Warum gibt es so wenig interessante, oder auch nur populäre Fußballfilme? Das kann man sich gerade jetzt wieder fragen, nachdem die WM in Russland wochenlang (oder zumindest bis zum Ausscheiden der deutschen Nationalmannschaft) in aller Munde, auf allen Kanälen war. Natürlich gibt es jede Menge Fußballfilme, und durchaus auch ein paar sehenswerte, aber angesichts der Tatsache, dass zumindest in Europa und Lateinamerika kaum ein Thema über alle sonstigen gesellschaftlichen Verwerfungen hinweg konsensfähiger ist als Fußball, darf man sich schon fragen, weshalb der Sport insbesondere im Erzählkino so wenig bleibende Spuren hinterlassen hat.
Das mag auch eine Geschmackssache sein, klar; aber zumindest mir fallen auf Anhieb mehr sehenswerte Box-, Baseball- und selbst Golffilme ein als Fußballfilme. Ist Fußball ein unkinematografischer Sport? Oder ist er dem Kino ganz im Gegenteil zu ähnlich? Schließlich gibt es viele Parallelen, angefangen bei Formalitäten: Ein Fußballspiel hat dieselbe Länge wie ein durchschnittlich langer Kinofilm: 90 Minuten plus ein bisschen Nachspielzeit. Außerdem ist Fußball ein inhärent melodramatischer Sport, was ihn zumindest von Baseball und Golf abhebt; und selbst beim Boxen kommt das Melodrama möglicherweise eher von außen, ergibt sich nicht in gleicher Weise wie beim Fußball aus dem physischen Geschehen, sondern ist auf das Drumherum der Vermarktung und der Präsentation angewiesen.
Etwas spekulativer: Sogar der Rhythmus eines Fußballspiels scheint mir vergleichsweise kinonah. Wie ein Film gliedert sich ein Spiel in eine Reihe einigermaßen distinkter Szenen, die mal nur wenige Sekunden, teils aber auch mehrere Minuten dauern. Spielunterbrechungen beim Seitenaus oder nach Fouls sorgen für kleine, Tore für größere Zäsuren. Dennoch bleibt der “Erzählfluss” gewahrt und auch einigermaßen variabel. Baseball und Golf, oder auch das im Kino ebenfalls recht gut repräsentierte American Football, sind hingegen stärker formalisiertere Sportarten, sind gekennzeichnet durch strikte, komplexe Regelsysteme und fixierte Positionzuteilungen, die einzelnen Partien beziehungsweise Wettkämpfe entwickeln sich weit weniger flüssig, ähneln eher einer Serie distinkter Entladungen, unterbrochen von oft längeren Pausen.
Vielleicht macht gerade das diese anderen Sportarten fürs Kino attraktiv: sie können leichter in einzelne, isolierte Fragmente zergliedert und also solche in eine Filmerzählung eingebaut werden. Ein Fußballspiel hingegen ist nur vom großen melodramatischen Bogen her wirklich lesbar. Es lässt sich nicht vom Kino vereinnahmen, sondern strebt vielmehr danach, das Kino zu ersetzen, ein ähnlich absolutes, selststabilisierendes Diktat der Sichtbarkeit zu errichten (siehe auch: Fußball wie noch nie, Hellmuth Costard, 1971 und Zidane, un portrait du 21e siècle, Douglas Gordon & Philippe Parreno, 2006 - zwei erstaunliche Fußballfilme, die ebenfalls darauf hinauslaufen, dass Fußball und Kino eins werden).
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Es gibt natürlich trotzdem tolle Fußballkinomomente. Aber die haben fast nie etwas mit dem glamourösen Profi- oder auch nur dem reglementierten Vereinssport zu tun. Viel öfter geht es um alltagsnahe Szenen, die den Sport auf seine kinetische Grundlagen reduzieren: ein Ball, der einerseits von Menschen in Bewegung gesetzt wird, und der andererseits zum Dreh- und Angelpunkt der Bewegungen dieser Menschen wird. Eine meiner Lieblingsfußballszenen habe ich in einem vergessenen deutschen Film der frühen 1980er-Jahre entdeckt: Jetzt und Alles, 1981, Regie Dieter Meier, Kamera Gérard Vandenberg. Ein Film, der die kalte Energie des New-Hollywood-Genrekinos auf überraschend schlüssige Art in ein rauhes No-Future-Berlin überträgt.
Richy Müller spielt den New-Wave-Sänger Marcel Tiss, der sich von Rudy Smirak (Jean-Pierre Kalfon), einem französischen Gangster, in eine Entführungsgeschichte hineinziehen lässt. Aber zunächst einmal müssen die beiden ein Auto stehlen. Während sich Smirak im Wagen zu schaffen macht, blickt Tiss sich um. Ein dumpfes, leises Geräuch lenkt seine Aufmerksamkeit auf sich. Es folgt ein Point-of-View-Shot: Zu sehen ist die Eckwand eines Hauses, hinter der ein Fußball herausgesprungen kommt. Fußballspieler sind zunächst nicht zu sehen, der Ball erscheint “aus dem Nichts” im Bild, als ein autonomes Bewegungselement, das nach dem nächsten Schnitt gleichzeitig Tiss und die Kamera aktiviert. Tiss wirft die Tür des Wagens zu, stoppt den Ball am Fuß, rennt auf zwei in der vorherigen Einstellung unsichtbare Jungs zu, versucht sie zu umspielen, verliert den Ball, rennt, als er das Aufheulen des Motors hört, wieder in die andere Richtung und springt ins anfahrende Auto, das anschließend beschleunigt und sich aus dem Bild entfernt.
Das alles in einer Einstellung gefilmt - eine brillante Plansquenz, allerdings eine der unauffälligen Art, weil sie nicht ihre eigene filmtechnische Brillanz, sondern, zumindest auf den ersten Blick, ganz hinter dem Dargestellten verschwindet. Genauer gesagt lässt sie sich vom Bewegungsmoment des Fußballsports affizieren. Sie beginnt eng geframt mit einer Nahaufnahme: Das Aufprallen des Balls aktiviert Tiss, sein vorher eher fahrig und unkonzentriert anmutender Körper wird unter Spannung gesetzt. Der Ball zentriert den Körper und auch den Kamerablick, der nach unten schwenkt und jetzt die Beine fokussiert, die den Ball erst routiniert stoppen und sich gleich darauf in Bewegung setzen. Wie, als würde sich da eine vorprogrammierte Körpermechanik in Gang setzen, die sich gleichzeitig auf die Kamera überträgt.
In den folgenden Sekunden erweitert sich der Blick erst zu einer Halbnahen und dann, wenn die Kamera um die Eckwand herumgleitet und den Blick auf eine Strassenflucht freigibt, zu einer Totalen. Die pure Bewegungsenergie wird erst in eine soziale Situation übertragen, und verflüchtigt sich dann, wenn das Auto sich von der Kamera weg aus einem Parkplatz entfernt, in das strukturierte Chaos des urbanen Alltags.
Das mag auch eine Geschmackssache sein, klar; aber zumindest mir fallen auf Anhieb mehr sehenswerte Box-, Baseball- und selbst Golffilme ein als Fußballfilme. Ist Fußball ein unkinematografischer Sport? Oder ist er dem Kino ganz im Gegenteil zu ähnlich? Schließlich gibt es viele Parallelen, angefangen bei Formalitäten: Ein Fußballspiel hat dieselbe Länge wie ein durchschnittlich langer Kinofilm: 90 Minuten plus ein bisschen Nachspielzeit. Außerdem ist Fußball ein inhärent melodramatischer Sport, was ihn zumindest von Baseball und Golf abhebt; und selbst beim Boxen kommt das Melodrama möglicherweise eher von außen, ergibt sich nicht in gleicher Weise wie beim Fußball aus dem physischen Geschehen, sondern ist auf das Drumherum der Vermarktung und der Präsentation angewiesen.
Etwas spekulativer: Sogar der Rhythmus eines Fußballspiels scheint mir vergleichsweise kinonah. Wie ein Film gliedert sich ein Spiel in eine Reihe einigermaßen distinkter Szenen, die mal nur wenige Sekunden, teils aber auch mehrere Minuten dauern. Spielunterbrechungen beim Seitenaus oder nach Fouls sorgen für kleine, Tore für größere Zäsuren. Dennoch bleibt der “Erzählfluss” gewahrt und auch einigermaßen variabel. Baseball und Golf, oder auch das im Kino ebenfalls recht gut repräsentierte American Football, sind hingegen stärker formalisiertere Sportarten, sind gekennzeichnet durch strikte, komplexe Regelsysteme und fixierte Positionzuteilungen, die einzelnen Partien beziehungsweise Wettkämpfe entwickeln sich weit weniger flüssig, ähneln eher einer Serie distinkter Entladungen, unterbrochen von oft längeren Pausen.
Vielleicht macht gerade das diese anderen Sportarten fürs Kino attraktiv: sie können leichter in einzelne, isolierte Fragmente zergliedert und also solche in eine Filmerzählung eingebaut werden. Ein Fußballspiel hingegen ist nur vom großen melodramatischen Bogen her wirklich lesbar. Es lässt sich nicht vom Kino vereinnahmen, sondern strebt vielmehr danach, das Kino zu ersetzen, ein ähnlich absolutes, selststabilisierendes Diktat der Sichtbarkeit zu errichten (siehe auch: Fußball wie noch nie, Hellmuth Costard, 1971 und Zidane, un portrait du 21e siècle, Douglas Gordon & Philippe Parreno, 2006 - zwei erstaunliche Fußballfilme, die ebenfalls darauf hinauslaufen, dass Fußball und Kino eins werden).
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Es gibt natürlich trotzdem tolle Fußballkinomomente. Aber die haben fast nie etwas mit dem glamourösen Profi- oder auch nur dem reglementierten Vereinssport zu tun. Viel öfter geht es um alltagsnahe Szenen, die den Sport auf seine kinetische Grundlagen reduzieren: ein Ball, der einerseits von Menschen in Bewegung gesetzt wird, und der andererseits zum Dreh- und Angelpunkt der Bewegungen dieser Menschen wird. Eine meiner Lieblingsfußballszenen habe ich in einem vergessenen deutschen Film der frühen 1980er-Jahre entdeckt: Jetzt und Alles, 1981, Regie Dieter Meier, Kamera Gérard Vandenberg. Ein Film, der die kalte Energie des New-Hollywood-Genrekinos auf überraschend schlüssige Art in ein rauhes No-Future-Berlin überträgt.
Richy Müller spielt den New-Wave-Sänger Marcel Tiss, der sich von Rudy Smirak (Jean-Pierre Kalfon), einem französischen Gangster, in eine Entführungsgeschichte hineinziehen lässt. Aber zunächst einmal müssen die beiden ein Auto stehlen. Während sich Smirak im Wagen zu schaffen macht, blickt Tiss sich um. Ein dumpfes, leises Geräuch lenkt seine Aufmerksamkeit auf sich. Es folgt ein Point-of-View-Shot: Zu sehen ist die Eckwand eines Hauses, hinter der ein Fußball herausgesprungen kommt. Fußballspieler sind zunächst nicht zu sehen, der Ball erscheint “aus dem Nichts” im Bild, als ein autonomes Bewegungselement, das nach dem nächsten Schnitt gleichzeitig Tiss und die Kamera aktiviert. Tiss wirft die Tür des Wagens zu, stoppt den Ball am Fuß, rennt auf zwei in der vorherigen Einstellung unsichtbare Jungs zu, versucht sie zu umspielen, verliert den Ball, rennt, als er das Aufheulen des Motors hört, wieder in die andere Richtung und springt ins anfahrende Auto, das anschließend beschleunigt und sich aus dem Bild entfernt.
Das alles in einer Einstellung gefilmt - eine brillante Plansquenz, allerdings eine der unauffälligen Art, weil sie nicht ihre eigene filmtechnische Brillanz, sondern, zumindest auf den ersten Blick, ganz hinter dem Dargestellten verschwindet. Genauer gesagt lässt sie sich vom Bewegungsmoment des Fußballsports affizieren. Sie beginnt eng geframt mit einer Nahaufnahme: Das Aufprallen des Balls aktiviert Tiss, sein vorher eher fahrig und unkonzentriert anmutender Körper wird unter Spannung gesetzt. Der Ball zentriert den Körper und auch den Kamerablick, der nach unten schwenkt und jetzt die Beine fokussiert, die den Ball erst routiniert stoppen und sich gleich darauf in Bewegung setzen. Wie, als würde sich da eine vorprogrammierte Körpermechanik in Gang setzen, die sich gleichzeitig auf die Kamera überträgt.
In den folgenden Sekunden erweitert sich der Blick erst zu einer Halbnahen und dann, wenn die Kamera um die Eckwand herumgleitet und den Blick auf eine Strassenflucht freigibt, zu einer Totalen. Die pure Bewegungsenergie wird erst in eine soziale Situation übertragen, und verflüchtigt sich dann, wenn das Auto sich von der Kamera weg aus einem Parkplatz entfernt, in das strukturierte Chaos des urbanen Alltags.
Die Textreihe "Konfetti" entsteht im Rahmen des Siegfied-Kracauer-Stipendiums. Mehr Informationen hier.