Thursday, October 15, 2009

Padatik / The Guerilla Fighter, Mrinal Sen, 1973

Der dritte Teil der Kalkutta-Trilogie: Das soziopolitische Argument ist sowohl anhand des beispielhaften Einzelfalls (Interview) als auch in historisch-vergleichender Manier (Calcutta 71) gemacht, die Schlussfolgerungen sind marxistisch-radikal: Auf den Sturz der kolonialen Statuen muss die Zerstörung der Schaufensterpuppen des Kapitalismus folgen.
In diesem dritten Teil geht es nur noch um das revolutionäre Subjekt, das sich in den ersten beiden Filmen zwar schon formierte, aber nur als (noch) blind zuschlagende Urgewalt (Interview) beziehungsweise als untote Rückseite der Bilder von Unterdrückung und Hunger (Calcutta 71). In Padatik geht es um dieses revolutionäre Subjekt selbst, um seine Möglichkeiten und Grenzen, um seine Her-, wie um seine Zukunft. Und da wird die Sache komplizierter (was nicht heißen soll, das diese beiden ersten Filme nicht kompliziert wären, ganz im Gegenteil konfrontieren die eine eher unkomplizierte These mit einer denkbar komplizierten Ästhetik und sie gestalten diese Konfrontation angemessen ambivalent und eben nicht, wie den Filmen hier und da vorgeworfen wird, vulgär-brechtisch).
Kalkutta selbst dringt in die Gegenwart des Films nur noch als Flash ein, in kurzen, paranoid anmutenden Handkamerapassagen, in denen der Kamerablick selbst den jungen Mann, das revolutionäre Subjekt zu verfolgen scheint. Auch die Thesen, die soziopolitischen Analysen der beiden Vorgänger bleiben diesem Film äußerlich oder sie manifestieren sich nur in Form klassischer Agitprop-Motive, als Parolen über Zeitungspressen:



Immer wieder brechen diese Parolen als Montagen in den Film ein, unterlegt von harten, schnellen Rhythmen, eben jenen Stakkatoschlägen, die in allen drei Filmen (wie auch in anderen Filmen Sens) einzelne Szenen aufbrechen, rhythmisieren, intensivieren. Vielleicht ist das ohnehin das großartigste an den tollen Filmen Sens: die Musik, wie sie - immer wieder in Verbindung mit Montage-Sequenzen - die sozialrealistische Grundierung der Bilder transzendiert, die Bilder mit ihrem Drive, ihrer Insistenz infiziert, durchaus aktiv und gestenartig, zeigend, emphatisch hinweisend, anklagend, aber nie: modernistisch brechend, distanzierend. Keine Verfremdung des Gegebenen, sondern Reaktion auf eine bereits vorgängige Verfremdung, beziehungsweise auf die Entfremdung des Gegebenen von sich selbst.
Jetzt gibt es ein revolutionäres Subjekt, einen jungen Mann, der ganz und gar ein solches ist und vom Film darüber hinaus nicht charakterisiert wird. Er ist allerdings eingesperrt in einer dezidiert bourgeoisen Wohnung, versteckt sich nach einem Attentat bei einer sympathisierenden jungen Frau, hält über einen Jugendfreund Kontakt mit der naxalitisch-marxistischen Parteiführung. Die Konstellation funktioniert bald nicht mehr so richtig, das revolutionäre Subjekt muss am Ende aus dem samtenen Gefängnis ausbrechen (und die Frau idealerweise mitnehmen und aus einem ganz anders gearteten Gefängnis befreien), es muss sich vom Apparat der Partei wie von falschen Freunden trennen und einen Neuanfang jenseits von hierarchiezerfressenen Theorien wagen, auf einer durch und durch moralischen, individual-ethischen Grundlage. In einer interessanten Wendung verbindet Sen diesen Neuanfang mit einem Rückbezug auf die antikoloniale Unabhängigkeitsbewegung.
Bis es aber soweit ist, entwickelt der Film eine komplexe filmpoetische Dialektik. Auf der einen Seite ist immer das Appartment, die Gegenwart des Revolutionärs, der sich seine Handlungsmacht vom Apparat beschneiden lässt, der in den schön eingerichteten Zimmern abhängt und ein wenig mit deren Besitzerin flirtet, im Wissen, dass aus diesem Flirt genauso wenig folgen wird, wie aus seinem verwalteten Aktivismus. Und eben auch: die bildrealistische Gegenwart des Films. Alles, was interessant, produktiv, progressiv wäre, ist auf der anderen Seite, auf Seiten der Vergangenheit, des Traums, auf Seiten des filmpoetisch Uneigentlichen: der Rückblenden, der Montagesequenzen, der Newsreelausschnitte, die in den Film eindringen, der Musik, die immer wieder antreibt, rhythmisiert, auffordert, solange, bis sich schließlich doch eine Fluchtlinie auftut.

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