Thursday, June 30, 2011

Pursued, Raoul Walsh, 1947

Ich kannte bisher nur zwei Walsh-Filme: They Drive by Night und The Roaring Twenties, zwei ausgezeichnete Filme, doch wie gut Walsh wirklich ist, habe ich erst jetzt erkannt. Vielleicht auch, weil Pursued mein erster Walsh im Kino war. Die Geschichte, die Pursued erzählt, ist, wenn man von der Amalgamierung des Westerns und des Film Noir absieht, nicht wirklich außergewöhnlich; ein schon eher trashiges Melodram mit freudianischen Untertönen, das nicht immer besonders viel Sinn ergibt, vor allem, was die Motivation der beiden weiblichen Hauptfiguren angeht. Robert Mitchum spielt einen Farmer, der als Kind adoptiert wurde, sich in seine Adoptivschwester verliebt und mit seinem Adoptivbruder in Konkurrenz tritt. Schnell wird klar, dass die Adoptivmutter mehr über seine Vergangenheit weiß, als sie ihm und den Zuschauern mitteilen möchte.
Walshs Inszenierung verwandelt ein mittelmäßiges Skript in ein Meisterwerk. Ich kenne wenige Hollywoodregisseure, die den Bildraum derart brillant kontrollieren wie Walsh es in Pursued tut. Es gibt keinen toten Raum in diesen Bildern, die gesamte Breite und Höhe der Leinwand ist sinnhaft besetzt. Wenn Robert Mitchum vor seiner Ziehmutter kniet und dann aufsteht, folgt ein Schnitt, der aufgerichtete Mitchum benötigt ein anderes Framing als der kniende. Elegante Schnitte und exakte, dynamische Reframings gibt es im gesamten Film, die fast schon unglaublichen Actionszenen wären eine eingehendere Analyse und einen eigenen Blogpost wert. Klassische Schuss-Gegenschussaufnahmen gibt es sehr selten, der Film bevorzugt komplexere Inszenierungsformen (ohne jemals auch nur ein wenig prätentiös zu werden, da ist auch nie etwas bloß pittoreskes), mal gibt es silhouettenartige Effekte (eine Figur steht im Vordergrund, "schneidet" eine Passform aus dem Bild heraus), oft drängt sich eine dritte Person in die Komposition. Mitchum und sein Kontrahent John Rodney stehen dann zum Beispiel an den Bildrändern einander gegenüber, ihre massiven, stillgestellten Körper begrenzen das Bild wie zwei Säulen, dazwischen bewegt sich Theresa Wright (die den sonderbaren Namen Thor trägt und trotz der absurden Dinge, die das Drehbuch ihr zu tun vorschreibt, ziemlich toll ist, mit ihren kleinen, harten Falten und die Augen, mit ihren strengen Blusen, die manchmal von einem weißen Band, manchmal von einer schwarzen Schleife zusammengehalten werden). Oder auch: Mitchum steht rechts im Bild vor dem Fenster, durch das Wright in Wut eine Münze geworfen hat, er blickt in Richtung des aufgeplatzten Fensters, sie taucht links im Bild in der Tür auf, blickt auf ihn, es entsteht eine sonderbare Dreiecksstruktur, in der bereits die gesamte Liebesgeschichte zwischen den beiden vorgezeichnet scheint.
Sehr wichtig ist dem Film der Unterschied zwischen Innen und Außen. Genauer: ein Drang von innen nach außen, der gleichzeitig einer der Regie und einer der Mitchum-Figur ist. Mitchum und Wright stehen am Fenster und blicken hinaus. Ihr genügt es, innen zu stehen und den Mond vom Wohnzimmer aus zu betrachten. Schon das ist fast zu viel, ihr friert, sie holt sich einen Schal; als sie zurückkehrt, rauschen die Vorhänge im Wind, Mitchum hat es nicht drinnen gehalten, er steht vor dem Haus, in der Freiheit. Die Dynamik setzt sich fort, immer wieder drängt und lockt er sie heraus, immer wieder bittet und trickst sie ihn hinein. Auch der Film fühlt sich in den Wohnzimmern, die er mit sehr viel Bedacht einrichtet, nicht wohl. In den Innenszenen ist der Bildraum oft von mehreren Lampen begrenzt. Die Lichtquellen bedrohen die Figuren, zingeln sie ein, nehmen sie gefangen. Wenn man ihnen zu lange ausgesetzt ist, muss man einfach verrückt werden. Es ist sicherlich kein Zufall, dass Wright, als sie eigentlich Mitchum erschießen will, statt dessen eine dieser Lampen trifft; unwillkürlich hat sie erkannt, was ihr das Leben zur Hölle macht: nicht der Cowboy mit dem schläfrigen Gesicht, sondern die bürgerliche Welt, in die sie ihrerseits über weite Strecken des Films mit aller Macht hineindrängte. Jetzt erst kann sie sowohl die weiße als auch die schwarze Beengung um ihren Hals ablegen. (Erst recht ist es kein Zufall, dass der Film nicht innen, sondern außen endet, mit einem Bild, das an Fords Stagecoach erinnert. Wie ernst kann man dieses Bild bei Walsh nehmen? Wieviel hängt davon ab, wie ernst man es nehmen kann?)
Es ist nicht nur ein romantischer Begriff von Freiheit, der sich in den beschriebenen Techniken und Szenen artikuliert. Dahinter steht eine radikale politische Position. Während John Ford an den grundsätzlichen Wert der Gesellschaft, deren Versagen er immer wieder betrauert, durchaus noch glaubt, ist Pursued im Kern ein anarchistischer Film. Die bürgerliche Ordnung, die sich bereits weitgehend verfestigt hat (der einzige Fluchtpunkt außerhalb derselben, der dem Film bleibt, ist eine einsame Hütte in der Prärie), ist selbst in ihren euphorischen Momenten ein Unterdrückungszusammenhang: Wenn Mitchum als Kriegsheld in seine Heimatstadt zurückkommt, umringt ihn eine jubelnde Menge, die ihn mit mehreren Lassos bewirft und einfängt. Das ist das Bild von Geseellschaft, das der Film zeichnet; auch das von Familie: Wenn Mitchum erkennt, dass Wright ihn heiraten möchte, ist er bereit, das "crazy game" der bürgerlichen Eheschließung mitzuspielen. Wo im Kino hätte jemals ein "Just Married"-Schild derart gloomy und unglücksschwanger gewirkt wie in Pursued? Die Szene, in der die Jury sich berät, dabei eine "Teekanne" (=Whiskeyflasche) kreisen lässt und am Ende den auch tatsächlich unschuldigen Mitchum freispricht, könnte auch in einem Ford-Film autauchen. Allerdings würde Ford die Szene niemals in derselben Art filmen. Die Männer lassen die Flasche kreisen, tauschen sich über den Fall aus und werden schließlich von einer Autoritätsfigur am Kopfende des Tischs zur Ordnung gerufen. Walsh zeigt das Gespräch der Männer in einer beengenden, brutalen Totalen, von schräg oben, bei schwacher Beleuchtung; tumbe Säufer, die sich in fahle Lichtbündel auflösen. Am Ende der Beratung mag zwar die richtige Entscheidung stehen, es ist aber eindeutig die falsche Welt, in der entschieden wird.

1 comment:

lx22 said...

Schöner Text.