Friday, August 30, 2013

Zweimal Suzuki

Carmen from Kawachi, Seijun Suzuki, 1966
Tattooed Life, Seijun Suzuki, 1965

Zwei Filme, die Seijun Suzuki unmittelbar vor Tokyo Drifter gedreht hat, offensichtlich auf der Höhe seiner Kunst. Es beginnt jeweils auf einer dieser langgezogenen Deichaufschüttungen, die im japanischen Kino allgegenwärtig sind und die in den beiden Suzuki-Filmen jeweils als harte, unbarmherzige Trennlinien auftauchen, die Erde von Himmel scheiden. In Carmen from Kawachi radelt Tsuyuko den Deich entlang; bald tauchen die ersten Männer auf (von vielen, im Film); es beginnt von ihrer Seite spielerisch, die Männer antworten schnell mit Gewalt, zerren sie vom Fahrrad, tragen sie davon, den Deich und die cinemascopebreite Leinwand entlang. Die Vergewaltigung bleibt offscreen. Tsuyuko / Carmen muss raus aus der Provinz, aus dem Bergdorf (lese ich irgendwo, das passt natürlich nicht zu dem Deich, hm...), in die Stadt, die auch ihre Härten hat, aber in der sich das nicht verfestigt in dauerhafte, stumpfe sexuelle Machtverhältnisse, die sogar über Generationen hinweg bestehen bleiben - der Mönch, der erst die Mutter, dann die Tochter als erpresste Geliebte sich hält.

In der Stadt gibt es vor allem: Option. Und die breitet der Film aus, nicht als einen dramaturgischen Bogen, der Tsuyuko zum Beispiel immer tiefer fallen lassen, oder ihr eine langsame Emanzipationerlauben würde, sondern als ein bloßes Nebeneinander: in diesem Raum mit diesem Mann; dann, wenn das nicht funktioniert, in jenem mit jenem. Genauso undramaturgisch schlüpft sie in Gefühle, genauer gesagt, lernt (ohne wirklichen Lernprozess), über ihre Gefühle zu verfügen, pragmatischer von romantischer Liebe zu unterscheiden, hat dann auch bald heraus, dass sie sich in den vierten, fünften Mann vielleicht gar nicht mehr so unbedingt verlieben muss.

Daneben ist die Großstadt natürlich auch ein Moloch. Jeder einzelne Raum, in den Tsuyuko gerät, ist ein barock ausgestalteter Abenteuerspielplatz, in der ihr zum Beispiel ein lesbischer Horrorfilm zustoßen kann, oder in der sie, ohne dass man so recht nachvollziehen kann, wie genau, in einen bizarren Pornodreh gerät - die Scopebreite zeigt nicht mehr eine allzu weit vor einem sich ausdehnende Gleichförmigkeit an, sondern sie sorgt dafür, dass man nicht einmal mehr in einem einzigen Bild ganz bei sich selbst ist. 

Was man von der Stadt aus erst sieht, ist, dass auch die Provinz ein bizarres Moloch ist, dass da unter der in Tradition versiegelten Oberfläche "heiße Quellen" lauern, mit denen man zwar eher kein Geld verdienen, die man aber sehr wohl freisetzen kann, mit denen man all die triste Beengung hinwegfegen kann, wenn man nur will. Tsuyuko merkt bald, dass sie genau das will.

---

Anders die Bewegung in Tattooed Life. Ein sehr männlicher Film, in dem die Frauen sich von Anfang an nur anschauen, nicht anfassen lassen und in dem sie dann immer weiter sich entfernen, bis die Blicke irgendwann nicht mehr von Gegenblicken beantwortet werden.

Von Anfang an auch ein sehr brüderlicher Film, wie da, auf dem Deich, der jüngere erst für den älteren sich einsetzt (und dabei über das Ziel hinausschießt) und wie dann der ältere für den jüngeren den restlichen Film über einzustehen versucht. Bevor der Film für sein atemberaubendes Finale in ein primärfarbenes Knallbonbon sich verwandelt (das vorher schon sich ankündigt durch die roten Schuhe, die in Großaufnahme immer wieder durchs Bild huschen, und die, merkt man irgendwann, nicht einer einzelnen Figur zuzuordnen sind, die einfach nur eine Unruhe ins Bild eintragen wollen), bleibt er sehr konzentriert mit den beiden Brüdern in einem Nest in der Provinz. Und interessiert sich für ein Wasserrad, das dem Nest Energie, für eine Mine, die dem Nest ein Auskommen (aber auch einen Ausbeuter) beschert, mehr, als ich das von einem Suzuki-Film erwartet hätte. Wenige Filme habe ich bisher gesehen, die über ihr Material derart souverän verfügen und die gleichzeitig so wenig der Versuchung erlegen, ihre Verfügungsgewalt als Attraktion auszustellen.

Der jüngere Bruder ist Künstler - und ein Künstler ist bei Suzuki offensichtlich vor allem einer (das passt auch zum action-painter in Carmen from Kawachi), der Frauen eher anschauen als anfassen will. Toll ist die Szene, in der die Blickobjektsfrau dem Künstlermann sagt, dass sie sich nur zum Baden auszieht und wie der Film dann gleich in der nächsten Einstellung in ihren Baderaum wechselt, wo sie das Fenster einen Spalt breit öffnet und damit den Künstlerblick zulässt. Und wie der Film dann mit dem Künstlerblick eins wird. (Der ältere Bruder ist kein Künstler, aber ein Melancholiker; er blickt nicht auf die Frau, sondern gemeinsam mit ihr in die Ferne).

Thursday, August 22, 2013

Equilibrium, Gottfried Reinhardt, 1953

Eines der sonderbarsten Nachbilder des Holocaust, das mir bisher im Kino begegnet ist. Im dritten, letzten und längsten Teil des Omnibusfilms The Story of Three Loves hält Kirk Douglas, ein Trapezkünstler, eine Frau, Pier Angeli, vom Selbstmord ab und macht sie anschließend zu seiner Partnerin bei einer Zirkusnummer. Wie schon im ersten Teil des Omnibusfilms ("The Jelaous Lover", ebenfalls von Reinhardt inszeniert; beim Mittelteil "Mademoiselle" führt Vincente Minnelli Regie), in dem es um eine Balletttänzerin geht, tritt die Fiktion zurück, wenn die Probe beginnt, wenn das jeweilige Einüben ausführlich, nüchtern und ökonomisch, vor allem geduldig gezeigt wird. Die Trapeznummern nehmen mit Sicherheit mehr als die Hälfte der Laufzeit ein, man meint, dabei tatsächlich jeden Handgriff kennen zu lernen: wie sie die Trapezstange zunächst nur mit einer Hand hält und erst im Moment des Losspringens nachgreift, wie er sich mit vollem Körpereinsatz "einschwingt" - wann body doubles eingesetzt wurden, konnte ich nicht erkennen, zumindest Teile der Trapeznummer scheinen Douglas und Angeli selbst eingeübt zu haben. Selbst scheinbare Nebensächlichkeiten wie das "Abschwingen" vom Sicherheitsnetz zeigt der Film mehrmals detailliert.

Nur Douglas, Angeli und ein nur selten als Person wahrnehmbarer dritter Artist in einem ansonsten leeren Zirkuszelt. Eine weitgehend hermetisch verschlossene Welt, zusätzlich versiegelt durch das hochwertige MGM-Produktionsdesign. Dass die in schwindelerregender Höhe (die Kamera sucht immer wieder den Blick in die Tiefe, aber nicht als Subjektive, eher als objektive Feststellung: seht her, so hoch steht Douglas über dem festen Boden) langsam perfektionisierte Übung ein Nahverhältnis zum Tod hat, ist von Anfang an klar: Angeli möchte sich umbringen, ihre Vorgängerin starb, erfährt man, während einer missglückten Trapeznummer. Die formale Harmonie dieser Konstellation wird dann aber durch Angelis Vorgeschichte durch Übererfüllung zunichte gemacht: Auch sie fühlt sich schuldig - an dem Tod ihres Mannes, der in einem deutschen KZ starb, weil sie einen an ihn gerichteten Brief der falschen Person anvertraut hatte. Die Unverhältnismäßigkeit, die in dem Moment in den Film tritt, wenn ein privates, fiktionales Drama mit dem größten Verbrechen der Menschheitsgeschichte in Beziehung gesetzt wird, hat keinerlei Möglichkeit, sich in den engen ästhetischen Grenzen, die Reinhardt seinem (faszinierenden) Film setzt, dramaturgisch zu artikulieren. Sie hallt umso erschreckender nach in der weiten Zirkushalle.

Wednesday, August 21, 2013

Locarno 2013: ratings

*****The Model and the Marriage Broker, George Cukor, 1951
*****A Life of Her Own, George Cukor, 1950
*****Sylvia Scarlett, George Cukor, 1935
*****Heller in Pink Tights, George Cukor, 1960
*****It Should Happen to You, George Cukor, 1954
*****Les Girls, George Cukor, 1957
*****A Double Life, George Cukor, 1947
*****The Marrying Kind, George Cukor, 1952
*****Wild Is the Wind, George Cukor, 1957
*****Keeper of the Flame, George Cukor, 1942
*****Let's Make Love, George Cukor, 1960
*****Educacao Sentimental, Julio Bressane, 2013
*****Real, Kiyoshi Kurosawa, 2013
*****The Corn Is Green, George Cukor, 1979
*****Our Sunhi, Hong Sang-soo, 2013
*****Zaza, George Cukor, 1938
****Winged Victory, George Cukor, 1944
****Tomogui / The Backwater, Shinji Aoyama, 2013
****Edward, My Son, George Cukor, 1949
****Umbracle, Pere Portabella, 1970
****Se eu fosse Ladrao... Roubava, Paulo Rocha, 2012
****My Fair Lady, George Cukor, 1964
****Susan and God, George Cukor, 1940
****Her Cardboard Lover, George Cukor, 1942
****Camille, George Cukor, 1936
****Pays barbare, Gianikian / Ricci Lucchi, 2013
****Cand se lasa seara peste Bucuresti sau metabolism, Corneliu Porumboiu, 2013
***Born Yesterday, George Cukor, 1950
***Une autre vie, Emmanuel Mouret, 2013
***L'etrange couleur des larmes de ton corps, Forzani / Cattet, 2013
**Tonnerre, Guillaume Brac, 2013
**Short Term 12, Destin Cretton, 2013
*Feuchtgebiete, David Wnendt, 2013
*Gloria, Sebastian Lelio, 2013

not seen in Locarno

Saturday, August 10, 2013

No Rush

Einführungsvortrag zur Filmreihe "Kinematografie Heute: Philippinen", Zeughauskino, 7.8.2013.

Das Programmsegment Kinematografie Heute gibt es hier im Zeughauskino seit einigen Jahren; es stellt eine Verbindung her zwischen den historischen Programmen zur deutschen, europäischen und weltweiten Filmgeschichte, die hier normalerweise laufen, und dem, was Kino und Film heute ist. Dass in den Kinematografie-Heute-Programmen noch immer Nationalkinematografien im Zentrum stehen, mag einem, angesichts einer globalisierten Gegenwart, fast schon anachronistisch vorkommen. Ich glaube jedoch, dass gerade die Philippinen-Reihe zeigt, warum solche vermeintliche Einschränkungen nach wie vor sinnvoll sein können. Dazu gleich mehr 
Zunächst aber gleich eine andere Einschränkung: Diese Reihe möchte keinen Querschnitt der gesamten philippinischen Filmproduktion der letzten Jahre zeigen. Das könnte sie mit zwölf Filmen auch gar nicht leisten, dazu ist dieses Kino zu reichhaltig und zu vielfältig. Ganz außen vor bleibt zum Beispiel das populäre Mainstreamkino der Philippinen; das befindet sich zwar seit geraumer Zeit in der Krise und kann an den heimischen Kassen Hollywood nur in Ausnahmefällen Konkurrenz machen, nach wie vor erreichen jedoch Jahr für Jahr mehrere Dutzend meist billig heruntergekurbelte Genrefilme, hauptsächlich Melodramen und Komödien, die Kinos. Dass es auch in diesem Bereich Interessantes zu entdecken gibt, hat dieses Jahr in Cannes Erik Mattis Thriller “On the Job” gezeigt.
Die Reihe Kinematografie Heute: Philippinen beschränkt sich dagegen auf das neue Autorenkino, das in den letzten Jahren weltweit von sich reden machte und das mit dem populären philippinischen Kino sehr, sehr wenig gemeinsam hat. Die Reihe besteht ausschließlich aus Filmen, die unabhängig und mit zumeist extrem geringen finanziellen Mitteln produziert wurden; Filme, die auf den Philippinen selbst oft kaum gezeigt werden können, obwoh sie auf den größten internationalen Filmfestivals gefeiert werden - Filme, die sich oft ein ganz anderes Bild von ihrem Publikum machen als ihre populärkulturellen Pendants. Lav Diaz sagt in einem Interview über einen seiner älteren Filme:if you cannot sit through ten hours this time, I will wait for you. Maybe ten years from now you can watch it. I will wait for that. Art can wait. There is no rush.” Keine Angst: Die beiden Filme von Lav Diaz, die wir in diesem Programm zeigen, dauern nur jeweils sechs Stunden. “Art can wait” und “no rush”: Das sind wichtige Einsprüche nicht nur gegen die Atemlosigkeit des Kommerziellen, sondern zum Beispiel auch gegen den Weltpremierenfetisch des gegenwärtigen Festivalkinos. Zu dem zumindest ein Teil der hier präsentierten Filme ein durchaus gespanntes Verhältnis unterhält. 
All das heißt nicht, dass das Junge Philippinische Kino nichts zu sagen hätte über die Philippinen. Im Gegenteil: Möglicherweise mit Ausnahme des Neuen rumänischen Kinos fällt mir keine Kinematografie ein, die sich derzeit so intensiv, fast schon manisch, mit Vergangenheit und Gegenwart ihres Herkunftlandes auseinandersetzt, wie das die philippinische tut. Wieder und wieder versuchen die Filme, sich einen Reim auf das Land zu machen, in dem sie entstehen. Vielleicht ist das tatsächlich der einzige gemeinsame Nenner, auf den man die Filme, die hier in den nächsten Wochen zu sehen sein werden, bringen kann. Denn auch wenn die Regisseure und Regisseurinnen, die sie hier kennenlernen können, sich gegenseitig kennen, oft gemeinsam arbeiten, gegenseitig in ihren Filmen mitspielen, gegenseitig ihre Filme produzieren, so gilt doch trotzdem, was schon der Titel einer Buchveröffentlichung zum jungen philippinischen Kino andeutet: This Is Not a Film Movement. 
Es gibt - und das ist ein Unterschied zu Rumänien - keinen “philippinischen Stil”, den man zum Beispiel an einer bestimmten Erzählform, oder an bestimmten filmtechnischen Parametern festmachen könnte. Die fiebrigen Handkamera-Gegenwartsanalysen eines Brillante Mendoza, die Punk-Extravaganz von Khavn de la Cruz, die hypnotischen Zeitbilder bei Lav Diaz: all dies hat miteinander nichts gemeinsam - außer eben einem unbedingten Bezug auf das, was Raya Martin, ein weiterer wichtiger Regisseur dieses Kinos, einmal “The Prolonged Sorrow of the Filipinos” genannt hat; einen unbedingten Bezug auf die drei konsekutiven Kolonisierungen durch Spanien, die USA und Japan, die die philippinische Geschichte über Jahrhunderte prägten; auf die verheerenden Jahre der Marcos-Diktatur; auf die zahllosen ökonomischen, sozialen und politischen Probleme, die das Land auch heute noch - dem Wirtschaftsboom der letzten Jahre zum Trotz - prägen. 
Fast schon böswillig scheint es da, wenn diesen Filmen pauschal Miserabilismus oder Elendspornografie vorgeworfen wird. Realismus ist natürlich auch im philippinischen Kino ein Effekt von Technik - das verwandelt ihn aber noch lange nicht in eine Lüge. Nur ein Beispiel: Der junge Regisseur Pepe Diokno hat für seinen Debütfilm “Engkwentro”, den sie gleich sehen werden, das Armenviertel, in dem der Film spielt, als aufwändige Studiokulisse nachgebaut - in unmittelbarer Nähe eines realen Slums. Gerade durch seine brüchige Artifizialität entwickelt der Film, glaube ich, seinen außergewöhnlichen Sog. 
Gemäß der prekären Ökonomie, in dem es entsteht, ist das Neue Philippinische Kino keines der großen, in sich selbst ruhenden Meisterwerke; sondern eher eines des ewigen Provisoriums - und des kreativen Experiments. Die außergewöhnlichen Freiheiten, die sich dieses Kino nimmt, hat auch etwas zu tun mit der Filmtechnik. Wie Sie dem Programm entnehmen können, werden fast alle Filme des Programms digital projiziert, viele davon in heutzutage fast schon exotischen Formaten wie DigiBeta oder Beta SP. Das ist in diesem Fall keine Frage der Bequemlichkeit: Das Independentkino der Philippinen setzte früher und konsequenter als Filmschaffende der meisten anderen Länder auf digitale Technik 
Dass die Digitalisierung im Kino nicht nur in Oberflächenglanz und überdimensionierten Effektshows resultieren muss, dass sie nicht einfach nur den Look der Filme verwandelt - sondern, dass sie auch eine neue Kontaktzone zwischen Film und Leben herstellen kann: auch das zeigt, hoffe ich, die Filmreihe Kinematografie Heute: Philippinen. Vielen Filmen gemeinsam ist, glaube ich, eine Konzeption von Kino, die nicht mehr vom fertigen Produkt und seiner Platzierung auf dem Markt ausgeht, sondern von der Utopie eines Filmschaffens, das kontinuierlich mit dem Alltag mitläuft: mal als audiovisuelles Tagebuch, mal als versponnener Tagtraum, mal als historisches Erinnerungsbild, mal, wie im Film des heutigen Abends, als wütender politischer Kommentar. In diesem Sinne versammelt die Reihe nicht einfach nur ein paar Filme, die zufällig alle in den letzten Jahren entstanden sind, sondern sie untersucht tatsächlich mit jedem Film neu, das hoffe und glaube ich zumindest, was Kinematografie heute alles sein kann.






Friday, August 09, 2013

Mannen pa taket, Bo Widerberg, 1976

Einige der Sjöwall / Wahlöö-Krimis habe ich vor vielen Jahren einmal gelesen. Wenn ich mich richtig erinnere, auch den Mann auf dem Dach. Bei allem kommunistischen Furor hatte ich die Bücher aber nicht halb so hart, kalt-fiebrig, unversöhnlich in Erinnerung, wie das, was mir da aus dem Schüttelfrost-Film von Bo Widerberg entgegengesprungen ist; aus dem unglaublich tollen Soundtrack nicht zuletzt, der den Film wieder und wieder antreibt, ohne eigentlich viel klangliche Substanz zu haben; eigentlich ist das zombifizierter Morricone. Genau wie die ausgeblichenen Farben (auf der DVD zumindest) aussehen wie zombifiziertes Technicolor. Und der ganze Film wäre dann so etwas wie ein zombifizierter Poliziottesco (ohne den Alfa Romeo Giulia und dessen Federung, jeder Cut fährt einem direkt in die Knochen), ein zombifizierter Eastwood-Copfilm.

Ganz anders, eigentlich gialloartig beginnt alles mit einer (unreinen) Subjektiven des Killers, die dann aber nach dem ersten Mord komplett wegbricht, einem protokollarischen procedural Platz macht: alte Männer in leergeräumten Funktionsbauten tauschen Informationen aus. Besonders gern reden sie über Waffen. Sozialdemokratisch-protestantisch-skandinavische Tristesse - Familie und Arbeit, Familie als Arbeit, Arbeit als Familie, kein Ausweg, außer man geht aufs Dach und schießt auf alles (Uniformierte), was sich bewegt. Ein unfassbares Finale, da auf dem Dach, gut vierzig Minuten lang, da wird der Film endgültig zur Bewegungschronik. Ein gewissen Regeln folgender und dennoch vollkommen sinnfreier, in gewissem Sinne abstrakter Amoklauf, fast schon ein Amoklauf ohne Amokläufer. Alles genau und ohne viel Spirenzchen nachgezeichnet und dennoch im filmischen Detail (die Einstellung, die dem Kind auf dem Dreirad folgt, fast wie in The Shining) hemmungslos. Das blanke Entsetzen der Passanten, in dem Moment, in dem die sonst strukturell bleibende Gewalt an die Oberfläche der Gesellschaft dringt.

Das stimmt so natürlich nicht ganz, wie ich das nacherzählt habe, wenn man den Plot beim Wort nimmt. Der Mann auf dem Dach hat durchaus gute Gründe, er hat eine Biografie, sicher auch einen Körper; nur: den bekommt der Film nicht zu fassen. Es gibt außerdem Differenzen, erst einmal: gute Polizisten und böse Polizisten. Nur sehen die guten genauso kaputt aus wie die Bösen. Es gibt alte Männer und junge Männer (Frauen gibt es wenige; vielleicht deshalb, weil die Männer sie umgebracht haben). Zynische alte Männer und politisch aktive junge Männer, genauer gesagt. Aber die jungen sehen auch schon alt aus.


Thursday, August 01, 2013

Sitcomedies

The Long, Long Trailer, Vincente Minnelli, 1953

Der lange, lange Trailer ist dem Sitcom-Studio ähnlich, weil er alles hat, um als Wohnung durchzugehen und trotzdem ein Surrogat ist und als solches erkennbar bleibt, weil er ein Raum ist, der sich nicht nach den Bedürfnissen seiner Bewohner ausrichtet, sondern an übergeordneten, weil er dadurch ungangbar und pointenschwanger gemacht wird; interessanterweise auch: weil er, als Surrogat, eigentlich eine Einübung sein sollte in etwas, das dann in einem "richtigen Haus" seine Fortsetzung findet (wie ein Filmtrailer im Film, den er bewirbt; die neue Art des Trailers wäre dann ein Versprechen, das von seiner eigenen Erfüllung nicht mehr unterscheidbar ist), aber doch gleich als permanent gesetzt wird. Aus dem Trailer gibt es, wie aus dem Sitcomstudio, kein Entkommen in Richtung einer ganzheitlicheren, organischeren Form des Lebens. Trailer und Studio setzen sich über alle Beschränkungen hinweg (in ihren Beschränkungen?) absolut.

Der lange, lange Trailer ist dem Sitcomstudio ähnlich, weil er keine natürliche Beziehung hat zu seinem Außen.

Der lange, lange Trailer ist dem Sitcomstudio unähnlich, weil man trotzdem aus seinem Fenster sehen kann. Weil er sich, wo auch immer er abgestellt wird, zu seinem Außen in eine Beziehung setzt, die zwar nicht natürlich ist, die aber den Schein des Natürlichen annehmen und daraus Humor gewinnen kann: Das vormoderne, übersoziale Kleinstadtleben im Trailer Park wird mit einem überharmonischen establishing shot aufgerufen, der in einem Dreißigerjahrefilm wahrscheinlich noch ernst gemeint gewesen wäre, bei Minnelli aber schon Vorbote des Vergemeinschaftungshorrors ist. Der Trailer vermittelt die Privatheit der neuen Sitcom-Intimitätskomödie mit der im Verschwinden begriffenen Offenheit der Gesellschaftskomödie des klassischen Kinos: Wenn die Großfamilie nervt (und man ihr obendrein die Veranda eingerissen hat; ganz groß: die verschüchterte, von der Familie gleichzeitig verschämt im Hintergrund gehaltene und ostentativ miteinbezogene Tante - an ihr kann man präzise festmachen, was die Komödie im Verlauf ihrer Sitcomisierung verlieren wird), kann man einfach davon fahren, ins private Glück, beziehungsweise dessen ewige Suspension. Der lange, lange Trailer "trailt" (the trail: Spur, Pfad, Schweif, etwas, was nach vorn und zurück verweist, was einen Weg vor- und ihn gleichzeitig als schon zurückgelegten bezeichnet) einen dabei, als Ballast, den man nicht los wird.


Desi Arnaz gehört, anders als die dem Slapstickkino verhaftete Lucille Ball, ganz dem Fernsehen. Ball ist lustig, weil sie sich selbst auch in den wildesten, am direktesten aufs Publikum jenseits des Proszeniums (hier: der Leinwand und der sich hinter ihr erstreckenden Zeit/Raum-Schlucht) ausgerichteten Grimassierungen vergisst, und zwar restlos; Arnaz vergisst sich nie, spielt immer in selbstaffirmierenden Anführungszeichen, seine Gesten kommentieren den übereifrigen Machismo im selben Moment, in dem sie ihn hervorbringen. Den stärksten Momente hat er, wenn der hochprofessionelle Showman, der er ist, sich ganz vor seine Rolle drängt, wenn er sich nach einem besonders heftigen Streit mit Ball ungerührt eine Zigarette anzündet und weiter fährt, ins nächste sitcomartig selbstgenügsame Filmsegment.

---

Grown Ups 2, Dennis Dugan, 2013

Das Besondere an diesem Film, der vorderhand eine eher schwächere Variation auf seinen einen direkten und seine vielen indirekten Vorgänger im "Happy Madison"-Kanon ist (weil ihm zum Beispiel ausgerechnet Rob Schneiders Figur abhanden kommt, die beste des ersten Grown Ups - kein schlechter Ersatz allerdings: Steve Buscemi): dass er das Familiär-Intime ganz aufgibt zugunsten einer Selbstauflösung in eine groteske, formzerstörende postorganische Gemeinschaft hinein. Deutlich wird die Differenz zum zweiten großen Zusammenhang der gegenwärtigen amerikanischen Komödie, den Apatow-Produktionen; die sind mit dem gleichwohl trotzdem unterschätzten This Is 40 endgültig da angekommen, wo sie von Anfang an waren: in der Familiensitcom. Grown Ups 2 ist dagegen so wenig Sitcom, wie wenig Anderes in der amerikanischen Komödie und nur dann ein schlechter Film, wenn man ihn an Kriterien misst, die an der Sitcom geschärft sind.

---

Wayne Knight (Seinfeld; Newman), der in Jurrasic Park die Dinosaurier auf die Menschheit, Ethan Suplee (My Name Is Earl; Randy), der in Unstoppable einen Zug auf eine Kleinstadt loslässt... Eine Filmgeschichte, die noch geschrieben, bzw zu weiten Teilen noch gefilmt werden muss: Wie die Sitcom-Figuren all die asoziale Energie, die sie innerhalb der Serie nicht loswerden können, am Rest der Welt ausagieren.