Friday, November 01, 2013

Désiré, Sacha Guitry, 1937

Die Genialität dieses genialen Films liegt nicht darin, dass alles in ihm wie geschmiert abläuft; keine Genialität der Leichtigkeit. Ganz im Gegenteil muss der Film immer wieder angeschoben werden (nicht zuletzt von der großartigen Musik); eine Genialität der Klobigkeit.

Das anfängliche Gleichgewicht - Zwei Dienerinnen, zwei Herrschaften, sich gegenseitig belauschend; gegenseitig über das gegenseitige Belauschen Bescheid wissend - entwickelt aus sich heraus nichts. Schon Guitrys erster Auftritt als Hausdiener Désiré, als der dritte Diener, der die Sache in Schwung bringen muss, kündigt sich durch mehrere hinweisende Inserts an: Da kommt jemand, gleich geht's los. Er stellt sich dann selbst in den Film hinein, macht sich in seiner klobigen Masse breit, im Dienstboteneingang zunächst, macht dann zunächst die beiden Dienerinnen zu seinen Komplizinnen: Hier muss etwas passieren, jetzt gleich.

Es reicht freilich noch nicht. Es braucht noch einen Telefonanruf von einer Frau, die neben sich einen Hund stehen hat. Die gibt das Muster vor: Er, der Mann und Diener, nähert sich ihr, der Frau und Herrin an, wird zuerst abgewiesen, dann aber doch nicht.

Das Muster wandert vom Telefonanruf in den Traum (tolle Sequenz: die fünf Traumblasen). Der Traum allerdings reicht auch wieder nicht aus, muss sich materialisieren, als Traumbuch. Das wurde so oft auf derselben Seite ("erotische Träume" - wo sonst?) aufgeschlagen, dass sich jetzt diese Seite wie von selbst öffnet, wenn man zur Hand nimmt.

Man könnte auch sagen: Die Fantasien prägen sich den Dingen auf. und werden dann wieder von diesen verräterischen Dingen "abgelesen". Das gilt auch für die Gabel, die Guitry verbiegt, die Klingel, die plötzlich loszuleuten beginnt, weil das Traumbuch auf ihr platziert wird (worauf sich alle gleichzeitig zur Ordnung gerufen fühlen), die Krümel seiner Angebeteten, die Guitry sehnsuchtsvoll anstarrt. Die Dinge sind der Fantasie gleichzeitig im Weg und das einzige, was empfänglich für sie ist. Denn realisiert werden darf sie nicht.

Wenn die Situation festgefahren ist, kommt Nachschub, Besuch. Ein Slapstickzwischenspiel, während dem man nebenbei erfährt: Regierungskrise, Rücktritt des Präsidenten, draußen ist die Hölle los. Aber Désiré ist ein Film, der sich nach Innen auffaltet, kein Draußen kennt, der auch das Äußerliche, die Dinge, die (schalldurchlässigen) Wände, die (nicht schalldurchlässigen) Decken in Innerliches verwandelt.

Immer wieder: Stocken, neu Anschieben. Was nie entsteht ist eine Ökonomie, die alle Fantasien und Dinge umfassen und "wie von selbst" neu anordnen würde. Man kann die Fantasien und Dinge nicht gegeneinander aufrechnen. Im Weg ist auch die Klassenschranke, aber nicht nur die: Es gibt auch schlichtweg ein zu großes Eigengewicht jeder einzigen Regung, jedes einzigen Dings.

In Guitrys letztem, fantastischen Monolog kann man das nachvollziehen: Keine Ökonomie hat sich aus all dem Terz formiert, für ihn persönlich heißt das: keine Möglichkeit der Triebabfuhr. Alles, was ihm zu tun bleibt, ist ein letzter Monolog, der ihn im nochmaligen Nachvollzug seines Dillemas, verformt. Zum Abschied keine Verbeugung, sondern eine Verbiegung.





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