Wednesday, February 22, 2012

Death Row, Werner Herzog, 2012

Lange war ich mir nicht sicher, aber im letzten der vier Abschnitte war sie unübersehbar: Die Reflektion des Gesichts Werner Herzogs auf der Glasscheibe, die ihn, den Interviewer, von seinen Gesprächspartnern, den Todeskandidaten in den texanischen und floridanischen Gefängnissen. Ich kenne mich mit so etwas nicht aus, aber ich nehme an, dass man an der Filmhochschule schon im ersten Semester Kamera lernt, wie man so etwas vermeidet, wie man also korrekt und reflektionsfrei durch Glasscheiben hindurchfilmt. Zufall oder Missgeschick kann es wohl kaum sein, dass sich der Kopf des Regisseurs Herzog als Gesiterbild in die Fernsehserie Death Row einschreibt. Erst recht nicht, weil das Interview genau aus einem solchen Winkel gefilmt ist, dass sich das Geistergesicht und das Gesicht des Interviewten überlagern. Nicht aufdringlich, dazu bleibt die Spiegelung zu schwach und unstet, doch als ich das einmal bemerkt hatte, konnte ich es nicht mehr nicht sehen: Wie der Regisseur, der sonst in seinen Dokumentarfilmen meist ganz hinter seiner prägnanten Stimmen verschwindet, sich hier seinem eigenen Film in einer Identifikation mit den Todgeweihten körperlich aufprägt, wie ihm das dann noch dazu gerade mithilfe einer Glasscheibe gelingt, die eigentlich dazu dienen sollte, eben diese Menschen aus der Welt auszugrenzen, zu isolieren.

Monday, February 20, 2012

Berlinale 2012 ranking: final

***** The Girl with a Hatbox (Boris Barnet) Retrospektive
***** Between Yesterday and Tomorrow (Yuzo Kawashima) Forum
***** Okraina / The Outskirts (Boris Barnet) Retro
***** Storm Over Asia (Pudovkin) Retrospektive
***** The Bridges of Madison County (Clint Eastwood) Hommage
***** Dwa okeana / Two Oceans (Vladimir Shnejderov) Retrospektive
***** Ornette: Made in America (Shirley Clarke) Forum
***** 12 Sisters (Ly Bun Yim) Forum
***** Gorizont / Horizon (Lev Kuleshov) Retrospektive
***** Kazoku no kuni (Yang Yonghi) Forum
***** Flying Swords of Dragon Gate (Tsui Hark) Wettbewerb
***** Gibel sensatii / The Loss of Sensation (Aleksandr Andriyevsky) Retrospektive
***** Revision (Philip Scheffner) Forum
***** Tabu (Miguel Gomes) Wettbewerb
***** Death Row (Herzog) Spezial
***** Barbara (Christian Petzold) Wettbewerb
***** Accidental Meeting (Sawtschenko) Retrospektive
***** Jenseits der Strasse (Leo Mittler) Retrospektive
***** Parabeton (Heinz Emigholz) Forum
***** Peov Chouk Sor (Tea Lim Koun) Forum
***** Jaures (Vincent Dieutre) Forum
***** Lawinen der Erinnerung (Dominik Graf) Forum
***** Captive (Brillante Mendoza) Wettbewerb
**** Song of Fishermen (silent version; Piscator) Retrospektive
**** Bestiaire (Denis Cote) Forum
**** Glaube Liebe Tod (Peter Kern) Panorama
**** Carlo's Vision (Rosalind Nashashibi) Forum Expanded
**** anders, Molussien (Nicolas Rey) Forum Expanded
**** Habiter/Construire (Clemence Ancelin) Forum
**** St. Jorgen's Day (Jakow Protasanow) Retrospektive
**** Nuclear Nation (Funahashi Atsushi) Forum
**** Espoir voyage (Michel K. Zongo) Forum
**** Aujourd’hui (Alain Gomis) Wettbewerb
**** Torn Shoes (Margarita Barskaja) Retrospektive
**** Fon tok kuen fah / Headshot (Pen-ek Ratanaruang) Panorama
**** The Golden Lake (Schnejderow) Retrospektive
**** Putyovka v zihn / Road to Life (Nikolai Ekk) Retrospektive
**** Arbeit (Duncan Campbell) Forum Expanded
**** Les adieux a la reine (Jacquot) Wettbewerb
**** Seeking the Monkey King (Ken Jacobs) Forum Expanded
**** The New Life (Scheljabuschski / Dmitriew) Retrospektive
**** Mommy's Coming (Cheryl Dunye) Panorama
**** La demora (Rodrigo Pla) Forum
**** Sleepless Knights (Stefan Butzmühlen / Christina Diz) Forum
**** Al juma al akheira / The Last Friday (Yahya Alabdallah) Forum
**** Just the Wind (Bence Fliegauf) Wettbewerb
*** Ledolom (Barnet) Retrospektive
*** The Snake Man (Tea Lim Koun) Forum
*** Um's tägliche Brot (Phil Jutzi) Retrospektive
*** Angriff auf die Demokratie (Romuald Karmakar) Panorama
*** Francine (Brian M. Cassidy / Melanie Shatzky) Forum
*** Olhe pra mim de novo (Claudia Priscilla / Kiko Goifman) Panorama
*** Man on Ground (Akin Omotoso) Panorama
*** Swoon (Tom Kalin) Forum
*** The Connection (Shirley Clarke) Forum
*** Sorok serdets / Forty Hearts (Lev Kuleshov) Retrospektive
*** Gasi / Choked (Kim Joong-hyun) Forum
*** No Man's Zone (Toshi Fushiwara) Forum
*** Postcards from the Zoo (Edwin) Wettbewerb
*** Tota lumea din familia noastra / Everybody in Our Family (Radu Jude) Forum
*** Tepenin ardi (Emin Alper) Forum
*** Die Lage (Thomas Heise) Forum
** Ang babae sa septic tank / Woman in the Septic Tank (Marlon Rivera) Forum
** Avalon (Axel Petersen) Forum
** Rentaneko (Naoko Ogigami) Panorama
** Le mer a l'aube (Volker Schlöndorff) Panorama
** The Woman Who Brushed Off Her Tears (Teona Strugar Mitevska) Panorama
** L'enfant d'en haut (Ursula Meier) Wettbewerb
* 10+10 (diverse) Panorama
* Cherry (Stephen Elliot) Panorama
* Spanien (Anja Salomonowitz) Forum
* Bugis Street (Yonfan) Panorama
* Formentera (Ann-Kristin Reyels) Forum
* Koini itaru yamai / The End of Puberty (Kimura Shoko) Forum

Saturday, February 18, 2012

Den Taviani-Film habe ich nicht gesehen, aber

Mein persönlicher Goldener Bär geht an jene Stummfilmpianistin, die nach Um's tägliche Brot von Phil Jutzi zu einer Zuschauerin, vermutlich auf ihr enthusiastisches Spiel angesprochen, sagte: "Well, I'm a socialist at heart". Überhaupt Stummfilmpianisten: Wenn es einen durch und durch guten, ehrenwerten Beruf gibt, dann diesen.

Wednesday, February 08, 2012

Berlinale 2012: Hin- und Wegsehtipps

Hinsehen:

Dom na trubnoy / Das Haus an der Trubnaya (Boris Barnet)
Dwa okeana / Two Oceans (Vladimir Shnejderov) Retrospektive
Ornette: Made in America (Shirley Clarke) Forum
Gorizont / Horizon (Lev Kuleshov) Retrospektive
Gibel sensatii / The Loss of Sensation (Aleksandr Andriyevsky) Retrospektive
Revision (Philip Scheffner) Forum
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Bestiaire (Denis Cote) Forum
Glaube Liebe Tod (Peter Kern) Panorama
Carlo's Vision (Rosalind Nashashibi) Forum Expanded
Aelita (Yakov Protazanov) Retrospektive
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La demora (Rodrigo Pla) Forum
Espoir voyage (Michel K. Zongo) Forum
Fon tok kuen fah / Headshot (Pen-ek Ratanaruang) Panorama
Putyovka v zihn / Road to Life (Nikolai Ekk) Retrospektive
Arbeit (Duncan Campbell) Forum Expanded
Seeking the Monkey King (Ken Jacobs) Forum Expanded

Mal sehen:

Sleepless Knights (Stefan Butzmühlen / Christina Diz) Forum
Al juma al akheira / The Last Friday (Yahya Alabdallah) Forum
Francine (Brian M. Cassidy / Melanie Shatzky) Forum
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Olhe pra mim de novo (Claudia Priscilla / Kiko Goifman) Panorama
The Connection (Shirley Clarke) Forum
Sorok serdets / Forty Hearts (Lev Kuleshov) Retrospektive

Wegsehen:

Gasi / Choked (Kim Joong-hyun) Forum
Tota lumea din familia noastra / Everybody in Our Family (Radu Jude) Forum
Tepenin ardi (Emin Alper) Forum
Die Lage (Thomas Heise) Forum
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Ang babae sa septic tank / Woman in the Septic Tank (Marlon Rivera) Forum
Avalon (Axel Petersen) Forum
Le mer a l'aube (Volker Schlöndorff) Panorama
The Woman Who Brushed Off Her Tears (Teona Strugar Mitevska) Panorama
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10+10 (diverse) Panorama [ein paar Ausnahmen, vor allem natürlich Hou Hsiao-hsiens "La Belle Epoque]
Cherry (Stephen Elliot) Panorama
Formentera (Ann-Kristin Reyels) Forum
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Koini itaru yamai / The End of Puberty (Kimura Shoko) Forum

Thursday, February 02, 2012

Bluebeard, Edgar G. Ulmer, 1944

Menschen, die Puppen ihre Stimmen leihen und die an Fäden ziehen, um ihre Gliedmaße zu bewegen. Die Puppen, die irgendwie für Menschen einstehen, deren geschnitzte Holzkörper in Konkurrenz zum menschlichen treten. Der (lange) Blick der Kamera aufs Puppenspiel (Faust, Mephisto, Gretchen, Körper, die verkauft, verloren und am Ende doch "errettet" werden), der gleichzeitig der Blick dreier junger Frauen auf eine Bühne ist. Der Puppenspieler (John Carradine, ein Wahnsinnstyp), der zurück blickt, durch ein Loch im Vorhang vielleicht, so genau weiß man das nicht, denn Bluebeard spielt in einem rein poetischen Raum, der sich durch narrativiertes Begehren strukturiert und durch nichts anderes. Ein Exilantentraum vom alten Europa ist das auf den ersten Blick, wie es ihn bei Lubitsch so oft gegeben hat, aber das noch halb vormoderne Europa des 19. Jahrhunderts ist bei Ulmer nur Behälter, an ihm interessiert nur die strangeness, das Außerweltliche: keine Welt, an die man im starken Sinne glauben muss, umso leichter und umso eindringlicher ist sie libidinös überformbar.
Es gibt in diesem Serienkillerfilm keine "Zwischenszenen". Niemand muss sich hier von einem Ort zum anderen bewegen (es sei denn, er landet in einem dunklen Verließ unterhalb der Straße, das seine Seele spiegelt), nicht einmal Türen müssen geöffnet werden (Türen sind höchstens dazu da, um durchs Schlüsselloch zu spähen), der Film, die Montage springt mühelos auf jede Erregung auf, da wird keine Zeit, kein Raum ausgelassen (auch nicht in der Rückblende kurz vor Ende), das sind keine Elipsen, das ist ein einziger, dicht gefügter erotischer Exzess, da würde nichts dazwischen passen, es geht um Blicke und Zugriffe, nicht um rational erschließbares Handeln, um Ausdrucksbewegung, nicht um Fortbewegung.
Eine der Kolleginnen des Puppenspielers ist sein erstes Opfer. Irgendwie ist sie ununterscheidbar geworden von ihrer Puppe, so genau habe ich das an dieser Stelle nicht verstanden, der sound der Kopie war von einem "Grundrauschen" (das aber irgendwie doch zu diesem Film und seinem eigenen Grundrauschen passte) beeinträchtigt. Zumindest gibt es dann noch eine zweite, wichtigere Übertragung: Der Puppenspieler ist hauptberuflich Maler, man erkennt seine Bilder an ihrem "Hintergrund" und daran, dass die auf ihnen abgebildeten Frauen tot sind, weil irgendetwas passiert, wenn ihre Schönheit als Bild gebannt ist, sich materialisiert hat. Die Bilder, die der Mörder malt, sehen nicht, wie in fast allen anderen Hollywoodfilmen über Künstler, abgeschmackt und cheesy aus, sondern genuin sonderbar, sie sind sichtbar demselben Geist entsprungen wie der Film, in den sie eingelassen sind.
Erotisierte Blickräume, stets für die Kamera inszeniert, von Szene zu Szene akkumulieren sich da die Spannungen. Wenn der Mörder dann sein letztes Bild malt, wenn er da vermittelt über zwei Spiegel sein Model anschaut und das Model aber, weil dieser Filmwelt die physikalischen Gesetze halt völlig egal sind, ihn wiederum nicht sehen kann (der filmische Blick geht immer nur in eine Richtung, der Kamerablick impliziert, zumindest bei Ulmer, nicht, wie der im echten Leben, den Gegenschuss, das Selbstgesehenwerdenkönnen). Während "im Nebenzimmer" und "vor der Tür", aber eigentlich als Teil derselben erotischen Membran, die anderen warten, die Schwester des Models, die Polizei, der durchgeknallte, aus dem Weimarer Kino herübergeschwappte langbärtige Kunsthändler.
Ich saß im Babylin Mitte, Kino zwei, fast in Berührdistanz zur Leinwand und dem auf sie projizierten, heruntergerockten 16mm-Film, den ich fast in seiner brüchigen, schlierigen Material greifen zu können meinte und ich konnte kaum glauben, was ich da sah. Ich muss jetzt alles sehen von Ulmer.