***** Home, Luther Prize, 1999
Leider nur im Sichtungsraum gesehen: eine betörende autobiografische Geisterbildschichtung, sich selbst zersetzende Familienalben, konstelliert zu einer Art Erinnerungswohnzimmer, das gleichzeitig die Hölle auf Erden ist (vor sich hin radebrechender Nonsensemonolog, als Loop geschaltet) und sich doch irgendwie heimelig anfühlt. Irgendwo in diesem Raum, in diesen Bildern, in dieser Stimme gibt es etwas, nach dem auch ich mich sehnen würde, noch Jahrzehnte später. Ein Meisterwerk.
***** 4x4 Episodes of Singapore Art, Ho Tzu Nyen, 2005
Wenn es (in welchem Medium auch immer) eine eindringlichere, überzeugendere Verteidigungsrede der künstlerischen Moderne bis hin zur postconceptual art gibt, dann kenne ich sie noch nicht - was so viel auch wieder nicht heißt, zugegeben; aber wie es dieser dialogisch und durchaus im starken Sinne kulturpädagogisch angelegten Arbeit gelingt, unbedingten Objektbezug mit "gesellschaftspanoramatischen" und historiografischen Ambitionen zu verbinden, ist kein kleines Wunder.
***** Ein neues Produkt, Harun Farocki, 2012
Drei "Schaubildszenen", die man vielleicht einmal zusammen sehen und vergleichen sollte: das paranoid verformte psychische Dispositiv, das in Hong Sang-soos Woman on the Beach symbolbildhafte Form annimmt; die längst postparanoide Psychose, die Imelda Marcos in Ramona S. Diaz' Biopic Imelda offenbart, wenn sie ihre metaphysischen Erkenntnisse zeichnerisch darlegt; und eben die Tafelbilder in Farockis Ein neues Produkt, deren zwanghaft anmutende Proliferation nicht länger nur auf ein individuelles Krankheitsbild verweist. Andere Vergleichsobjekte?
***** Utama - Every Name in History Is I, Ho Tzu Nyen, 2003
***** Poemfield No. 2, Stan Vanderbeek, 1967
***** Dernek aka Country Fair, Zoran Tadic, 1975
Der schönste einer kleinen Gruppe jugoslawischer Dokumentarfilme, ein Mann, der als Arbeitsmigrant in Deutschland lebt, kehrt für einen kurzen Besuch in sein Heimatdorf zurück und wird zum Ethnografen seines eigenen Lebens. Großartig, wie der Film Innen- und Außenperspektive ineinander übergehen lässt. Toll sind die "Steinweitwurf"-Szenen, die auch in einem anderen Film des Programms auftauchen.
***** The Moon Has Its Reasons, Lewis Klahr, 2012 (eingereicht, aber nicht Teil des Festivalprogramms)
***** Kirik beyaz laleler aka Off-White Tulips, Aykan Safoğlu, 2013
Schön, dass der Film den großen Preis gewonnen hat. Weniger schön der Begründungstext: Wenn ein poetischer Dokumentarfilm einen verstorbenen Schriftsteller über die raumzeitliche Distanz direkt anspricht, ist das etwas anderes, als wenn eine Festivaljury den Regisseur desselben Films ankumpelt.
**** Boomerang, Richard Serra, Nancy Holt, 1974
**** GHL, Lotte Schreiber, 2012
**** Konstallationen 1, Helga Fanderl - 21 Filme
Ein Werk, das neben dem Leben her fließt und gar nicht mehr will, als gelegentlich etwas herauszugreifen, was die Überhöhung lohnt. Schön, dass es so etwas gibt.
**** A Story for the Modlins, Sergio Oksman, 2012
**** Ein Gespenst geht um in Europa, Julian Radlmaier, 2013
**** Goodbye X Goodbye, Max Linz, 2012 (eingereicht, aber nicht Teil des Festivalprogramms)
*** Visionary Iraq, Gabriel Abrantes / Benjamin Crotty, 2009
Portugiesische und tatsächlich irgendwie auf Fado gestimmte Variante der queeren Melodramunfälle, wie sie George Kuchar vor allem in den Siebzigern gedreht hat. Pappmachekino der enervierenden, aber doch irgendwie berührenden Art.
*** Microbrigades - Variations of a Story, Florian Zeyfang, Alexander Schmoeger, Lisa Schmidt-Colinet
Die Frage, wie man so etwas Elementares wie den Wohnraumbau, also die räumliche Organisation des täglichen Lebens, systematisch (und deshalb noch nicht: bürokratisch) durchdenkt, stellt der Film nicht auf eine Art, die mir besonders zusagt; dass er sie stellt, darf man ihm aber anrechnen.
** Phantoms of a Libertine, Ben Rivers, 2012
Willkürlich abgefilmte Fundstücke aus einer verlassenen Wohnung, vor allem Fototapetenartiges. Vielleicht ist das die Art von Obskurantismus, die als 16mm-Projektion doch wieder eine Art von Schönheit entfaltet - ich habe auch diesen Film nur in den Sichtungsräumen sehen können. Aber ich habe doch den Verdacht, dass ich mit dieser speziellen Art des materialfetischstischen Obskurantismus generell nicht allzuviel anfangen kann.
* Falling Into or Against, Jil Leung, 2013
Eine Auftragsarbeit fürs "Flatness"-Programm, deren ungestalte Form gewissermaßen das ganze Elend der Sektion in sich trägt: Form als etwas, das man ausfüllt, indem man verschiedene Dinge hineinfüllt, deren Präsentmachen im Diskurs man gerade für angesagt hält. Liebe zum Beispiel. Oder Hologramme. Oder lens flares.
* Speech Act, Herman Asselberghs, 2011
Schlimmer waren da nur noch diejenigen Filme, die den politischen Subtext des Programms, vielleicht unfreiwillig, offenlegten. So wie diese formal beknackt lehrmeisterliche, inhaltlich naive und ihrem Gegenstand in keiner Hinsicht gerecht werdende Lektüre von Avatar, die zu dem estaunlichen Ergebnis kommt, dass Pasolini und Visconti irgendwie avancierter waren als Cameron und die die dialektischen Einsätze popkultureller Formen im Sinne eines orthodoxen Antiimperialismus stillstellt.
* Dirty Pictures, John Smith, 2007
Oder noch schlimmer: Zwei Hotelzimmerminiaturen, erst in Bethlehem, dann in Jerusalem, verbunden durch einen Voice-Over-Kommentar, der eine Reihe unangenehmer Verschiebungen vornimmt, deren widerwärtigste die vom Holocaust-Gedenktag zur "Rampe" eines Checkpoints an der Grenze zwischen Israel und der West Bank ist. John Smith war wohl einmal ein interessanter Filmemacher. Jetzt ist er nur noch ein alter, eitler Mann, dem dringend jemand die Kamera wegnehmen sollte.
Leider nur im Sichtungsraum gesehen: eine betörende autobiografische Geisterbildschichtung, sich selbst zersetzende Familienalben, konstelliert zu einer Art Erinnerungswohnzimmer, das gleichzeitig die Hölle auf Erden ist (vor sich hin radebrechender Nonsensemonolog, als Loop geschaltet) und sich doch irgendwie heimelig anfühlt. Irgendwo in diesem Raum, in diesen Bildern, in dieser Stimme gibt es etwas, nach dem auch ich mich sehnen würde, noch Jahrzehnte später. Ein Meisterwerk.
***** 4x4 Episodes of Singapore Art, Ho Tzu Nyen, 2005
Wenn es (in welchem Medium auch immer) eine eindringlichere, überzeugendere Verteidigungsrede der künstlerischen Moderne bis hin zur postconceptual art gibt, dann kenne ich sie noch nicht - was so viel auch wieder nicht heißt, zugegeben; aber wie es dieser dialogisch und durchaus im starken Sinne kulturpädagogisch angelegten Arbeit gelingt, unbedingten Objektbezug mit "gesellschaftspanoramatischen" und historiografischen Ambitionen zu verbinden, ist kein kleines Wunder.
***** Ein neues Produkt, Harun Farocki, 2012
Drei "Schaubildszenen", die man vielleicht einmal zusammen sehen und vergleichen sollte: das paranoid verformte psychische Dispositiv, das in Hong Sang-soos Woman on the Beach symbolbildhafte Form annimmt; die längst postparanoide Psychose, die Imelda Marcos in Ramona S. Diaz' Biopic Imelda offenbart, wenn sie ihre metaphysischen Erkenntnisse zeichnerisch darlegt; und eben die Tafelbilder in Farockis Ein neues Produkt, deren zwanghaft anmutende Proliferation nicht länger nur auf ein individuelles Krankheitsbild verweist. Andere Vergleichsobjekte?
***** Utama - Every Name in History Is I, Ho Tzu Nyen, 2003
***** Poemfield No. 2, Stan Vanderbeek, 1967
***** Dernek aka Country Fair, Zoran Tadic, 1975
Der schönste einer kleinen Gruppe jugoslawischer Dokumentarfilme, ein Mann, der als Arbeitsmigrant in Deutschland lebt, kehrt für einen kurzen Besuch in sein Heimatdorf zurück und wird zum Ethnografen seines eigenen Lebens. Großartig, wie der Film Innen- und Außenperspektive ineinander übergehen lässt. Toll sind die "Steinweitwurf"-Szenen, die auch in einem anderen Film des Programms auftauchen.
***** The Moon Has Its Reasons, Lewis Klahr, 2012 (eingereicht, aber nicht Teil des Festivalprogramms)
***** Kirik beyaz laleler aka Off-White Tulips, Aykan Safoğlu, 2013
Schön, dass der Film den großen Preis gewonnen hat. Weniger schön der Begründungstext: Wenn ein poetischer Dokumentarfilm einen verstorbenen Schriftsteller über die raumzeitliche Distanz direkt anspricht, ist das etwas anderes, als wenn eine Festivaljury den Regisseur desselben Films ankumpelt.
**** Boomerang, Richard Serra, Nancy Holt, 1974
**** GHL, Lotte Schreiber, 2012
**** Konstallationen 1, Helga Fanderl - 21 Filme
Ein Werk, das neben dem Leben her fließt und gar nicht mehr will, als gelegentlich etwas herauszugreifen, was die Überhöhung lohnt. Schön, dass es so etwas gibt.
**** A Story for the Modlins, Sergio Oksman, 2012
**** Ein Gespenst geht um in Europa, Julian Radlmaier, 2013
**** Goodbye X Goodbye, Max Linz, 2012 (eingereicht, aber nicht Teil des Festivalprogramms)
*** Visionary Iraq, Gabriel Abrantes / Benjamin Crotty, 2009
Portugiesische und tatsächlich irgendwie auf Fado gestimmte Variante der queeren Melodramunfälle, wie sie George Kuchar vor allem in den Siebzigern gedreht hat. Pappmachekino der enervierenden, aber doch irgendwie berührenden Art.
*** Microbrigades - Variations of a Story, Florian Zeyfang, Alexander Schmoeger, Lisa Schmidt-Colinet
Die Frage, wie man so etwas Elementares wie den Wohnraumbau, also die räumliche Organisation des täglichen Lebens, systematisch (und deshalb noch nicht: bürokratisch) durchdenkt, stellt der Film nicht auf eine Art, die mir besonders zusagt; dass er sie stellt, darf man ihm aber anrechnen.
** Phantoms of a Libertine, Ben Rivers, 2012
Willkürlich abgefilmte Fundstücke aus einer verlassenen Wohnung, vor allem Fototapetenartiges. Vielleicht ist das die Art von Obskurantismus, die als 16mm-Projektion doch wieder eine Art von Schönheit entfaltet - ich habe auch diesen Film nur in den Sichtungsräumen sehen können. Aber ich habe doch den Verdacht, dass ich mit dieser speziellen Art des materialfetischstischen Obskurantismus generell nicht allzuviel anfangen kann.
* Falling Into or Against, Jil Leung, 2013
Eine Auftragsarbeit fürs "Flatness"-Programm, deren ungestalte Form gewissermaßen das ganze Elend der Sektion in sich trägt: Form als etwas, das man ausfüllt, indem man verschiedene Dinge hineinfüllt, deren Präsentmachen im Diskurs man gerade für angesagt hält. Liebe zum Beispiel. Oder Hologramme. Oder lens flares.
* Speech Act, Herman Asselberghs, 2011
Schlimmer waren da nur noch diejenigen Filme, die den politischen Subtext des Programms, vielleicht unfreiwillig, offenlegten. So wie diese formal beknackt lehrmeisterliche, inhaltlich naive und ihrem Gegenstand in keiner Hinsicht gerecht werdende Lektüre von Avatar, die zu dem estaunlichen Ergebnis kommt, dass Pasolini und Visconti irgendwie avancierter waren als Cameron und die die dialektischen Einsätze popkultureller Formen im Sinne eines orthodoxen Antiimperialismus stillstellt.
* Dirty Pictures, John Smith, 2007
Oder noch schlimmer: Zwei Hotelzimmerminiaturen, erst in Bethlehem, dann in Jerusalem, verbunden durch einen Voice-Over-Kommentar, der eine Reihe unangenehmer Verschiebungen vornimmt, deren widerwärtigste die vom Holocaust-Gedenktag zur "Rampe" eines Checkpoints an der Grenze zwischen Israel und der West Bank ist. John Smith war wohl einmal ein interessanter Filmemacher. Jetzt ist er nur noch ein alter, eitler Mann, dem dringend jemand die Kamera wegnehmen sollte.
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