Sebastian Hotzheim, Mindset. Ein Versuch in brand extension, der schlecht ausgedachte Figuren in einem einfallsarmen Setting platziert und nur mithilfe immer wieder eingestreuter, reichlich beliebiger "El Hotzo"-Weisheiten über, zum Beispiel, Spam-Mail und Uhren im Wandel der Zeit halbwegs ordentliche Romanlänge annimmt. Das Beste an der Geschichte ist noch, dass sie zwischen Gütersloh und Mühlheim spielt - tatsächlich tut es der deutschen Gegenwartsliteratur, scheint mir, fast immer gut, wenn sie sich von Metropolen (insbesondere Berlin und Hamburg) fern hält und sich ins Abgerockte und Abgehängte vergräbt. Mindset landet immerhin zwischendurch mal auf Drogeriefilialen-Parkplätzen und besonders ausgesucht tristen Provinzbahnhöfen, das hat schon was, selbst die schon recht bemühte ostwestfälische Schützenfestszene verrät ein gewisses Beobachtungstalent. Aber letztlich braucht Hotzheim das Provinzgrau nur als Erdung für die Bling-Bling-Fantasien seiner jungmännlichen Egoboost-Protagonisten. Genau wie er die lässig die Jungs durchschauende Hotelangestellte Yasmin Kara lediglich als Sprachrohr für seine eigene, moralisierende Checkerperspektive braucht.
David Safier, Miss Merkel - Mord in der Uckermark. Vielleicht ist mein Sample ja tatsächlich sowas wie der letzte Sommer der Literatur, vor dem ChatGPT-Takeover. Kaum vorstellbar, dass Bücher wie dieses in zehn, fünfzehn Jahren, oder halt nachdem Safier und seine Generation in Rente gehen, noch mit allzu viel menschlichem Input verfasst werden. Allzu viele Prompts braucht's hierfür jedenfalls nicht, jeder Figur besitzt eine sehr überschaubare Anzahl an Eigenschaften, die in am besten dialogförmig aufgearbeiteten Pointen verbraten werden. Immer wieder in denselben Pointen, die Variationen sind minimal, alle fünf Seiten darf ein Satz mal humoristisch über die Stränge schlagen. Stilblüten wie "Die Nähe zu dieser unausstehlichen Frau war ihr unangenehm" würden ChatGPT vermutlich eher nicht unterlaufen. Der Krimiplot beginnt sehr klassisch, locked room mystery, wird aber dadurch ausgebremst, dass wir andauernd in Miss Merkels Kopf reinschauen und mit ihr die einzelnen Verdächtigen durchgehen. So macht das zumindest mir keinen Spaß.
Marc-Uwe Kling, Qualityland. El Hotzo, Miss Merkel, Marc-Uwe Kling... damit ist offensichtlich eine dominante Tendenz in der zeitgenössischen deutschen Witzigkeit aufgerufen. Merkmale: Satirischer Tonfall, politisch auf eher pauschale Art links: kapitalismuskritisch, antirassistisch, feministisch, wenn eine Frau mit Migrationshintergrund auftaucht, weiß man sofort, dass sie eine von den Guten und womöglich gar Sprachrohr des Autors ist (ist in der Tat in allen drei Büchern so, bei Kling am penetrantesten), kritische Webkultur- und Technikaffinität (bei Miss Merkel am wenigsten), schrecklich verlaberter Stil. Kling ist der ambitionierteste, aber auch der nervigste der drei. Es stecken wirklich ziemlich viele Ideen in diesem Buch, aber halt leider: wirklich nur Ideen, keine Welt, kein Milieu, auch nicht wirklich Figuren, nur jede Menge Kling-Avatare. Stilistisch ein bisschen wie Douglas Adams, aber ohne britische Lässigkeit, dafür mit jeder Menge teutonischer Selbstgerechtigkeit. Ich muss gestehen, dass die Lektüre, so hart sie auch ist, auch ein bisschen wehmütig macht. So sehr der linksliberale Mainstream, der sich hier Bahn bricht, auch in seiner Engstirnigkeit, seinen Truismen usw nervt; was auf ihn folgen wird bzw schon ziemlich real folgt, wird garantiert viel schlimmer sein.
Jochen Distelmeyer, Otis. Metaliterarische City symphony, schwer verhoben am eigenen Anspruch, sprachlich oft so schief, dass es sich in der Tat nach einem ersten Draft liest, den vor der Veröffentlichung niemand mehr auch nur grob gegenlesen sollte. Auch das Taxifahrerkapitel zum Beispiel ist anders kaum erklärbar. Und doch... längst nicht das doofste Buch, nicht einmal die doofste Berliner City symphony des Samples. Distelmeyer Scheitern ist, scheint mir, zumindest auch ein Scheitern an der Stadt, über die er schreibt; was das Buch nicht rund (und leider auch nicht auf wirklch beglückende Weise unrund), aber um Längen interessanter macht als, sagen wir, Nagelschmidt oder Fricke, bei denen Berlin nichts ist als die Summe medial gut abgehangener Klischees. Tristan Funke als Dauerbegeisterter, der männliches Blendwerk selbst der übelsten Sorte konsequent beim Nennwert nimmt und parallel fast unbewusst durch Frauengeschichten driftet... die Frauen sehen, scheint mir, etwas an ihm, das er selbst nicht sieht, und wir halt auch nicht...