Monday, May 13, 2013

Verbindungen (American Eighties 26)


Ein paar einführende Worte zu einer Vorführung von Brian de Palmas Blow Out, am 12.05. im Österreichischen Filmmuseum.



Der Film des heutigen Abends gehört vermutlich zu den bekannteren der Reihe. Schon aufgrund seines Regisseurs: Brian de Palma ist zwar nach wie vor kein anerkannter Meisterregisseur wie seine Zeitgenossen Martin Scorsese und Fracis Ford Coppola - aber wer sich auch nur ein wenig ausführlicher mit dem neueren amerikanischen Kino auseinander gesetzt hat, der hat für gewöhnlich zumindest eine Meinung zu de Palma. Und selbst viele derjenigen, die nach wie vor eher skeptisch sind, erkennen an, dass Blow Out ein außergewöhnlicher Film ist. Blow Out ist nicht der populärste seiner Filme, aber von allen De-Palma-Regiearbeiten vermutlich diejenige, die man am ehesten als kanonisiert bezeichnen könnte; Blow Out hat zum Beispiel auch ein gewisses akademisches standing und er ist vor ein paar Jahren von Criterion auf DVD und BluRay veröffentlicht worden. Es ist also ein Film, der mehr und mehr als Autorenfilm wahrgenommen wird, als in gewisser Weise für sich selbst stehendes Meisterwerk des postmodernen Kinos, das man genüsslich immer neuen Relektüren unterziehen kann.

Ich habe da in dem Fall gar nicht viel dagegen einzuwenden, der Film gibt das in meinen Augen durchaus her. Trotzdem interessiert uns zumindest jetzt, wo wir die Reihe komplett zusammengestellt haben, nicht mehr so sehr das, was den Film aus der Masse der Produktion abhebt, sondern ganz im Gegenteil das, was ihn doch wieder mit anderen Filmen, mit den Filmen, neben denen er einst im Kino gelaufen ist, verbindet. Denn Blow Out ist ganz unverkennbar ein Kind seiner Zeit. Im Folgenden möchte ich kurz einige Linien andeuten, über die diese Verbindungen verlaufen. Und werde dafür andere Linien weglassen, die den Film als Autorenfilm mit anderen Autorenfilmen - Hitchcock, Antonioni - verbindet.
Zum Beispiel der Hauptdarsteller: John Travolta war einer der größten Stars, die das Kino der späten Siebziger und frühen Achtziger hervorgebracht hat. Gemeinsam mit Richard Gere, den Sie gestern hier in American Gigolo sehen konnten, kann er einstehen für eine neue Schauspielergeneration, die auch eindeutig nicht mehr New Hollywood angehört, das sieht man schon ihren Körpern an, erst recht ihrem Schauspiel. Man muss allerdings dazu sagen, dass Blow Out für Travolta der erste Misserfolg nach einer Serie zum Teil sehr großer Hits war.

Ein andere Verbindungslinie stellt der Regisseur selbst dar: Brian de Palma hat in den Achtzigern viel drehen können, insgesamt acht Filme, viele davon Studioproduktionen, wobei der Film des heutigen Abends von Filmways Pictures produziert wurde, einer Independentfirma, die bald darauf in Orion Pictures, einem der zentralen Independent Studios der Achtziger, aufging.  Im Hollywood der Achtziger war noch Platz für einen genuin exzentrischen Regisseur wie de Palma. Man muss allerdings dazu sagen, dass de Palma auch damals selten ganz in der Mitte der Industrie seine Filme drehte und dass seine Filme schon damals nicht immer besonders gut liefen - selbst Scarface war zunächst nur ein mittelgroßer Erfolg und wurde erst durch die VHS-Veröffentlichung zu dem Kultfilm, der er heute noch ist und die meisten anderen seiner Filme aus der Zeit waren sogar kommerzielle Flops, unter anderem eben auch Blow Out.
Wohin Filme wie Blow Out zumindest auch gehören, wo sie sich selbst verorten, sieht man in dem Film selbst. Die Hauptfigur arbeitet als Sounddesigner für ein kleines Studio namens “Independence Pictures Incorporated”, dessen Büroräume über Pornokinos und Sexshops gelegen sind und in dem billige Exploitationfilme mit Titeln wie “Bad Day at Blood Beach” oder “Bordello of Blood” entstehen. Und der Film Blow Out versucht nicht, zu verbergen, dass er sich infizieren lässt von diesen fiktionalen Blutbädern - wenn auch vielleicht nicht so gründlich, wie das die beiden Filme, die de Palma direkt davor und direkt danach gedreht hatte, taten: die Hitchcock-Paraphrasen Dressed to Kill und Body Double.

Was in diesem setting und gerade auch zum Beispiel in der Eingangssequenz sichtbar wird, ist eine Verbindungslinie zu jenem B-Kino der Achtziger, das in der Filmmuseums-Reihe ein wenig zu kurz kommt, das dafür aber in der parallelen kleinen Filmschau im Filmcasino sehr präsent ist: Das Kino von Regisseuren wie James Glickenhaus, Larry Cohen, Stuart Gordon oder William Lustig, allesamt Leute, die das Exploitationkino als Form ernst genommen hatten und die in den Achtziger Jahren noch die Möglichkeit hatten, an der dreckigen Unterseite des großen Kinos ein gutes Auskommen zu finden. Ein Kino, das gemeinsam mit seinem Ort, dem klassischen Bahnhofskino, verschwunden ist. Man kann tatsächlich in den Filmen der Achtziger Jahre nachvollziehen, wie die entsprechenden Kino-Marquisen langsam aber sicher aus dem Stadtbild verschwunden sind.
Andere Verbindungslinien haben sich mir tatsächlich erst jetzt, wo ich die Filme hier konzentriert im Kino sehen kann, erschlossen. Mit den beiden Filmen des gestrigen Abends, mit American Gigolo und mit Cutter’s Way, verbindet den Film zum Beispiel nicht nur eine Nähe zu Motiven des film noir. Man könnte alle drei auch, wenn man filmhistorisch nicht ganz so weit zurück blicken will, mit den Paranoia-Thrillern der Siebziger in Verbindung bringen. Man könnte alle diese Filme, ganz wertfrei erst einmal, als unterschiedliche Schwundstufen des Paranoia-Motivs bezeichnen, das in den Siebziger Jahren noch eine Art epistemisches Versprechen war: Wer die Verschwörung durchschaut, der gewinnt dadurch Wissen über und auch wieder Handlungsmacht in der Gesellschaft. In American Gigolo und vor allem Cutter’s Way hat man dagegen den Eindruck, dass die Verschwörung sich nicht mehr besonders viel Mühe gibt, vielleicht, weil sie von Anfang an gewonnen hat; weil man gegen höchstens noch einen individuellen, sich irgendwie falsch anfühlenden Triumph erringen kann. Bei Blow Out steht die Sache wieder anders: Die Verschwörung hat hier vorderhand noch dasselbe Gewicht wie in den Siebzigern, ihre Enttarnung erschöpft sich jedoch in einem technokratischen Durcharbeiten von Medientechnik, das in Komplizenschaft steht mit der Verschwörung selbst; auch das ist ein Motiv, das schon in den Siebzigern auftaucht, aber auf eine so zynische Pointe, wie sie am Ende von Blow Out steht, wäre das Siebzigerkino wohl nie gekommen.
Eine weitere, eher spekulative Verbindung könnte man außerdem zu einem Film ziehen, der hier vor zwei Tagen lief: Sowohl in Albert Brooks’ Komödie Modern Romance als auch in Blow Out gibt es ausführliche Szenen am Filmschneidetisch, in denen es darum geht, ein vorgegebenes Bild mit einem angemessenen, bzw besonders effektiven Sound zu verbinden. Wie sich diese Szenen zueinander verhalten - falls sie es überhaupt tun -, welche Neurosen sich da jeweils vermitteln, das wäre eine eigene Untersuchung wert, hier lasse ich es jetzt erst einmal als einen jener Zufallsfunde stehen, den man wohl nur im Rahmen einer solchen Filmschau machen kann.

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