Monday, September 29, 2014

Le grand amour, Pierre Etaix, 1969

Schon dass die Etaix-Filmschau in Weißensee, in der Brotfabrik stattfindet, macht sie besonders. Ich war da seit Jahren nicht mehr in der Brotfabrik, oder überhaupt nur in Weißensee oder irgendwo im Nordosten Berlins gewesen. Sofort angetan waren wir vom Cafe direkt in der Brotfabrik, dessen Fensterfront sich auf eine breite Straße öffnet und den Blick auf eine Häuserzeile von wunderbarer, altberliner Tristesse freigibt. Der Kinosaal ist klein, aber dafür fast voll, aber nicht mit den üblichen cinephilen Verdächtigen.

Etaix war selber da, an den ersten drei Abenden: Ein kleiner, zurückhaltender, rüstiger 86-jähriger, der sichtlich glücklich darüber ist, dass seine Filme noch gezeigt werden und offensichtlich noch funktionieren. Nicht mehr in Berlin war er gestern, bei Le grand amour, den er am Abend vorher als seinen Lieblingsfilm unter seinen eigenen Arbeiten bezeichnet hatte.

Vielleicht ist der Film auch mein Lieblings-Etaix. Zumindest ist es der, den der Regisseur offensichtlich am besten in den Griff bekommen hat. Humor entsteht in Le grand amour nicht mehr aus Unfällen, aus Sinnzusammenbrüchen, sondern aus Umbauten, aus Sinnmanipulation, konjunktivistischen Bildern. Humor heißt, die Wirklichkeit auf Möglichkeitsformen hin durchsichtig werden zu lassen. Manche Möglichkeitsformen bleiben in der Imagination: Die Frau, die man heiratet, könnte eine andere sein; oder auch man selber könnte ein anderer sein, und sich dann anders zu der Frau verhalten. Andere drohen ihrerseits neue Wirklichkeiten zu schaffen: der Kleinstadtklatsch verwandelt eine Parkbegegnung Schritt für Schritt - immer im selben, weiten Framing - in eine Affäre.

Strukturell liegt der Witz vielleicht darin, dass der Film die Möglichkeit wieder (als Filmbild) materialisiert, dass die Hauptfigur von Le grand amour also über ihre Gedanken doch auf dieselbe Art stolpert wie die Vorgängerfiguren über zum Beispiel ihre Sitznachbarn im Kino. Der Film erkennt die Gemachtheit alles Sozialen mit derselben melancholischen Beiläufigkeit an, mit der der Vorgänger Tant qu'on a la sante in seiner letzten (+ besten) Episode jegliche Waldromantik entzaubert: Ob man raus in die Natur geht, oder zu hause bleibt, in der rosa zugehäkelten Wohnung, die direkt über der der Schwiegereltern gelegen ist: hier wie da ist alles voller Stacheldraht.

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