnrädern und Riemen, das dafür sorgt, dass der Filmstreifen 24mal in der Sekunde weitertransportiert, aber auch 24mal in der Sekunde wieder zum Stillstand kommt. Ein Zyklus, der sich einerseits streng mechanisch wiederholt, der aber andererseits gerade nicht in Stillstand resultiert, sondern permanent Fortschritt und Veränderung produziert, Schritt für Schritt, Bild für Bild.
Mindestens ebenso interessant ist jedoch eine weniger exzessive Szene früher im Film, eben jene am Bostoner Strand. Wir befinden uns noch am Beginn von Kellermans Karriere - und, historisch gesehen, im frühen zwanzigsten Jahrhundert, in einer Zeit, in der sich das Prinzip der spektakulären Körperlichkeit noch nicht voll entfaltet hat. Die Badegäste sind altmodisch-züchtig gekleidet, gemäß einer puritanischen Körperfeindlichkeit; die Männer zeigen immerhin an den Knien und Armen Haut, die Frauen bedecken bis aufs Gesicht alles. Kellerman wird, wenn sie den Strand betritt, buchstäblich zur Botschafterin des Neuen, beziehungsweise konkreter: Sie wird zur Botschafterin des One-Piece-Bathing-Suit, in dem sie an der Seite ihres Managers/Promoters James Sullivan (Victor Mature), der ihr Auftauchen bewusst als Provokation geplant hat, über den Sand stolziert.
Noch nicht einmal in voller Pracht. Sullivan hat Kellerman eine Art Cape umgehängt - um den kalkulierten Aufruhr in Grenzen zu halten, beziehungsweise um die körperliche Unversehrtheit seines Schützlings zu gewährleisten. Zur neuen Ordnung des spektakulären Körpers gehört schließlich auch ein Verhaltenskodex, der auf der Trennung von Blick und Aktion beruht: Anschauen ist erlaubt, Anfassen nicht. Freilich ist das Cape vorne offen und gibt den Blick auf die nackten Beine der Sportlerin freigibt. Diese Beine sind es, die zur eigentlichen Triebkraft des Neuen werden. Ihre rhythmischen, kraftvollen Bewegungen verändern die Welt, transformieren sie von einer statischen in eine dynamische Ordnung.
Der Wandel wird direkt im Bild nachvollzogen. Wenn Kellerman und Sullivan den Strand betreten, sind sie erst einmal nur Teil einer Strandtotalen. Aus dem Hintergrund des Bildes bewegen sie sich nach vorne, auf die zunächst noch unbewegte Kamera zu, und in dem Maße, in dem die beiden filmisch von ihrer Umgebung isoliert, zum dominierenden Element der Einstellung werden, verwandelt sich ihr Auftritt in einen Skandal. Sind die Irritationen zunächst nur auf der Tonspur wahrnehmbar, als eine langsam anschwellende Empörungskakophonie, so werden die anderen Strandbesucher_innen, wenn Kellerman und Sullivan damit beginnen, sich den Bildraum selbstbewusst anzueignen, in eine zunehmend auch sichtbare, motorische Unruhe versetzt. Sie drehen sich zu den beiden um, springen auf, einige beginnen, ihnen zu folgen.
Sobald die beiden im Zentrum des Bildes angekommen sind, beziehungsweise in einer Halbtotalen, die insbesondere Kellerman in voller Größe, von Kopf bis Fuß, vermisst, setzt sich auch unser Blick in Bewegung. Zunächst fährt die Kamera einige Sekunden vor den beiden her, lässt sich sozusagen mitreißen vom allgemeinen Vorwärtsdrang, dann folgen Aufnahmen der zunehmend agitierten Umgebung. Zwei Einstellungen lang befinden wir uns sozusagen in dem Strudel, den die skandalöse Körperlichkeit auslöst. Zwei Einstellungen lang schlingert die Kamera an Badegästen vorbei, die, wie durch einen Zaubertrick aktiviert, in Richtung Kellerman blicken und streben.
Doch der entscheidende Schnitt kommt erst noch: ein Sprung in die Nahaufnahme, der auf Kellermans Beine fokussiert. LeRoy filmt das von der Seite, die Kamera schwebt also parallel zu ihren Schritten über den Boden. Ganz direkt wird die Körperbewegung Antriebskraft des filmischen Bildes. Gleichzeitig betont das enge Framing der Einstellung den gleichförmigen, mechanischen Aspekt dieser Bewegung. Die Beine sind nicht mehr Teil eines autonomen Körpers, sondern werden zu zwei organischen Kolben, zu Teilen, beziehungsweise zum Kraftmoment einer Maschine, die alle anderen Körper zu bloßen Zuschauern und Reagierenden degradiert.
Beziehungsweise, und hier kommt endlich die kleine Theorie des Kinos ins Spiel: Die Beine werden zu jenem Mechanismus, der in analogen Filmprojektoren den Film zum Erscheinen bringt und der historisch erst die technisch-sozialen Voraussetzungen für die Spektakularisierung des Körpers geschaffen hat. Esther Williams’ Beine sind, anders ausgedrückt, mindestens für die Dauer dieser Nahaufnahme gleichzeitig spektakulärer Inhalt und technoökonomisches Formprinzip des Bildes. In der Kombination aus Zirkularität und Voranschreiten ähnelt ihre Bewegungsform jenem System von Zahnrädern und Riemen, das dafür sorgt, dass der Filmstreifen 24mal in der Sekunde weitertransportiert, aber auch 24mal in der Sekunde wieder zum Stillstand kommt. Ein Zyklus, der sich einerseits streng mechanisch wiederholt, der aber andererseits gerade nicht in Stillstand resultiert, sondern permanent Fortschritt und Veränderung produziert, Schritt für Schritt, Bild für Bild.
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