Die ersten Minuten habe ich verpasst, als ich das Kino betrat, war gerade eine Gruppe von Männern um eine Staffelei herum gruppiert (das Bild, das gemalt wird, sieht man in der Szene nicht, wie man auch später die Bilder nicht sieht, die die Hauptfigur von seiner alternden Muse malt, die sich beschwert, dass er sie nicht mehr nackt Modell stehen lässt seit der Geburt ihres Kindes). Die Männer streiten sich darüber, ob ein Berg, der das Motiv darzustellen scheint, sich bewegt oder nicht. Kurosawa schneidet dann am Ende des Streits auf den Berg, als könne seine Kamera zeigen, wer Recht hat. Ab diesem Schnitt auf den Berg (und nicht etwa auf das Bild auf der Staffelei) wusste ich, dass ich den Film mögen würde.
Vielleicht ist es schön, manchmal die Anfänge von Filmen zu verpassen. Ich wusste zum Beispiel zunächst nicht, wer aus der Gruppe der Maler ist und ob der Maler die Hauptfigur des Films ist. Für mich löste sich der eigentliche Film erst während der Eingangsszene aus dieser losen, etwas unordentlich wirkenden Gruppe. Einer der Männer ist dann nicht nur Maler und Protagonist, sondern außerdem der Filmstar Toshio Mifune, eine Frau taucht auf (seltsamerweise filmt Kurosawa zuerst ihren Hinterkopf), die beiden fahren mit dem Motorrad davon, ich hatte den Eindruck, als hätten da aus dieser Szene auch tausend andere Situationen entstehen können, die übrigen Männer aus der Gruppe sind erst einmal verschwunden und tauchen erst sehr spät wieder auf.
Der Film beginnt als Erzählung und tranformiert sich dann einige Male. Er ist zunächst eine rasante Society-Komödie: Dem Maler und der Frau wird von einem skrupellosen Journalisten (der ganz am Ende Grimassen schneidet, wie man sie höchstens aus dem Stummfilm kennt) eine Affäre angedichtet, die sie nicht haben. Dann verklagt der Maler die Zeitung und organisiert sich einen Anwalt, ein courtroom drama scheint sich anzubahnen, es wird allerdings bis zur letzten halben Stunde aufgeschoben, weil das Interesse des Films sich völlig unerwartet auf den Anwalt verschiebt, der schließlich selbst zum Angeklagten wird.
Der Anwalt (Takashi Shimura, der hier einmal Mifune ziemlich eindeutig die Show stehlen darf) nimmt den Fall nicht aus finanziellen Gründen, aber auch nicht aus Idealismus an, sondern aus unbändigem Wut auf den Journalisten. Ein vom Leben gepeinigter, vom Drehbuch mit allerlei melodramatischem Balast (krankes Kind, Spielsucht) überfrachteter Mann, dessen Position im Außerhalb der vorsichtig optimistischen japanischen Nachkriegsgesellschaft sich viel treffender als über die Traumas über zwei absurde Details offenbart: Das Schild vor seinem Wohnhaus warnt vor einem Hund, der seit fünf Jahren tot ist. Und sein Büro befindet sich im fünften Stock eines vierstöckigen Hauses.
Einiges, was sonst noch schön ist: wie Shimura einmal aus Versehen die Hupe eines Motorrads betätigt und verwirrt um sich blickt. Wie Mifune dann später den Motor desselben (kann sein, dass ich mich hier irre) Motorrads grundlos laut aufheulen lässt - und sich gleich darauf vor seiner Muse dafür rechtfertigt. Wie seine vorgebliche Geliebte Klavier spielt und singt mit einer Stimme, die sich zuerst eindeutig nachvertont anhört, dann aber plötzlich ganz gegenwärtig wird. Wie die Journalisten am Anfang, wenn sie das inkriminierende Foto schießen, das eigentlich gar nichts zeigt, sich so lange über ihren Erfolg freuen, bis sie ihrer Geschichte fast selber glauben. Wie sie später in der Redaktion nicht dem Fotografen, sondern dem Fotoapparat applaudieren. Wie der Verteidiger des Journalisten seine Niederlage nüchtern und ohne mit der Wimper zu zücken einräumt (die Semantik des Prozesses unterscheidet sich sowieso sehr stark von der amerikanischer courtroom-Filme).
Aus heiterem Himmel ruft irgendwann jemand "Merry Christmas", dann folgt die Jingle-Bells-Melodie und eine schwankende Fahrradfahrt Mifunes mit Christbaum auf dem Gepäckträger. Kurz darauf ist Sylvester. Die schönste Szene des Films zeigt die Feier zum Jahreswechsel. Mifune weiß längst, dass mit Shimura etwas nicht stimmt, wenn er rational handeln würde, müsste es genau zu diesem Zeitpunkt zum endgültigen Bruch kommen, statt dessen gibt es eine wundervolle Versöhnungsszene. Shimura stimmt volltrunken "Auld Lang Syne" an, sein Saufkumpan stimmt mit ein, dann tritt Mifune hinzu und singt ebenfalls. Und die Muse tritt hinzu und singt (beides ist wichtig: das "Hinzutreten" und das Singen). Und eine Prostituierte singt. Und ein Yakuza singt. Und der Rest der Kneipe auch. Erinnert hat mich das an eine Szene in Richard Donners Inside Moves (siehe hier), auch ein schöner Film, aber seine Beschränkungen werden schon sichtbar, wenn man ihn gegen Kurosawa stellt. Bei Donner geht es um ein kleines Glück, abgekapselt vom Rest der Welt, bei Kurosawa darum, die Kapsel zu sprengen.
Die Szene gibt es - mit etwas Vorlauf - auch auf Youtube:
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