Friday, November 28, 2025

Gegenwartsliteratur, ein Sample (18)

Freiheitsgeld, Andreas Eschbach. Der Protagonist im neuen Pynchon heißt Hicks McTaggart, einfach weil Pynchon das so will; Andreas Eschbach hingegen macht jede Menge Aufhebens um die Tatsache, dass seine eigene Hauptfigur nicht Achim, sondern Ahmad Müller heißt. Beziehungsweise: er macht Aufhebens drum, wie wenig Aufhebens er drum macht, weil er ja künftige Normalität beschreiben will. Brave Exploration von soziodemografischen Entwicklungstendenzen: das und kein Jod mehr ist Science Fiction bei Eschbach. Allzu viel hat sich eh nicht verändert in dieser bloß projizierten (keineswegs: fabulierten) Zukunft, beruhigt uns das Buch gleich mehrmals. Immer wieder findet sich im Verlauf des für sich selbst okayen Spannungsplots außerdem Gelegenheit, Wissenslücken bezüglich der fiktionalen Timeline zu schließen. Lesen Sie doch im Folgenden, schlägt mir das Buch vor, ein seitenlanges Interview mit einem Politiker, der die Ereignisse der letzten 30 Jahre zusammenfasst! Ja gut, ich mach's, aber garantiert nur einmal in diesem Leben und nur weil ich mich nunmal auf dieses Sample-Spiel eingelassen habe. Amüsant immerhin: dass Frauen andauernd Sex wollen bei Eschbach, überhaupt sind die leichten Anflüge von Kink zwischendurch noch das Beste dran.


Identitti, Mithu M. Sanyal. Okay als screwball comedy I guess. Und auch ein bisschen als soap opera. Meine initiale Totalgenervtheit weicht jedenfalls bald einem gnädigeren Lektüremodus, der sich an den barockeren Aspekten des Buches erfreut, den Social-Media-Interludes, den Lifestyle-Kauzigkeiten lotter-akademischer Provenienz, auch an den zwischendrin eingeflochtenen und schön auf Krawall gebürsteten Liebes- und Sexeskapaden. Viel Lärm um Nichts: Das wäre die positive Lesart, aber mir ist da doch zuviel berechnendes something im Film. Allzu passgenau zusammenkonstruiert ist insbesondere die Dolezal-Wiedergängerin im Zentrum des letztlich scheint mir doch nicht allzu wirklichkeitssatt entworfenen Skandals (zumindest ist das Setting des Buches, dafür kann es natürlich erst einmal nichts, in ziemlich kurzer Zeit ziemlich schlecht gealtert), aber auch das sonstige Umfeld der Erzählerin wirkt arg "gebaut". Der Effekt ist eine ziemlich felsenfeste diskursive Verankerung der Erzählperspektive, die die behauptete ideologisch-identitäre Bedürftigkeit Niveditas ebenso konterkariert wie die referierten dekonstruktivistischen Denkmuster. Sicherlich kann man das Argument an dieser Stelle noch ein-, zweimal weiter drehen und etwa das Verlangen nach einem insbesondere moralisch stabilen Koordinatensystem als eine Kompensationsleistung lesen, die auf existenzielle Verletzlichkeit verweist... aber das Problem bleibt, aus meiner Sicht, dass Sanyals Text letztlich literarisch nicht funktioniert. Weil er die übervorsichtige Konstruiertheit (oder auch: sein mangelhaftes Vertrauen in die eigene Fiktion) unter einem Wirbelsturm der (meta-)textuellen Oberflächen zu verbergen versucht; und auch den schon immer wieder durchschimmernden sensualistischen Qualitäten der Prosa wenig Raum zur Entfaltung lassen.

 

Kurzmitteilung, Navid Kermani. Sich nachträglich in ein fremdes Leben hineinschreiben zu wollen ist das eine; nicht zu wissen und auch gar nicht wissen zu wollen, woher dieses Verlangen kommt, etwas ganz anderes. Was mich an dem Buch nachhaltig fasziniert ist Letzteres: die Reflexionsschranken, die Denken und Handeln des Erzählers bestimmen. Nicht unbedingt: einschränken. Vielleicht ermögliche sie ganz im Gegensatz manches; nicht zuletzt machen sie es möglich, einigermaßen fasziniert mit den Augen eines ziemlichen Unsympathen auf die Welt zu blicken. Wobei mir das Buch besser gefällt, solange der Erzähler seine Arschlochhaftigkeit auf eher unspektakuläre, vor allem folgenlose Art und Weise entfaltet. Wer denkt nicht selbst mal menschenfeindliches Zeug zusammen, wenn der Tag lang und das Land, in dem man lebt (ein ziemlich starkes Buch über das Unbehagen an Deutschland ist das ganz nebenbei und angenehm unaufdringlich auch), öde ist? Gegen Ende schlägt die Misanthropie, vor allem in Form einer ziemlich ekligen Sexszene, um in einen Exzess abjekter Männlichkeit, von dem man sich dann doch wieder recht leicht distanzieren kann. Wenn nicht muss. Da bin ich dann kurz raus, bevor mich die wirklich überraschende und wagemutige finale Volte wieder einfängt.

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