Saturday, July 18, 2009

Wienerinnen, Kurt Steinwendner, 1952

Mit dem Neorealismus wird der Film in den wenigen kurzen Texten, die ich im Netz über ihn gefunden habe, in Verbindung gebracht. Sicherlich beeinflussten die italienischen Filme die Stoffwahl oder wenigstens die soziale Situierung: Es geht um mehr oder weniger unglückliche Frauenschicksale am unteren Ende der gesellschaftlichen Hierarchie, gleichzeitig geht es um Frauen, die sich durch ein Wien bewegen, das von den Weltkriegsbombardierungen noch deutlich gezeichnet ist. Aufs soziale Panorama, auf die kategorisierende Typologie, aufs gesellschaftliche Problem, auf soziale Argumente allgemein aber will der Film nie heraus. Überhaupt scheint Kurt Steinwendner eher als ein österreichischer Cousin Rossellinis ein entfernter Verwandter Murnaus gewesen zu sein. Im Grunde ist Wienerinnen ein zu spät gekommener Stummfilm. Genauer: Ein Stummfilm, der sich mit dem Fakt des Filmtons arrangieren muss.
Die leichte Klassik, die über dem Vorspann liegt, wird von den kaputten, wüst-hypnotischen Melodien des Heliophons abgelöst, das einen Großteil des Films begleitet und man vermag sich in diesem Moment ungefähr vorstellen, was für ein Ungetüm der Film im Jahr 1955 im österreichischen Kino gewesen sein muss. Wienerinnen ist nicht einfach ein Versuch, es den Großtaten der Meisterregisseure aus dem südlichen Nachbarland gleichzutun, viel eher ist Steinwendners Film ein monolithisches und bewußt einsames künstlerisches Statement, das nicht Teil / Anhängsel einer lebenden Bewegung sein möchte, sondern in seinem offen morbiden Gestus von Anfang an die Wahlverwandschaft von Toten zu bevorzugen scheint. Gleichzeitig mit der Tonspur verwandelt sich der blendend weiße Kopf der Marmorstatue, die die Eingangsmontage des hochkulturellen, respektablen Wiens abschließt...

...in das leid- (oder jedenfalls affekt-)verzerrte Gesicht der ersten der vier "Wienerinnen", die dem Film seinen Titel geben:

Bilder wie dieses prägen den Film. Gefühlsexzesse in Großaufnahme (Gefühlsexzesse sind Großaufnahmen...), Gesichter, auf die sich ein zuviel an Empfindsamkeit einschreibt, Gesichter, wie man sie so seit dem Siegeszug des Tonfilms kaum noch im Kino gesehen hat. Den exzessiven Ton lässt das Kino nicht so ohne weiteres zu (Ausnahmen bestätigen die Regel; deren vielleicht größte: Zulawskis Possession, insbesondere die Szene an der U-Bahn) und zwangsläufig soll dann auch das Bild auf den Exzess des Gefühls, einen Exzess, der nicht mehr schweben kann, sondern durch den Ton geerdet würde, verzichten.
Wienerinnen ist, wie gesagt, zwar nicht technisch, aber doch wesenhaft, ein Stummfilm.
Der Ton ist etwas, das diesem Film von außen zustößt. Er öffnet den Film nicht, sondern verschließt ihn nur noch weiter in neurotischer Manier. Dies gilt insbesondere für die Musik, bisweilen aber auch für die Dialoge. Ganz buchstäblich von außen kommt der Ton am Anfang jeder Episode. Der körperlose Erzähler ruft die jeweilige "Wienerin" an, sie kann ihn, wie wir, zwar hören, aber nicht sehen. Mit einer Stimme, die ihren Sadismus gar nicht erst zu verstecken sucht, bittet dieser Erzähler sie, ihm ihre Geschichte zu erzählen. Sie windet sich, muss sich aber fügen (der Film kommt der Stimme zu Hilfe und erzählt die Geschichte der Frau). Einen Voice-Over-Kommentar, der sich daran erfreut, seine Heldinnen zu quälen, wann hätte es so etwas im italienischen Neorealismus geben können? (Den Film rettet in diesen Momenten gerade sein Verzicht aufs Soziale, die Misogynie bleibt immer eine des privatistischen Erzählers und fügt sich nie zum reaktionären Gesellschaftsbild.) Sonderbar verschlungene Erzählungen entspringen aus dieser Konstellation: affektüberladene Frauengesichter und die sadistische Stimme von außen. Erzählungen mit morbiden Pointen, psychopathologische Erzählungen über Psychopathologien, Erzählungen, die nur in den wenigen Momenten, in denen sie sich einer Moral annähern, ein klein wenig unehrlich wirken
Die vier Episoden schlagen in stilistischer Hinsicht unterschiedliche Richtungen ein, mir scheint aber, dass fast alle dieser Richtungen dem Stummfilm entstammen (oder zumindest dem Vorkriegstonfilm, wie im Fall der letzten Episode, die mich an den poetischen Realismus Carnes erinnert hat). Die zweite Episode etwa steigert sich in einen wilden Rauschzustand, der in einer psychopathologischen Überblendungs-Montage (komplett mit Zwischentiteln in diesem Fall sogar) resultiert, wie sie das Weimarer Kino besser nicht hinbekommen hätte können. Am schönsten vielleicht die dritte Episode, in der sich zum Exzess des Affekts und der Filmsprache einer der Narration gesellt. Eine hanebüchene Geschichte um Mord, Gefängnisausbruch und einen durchgeknallten Künstler spinnt Steinwendner da zusammen. Die Kausallogik ist am Ende, der Affekt ist nicht mehr Reaktion auf eine Situation, eher ist die Situation eine halluzinierende Projektion des wildgewordenen Affekts. Gesehen haben sollte man nicht nur diese dritte Episode.
Wienerinnen ist als Teil der Edition Standard auf DVD erschienen und im Videodrom ausleihbar. Auf der DVD findet sich außerdem Steinwendners Kurzfilm Der Rabe, eine wilde, kurze Poe-Adaption, die keine Gefangene macht.

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