Worum es im Streitgespräch am Anfang geht, kann man mangels Kontext noch nicht nachvollziehen. Kurz vor Schluss wird der Film dieses Streitgespräch identisch wiederholen, dann wird man Bescheid wissen und den Gesten und Worten gleichzeitig rückblickend und gegenwärtig Sinnzusammenhänge zuordnen können. Schauplatz ist eine Art Halle, in der sich eine Menschenmenge versammelt hat. Ein Mann steht auf und entschuldigt sich großspurig für irgend etwas, er redet über seine kranke Mutter und darüber, dass ein Mann, der sich nicht um seine Mutter kümmert, kein echter Mann sei. Anschließend erhebt sich ein anderer Mann, sichtlich erregt, beschimpft seinen Vorredner und wirft ihm Heuchelei vor. Schon hier erkennt man, dass seine Erregung zwar grundsätzlich gerechtfertigt sein mag, alleine aus der konkreten Situation heraus aber nicht ganz nachzuvollziehen ist. Es geht, kurz und gut, in diesem Gespräch nicht nur um den konkreten Anlass, sondern es geht um mehr.
Und deswegen genügt es dem Film im weiteren auch nicht, zu erklären, was es mit dem konkreten Anlass auf sich hat: eine Arbeiterversammlung in einem sozialistisch bewirtschafteten Unternehmen im revolutionären Kuba; der erste Mann hat den Arbeitsplatz unter dem Vorwand verlassen, seine kranke Mutter zu besuchen, war tatsächlich aber mit einer Geliebten auf einem pleasure trip; der zweite Mann sollte sein Alibi sein, stimmte aus Macho-Solidarität zunächst zu, hat es sich inzwischen aber anders und besser überlegt. Zusätzlich muss der Film auch erklären, was das "mehr" ist, um das es ihm auch geht. Es geht ihm um nichts weniger als um eine umfassende Gesellschaftsanalyse, die begleitet wird von einer geschichtsphilosophischen These.
Sara Gomez hat diesen Film kurz vor ihrem viel zu frühen Tod abgedreht, nach einem Drehbuch, das sie gemeinsam mit Tomas Gutierrez Alea und Julio Garcia Espinosa verfasste. Der Film vermischt Dokumentarisches und Fiktives weniger, als dass er beide Formen als getrennte Strukturen parallel laufen lässt. Im Zentrum steht die Spielhandlung um den Mann, der im Streitgespräch als zweiter spricht und eine Frau, die eine Beziehung mit ihm beginnt. Beide sind vom Bewusstseinswandel, der die Revolution für den Film vor allem anderen ist, unterschiedlich stark erfasst worden. Sie stärker als er, der er als Studienabbrecher Gefahr läuft, wieder den alten (vor allem sexuellen Rollen-)Mustern zu verfallen. Doch auch sie hat mit dem sozialen Abstieg zu kämpfen, den sie nach der emanzipationsbedingten Trennung von ihrem wohlhabenden Mann durchmachen musste.
Immer wieder greift dann eine (in der Version, die ich gesehen habe englischsprachige) Erzählerstimme ein und ergänzt in korrekt historisch-materialistischem Vokabular den historischen und sozialen Kontext, in dem die Spielszenen stehen. Bisweilen werden diese dokumentarischen Einschübe gar durch Zwischentitel vom restlichen Film abgetrennt. Außerdem interagieren die beiden Hauptfiguren mit anderen Akteuren, die in der Mehrzahl sich selbst spielen. So direkt wie nur wenige kubanische Revolutionsfilme, die ich kenne, verkettet der Film in diesen dokumentarischen Passagen ökonomische und sexuelle Ausbeutungspraktiken. Sara Gomez hebt das Faktum des real existierenden Sexismus nicht im Gerede über Haupt- und Nebenwidersprüchen auf. Im Gegenteil vertritt der Film die These, dass der historisch gewachsene und vererbte Sexismus unter Umständen schwerer zu beseitigen sein kann als ungleiche Besitzverhältnisse. Konsequenter noch als der Revolutionsklassiker Lucia erscheint mir der Film in diesem Punkt. Solas' Film zeigt eine Kontinuität von Frauenleiden, hat aber keine These für die spezielle Ausformung dieser Kontinuität.
Die dokumentarischen Passagen sind sich ihrer Sache sicher, sie skizzieren klare Fronten und eindeutige Thesen. Die Revolution erscheint folgerichtig und in ihren unmittelbar ökonomisch-politischen Zielen als eine abgeschlossene. Die fiktiven Passagen verunreinigen dieses Bild wieder, sie zeigen unfertige revolutionäre Subjekte, Rückstände des Alten, in sich widersprüchliche Konflikte. In diesen Passagen sitzt die geschichtsphilosophische These, eine, die in der bloßen Rekonstruktion der historischen Ereignisse nicht enthalten ist: Die Revolution ist nicht einfach nur eine in der Umwälzung der Besitzverhältnisse resultierende Volksbewegung, sondern in erster Linie eine Befreiung des Geistes. Sie ermöglicht es dem Individuum, "diese Welt zu verlassen", wie ein Lied ausführt, das dem Film sehr wichtig ist und dessen Titel ich leider auf die Schnelle nicht recherchieren konnte (der Freund, mit dem ich den Film angesehen habe, besteht darauf, dass das Lied um einiges komplexer ist, als ich es hier darstelle, da in dessen Text eine Doppeldeutigkeit Frau / Welt besteht; ich gehe davon aus, dass er recht hat). Die Welt zu verlassen, die den Einzelnen in seinen eigenen Beschränkungen einschließt, darum geht es Lied wie Film. Die Revolution als Bedingung der Selbstermächtigung und damit nicht als Ende der Geschichte, aber als Bedingung der Möglichkeit ihrer Beendigung. Um diesen Prozess einer Revolution-als-Selbstermächtigung darzustellen, benötigt der Film die Fiktion und ihre Freiheiten; denn idealerweise soll das postrevolutionäre Subjekt über sein eigenes Schicksal ebenso frei verfügen können, wie der Drehbuchautor über seine Figuren.
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