Monday, June 08, 2009

Route One USA, Robert Kramer, 1989

Einige wenige Sätze zu einem im besten Sinne wahnsinnigen Film, der das Abschließende nicht nur nicht sucht, sondern dem alles Abschließende äußerlich ist. Wenn der Film eine Funktion wäre, dann eine mit einer Unbekannten zuviel. Nicht aus Lust an der Verrätselung oder aus irgendwie theoretischen Gründen ("macht den Objektivismus kaputt!") ist der Film, wie er ist, sondern als logische Folge der Konstellation, aus der er entstanden ist (hier schreibt Paul McIsaac ein wenig über diese Entstehung, das Buch, das dieser kurze Text ankündigt, scheint bisher nicht erschienen zu sein und das ist eine Schande). Beziehungsweise einfach auch als logische Folge der Konstellation, die Kramer selbst entwickelte und zum Programm seines Films machte (ebenso wie der Antiamerikanismus, den man in Route One USA vielleicht sehen kann, wenn überhaupt nur einer ist, der entsteht, wenn einer das Programm "Amerika" beim Wort nimmt und mit dem Ergebnis vergleicht). Am Ende, in Florida, findet der Film ein schönes Bild (unter vielen) für diese Konstellation: ein Boot auf dem Fluss, durch ein schweres Seil verbunden mit einem zweiten Boot. Die Strömung wirft die Schiffe in unterschiedliche Richtungen, durch das Seil, das sie verbindet, hat jede Bewegung auf dem einem Boot Einfluss auf das jeweils andere. Nicht nur Strömung plus Boot, sondern Strömung plus Boot plus Boot. Die Kamera fährt mit auf dem einen Boot und beobachtet: einen chaotischen Prozess; wie ein Doppelpendel...
Im Film heißt das: nicht nur Kramer und Amerika - Kramer und Pat Robertson, Kramer und Hexen in Salem, Kramer und Thoreau, Kramer und Monopoly, Kramer und Fratz Fanon (ja, auch Fanon hat etwas beizutragen zu diesem Amerika), Kramer und die "Sheer Willpower" Jesse Jacksons, Kramer und die "Sheer Willpower" des Anwalts, der das Elend seiner Klienten vergessen möchte, Kramer und eine dritte "Sheer Willpower", die ich nicht mehr ganz genau zuordnen kann, die aber, glaube ich, der AIDS-Aktivistin gehört, die auch über Fanon redet - sondern Kramer und Doc aka Paul McIsaac und Amerika. Doc liest am Anfang, nachdem er und Kramer aus dem europäischen Exil kommend in die alte Heimat zurückkehren (halt: nicht wie in die Heimat möchte er in dieses Land zurückkehren, sagt Doc) einige Zeilen Walt Whitman und erklärt, er wolle diese Zeilen mit auf den Weg nehmen, weil sie von dem Amerika sprechen, das er liebt und das andere läge jetzt vor ihnen. Und bis zum Schluss wird man nicht so recht wissen, wie genau sich Pathos und Ironie in der Whitman-Deklamation zueinander anteilig verhalten. Man weiß nie zur Gänze bei Docs Ergüssen wie im ganzen Film, was man als Eigentliches, was als Uneigentliches zu nehmen hat, genauso wenig wie man wahrscheinlich selbst als Kramer-Kenner (ich bin keiner, will aber seit gestern Abend unbedingt einer werden) nie ganz genau wissen kann, wo genau die autobiografischen Momente aufhören und wo die Dichtung beginnt. Doc ist Kramers Erfindung und die Erfindung des Films, doch Docs Aktionen und seine halbfiktionale Biografie schlagen zurück auf diesen Film, verändern ihn, treiben ihn in neue Richtungen (als Doc den Film abrupt - bei der Rasur - zu verlassen beschließt, sucht Kramer alleine ganz eigene Bilder und Menschen, unter anderem porträtiert er eine kleine Gruppe von Afroamerikanern, die im Nirgendwo ein Gebäude mauern und darüber reden, wie schön und wichtig die Einsamkeit ist und wie schön und wichtig es ist, dass einem gewisse Leute in der Einsamkeit einfach egal sein können und man merkt Kramers Kamera an, dass sie sich diesen Menschen von allen, die sie trifft im Film, am nächsten fühlt). Was daraus entsteht, ist nicht das "demokratische", "offene" Filmen im Newsreel-Kollektiv, über das McIsaac im oben verlinkten Text auch schreibt, sondern ein hochgradig kontrolliertes, durchaus auch hierarchisierter Verfahren (ein Verfahren sicher auch, das genau weiß um die Widersprüche des politisch-interventionistischen Films, ein Verfahren, das den Privatismus eher bewusst verdoppelt und spiegelt, als ihm ernsthaft entkommen zu wollen). Hochgradig kontrolliert allerdings ist nur der Versuchsaufbau, die Konstellation (das Doppelpendel), nicht das Ergebnis (denn ein Film ist kein Doopelpendel).
Den Film über seine Konstellation zu beschreiben, ist ein naheliegender Einsatzpunkt, aber vielleicht auch ein gefährlicher, weil er die Inhalte zu unterschlagen droht, an denen sich die Konstellation abarbeitet. Selbst wenn man die gesamte Vorgeschichte, das Autobiografische als Selbstreflektion der Überreste der radikalen Linken auf der Seite der Konstellation, des Versuchaufbaus veranschlagt, so bleibt immer noch jede Menge Material übrig (durchaus im Sinne des Heise-Films). Denn das eigentlich interessante ist natürlich, was passiert, wenn die Konstellation auf einen Gegenstand trifft. (Genau wie in anderen großen Dokumentarfilmen, die sich zunächst über ihre Konstellation zu definieren scheinen, beispielsweise in Kazuo Haras unglaublichem Yuki yukite shingun).
Insbesondere ist da die herzzerreißende Studie der Stadt Bridgeport (Connecticut) in der Mitte des Films, eine Studie, die lang genug wäre, um als eigenständiger Film durchzugehen. Eine heruntergekommene Industriestadt, die an das Baltimore von The Wire erinnert: die Backsteingebäude, die Resignation der Institutionen, die energischen (und hier in die Kamera lachenden) Kinder auf der Straße. Route One USA ist nicht The Wire, will keine (Re-)Konstruktion des Sozialen gewinnen aus Bridgeport. Route One USA blickt immer schon auf die Trümmer des Sozialen und das, was aus diesen Trümmern bestenfalls entstehen kann, ist nicht systemisch oder (re-)konstruktiv, sondern halluzinatorisch, traumartig. In einer der größten Szenen des Films überlässt Doc das Feld dem jungen, schwarzen Politiker (oder ist auch der ein Schauspieler?) Cecil Young, der Kramer durch das Rathaus führt und euphorisierend in die Kamera spricht, über den (amerikanischen) Traum, den er leben möchte als einer, der einst als Dealer von der Polizei gejagt wurde und der jetzt auf der Schwelle zur politischen Macht steht. Er redet sich selbst in einen Rausch und als er das Rathaus verlässt, bleibt die Kamera innen zurück und die Tür fällt hinter ihm ins Schloss.

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