Friday, June 07, 2013

Mike's Murder, James Bridges, 1981 (American Eighties 28)

"I can see out, they can't see in", sagt Pete (Darrel Larson) zu Betty (Debra Winger), als er sie in ihrem eigenen Haus anfällt, in einem letzten, verzweifelten Versuch, sein Leben zu retten. Man kann das lesen als eine verzweifelte, paranoide Anrufung des Kinodispositivs - in seiner Cavell'schen Theoretisierung, als automatische Weltprojektion, der Projektion einer "world past" genauer gesagt, von der der Zuschauer aufgrund seiner nichthintergehbaren Nachzeitigkeit zwingend abwesend ist.

Die ganze Szene, die dann, kurz vor Schluss des Films, folgt, fühlt sich an wie ein unmöglicher Blick in das Innere, auf einen sonst verborgenen Ursprung des Kinos. Ein Flackern, eine Illumination unklarer Herkunft - eigentlich löscht Pete das Licht gleich zu Beginn - liegt über den Gesichtern der beiden, die in einer schauspielerischen tour de force all die Affekte ausagieren, die im restlichen Film höchstens als gedämpfte, ironische Nachbilder ihrer selbst verfügbar zu sein scheinen. Nur ganz im Inneren der Hell-Dunkel-Kammer des Kinos scheint es einen direkten Draht zum psychischen System zu geben - und nur zum Preis eines noch grundsätzlicheren Weltausschlusses. Zu der Szene gehört auch das an ihr grundlegend Pathologische: Natürlich geht es für Pete nicht mehr um jenen erkenntnistheoretischen Skeptizismus, für den Cavell das Kino verehrt und der gerade die erzwungene Passivität des Zuschauers als eine Voraussetzung für einen "postskeptischen" Welt- und Selbstbezug erscheinen lässt; für Pete ist das Kinodispositiv degeneriert zu einer psychotischen Maschine der Einschließung - nicht "of the world", sondern "against the world".

Nebenbei: „I can see out, they can't see in“ - das könnte man auch verstehen als die Imagination eines Kontrollblicks aus dem dunklen Turm im Zentrum des Foucault / Bentham'schen Panopticons (einer bösartrgen Zerrfigur der Cavell'schen Theorie). Allerdings hat sich auch diese Anordnung gründlich verschoben: Um das „I can see out“ geht es schon gar nicht mehr, das ist nur noch Rhetorik – der Überwachungsblick hat sich längst dezentralisiert, ist diffundiert in eine amorphe Sphäre des Visuellen, die keine Differenzen und Hierarchien mehr ins Sichtbare einziehen muss, weil ihre Herrschaft von Anfang an eine totale ist. An den Ort des klassischen, voyeuristischen Kontrollblicks flüchtet Pete nicht, weil er selbst noch die Kontrolle zu erlangen können gaubt, sondern aufgrund des zweiten Teils der Bestimmung: „they can't see in“.

Wie sich diese beiden theoretischen Linien zueinander verhalten, ist schwer zu bestimmen. Vielleicht könnte man sagen: Betty, die sich ebenfalls stets, aber eher auf eine entspannte Weise, von der Welt distanziert, die sich fast ausschließlich in Innenräumen aufhält und die angezgogen wird von Aus-der-Zeit-Gefallenem (von Mike zum Beispiel) ist noch ein Kinowesen im Cavell'schen Sinne, das zurecht erschrickt, wenn ihr eigenes Weltverhältnis für Pete und andere Männer, auf die sie trifft (den voyeuristischen Fotografen zum Beispiel, der sie und Mike beim Tennisspiel fotografiert hat), zum Foucault'schen Blickterrorregime degeneriert. Die Cavell-Perspektive bleibt allerdings mindestens für diesen Film auch insgesamt interessanter als die Foucault-Perspektive, schon, weil sie von der spezifischen (Nach-)Zeit(l)ich/gkeit des Kinos ausgeht; die in Mike's Murder in Konflikt gerät mit einer anderen Zeitlogik, die keine Differenz mehr aushält.

Das Regime der Synchronisation, der Gleichzeitigkeit lauert bereits hinter jeder Ecke: Fernsehen, Video, als Scharnier das Polaroid - und als Schmiermittel Kokain. Unmittelbar vor der Szene mit Pete und Betty, die das Kinodispositiv noch einmal, aber eben als pervertiertes aufruft, besucht Betty mit einer Freundin eine Vernissage-Party aus dem Medien/Video/Konzeptkunstbereich. Deren spezifischen Oberflächen sind rückblickend ausgesprochen dated und deshalb wieder historisierbar, innerhalb des Bridges-Films jedoch stehen sie für eine totale Durchdringung und ahistorische Verschließung, auch für die narzisstischen Zirkelschlüsse (der Bildschirm, der nur noch eine Verdopplung des Selbst ist) einer sich an der Immanenz berauschenden Welt. Der monochromen Flächigkeit dieser Partyszene entspricht auch das zappelige Herumalbern vor Videokameras einiger männlicher Prostituierten, in dem die Intimität des Kinos zugunsten eines Exhibitionismus verschwindet, der gar nicht mehr auf einen spezifischen Voyeur angewiesen ist.

Mike's Murder ist ein Film, der im Regime der Gleichzeitigkeit von Nachzeitigkeiten heimgesucht wird. Die besondere Intensität der Verschränkung beider Zeitlogiken entspringt der Produktionsgeschichte: James Bridges wollte seinen Neo-Noir erst, ungefähr im Stil von Nolans Memento vermutlich, nonlinear vom Ende zum Anfang erzählen. Die Studiobosse waren nicht erfreut über das Ergebnis (die erste Schnittfassung ist bis heute absolut unzugänglich und existiert möglicherweise überhaupt nicht mehr), Bridges musste den Film umschneiden; wobei er vermutlich nicht einfach nur der Zeitstrahl „begradigte“, sondern noch einige weitere Änderungen vornahm (unter anderem wurde der Soundtrack komplett ausgetauscht). In die release-Fassung trägt sich diese Umfaltung nur in kleinen Irritationen ein, die den Film jedoch umso nachhaltiger destabilisieren.

Verschärft werden die Irritationen, weil im Film Nachzeitigkeit auch thematisch ist; schon strukturell geht es in allen Detektivgeschichten um die temporale Kluft zwischen Tat und Aufklärung, die durch Rekonstruktion und logische Beweisführung überwunden werden muss. In Mike's Murder wird die Form traumatisch über-, eigentlich verformt: Betty sucht gar nicht so unbedingt nach dem Mörder ihres Lovers Mike, vermutlich weiß sie von Anfang an, dass sie sich da auf etwas einlassen würde, was sie nicht zuende führen könnte. Eher bewegt sie sich halbwillkürlich, wie automatisiert entlang jener Wege durch Los Angeles, die Mike vor ihr gegangen war – seinem Unglück entgegen. Diese beiden Passagen durch LA waren ursprünglich vermutlich so angelegt, dass die der ursprünglichen filmischen Zeit gemäß erste (also die Bettys) Rätsel aufgeben sollte, die dann von der zweiten (also der Mikes) gelöst werden: ach, deshalb also interessiert sie sich für diesen Nachtclubeingang, deswegen hat sie vorher so lange auf diese Villenzufahrt gestarrt.

In der release-Version fällt der Rätseleffekt weg; umso eindringlicher bewusst wird die unwiderbringliche Nachzeitigkeit, von der Bettys Blick auf den Nachtclubeingang, auf die Villenzufahrt infiziert worden sind: der, der vorher noch in objektiv, unbefangen anmutenden Einstellungen dieselben Orte durchquerte, ist gestorben – und irgendwie hat sich damit jede Form von Präsenzeffekt als Lüge demaskiert. Mehr als alles andere weisen diese Blicke Betty als ein Wesen des Kinos aus. Paradoxerweise ist time erst, nachdem sie in die vermeintliche Linearität zurückgefaltet ist, wirklich out of joint.

Die Frage ist dann nur, ob Betty ein Kinowesen bleiben kann. Die Schlussszene der release-Fassung wäre im zur Zeit nur hypothetisch existierenden director's cut die Anfangsszene und dann so lesbar, dass in ein harmonisches Setting (das noch nicht verstimmte Klavier, die warme kalifornische Sonne, der amüsiert genervte Tonfall beim Telefongespräch mit den besorgten Eltern) die Fotografie Mikes, der in diesem Fall zu Filmbeginn bereits / noch tot ist, als destabilisierendes Moment einbricht - auch, weil das Fotogramm schon qua seiner Medialität eine andere Zeitlichkeit in den Film einträgt, eine Vergangenheit, die dann im Film zur Zukunft geworden wäre.

Zumindest, was diese letzte = erste Szene angeht, scheint die neue Montage einen Unterschied ums Ganze zu machen. Denn das Verhältnis des Fotos zum Rest der Anordnung hat sich gedreht: Nicht mehr das Foto wirkt auf die Gesamtszene (nämlich: verunsichernd), sondern die sonderbare Harmonie der Gesamtszene aufs Foto: Man muss sich fragen, ob das Foto unter solchen Umständen und nach all den Dingen, die der Film vorher durchgearbeitet hat, überhaupt noch das Potential birgt, eine Differenz in die südkalifornische Gegenwartswelt, die von allen Seiten von den Agenten der Selbstidentität umringt scheint, einzutragen. Die Vermutung liegt nahe, dass in einer solchen Welt eine Fotografie höchstens noch als ein Tapetenmuster unter vielen taugt. Doch zynisch ist das Ende nicht; eher formuliert es eine offene Frage da, wo in der ersten Schnittfassung doch vor allem Ursache-Wirkungs-Verkettungen in Gang gesetzt wurden.

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Wer in Mike's Murder stirbt, verliert nicht einfach nur sein Leben, er wird regelrecht ausgelöscht. Die Morde geschehen offscreen, Mike selbst löst sich in actionpaintingartige Blutflecken an der Wand auf, Terry wird aus der Tür und dem Film hinaus gezerrt, nach dem Erstickungstod sieht man seinen Leichnam noch einmal kurz, das Gesicht wie nach Innen gefaltet. Nichts, so scheint es, darf vom alten Regime des Kinos übrigbleiben, nicht einmal und vielleicht erst recht nicht eine Leiche, nichts, was den Tod anzeigt, der in der Mortalitätsmaschine Kino immer mitgedacht wurde.

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