Monday, November 30, 2015

Hold Back the Night, Allan Dwan, 1956

Meine beiden Lieblingsfilme von Dwan sind um Genuss versprechende Objekte herum konzipiert: Rendezvous With Annie um einen Schokoladenkuchen, Hold Back the Night um eine Flasche Scotch. In beiden Filmen gibt es eine fast manische und auch durch den symbolischen Überhang (beide stehen offensichtlich für Sex; der Kuchen ausschließlich, die Flasche unter anderem) nicht erklärbare Fixierung auf die Objekte: Die Figuren reden nicht nur andauernd über sie, zumindest in Hold Back the Night wollen sie die Flasche auch andauernd anfassen, sie aus- und wieder einpacken, von allen Seiten betrachten und so weiter. Die Objekte sind nicht austauschbar, also keine MacGuffins, aber sie werden auch nicht in ihrer Einzigartigkeit mystifiziert, sind keine Fetische. Niemand behauptet oder glaubt, dass mehr an ihnen dran ist, als man sehen, fühlen und potentiell erschmecken kann. Sie stehen für ein legitimes, nachfühlbares, erfüllbares Verlangen, das durch die Umstände (in beiden Fällen: den Krieg; der im Fall von Hold Back the Night allerdings permanent gedacht ist) gerade so außer Reichweite liegt - genau das macht sie so gefährlich. Am Ende wählt Rendevouz With Annie den katholischen und Hold Back the Night den protestantischen Ausweg.

Friday, November 27, 2015

Woman They Almost Lynched, Allan Dwan, 1953

Woman They Almost Lynched ist unter den 1950er-Western Dwans der lebhafteste, derjenige, der noch am deutlichsten an einen Precode-programmer erinnert in seinem Erzähltempo, in der Unverfrorenheit im Umgang mit den Figuren, in seiner Lust an gezielten, effektvollen, aber eben eher wie nebenbei abgehandelten, nicht überlebensgroß aufgeblasenen moralischen Überschreitungen.

Eine Schau für sich ist ein Überfall auf eine Postkutsche gegen Beginn. Frenetischere Stunts habe ich im klassischen Hollywoodkino selten gesehen.












Ein Mann springt über drei Pferderücken und quetscht sich dann zwischen zwei weiteren Pferden ein, auch sonst hat man den Eindruck, dass auf die Tiere mehr acht gegeben wird als auf die Menschen. So ist es dem Film wichtig, zu zeigen, dass auch das hier unten liegende Pferd wieder aufsteht:


Auch sonst gibt es immer wieder Momente, in denen der Film das dem Drama Äußerliche Pferdsein der Pferde betont. Sie dürfen sich kurz schütteln, traben einen Moment weiter, nachdem ihr Reiter abgeworfen wurde. Ihnen doch egal, was die da treiben.

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Die Grenze zwischen Yankees und Rebels verläuft mitten durch eine Stadt, die auch so heißt: Border Town; und sogar mitten durch den zentralen sozialen Ort der Stadt, dessen Name Diagnose und Versprechen zugleich ist: Lead Dollar Saloon. Beherrscht wir Border Town von einem Matriarchat, das von Nina Varela resolut und im No-Nonsense-Stil angeführt wird. Varela wacht auch darüber, dass die Neutralität eingehalten wird.

Tatsächlich gibt es in Border Town zwei zentrale Gemeinschaften, beide bestehen ausschließlich aus Frauen: Varelas bürgerliche Gemeinschaft der Sittsamen (aber eben auch: pragmatisch Zupackenden); und die Gemeinschaft der nicht-Sittsamen im Saloon.





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Der zentrale Konflikt ist dann aber noch einmal ein anderer: Eine Frau (Audrey Totter, wunderbar) ist abtrünnig geworden und den Männern verfallen. Eine andere (Joan Leslie, noch wunderbarer) muss sie für die Weiblichkeit zurückgewinnen. Mit Waffengewalt. Die Männer, die durchweg am Rande des Films rumlungern, aber jede Gelegenheit nutzen, für Unheil zu sorgen, wollen sie dafür lynchen. Aber daraus wird nichts, das sagt ja schon der Titel. Ein Meisterwerk!




Thursday, November 26, 2015

Verboten!, Sam Fuller, 1959

Mit Archivmaterial geht Fuller in Verboten! nicht erst in der erstaunlichen Nürnberger-Prozess-Szene auf interessante Art um. Auch vorher ragen in die Spielhandlung immer wieder dokumentarische Bilder hinein. Besonders aufgefallen ist mir die "Kartoffelszene". Fuller schneidet da zunächst historisches Material eines Kartoffellasters in den Film, der von Menschen, teils in zerfetzter Sträflingsmontur, umringt wird, die versuchen, einer Handvoll Knollen habhaft zu werden. Der Laster wird in dieser Einstellung in Aufsicht gezeigt. Sie ist beidseitig imaginär integriert, das heißt: die Menschen in der Fiktion reagieren sowohl vor, als auch nach seinem Auftauchen auf den realgeschichtlichen Kartoffellaster. Vorher blicken Sie ihm erwartungsvoll entgegen, nachher lassen sie alles stehen und liegen und laufen in seine Richtung. Und dann, nach diesem reaction shot, gibt es eine sonderbare Einstellung, die zeigt, wie die nun fiktionalen Kartoffeln ins Bild purzeln. Von der Seite, vom Bildrand aus, wo man noch ein Stück Laster sieht, aber keineswegs das ganze Fahrzeug. Wie als würden da plötzlich tatsächlich die Kartoffeln der Geschichte in den sonderbar hybriden Diskursraum des Fullerfilms hineingekippt.

Monday, November 16, 2015

Flight Nurse, Allan Dwan, 1953

Männer und Frauen. Der Film kennt da keine Nuancen, auch keine Überschreitungen: Die Männer und die Frauen, das sind zwei getrennte Welten. Männer und Frauen, nicht aber: das Männliche und das Weibliche. Es geht nicht um einen Wesenskern, lediglich um soziale Rollen, die aber nicht als verfügbar gedacht sind. Der Krieg mobilisiert die Männer und die Frauen. Er bricht dabei die Zweiteilung der Welt nicht auf, aber er führt auf beiden Seiten eine weitere Unterscheidung ein: die Frau des Krieges und die Frau des Heims, der Mann des Krieges und der Mann des Heims. Die Männer fliegen die Flugzeuge, kämpfen und sterben, die Frauen pflegen die Männer. Joan Leslie erkennt sofort: Die Frau, deren Foto ihr Verlobter aufbewahrt, ist eine Frau des Heims, sie selbst ist eine Frau des Kriegs. Eifersucht wäre fehl am Platz.

Toll sind die vielen "Pflegeszenen", in denen sich oft mehrere Frauen gestaffelt über einen Mann (irgendwann aber auch mehrere Männer gestaffelt über eine Frau) beugen, toll sind auch die Rückprojektionen, die vorne Joan Leslie in Großaufnahme und hinten Archiv-Kriegsbildmaterial zeigen. Das empfindsame (tatsächlich ein wenig flatterhaft-nervöse) Gesicht, das doch auf Distanz bleibt... wie Ingrid Bergman bei Rossellini... aber das sind nur kurze Momente, alles Religiös-Erhabene bricht stets schnell wieder weg, wenn Dwan damit beginnt, seine Dreiecke aufzubauen. Männer, die zwischen Frauen treten, Frauen, die zwischen Männer treten. Zum Beispiel im Cockpit eines Flugzeugs, wo man dann gemeinsam zu scherzen, einmal glaube ich auch zu singen beginnt.

Was allerdings neu dazukommt, ist Leslies Voice Over. Der hebt sie wirklich aus dem Film, macht sie zu einem allwissenden, allgütigen, aber trotzdem profanen Engel.

Low budget filmmaking als Exzess der Gefühle: Für den physikalischen Aspekt eines Flugzeugabsturzes benötigt Dwan lediglich eine einzige Einstellung, die einen halb abgebrochenen Flugzeugflügel zeigt. Der Rest der Szene ist dem emotionalen Aspekt gewidmet: reaction shots aus dem Flugzeuginneren, fast in Echtzeit.

Monday, November 09, 2015

Angel in Exile, Allan Dwan und Philip Ford, 1948

Zwei Filme über den Kapitalismus hat Allan Dwan im Jahr 1948 gedreht: The Inside Story erklärt die Produktivität der Waren- und Devisenzirkulation vermittels einer Farce, Angel in Exile übersetzt den Wertschöpfungsprozess in einen kleinen, erst staubtrockenen, dann plötzlich hochgradig sentimentalen Thriller.

Die Mine,  ist zu Beginn schon längst "ausgetrocknet", der Claim, den Charlie Dakin nach seiner Haftenntlassung erwirbt, also eigentlich wertlos. Freilich befindet sich trotzdem Gold im Stollen. Nicht als zu bergendes Mineral im Gestein, sondern bereits in Säcke verpackt, als Beute eines Banküberfalls. Wie nun dieses Vermögen unter die Leute bringen, ohne aufzufallen? Dakin und seine Komplizen kommen auf die Idee, die geraubten Goldbaren wieder zu entformen und dem eigentlich bereits profanisierten Gestein in der Mine unterzujubeln. Natürlich, um das Vermögen ein weiteres Mal "finden" und dann auf unverdächtige Art in unschuldig-neutrale Geldscheine umtauschen zu können. Versucht wird: die Wiederverzauberung der Welt. Der Film protokolliert deren Misslingen.

So wie dieser Plan wie ein Echo auf den ursprünlichen Goldabbau in der Mine wirkt, wirkt Dwans Film (Philip Ford sprang lediglich für eine Woche als Krankheitsvertretung ein) wie ein Echo auf den Western. Echo jeweils in dem Sinn, dass Handlungen und Reize, bzw Bilder und Töne weiterbestehen, obwohl sie sich von ihrem ursprünglichen Begründungszusammenhang gelöst haben. Die Mine, um die sich der gesamte Film dreht, aus der sich alle filmische Energie speist, ist ein leeres Zentrum, ihr Status im Bild bleibt prekär, über weite Strecken verschwindet sie ganz aus dem Film, das Katz-und-Mausspiel der unterschiedlichen Interessenten spielt sich hauptsächlich in einer Hütte nebenan ab.

Als sie das erste Mal auftaucht, gähnt sie als reine Negativität zwischen den beiden Verschwörern, fast genau in der Bildmitte. Die Mine ist einerseits ein Magnet, andererseits weiß man nie so recht, was aus ihr herauskommt.






Ein Esel und eine Frau entsteigen der Mine. Beziehungsweise, wie bald klar wird: ein Melodrama, das sich nicht durch die Mine begrenzen lässt. Ist das Gold erst einmal in der Welt, ist es erst einmal verfügbar gemacht für den Kapitalfluss, bekommt man es nicht mehr zurückgebunden an die Natur, die es einmal war. Wenn Geld überhaupt einen Ursprung hat, kann es ihn nur einmal verlieren. Die Mine ist nicht mehr als ein framing device unter anderen. Für viele tolle B-Movie-Gesten, btw.













Thursday, November 05, 2015

Karl Kels

Zwei Filmprojektoren hatte der Neuköllner Kunstraum Spektrum ausgeliehen und nebeneinander auf Holzböcken aufgebaut: Ein 16mm-Gerät, mit dem im ersten Teil des Abendprogramms neun auf einer Rolle gekoppelte 16mm-Filme von Karl Kels vorgeführt wurden. Und ein 35mm-Gerät, durch dem im zweiten Teil Kels' 35mm-Film Sidewalk ratterte. Tatsächlich hatte ich vorher noch nie ein 35mm-Screening mit Projektor im Zuschauerraum erlebt, anders als das sanfte Summen des 16ers lässt sich das deutlich lautere Arbeitsgeräusch des größeren Geräts nicht so ohne weiteres ausblenden, schon gar nicht bei einem stumm konzipierten Film.

Möchte man den Filmen Kels' ein - auch noch allen oder wenigstens den meisten gemeinsames - Thema unterstellen (der Regisseur würde sich dem höchstwahrscheinlich verwehren), könnte das die Modularisierbarkeit der Welt sein. Jeder Weltausschnitt (grundsätzlich ist "Weltausschnitt" in den Kels-Filmen immer raumzeitlich gedacht; mal mehr vom Raum, mal mehr von der Zeit her, allerdings) lässt sich in eine Anzahl distinkter Elemente zerlegen. Wenn man nur genau und lange genug hinschaut, und sich dabei, mithilfe der zumeist komplett starren Kamera (regelrecht verstörend erscheinen die Bewegungen, die nach all der Stillstellung in Ofen, einem faszinierenden, aber auch anstrengenden Ausnahmefilm im Programm, auftauchen), alle Vorurteile über die Welt abtrainiert. Die Modularisierbarkeit transzendiert die Unterscheidung von Natur und Kultur, sie läßt sich auf Nashörner genauso anwenden wie auf Kondensstreifen und Friseursalons.

In den ältesten Filme des Programms - Heuballen, Kondensstreifen, Schleuse - dominieren einfache Formen und gerade Linien. Die späteren Filme zeigen, dass Modularisierung nicht zwangsläufig bei mondrianartiger Abstraktion enden muss; auch ein Nashorn ist ein distinktes Element, kann in der Montage an- und ausgeknipst werden (und verwandelt sich dabei in ein Nashorn-Passepartout). Tatsächlich führen alle Filme ab dem Nashornfilm die Unterscheidung zwischen statischen und bewegten Elementen ein (wobei schon in Kondensstreifen ein Vogel durchs Bild fliegt). Schon in Prince Hotel, noch deutlicher in Sidewalk, wird dann menschliches Verhalten als modularisierbar vorgeführt. Insofern kann man das Programm auch als einen Durchgang durch Genres des Dokumentarischen betrachten: von Natur- und Industrie- über Tier- und Portrait- bis hin zu ethnografischen Filmen. Alle diese Genres werden per Modularisierung an einen formalistischen Nullpunkt gebracht.

Am meisten beeindruckt haben mich Kondensstreifen und Prince Hotel. Kondensstreifen geht von einem vorgefundenen Muster aus - einem nach einer Seite hin offenen Dreieck, das der Kondensstreifen eines Flugzeugs gemeinsam mit einer Stromleitung bildet - und übersetzt sie in ein filmisches Muster. Als verfügbar, bzw modularisierbar wird dabei nicht nur der Bildraum in allen seinen Dimensionen und Spiegelverhältnissen vorgeführt, sondern auch die Emulsion, die in allen Bildpartien an und ausgeknipst werden kann. Kondensstreifen ist in diesem Sinne die Interferenz der beiden Unterscheidungen Welt / nicht Welt und Film / nicht Film. Wenn Kondensstreifen der, tja, kondensierteste Kels-Film ist, ist Prince Hotel der expansivste. Der Film ist in New York entstanden, in der Bowery und wählt als sein zentrales Motiv ältere Männer, die am Straßenrand oder in Hauseingängen sitzen und die gleichzeitig Subjekt und Objekt der Modularisierung sind: Sie segmentieren den Raum und die Zeit des Films, werden aber selbst ebenfalls zerlegt, in Körperpartien (Brustwarzen) und Mikrohandlungen. Ein Film, der beständig abschweift, überall Struktur findet, diese Strukturen aber in ihrer Vielgestaltigkeit zulässt.

Über zwei der 16mm-Filme finde ich im Internet außerhalb der Spektrum-Ankündigung keinerlei Informationen: Little Eddy und Barber Shop ("Barbor Shop" heißt es in der Ankündigung) könnten als Beiprodukte von Prince Hotel entstanden sein. Der erste zeigt ungefähr eine Minute lang ein einzelnes, isoliertes Gesicht, das nicht ganz klassisch, weil mit der Konvention verglichen etwas zu tief geframt ist und das deshalb nicht ganz fest in der Einstellung verankert zu sein scheint. Der zweite ist eine elegante Miniatur über einen Frisiersalon, in dem eine junge schwarze Frau einen Irokesenschnitt verpasst bekommt. Nachdem sie den Salon verlassen hat, zerlegt Kels den Salon in einzelne Elemente. Einmal filmt er eine glänzende Messingschale, in der als Spiegelung er selbst hinter seiner Kamera sichtbar wird.